Harding | Tinkers | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

Harding Tinkers

Roman
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-641-07491-3
Verlag: Luchterhand Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

ISBN: 978-3-641-07491-3
Verlag: Luchterhand Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein Roman voll poetischer Kraft und Zärtlichkeit

Der Uhrmacher George Washington Crosby liegt, umgeben von seiner Familie, in seinem Haus in dem Städtchen Enon im Sterben. Paul Hardings Roman begleitet ihn durch seine letzten Tage, reist aber auch zurück durch die Zeit und spürt den Erinnerungen nach, beschwört die Landschaft von Maine herauf, Georges ärmliche Kindheit, das Leben seines Vaters Howard, der noch als »Tinker«, als Kesselflicker und fahrender Händler, mit dem Maultierkarren über Land zog.

Paul Harding wurde 1967 in Wenham, Massachusetts, geboren. Er studierte Englische Literatur, war Schlagzeuger in einer Rockband und machte den Master of Fine Arts am berühmten Iowa Writers‘ Workshop. Für seinen ersten Roman »Tinkers« wurde er u.a. mit dem Pulitzer-Preis und dem PEN/Robert W. Bingham Prize ausgezeichnet. »Sein Garten Eden« war 2023 sowohl für den Booker Prize als auch für den National Book Award nominiert. Harding unterrichtet Creative Writing an der Stony Brook University und lebt mit seiner Familie auf Long Island.
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(S. 106-107)

Tagsüber nahm George eine große Gruppe von Menschen wahr, die flüsternd und wie im Rhythmus von Gezeiten zum Zimmer herein- und hinauswogte. Nachts jedoch, wenn er aufwachte, saß immer nur eine Person auf der Couch neben seinem Bett und las im schwachen Licht einer kleinen Lampe mit Zinnfuß, die auf dem Rollschreibpult am entfernten Ende der Couch stand. Die Person kam ihm immer bekannt vor, er wusste aber nie genau, wer es war – ob Mann oder Frau, Verwandtschaft oder ein Freund. Jedes Mal, wenn George sich sammeln und auf die Person – Haar, Augen, Wangenknochen, Nase – konzentrieren wollte, damit ihm ein Name einfiel, zog sich die Person an den Rand seines Blickfelds zurück, obwohl sie ihm direkt gegenüber sitzen blieb.

In der ersten Nacht, in der er diesen fremden guten Geist entdeckte, sagte er: Wer bist du? Die Person blickte von ihrem Buch auf und lächelte. Du bist wach, sagte sie. Wie spät ist es?, fragte er. Es ist sehr spät, sagte die Person. Für diesen Wortwechsel brauchten offenbar weder er noch die Person zu sprechen. George hätte nicht zu sagen gewusst, ob das an den Tabletten lag oder seine übliche Verwirrung war, ja nicht einmal, ob er und die Person tatsächlich kommunizierten. Noch während er alldem still für sich nachsann, kam es ihm so vor, als sage die Person: Du bist wirklich da und sprichst mit mir. Du bist so deutlich zu hören wie eine Glocke.

George wollte die Person erkennen und probierte es deshalb damit, dass er für einen Moment wegsah, sich auf das Stillleben an der anderen Seite des Zimmers konzentrierte und seinen Blick dann wieder auf sie richtete, sich zwang, der Person direkt in die Augen zu sehen. Wenn er das tat, bekam die Person etwas Irrlichterndes und schien nicht mal mehr auf der Couch zu sitzen, sondern knapp über den Polstern zu schweben und bei jedem Blick, der sie traf, blitzschnell nach links oder rechts, oben oder unten wegzurutschen, und das ohne eigenes Zutun, als sei die Bewegung ein Reflex, eine natürliche Abwehr, und daher ließ sie sich nicht unmittelbar erfassen, sondern präsentierte sich immer nur als flüchtiges Bild, das vor dem Hintergrund aus Vorhang, Lampe, Schreibpult, Couch flackerte.

Die Person war jung – kein Kind zwar, kein Jugendlicher, aber viel jünger als George mit seinen achtzig Jahren, zumindest körperlich, und die Person strahlte aus, dass Hunderte von Jahren in ihr beschlossen waren, aber gleichzeitig. In der Person waren Hunderte von Jahren aufgehoben, die jedoch überlappten, so als durchlebe die Person beliebig viele Zeiten auf einmal.

Ich dachte gerade, sagte die Person mit silbriger Stimme, ich dachte gerade, dass ich zwar nicht so viele Jahre alt bin, aber ein Jahrhundert breit. Ich glaube, ich habe ein buchstäbliches Alter, bin aber von Jahresringen umgeben. Ich glaube, diese Jahre von Tagen, diese fast ein Jahrhundert ausmachenden Jahre sind ein Geschenk von dir. Vielen Dank. Ich lese dir jetzt etwas vor, damit du wieder einschlafen kannst. : Wir traten bei Dämmerung in die Atmosphäre ein. Wir zogen eine Feuerspur hinter uns her. Wir waren eine funkensprühende Spur aus weißem Feuer und rasten über Herden, die im Schwemmland grasten. Die lila Ebenen: Steppe und Tafel, klastisches Gestein aus einem ausgetrockneten Fluss, verstreut über das Bett eines ausgetrockneten Ozeans. Vielleicht ereignete sich, weit entfernt, eine Revolution – die Erstürmung eines verlassenen Forts, erbaut an der Biegung eines abgelegenen, dunstigen, baumverhangenen Flusses.


Morawetz, Silvia
Silvia Morawetz, geboren 1954 in Gera, studierte Anglistik, Amerikanistik und Germanistik. Sie hat bisher ca. 150 Werke aus den Gattungen Prosa, Lyrik, Essay und Hörspiel übertragen und ist die Übersetzerin von u. a. Henry Miller, Anne Sexton, Ali Smith, Hilary Mantel und Joyce Carol Oates. Sie erhielt Stipendien des Deutschen Übersetzerfonds, des Landes Baden-Württemberg und des Landes Niedersachsen.

Harding, Paul
Paul Harding wurde 1967 in Wenham, Massachusetts, geboren. Er studierte Englische Literatur, war Schlagzeuger in einer Rockband und machte den Master of Fine Arts am berühmten Iowa Writers‘ Workshop. Für seinen ersten Roman »Tinkers« wurde er u.a. mit dem Pulitzer-Preis und dem PEN/Robert W. Bingham Prize ausgezeichnet. »Sein Garten Eden« war 2023 sowohl für den Booker Prize als auch für den National Book Award nominiert. Harding unterrichtet Creative Writing an der Stony Brook University und lebt mit seiner Familie auf Long Island.



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