Heinichen Der Tod wirft lange Schatten
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-552-05623-7
Verlag: Zsolnay, Paul
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 360 Seiten
ISBN: 978-3-552-05623-7
Verlag: Zsolnay, Paul
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Auch in Kommissar Laurentis 4. Fall führen wieder Spuren in die unruhige politische Vergangenheit Triests. Und nicht nur einfache Kleinkriminelle, sondern die Hochfinanz jenseits der Grenze und die Kollegen vom italienischen Geheimdienst stören Laurentis Kreise.
Veit Heinichen wurde 1957 zwischen Bodensee und Schwarzwald geboren. Nach dem Studium der Betriebswirtschaft und einem kurzen Abstecher in die Automobilindustrie arbeitete er als Buchhändler und anschließend für namhafte Verlage in der Schweiz und in Deutschland. 1994 war er Mitbegründer des Berlin Verlags und dessen Geschäftsführer bis 1999. Nach Triest, die Stadt, die seine zukünftige Heimat werden sollte, kam Heinichen erstmals 1980. Und hier erweckte er auch Commissario Proteo Laurenti zum Leben, der nun in bislang sieben Romanen (Gib jedem seinen eigenen Tod, 2001; Die Toten vom Karst, 2002; Tod auf der Warteliste, 2003; Der Tod wirft lange Schatten, 2005; Totentanz, 2007; Die Ruhe des Stärkeren, 2009; Keine Frage des Geschmacks, 2011, Im eigenen Schatten, 2013, alle im Paul Zsolnay Verlag) den Verbrechern in der Stadt am Karst auf der Spur ist. Seine Krimis werden in das Italienische, Niederländische, Spanische, Französische, Slowenische, Griechische, Tschechische,Polnische und Norwegische übersetzt. Die Toten vom Karst und Tod auf der Warteliste wurden bei der Vergabe des Premio Franceo Fedeli in Bologna 2003 und 2004 zu den drei besten italienischen Kriminalromanen des Jahres gewählt. Im September 2005 erhielt Veit Heinichen zudem den Radio-Bremen-Krimipreis für seine 'feinfühlige, unterhaltsame und genaue Erforschung der historisch-politischen Verflechtungen, die Triest als Schauplatz mitteleuropäischer Kultur kennzeichnen' (Begründung der Jury).2010 wurde Die Ruhe des Stärken bei der Vergabe des Premio Azzercagarbugli als bester fremdsprachiger Roman ausgezeichnet, 2011 erhielt Veit Heinichen den 13. Internationalen Literaturpreis Città die Trieste, 2012 wurde er für sein schriftstellerisches Schaffen mit dem Gran Premio Noè ausgezeichnet. Neben seinem literarischen Schaffen ist er Autor kulturhistorischer Beiträge und, zusammen mit der Triestiner Starköchin Ami Scabar, Verfasser des kulturgeschichtlich-kulinarischen Reisebuchs Triest - Stadt der Winde (2005, Sanssouci im Carl Hanser Verlag). Der 90minütige Dokumentarfilm Le lunghe ombre della morte, den Veit Heinichen zusammen mit Regisseur Giampaolo Penco drehte, dokumentiert den Hintergrund seines vierten Kriminalromans Der Tod wirft lange Schatten und wurde im Dezember 2005 vom italienischen Staatsfernsehen RAI ausgestrahlt. Fünf seiner Kriminalromane wurden mit Henry Hübchen als Commissario Laurenti und Barbara Rudnik als dessen Frau Laura für die ARD verfilmt. Im Juli 2008 präsentierte Veit Heinichen in einer Folge der 3sat-Reihe Inter-City spezial 'sein' Triest.'Der Kriminalroman ist ein ideales Mittel, um die moderne Gesellschaft abzubilden', so Veit Heinichen. 'Die Neurosen einer Epoche und eines Raumes kommen im Roman am stärksten zum Ausdruck. Triest, die Hafen- und Grenzstadt am nördlichen Golf der Adria, ist Schnittstelle zwischen romanischer, slawischer und germanischer Kultur, hier begegnen sich die mediterrane Welt und die des Nordens, Osteuropa und der Balkan treffen auf Westeuropa, sowie die ,geistigen Formationen` Meer und Berg. Eine Stadt voller Kontraste, Gegensätze, Widersprüche und der Brücken zwischen diesen. Triest ist, wie Le Monde schrieb, der Prototyp der europäischen Stadt - und eine Fundgrube für denjenigen, der begreifen will, wie dieses Europa funktioniert.'
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Marinadi Aurisina
Mit Schnorchel und Flossen kam er schnell voran. Das Wasser in diesem Mai war dank der brütenden Hitze, die sich seit Wochen übers Land gelegt hatte, deutlich wärmer als im Vorjahr. Dennoch hatte er den schwarzen Neoprenanzug angelegt, dann wie üblich das Halteband der kleinen Harpune übergestreift und ein Messer an der Wade festgemacht, mit dem er Muscheln losbrach oder Seeigel aufschnitt, die er für sein Leben gern roh verzehrte. Im Osten über der Stadt hatte der anbrechende Tag bereits über die Finsternis gesiegt, als er die Treppe zum Meer hinunterstieg und kurz darauf am kleinen Anleger ins Wasser glitt. Seit er an der Küste lebte und regelmäßig schwimmen ging, während alle anderen noch schliefen, war er endlich wieder in Form. Selbst Laura hatte plötzlich nichts mehr an seinem Bauchumfang auszusetzen, lobte manchmal sogar seine muskulösen Schultern – und auch mit dem Sex lief es wieder besser.
Srecko, der letzte Fischer von Santa Croce, hatte am Abend zuvor am Tresen des »Pettirosso« beiläufig zu ihm gesagt, daß in der letzten Zeit eigenartige Typen unten am kleinen Hafen beim Meeresbiologischen Forschungslabor aufgetaucht seien. Aber man wolle ja nicht gleich die Polizei rufen. Manchmal seien sie zu zweit, dann wieder zu viert, aber natürlich niemand von denen, die dort ein Boot liegen hatten und erst recht keine Badegäste, die ein Stück weiter oben den Nacktbadestrand Liburnia am Fuß der Steilküste aufsuchten. Dazu seien die Herren einfach nicht richtig gekleidet. Der Fischer, trotz seiner 74 Jahre ein Berg fester Muskeln mit Händen, kräftig wie Baggerschaufeln, fuhr jeden Morgen raus. Nicht weil er es finanziell nötig gehabt hätte, vielmehr aus Leidenschaft und weil er das idyllische Restaurant »Bellariva«, das seine Frau gleich neben dem kleinen Hafen betrieb, mit dem frischen Fang versorgte. Srecko hatte feste Zeiten, und das wußten diese Männer wohl, die immer gerade dann die Mole verließen, wenn er bei Tagesanbruch zu seinem Kutter ging. Und jedesmal habe dann eines dieser hochmotorisierten Schlauchboote abgelegt, die bis zu 40 Knoten machen. »Irgend etwas stimmt nicht«, sagte er. »Das sollte sich einmal jemand genauer ansehen.«
Die kleinen Häfen an der Steilküste vor Triest waren nur zu Fuß über Hunderte von Treppenstufen zu erreichen, bis auf die Marina di Aurisina, zu der eine enge Straße mit starkem Gefälle hinabführte. Sie endete vor der Einfahrt zum Gelände des Laboratoriums, zu dem nur die Mitarbeiter und die Eigner der kaum zwanzig Boote, die an der Mole lagen, Zugang hatten. Alle anderen mußten eine steile Treppe zum Meer hinunter und dann auf einem steinigen Strand weiter zum Hafen gehen. Dafür war die Wahrscheinlichkeit, daß hier Kontrollen durchgeführt wurden, gering. Kein Streifenwagen fuhr je dort hinab, wo nur ein paar mit hohen Mauern umgebene Villen standen, deren Alarmanlagen direkt mit den Behörden verbunden waren. Und der Nacktbadestrand am Fuß der Küste war ohnehin nicht kontrollierbar. Kein Polizist würde auf die Idee kommen, die steilen Pfade hinunter- und danach wieder hinaufzuklettern. Manchmal fuhr ein Boot der Küstenwache oder der Polizia Marittima nahe am Ufer vorbei, aber die Beamten mit den guten Ferngläsern schienen vor allem am Anblick nackter Haut interessiert. Es gab Badegäste, die dort im Sommer Jahr für Jahr dieselben Plätze beanspruchten und sie eisern verteidigten, und andere, die sogar so etwas wie einen Zweitwohnsitz samt Kochgelegenheit und Bretterverschlag dort aufgestellt hatten.
Im Hafen war keine Menschenseele zu sehen. Proteo Laurenti hielt sich hinter den Anlagen der Miesmuschelzuchten, die in riesigen geometrischen Mustern hundert Meter vor der Küste in der sanften Dünung schaukelten. Auf dem offenen Meer bewegten sich lediglich die Positionslichter einiger heimkehrender Fischkutter, sonst war es ruhig. Die Sonne hob sich langsam über den Karst, ihr Licht war noch stumpf, als würde sie selbst erst mit dem Tag erwachen. Laurenti wartete an einer Boje und beobachtete die Einfahrt zu dem kleinen Hafen. Er verschnaufte kurz, denn er wollte die Strecke ohne aufzutauchen hinter sich bringen. Keine einfache Sache. Aber wenn man ihn entdeckte, wäre seine Mühe umsonst gewesen und er hätte im Bett bleiben können und die verschlafene Frage seiner Frau, weshalb er so früh auf den Beinen sei, nicht mit einer Lüge beantworten müssen.
Seine Atemluft reichte knapp aus, um direkt vor dem Wellenbrecher aufzutauchen. Wenn die Angaben des Fischers stimmten und die Männer tatsächlich jeden Morgen zur gleichen Zeit kamen, dann war er zu früh. Er mußte sich einen Platz zwischen den Felsen suchen und warten: Außerhalb des Wassers, um sich nicht zu unterkühlen. Er zog Maske und Schnorchel vom Kopf und verschanzte sich, so gut er konnte, zwischen den mächtigen Steinquadern des Wellenbrechers. Laurenti spürte die Müdigkeit wieder, gegen die er sich beim Aufstehen gewehrt hatte, doch bevor er ihr nachgeben konnte, hörte er Stimmen und, keine zehn Sekunden später, das gedämpfte Geräusch moderner großvolumiger Schiffsturbinen, kaum lauter als ein Summen, das schnell näher kam. Auf dem Schlauchboot, das jetzt sichtbar wurde und kurz darauf den Motor drosselte, standen zwei Frauen. Doch Laurentis Aufmerksamkeit galt vier athletischen Männern mit militärischem Haarschnitt, Jeans und bunten kurzärmligen Hemden, die trotz der Uhrzeit Sonnenbrillen trugen. Sie kamen die Treppe neben der »Bellariva« herunter und schleppten zwei große wasserdichte Plastikbehälter. Der Kies knirschte unter ihren Sohlen. Die zwei Frauen auf dem einfahrenden Schlauchboot mit dem Fiberglasrumpf, das ohne Kennung und Nationenflagge war, trugen Bikini und über den Schultern Windjacken.
Laurenti duckte sich hinter die Felsen. Er sah, wie wenige Meter entfernt die zweite der Kisten an Bord gehievt wurde. Die Harpune auf seinem Rücken schlug, als er sich ein Stück aufrichtete, gegen den Fels, und gab ein metallisches Geräusch von sich, das in der Stille zu zerplatzen schien. Zwei der Männer drehten sich blitzartig um. Er hatte keine Zeit, um mit einem zweiten Blick zu überprüfen, ob es wirklich Pistolen waren, die sie in den Händen hielten. Hastig stülpte er sich die Tauchermaske über den Kopf und glitt ins Wasser. Er mußte rasch zur Muschelzucht zurück, zwischen deren Fässern er sich gut verstecken konnte. Dabei war er sich nicht einmal sicher, ob sie ihn überhaupt gesehen hatten.
Die Hektik kostete ihn wertvolle Atemluft. Zwanzig Meter vor der ersten Reihe mußte er hoch. Instinktiv drehte er sich um und sah gerade noch den hellgrauen Schiffskörper an sich vorbeischießen, der kurz darauf die Maschinen drosselte. Mit einem Blick erkannte er, daß die Mole inzwischen verlassen war. Laurenti tauchte wieder unter und suchte sich einen Platz inmitten der Muschelzucht, wo er sicher war. Eine Möwe flatterte erschreckt davon, als er auftauchte. Er nahm die Harpune vom Rücken und schaute sich vorsichtig um. Den schwarzen Kopf eines Tauchers im Gewirr von Fässern und Tauen von einem Schiff aus zu entdecken, war unmöglich. Laurenti sah das Motorboot hundert Meter weiter in der Dünung schaukeln. Kurz darauf war vom kleinen Hafen her das stampfende Geräusch eines beschleunigenden Schiffsdiesels zu vernehmen und der Bug eines Fischkutters schob sich hinter dem Wellenbrecher hervor. Das Schlauchboot nahm Kurs aufs offene Meer und verschwand bald als kleiner Punkt am Horizont.
Er hatte gesehen, was er gesehen hatte – und wußte nicht, was es bedeutete. Die meisten der Personen hätte er zwar beschreiben und in der Kartei wiederfinden können, wenn sie registriert waren. Bis auf einen der Männer und das Allerweltsgesicht einer der Blondinen, die sich von Hamburg bis Split glichen wie ein Ei dem anderen. Sechs Personen im Mai in einer mysteriösen Aktion am idyllischen Hafen bei den Filtri, und das schon seit etlichen Tagen. Zwei davon gutgebaute junge Damen im Bikini. Zu einer Uhrzeit, zu der jeder andere auf See sich noch einen leichten Pullover überzog. Als Tarnung nicht sehr glaubwürdig. Das würde dem dümmsten Kollegen auffallen, der auf einem Schiff der Küstenwache oder der Polizia Marittima Dienst tat. Sie kontrollierten gerne diese attraktiven Damen, die sich irgendwo auf ihren Booten vor der Küste nahtlos bräunten und dabei ihre Erfahrungen mit der Schönheitschirurgie austauschten. Aber niemals so früh am Tag.
»Wie lange warst du im Wasser?« fragte der alte Fischer besorgt, der ihn an Bord seines Schiffes gezogen hatte. »Hier, trink!« Er schenkte Weißwein in einen Plastikbecher.
»Hast du jemand gesehen?« fragte Laurenti.
Der Mann nickte. »Sie waren etwas später dran als sonst. Als ich zum Meer runterkam, standen sie oben auf der Mole und schauten hinaus. Sie waren bewaffnet, das konnte ich genau erkennen, obgleich ich so getan habe, als hätte ich sie nicht bemerkt. Der Kutter liegt weit genug weg. Kurz darauf gingen sie eilig davon.«
Laurenti zwängte sich aus dem Neoprenanzug und trocknete sich mit dem Handtuch ab, das Srecko ihm reichte. Sie tuckerten geradeaus aufs Meer hinaus.
»Könntest du die Leute beschreiben?« fragte Laurenti, obwohl er wußte, daß es eine unnötige Quälerei wäre, ihm stundenlang die Kartei vorzublättern. Er winkte rasch ab und lachte. Die Leute auf dem Karst waren geprägt. In den letzten hundert Jahren hatten sie mehr Sicherheitskräfte gesehen, als alle anderen in Europa. Österreichische Gendarmen und Soldaten, Italiener, Faschisten, Gestapo, SS und Wehrmachtsoldaten, Tito-Truppen, Engländer, Neuseeländer, Amerikaner, wieder die Italiener – und weiß der Teufel wie viele Spione. Wen wunderte es da, daß sie sich gegenüber offiziellen Anfragen...




