Henn | Der Buchspazierer | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Henn Der Buchspazierer

Roman | Ein berührender Bestseller, für alle, die Bücher lieben
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-492-99715-7
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman | Ein berührender Bestseller, für alle, die Bücher lieben

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

ISBN: 978-3-492-99715-7
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



»Das geschriebene Wort wird immer bleiben, weil es Dinge gibt, die auf keine Art besser ausgedrückt werden können.« Mit »Der Buchspazierer« präsentiert der renommierte Autor Carsten Henn eine gefühlvolle Geschichte darüber, was Menschen verbindet und Bücher so wunderbar macht.    Es sind besondere Kunden, denen der Buchhändler Carl Christian Kollhoff ihre bestellten Bücher nach Hause bringt, abends nach Geschäftsschluss, auf seinem Spaziergang durch die pittoresken Gassen der Stadt. Denn diese Menschen sind für ihn fast wie Freunde, und er ist ihre wichtigste Verbindung zur Welt. Als Kollhoff überraschend seine Anstellung verliert, bedarf es der Macht der Bücher und eines neunjährigen Mädchens, damit sie alle, auch Kollhoff selbst, den Mut finden, aufeinander zuzugehen ...   »Ein Buch zum Einkuscheln, ein Buch das wärmt und Zuversicht spendet. Genau das Richtige für alle, die wissen, wie wichtig ein gutes Buch sein kann.« BRIGITTE 

Carsten Henn, geboren 1973 in Köln, ist neben seiner Tätigkeit als Autor auch als Weinjournalist und Restaurantkritiker tätig. Viele erfolgreiche kulinarische Kriminalromane stammen aus seiner Feder, aber auch Liebeskomödien, Theaterstücke und ein Bilderbuch. Sein Roman »Der Buchspazierer« stand über zwei Jahre auf der SPIEGEL-Bestsellerliste, wurde allein in Deutschland über eine halbe Millionen Mal verkauft, in mehr als 30 Sprachen übersetzt und mit Christoph Maria Herbst in der Titelrolle verfilmt. Auch seine nächsten Romane »Der Geschichtenbäcker« und »Die Butterbrotbriefe« waren große Bestseller-Erfolge. Für seine literarischen Werke erhielt er mehrere Auszeichnungen.
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Kapitel 2


Der Fremde

Beim Aufwachen fühlte Carl sich wieder wie ein Buch, das einige Seiten verloren hat. Über die letzten Monate war dieses Gefühl immer stärker geworden, und es kam ihm vor, als wäre nicht mehr viel Papier im Einband seines Lebens übrig.

In der Küche kochte er sich Kaffee. Die Wärme erreichte seine schlafkalten Finger, als hätte jemand im Porzellan der Tasse einen kleinen Ofen angefeuert. Mit der Wärme drang auch etwas Glück in ihn ein und breitete sich peu à peu in seinem ganzen Körper aus, wie eine sanfte Welle. Deswegen besaß er nur Tassen aus dünnem Porzellan, auch wenn sie teurer waren und leichter kaputtgingen. Doch die dickwandigen ließen ihn nichts spüren.

Der Tag rauschte dahin wie ein grobkörniger Schwarz-Weiß-Film, in dem man nur schemenhaft erkennen konnte, was passierte. Erst als das Glöckchen über der Eingangstür der Buchhandlung um halb sieben verkündete, dass Carl Kollhoff sie betrat, ergossen sich Farben in sein Leben.

Sabine Gruber hatte sich hinter dem Tresen verschanzt. Sie stand bewusst so, dass kein Kunde einen Blick auf den goldgerahmten Zeitungsartikel hinter ihr an der Wand werfen konnte. Mit einem halbseitigen Foto berichtete er über Carls ungewöhnliche Art der Buchzustellung. Sogar einen Fernsehbeitrag hatte es gegeben. Nach dessen Ausstrahlung hatten viele Menschen Bücher bestellt, die zu ihnen spaziert werden sollten. Doch der Charme des Neuen war bald verflogen, und die Kunden hatten begriffen, dass sie gar keine Leser, sondern Fernsehzuschauer waren.

Heute befanden sich in Carls Kiste zwei Bücher. Obwohl sie nur wenige Seiten hatten, erschienen sie Carl schwer, als er sich den Rucksack umschnallte.

Leon hockte auf dem Teppichboden neben dem Ständer mit ungeputzten Postkarten und blickte gebannt auf sein Handy, während Nick Hornbys Fußballbuch immer noch ungelesen auf dem Tisch lag. Selbst Hornbys Worte hatten es schwer, gehört zu werden, wenn ein weltweites Netz mehrstimmig rief.

»Wieder auf Streife?«, fragte Leon, ohne den Blick vom Display zu lösen.

»Ich bin doch kein Polizist«, antwortete Carl. »Ich trage Bücher aus. Nur deren Inhalt kann kriminell sein.«

»Ist das nicht öde?« Wieder blickte Leon nicht auf. Carl hatte auch den Eindruck, als interessiere ihn die Antwort wenig. Doch wenn er gefragt wurde, dann antwortete er. Und er antwortete ehrlich und so ausführlich wie angemessen.

»Ich bin wie der Zeiger einer Uhr. Man könnte denken, so ein Zeiger sei traurig, weil er immer dieselbe Strecke zurücklegt und immer wieder da ankommt, wo er gestartet ist. Aber das Gegenteil ist der Fall, er genießt die Gewissheit über Pfad und Ziel, die Sicherheit, keinen falschen Weg zurücklegen zu können, sondern immer nützlich und exakt zu sein.« Carl blickte zu Leon, doch der blickte nicht zu ihm.

»Versteh ich«, sagte er.

Den Kragen seiner Jacke geradeziehend, trat Carl hinaus und spürte das wohlige Gefühl der vor ihm liegenden Aufgabe. Was er nicht wusste, war, dass heute noch eine andere Aufgabe für ihn beginnen würde. Eine Aufgabe, die viel schwerer war als ein prall gefüllter Rucksack.

Es war ein Herbsttag, der vom Sommer träumte. Der Münsterplatz badete tief im Sonnenlicht, die alten Gemäuer sahen wieder jung aus, die alte Stadt wie frisch erbaut.

Sobald Carl Kollhoff die Pflastersteine betrat, poliert von unzähligen Ledersohlen etlicher Generationen, hatte er wieder das Gefühl, beobachtet zu werden. So sehr, dass er stehen blieb und sich umschaute, sich drehend wie der Scheinwerfer eines Leuchtturms. Die Menschen glitten an ihm vorbei wie Schiffe, manche rasant wie Schnellboote, andere langsam treibend wie Flöße. Doch niemand sah sich nach ihm um.

Carl wusste, dass er dringend weitermusste, um seinen Zeitplan einzuhalten, er spürte die verrinnenden Sekunden förmlich in seinen ungeduldigen Beinen. Deshalb ging er wieder, versuchte das Gefühl wie eine lästige Fliege abzuschütteln, doch es blieb bei ihm.

Plötzlich spazierte ein kleines Mädchen mit dunklen Locken an Carls Seite und passte die Schritte an seine an.

Sie sah genau aus wie die Hauptfigur im Bilderbuch Ein Schloss für die Prinzessin. Es war das, in dem hinten verschiedene Kleider enthalten waren, die man mit Klettverschluss auf die Seiten mit dem Mädchen kleben konnte. Und ein wenig sah sie aus wie das Mädchen bei Lily und das freundliche Krokodil, in dem die Hauptfigur mit dem Krokodil gegen den bösen Kaspar kämpfte. Allerdings musste man diese Mädchen in eine strahlend gelbe Winterjacke stecken, mit dicken Holzknöpfen, dazu eine gelbe Strickstrumpfhose und hellbraune Stiefelchen mit Schafsfellbesatz am oberen Ende. Am auffälligsten war aber sicher die Lederhaube, an der eine Art Pilotenbrille angebracht war, ein rein modisches Accessoire, das nicht zur Steuerung einer Propellermaschine ermächtigte. Außerdem musste man sich vorstellen, jemand habe den Blütenstaub einer Sonnenblume in ihrem Gesicht verteilt, so viele Sommersprossen hatte sie. Vor allem um die Stupsnase sammelten sie sich, als wäre dies der allerschönste Platz im ganzen Gesicht. Ihre Augen hatten ein helles Blau, wie der Himmel, nicht wie das Meer.

»Hallo, ich bin Schascha. Ich bin neun Jahre alt.« Sie sagte das so, als würde sie nicht erwarten, dass Carl im Gegenzug seinen Namen und sein Alter nannte. Es war eine Information, keine Aufforderung. Für ihr Alter war Schascha übrigens etwas klein, was ihr in der Schule viele Hänseleien einbrachte. Sie hielt sich zudem für etwas zu dick, dabei waren es nur die Reserven, die ein Kinderkörper anlegte, bevor er einen Sprung machte.

Carl verlangsamte seinen Schritt nicht, die Bücher mussten schließlich schnell zu ihren Lesern. Sie waren zwar kein Gemüse, kamen ihm aber trotzdem vor wie verderbliche Ware.

»Hast du keine Angst vor mir?«

»Nö.«

»Du darfst sicher nicht mit einem Fremden gehen.«

»Du bist nicht fremd, ich kenne dich.«

»Tust du nicht.«

»Ich sehe dich immer über den Münsterplatz gehen. Von meinem Fenster aus. Eigentlich seit ich denken kann. Und ich habe schon früh mit dem Denken angefangen, sagt mein Papa. Seitdem hab ich nicht mehr damit aufgehört. Sie waren die ganze Zeit da. So wie das Läuten der Glocken vom Münster. Ich kenne Sie also.« Die Worte sprudelten aus ihr hervor, als wäre sie ein Brunnen.

»Wenn du mich kennst, wie ist dann mein Name?«

»Ich kenn auch die von den Glocken vom Münster nicht. Aber ich würde sie aus allen heraushören, selbst wenn hunderttausendmillionen andere zu hören wären. So wie ich Sie aus ganz vielen Menschen heraussehen kann.«

Carl war nicht überzeugt von dieser Argumentation. Sie schien ihm sehr kindlich. »Also kennst du mich nicht wirklich, dann bin ich ein Fremder.«

»Du bist der Buchspazierer. So nenne ich dich. Also hast du einen Namen, und den kenne ich.«

Carl seufzte. »Wenn du mich schon lange beobachtest, dann weißt du sicher auch, dass ich immer allein gehe.«

»Das ist völlig in Ordnung, du gehst allein, und ich geh allein neben dir.«

»Nein«, sagte Carl. »Das geht nicht.«

Zwar mochte er Kinder, aber er verstand sie nicht. Seine eigene Kindheit lag jetzt so lange zurück, dass er sich an sie erinnerte wie an verblichene Polaroids. Und während er immer älter wurde, blieben Kinder immer Kinder, der Abstand zwischen ihnen und ihm war auf diese Weise immer größer geworden. Jetzt wusste er nicht mehr, wie er ihn überwinden konnte.

Und er ließ Schascha stehen.

Am nächsten Tag war Schascha wieder da. Zuerst sagte sie nichts, sondern ging nur neben ihm her und beobachtete ihn. »Ich hab gestern Nacht genau überlegt, ob du vielleicht doch gefährlich bist. Weil du ja gefragt hast, ob ich Angst vor dir habe.« Dann zeigte sie auf seine Füße. »Aber du gehst nicht gefährlich.«

Carl sah seine Füße an und beobachtete, wie sie sich bewegten. Er hatte nie darüber nachgedacht, ob er sie in irgendeiner Art gefährlich bewegte. Aber er hatte am letzten Abend darüber nachgedacht, was er tun würde, falls Schascha wiederkäme. Nämlich sie auf gar keinen Fall mit auf seine Runde nehmen.

Deshalb sagte er: »Vielleicht gehe ich gefährlich, wenn ich um die Ecke bin, in den engen Gassen der Altstadt?«

»Glaub ich nicht.« Sie schüttelte ihren Kopf, und die dunklen Locken schüttelten sich mit.

»Da könnte ich mir Kinder fangen!«

»Kannst du gar nicht.« Schascha war kein bisschen beeindruckt.

»Soll ich es dir beweisen?«

»Du bist zu langsam.«

»Bist du dir sicher? Soll ich dich fangen?«

»Ernsthaft?« Sie senkte das Kinn und hob skeptisch die Augenbrauen.

»Ich mach es!«

»Machst du es jetzt endlich oder traust du dich nicht?«

Carl ging um Schascha herum, die ihn dabei die ganze Zeit fixierte. Er wartete, bis sie blinzelte, und langte dann nach ihr – aber sie wich einfach aus. Ein kleiner Schritt zur Seite, mehr nicht. Er langte noch mal zu, aber wieder wich sie mühelos aus. Und lachte dabei.

»Wir spielen in der Schule immer Fangen! Und ich bin die Zweitbeste. Nur Svenja ist besser, aber die ist in allem die Beste, also zählt das nicht. Außerdem ist sie voll gemein, die gibt einem eine Note dafür, wie gut man als Freundin ist. Und die ändert sie immer.«

Carl sah von einem weiteren Versuch ab, Schascha zu fangen. Er hatte sich schon lächerlich genug gemacht. Hoffentlich hatte niemand ihn beobachtet, er hatte einen Ruf zu verlieren.

Schascha sah ihn grinsend an.

»Vor mir hast du keine Angst, aber es klingt, als hättest du vor Svenja Angst?«

Sie nickte. »Total. Hat aber jeder. Ist...



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