E-Book, Deutsch, 324 Seiten
Höner / Minelli Werkschau
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7494-2770-3
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Diplomarbeiten Literarisches Schreiben 2020
E-Book, Deutsch, 324 Seiten
ISBN: 978-3-7494-2770-3
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Werkschau Diplomarbeiten Literarisches Schreiben 2020
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Vera Bender
DRIVING HOME FOR
CHRISTMAS
Im ICE 276 Richtung Berlin Ostbahnhof AUF GUTE NACHBARSCHAFT Vera Bender: Vera liebt es, zu denken und zu schreiben. Sie bringt jede Nachricht auf den Punkt. Darum ist Vera die TEXT-ARCHITEKTIN (www.text-architektin.ch) und findet die passenden Worte für dich, wenn sie dir fehlen. Was sie dazu braucht? Schwimmflügeli und Schoggi. Du weisst schon, von der Dunklen mit den Nüssen. Und manchmal wagt Vera sich auch in die Welt hinaus. Um den Alltag zu bewundern und die Begegnungen, die er bereithält. Wie neulich im Zug, da … Moment, wäre das nicht eine gute Geschichte? DRIVING HOME FOR
CHRISTMAS
Im ICE 276 Richtung Berlin Ostbahnhof BASEL SBB Ab: 14.13 Uhr Mann, Mann, Mann … Wie genau soll ich jetzt den Koffer da reinbringen? Scheiss Uni-Krempel. Wenn ich den nicht hätt’, dann hätte ich … Au. Fuck. «Kann ich helfen?» «Nein.» Alter, was will der denn. Geh weg, Mann. Naaaa, also. Und rein ins Vergnügen. Sitzplatzsuche. Eieiei … Reserviert, reserviert, reserviert … Oh. «Tschuldigung, ist hier noch frei?» «Ja.» Ja, genau, räum’ schön deine Jacke weg. Na bitte. Und jetzt noch den Koffer … Ob ich das Skript gleich herausnehme? Besser ist es. Obwohl … Erst mal muss ich eh ein bisschen chillen … BASEL BAD BF Ab: 14.23 Uhr An: 14.20 Uhr «Entschuldigen Sie, was lesen Sie denn da?» Hä, hat die mich gemeint? Ah, nee, die redet mit den zwei Typen da bei sich im Vierer. Glück gehabt … «Sie meinen mich?» Haha, ja, sie meint dich, Junge. Glückwunsch! «Ja, ist das Russisch?» «Über Computer.» «Sagen Sie, ist Russisch schwierig?» «Nein. Das kein Problem.» «Ah, so ein Schmarrn. Da muss ich mich jetzt einmischen. Wissen Sie …» «Oh, Sie sprechen auch Russisch? Wie schön, dass heute alle so sprachgewandt sind … Ich hab’ ja bloss …» «Nein, ich kann kein Russisch. Aber ich hatte das ja mal in der Schule, bei uns im Osten war das normal.» «Im Osten? Ja, jetzt hätte ich gedacht, Sie wären mehr so aus dem Süden. Bayern oder so?» «Jaja, schon. Ich komme aus Schwabing. Aber noch mal mit dem Russisch, mit den Fällen, das ist keine Gaudi, da müssen Sie … » «Ja, gut, aber die sind ja im Deutschen auch ein Problem, gell. Also, im Badischen sagen wir ja ‹Schöner Tag noch›, das ist dann glaub’ auch nicht ganz richtig.» «Schöner Tag noch?» «Haja, das sagen wir halt so. Ajoo, wir sagen ja auch ‹grösser wie›. Der Baum ist grösser wie der Baum. Hach, Baum … Bald ist ja auch schon wieder Weihnachten. Ich fahre über die Feiertage zu meinen Enkelkindern. Die sind ja jetzt schon zwei und sechs. Das geht so schnell, das glauben Sie gar nicht … Wo feiern Sie denn?» Ja, wo wohl? In München und Moskau, Mann! Frau! Und jetzt sei doch bitte ein bisschen still. Ich muss mich jetzt hier nämlich um Finanzmathematik kümmern. Wo war ich eigentlich? Eieiei, wahrscheinlich Kapitel eins. Im Zweifel muss ich dann eh noch mal Nadja fragen … FREIBURG (BREISGAU) HBF Ab: 14.55 Uhr An: 14.52 Uhr «Bro, weisch, ich hab’ halt allen Fame gehabt, den ich in Deutschland haben kann.» «Also, wie meinsch?» «Ja, ich hab’ halt alle Solos gemacht und so. Weisch, ich muss jetzt weiter nach Europa. Und mehr Solos machen und so. Immer in der Gruppe, da fällst du halt nicht genug auf.» «Stimmt schon. Was ist mit Schweiz?» «Bin ich nächste Woche. Ist halt nicht richtig Europa. Mehr so fast Deutschland.» «Fast Deutschland? Bro, Schweiz is’ Schweiz.» «Ja, aber is’ so nah dran.» Ja, nee, is’ klar. Kopfhörer. Wo sind meine Kopfhörer? Hier kann sich ja wirklich niemand konzentrieren. Ob ich vielleicht lieber Musik höre? Ich hab’ ja noch die ganze nächste Woche Zeit, den Quatsch zu lernen. Obwohl, ob das so gut klappt, wenn ich bei den Eltern rumhocke? Also gut, noch mal: Kapitalwachstum ist ein additiver Prozess … Zinsen … Kapitalwachstum … Geld haben wäre ja schon auch nicht schlecht. OFFENBURG Ab: 15.28 Uhr An: 15.24 Uhr Um Gottes willen, was ist denn mit der los? Ist die im Ernst mit Kind und Baby unterwegs? Und diesem riesigen Koffer? Der Kleine sieht aus wie der von meiner Nachbarin. Bestimmt ein böser Mensch. Die will aber jetzt nicht hier sitzen, oder? «Luis, komm zurück!» Nein, bitte nicht. «Möchten Sie hier sitzen?» «Luis!» «Ich steh gerne auf. Moment.» «Das ist lieb von Ihnen. Luis, bleib hier! Aber ich muss stillen, ich brauch einen Zweier. Wir …» «Gut, dann setzen Sie sich in die Reihe vor mir. Entschuldigung, kann einer von euch Bros bitte hierhin sitzen? Die Frau mit dem Baby und der kleine Luis brauchen einen Zweier.» «Äh, klar.» «Danke.» «Uff. Komm, Luis, setz dich ans Fenster. Ich hol dir gleich was zu essen aus dem Rucksack, wart’ schnell. Ich muss nur kurz … den Koffer … Luis!» Gut, jetzt los, einen neuen Sitzplatz finden. Ach, guck mal einer an, ist da jetzt wirklich noch was frei? Tatsache. «Ist bei Ihnen noch frei?» «Ja, sicher.» Glückstag! O-ha, Mann oh Frau, ist die Gute schwanger. Unglaublich. Ob Melina auch schon so aussieht? Siebter Monat hat sie gesagt. Ist das hier siebter Monat? Na, hoffentlich kommt das Balg nicht hier im Zug … Wir haben hier ja schon einen Säugling. Einer ist schon einer zu viel. BADEN-BADEN An: 15.47 Uhr Ab: 15.49 Uhr «Schaaatz, wo hast du den Saft?» «In meinem Rucksack, Mäuschen, warte, ich hole ihn dir raus … Bitte schön, mein Mäuschen.» «Oh, danke, Schatz. Willst du auch?» «Ich nehme lieber Cola, Mäuschen.» Nein, wirklich, erst der Kugelbauch und jetzt passend dazu noch dieses schleimige Geschatze. Schlimm. «Jap, das hätte ich auch gern, Schatz.» «Ja, dann nimm doch.» «Nein, Schatz, das weisst du doch, das Baby! Oh, drückst du mal auf Play? Eine Folge geht noch, oder?» Ja, schaut ihr noch eine Folge. Dann hört wenigstens das Geschatze auf. Äh, und was geht mit dem Opi da drüben? Alter, ich brauch einen Kaffee. Ob Schatzi und Mausi geschwind auf meine Sachen aufpassen könnten? «Entschuldigen Sie, könnten Sie bitte kurz auf meine Sachen aufpassen?» Ja, genau, mit dir rede ich. Nimm die Kopfhörer raus! «Wie bitte?» «Ob Sie geschwind auf meine Sachen aufpassen könnten? Ich will mir ’nen Kaffee holen.» «Ja, klar.» «Danke.» Wenigstens etwas, wofür Mr. und Mrs. Oberhappy gut sind. Wo ist denn jetzt mein Geldbeutel? Ahhh … tadaaa. So, und jetzt noch das Bordbistro finden … KARLSRUHE Ab: 16.07 Uhr +4 Minuten An: 16.03 Uhr Ha, mit Kaffee geht doch alles besser. Sachen noch da? Sachen noch da. Mal eben Schatzi und Mausi Danke sagen. «Danke.» «Gerne.» Ach, guck an, der Opi hat auch eine Sitznachbarin bekommen. O-ha, und auch nur ganz dezent geschminkt … Eieiei, und die Ohrringe erst! Was redet die denn da? «Excusez-moi, Monsieur, parlez-vous français?» «Nein, Madame, leider nicht.» «Odeeer Engliiisch?» «A liddl bait, Madame.» «Süper! What did you have before the Euro?» «Früher hatten wir the D-Mark.» «And the little one?» «Liddl one? Ah, Sie meinen den Pfennich.» «Pfennich?» «Yes.» Oh Gooooott, wie er grinst. Schlimmer als Onkel Albert unter dem Weihnachtsbaum. Nein, Freunde, bitte hört auf. Wo war ich jetzt schon wieder? Irgendwas mit Kapital … «Merci … Oh, Monsieur, that doesn’t fit. Regardez.» «Ah, two n! Pf-e-2n-i-g» «i-gschehhh?» «i-geeeh» «Comme ça?» «Ja.» «Merci.» Ja, Merci. Puh, wo sind wir eigentlich? Karlsruhe? Obwohl, das da draussen sieht mehr aus wie verlassene Prärie. Wird Zeit, dass ich mal wieder nach Berlin komme. Ich brauche...




