E-Book, Deutsch, 320 Seiten
Höner / Minelli Werkschau
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7526-3645-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Diplomlehrgang 2021 Literarisches Schreiben
E-Book, Deutsch, 320 Seiten
ISBN: 978-3-7526-3645-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Diplomlehrgang Literarisches Schreiben der Schreibszene Schweiz stellt in seiner Werkschau die Resultate elf engagierter Autorinnen und Autoren vor, die sich über eineinhalb Jahre mit dem Handwerk des Schreibens beschäftigten, um es gezielt auf ihr eigenes literarisches Projekt anzuwenden. Entstanden ist ein spannender Einblick in die Vielfalt des literarischen Nachwuchses in der Schweiz.
Autoren/Hrsg.
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SÄTZE DRECHSELN
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit realen Personen und
Begebenheiten wären rein zufälliger Natur. 1
David, du dreckiger, du. Vor Kurzem noch maltest du mir aus, wie es wäre, wenn wir heiraten würden, Kinder hätten. Und jetzt? Verraten für dieses kleine Licht. Der Mann von Welt schmückt sich mit dem Töchterchen aus gutem Haus. Die schmiegt sich gerne an grau melierte Herren. Und jetzt an dich. Strahlst wie ein armer Vogel, der ein Korn gefunden, und merkst nicht, wie die lachen über dich. Ja, lachen. Und ich? Die Proletin, zu wenig distinguiert für deine Freunde? Aber für ihre schmutzigen Fantasien gut genug: zum Ficken ja, aber mehr ist nicht. Speiübel wird mir, wenn ich daran denke. Wie schwanger. Ha, David, das kann ja nicht sein, du fickst ja nicht mehr, seit Ewigkeiten nicht. Kippst nur teuren Whiskey in dich rein, so einer bist du. Aber nicht mehr meiner. Doch taube Nüsse nur / was sie gebären / entmystifiziert / das Patriarchat, murmelte Iris. Ihr fröstelte, und das nicht nur wegen des lange erwarteten Wintereinbruchs. Sie griff neben sich auf den Nachttisch, nahm ihre Notizbücher und schleuderte sie mit aller Wucht an die Wand. Das Buch mit dem ollen Butt auf dem Umschlag warf sie gleich hinterher. Nie mehr schreiben, nie mehr lesen. Wie tot lag sie da. Irgendwann wälzte sie sich aus dem Bett, hob die Bücher auf und legte sie sorgsam an ihren Platz zurück. Dann liess sie sich wieder zurück ins Bett fallen und versank in einen traumlosen Schlaf. 2 Iris warf die Tür ins Schloss und trat auf die Gasse hinaus. Sie zündete sich eine Zigarette an und genoss einen Moment lang die Sonnenstrahlen. Vor einer kleinen Ewigkeit noch war die Welt ein Schattenreich, und die Tage gingen grau in grau dahin. Iris zog an ihrer Zigarette und blies Rauchkringel in die Luft. Dann begab sie sich die Gasse hinunter zu Moni’s Blumenhandel. In den Wasserschlieren vor dem Eingang des Geschäfts spiegelte sich der blaue Himmel. Es roch nach feuchter Erde, was Iris an die Waldspaziergänge ihrer Kindheit mit ihren vor Kurzem geschiedenen Eltern erinnerte. Iris strich versonnen über die Margeriten in der Auslage. «Dir gefallen die Margeriten, nicht?» Klara, ihre beste Freundin, stand plötzlich neben ihr und zog eine aus dem Bund. Sie wischte eine Haarsträhne aus Iris’ Gesicht und steckte ihr die Blume ins Haar. Die lächelte und küsste Klara flüchtig auf die Unterlippe. «Hast du dir Gedanken gemacht über die Musik an der kommenden Disco?», fragte Iris. Sie legten zusammen jeweils an einem Samstag im Monat im Keller der Genossenschaftskneipe Rebhus auf. Die Disco war ziemlich populär. «Wir bleiben beim Bewährten. Man soll die Pferde nicht mitten im Strom wechseln», sagte Klara. «Ach?», sagte Iris. «Abraham Lincoln», fügte Klara zufrieden glucksend hinzu. Als Iris scheinbar gedankenverloren noch einmal über die Margeriten strich, sagte sie, dass sie neue Platten bestellt habe, die sie nächstes Mal auflegen wolle. «Junge Pferde machen müde Gäule doch erst wieder munter.» Klara schaute Iris mit grossen Augen an, und dann lachten beide drauflos. Iris wurde ernst. «Klara, ich bin frei.» «Wie, frei? Deinen Schattenmann David hast du doch längst hinter dir gelassen.» «Nicht nur den. Vor ein paar Tagen hab ich mein Studium auf Eis gelegt», sagte Iris und fügte nach einer kurzen Pause an: «Eigentlich habe ich es geschmissen.» Klara schien fassungslos und sagte: «Bist du verrückt? Das Lizenziat in Reichweite und die Doktorandenstelle fast auf sicher!» «Ach was. Dieses ständige Gegockel, wenn die Dozenten in Hörweite waren, Strukturalismus hier, Dichte Beschreibung da, bla bla bla. Wie die Leute ihre dürftigen Kenntnisse hinter aufgeplusterten Ellipsen verbergen, einfach armselig.» Iris verdrehte die Augen. «Und dann die Trivialitäten im Seminar über die Teilnehmende Beobachtung kürzlich. Mann!» Iris stampfte mit dem Fuss auf. «Das einzige, was unser Gastdozent dort teilnehmend beobachtete, waren mein Hintern und meine Titten.» «Wundert dich das? Die engen Hosen mit Gepardenmuster, die deinen Allerwertesten erst richtig zur Geltung bringen ...» Klara fuhr zärtlich über Iris’ Hintern. «… und die krasse Schminke erst. Ich hingegen», sagte Klara und spreizte theatralisch die Arme, «abgetragene Jeans, schlappe T-Shirts, einen Lamafellpullover im Winter …» «… und die feschen Lederstiefel?», warf Iris ein. «Ich bin nur ein Mädchen vom Land.» «Iwo, Klara, dein Stil gefällt mir.» «Du lenkst ab, Iris. Jetzt mal ehrlich: Was ist los?» «Ich möchte mein eigenes Geld verdienen, meine Bude selbst bezahlen», sagte Iris und deutete mit einer Kopfbewegung auf das Haus weiter oben. «So muss ich nicht immer den Du-weisst-schon-wer anpumpen.» «Versteh schon, Iris. Ich habe meinen Entscheid, einfach mal zu arbeiten, bisher nicht bereut, obwohl die Arbeit hier nicht ohne ist, lange Arbeitstage, wenig Kohle und immerzu dreckige Fingernägel.» «Klara!», rief es aus dem Laden. «Muss wieder rein, die Chefin», Klara strich flüchtig über Iris’ Arm und war weg, bevor diese etwas erwidern konnte. 3
Iris schnippte ihre Kippe weg. Sie setzte beschwingt den Weg die Gasse hinunter fort und fühlte sich von der Welt getragen. Das war neu. Sie atmete tief durch. Die morgendliche Frische vermengte sich mit dem Geruch nach frischem Brot aus der nahen Bäckerei und dem Zitronenaroma des Scheuermittels aus dem Haus gegenüber. Die Kakophonie des Alltags, das Plärren eines Radios aus einer nahen Wohnung, das Stimmengewirr der Passanten und der Lärm der Motorfahrzeuge von der fernen Hauptstrasse, hörte sich für Iris so anmutig an wie das Vogelgezwitscher an einem Sommermorgen im Wald. Sie lachte den Passanten zu, am liebsten hätte sie alle umarmt. Schrille Töne zersägten zusehends das gleichförmige Brummen in der Gasse. Unverkennbar das aggressiv-melodiöse Gitarrenspiel Frank Zappas, das aus Lou’s Albatros, dem Musikgeschäft unten an der Ecke, drang. Wieder mal Frank. Iris rollte mit den Augen. Zappa war dieser Tage überall. Sie kannte kaum eine WG, in der nicht irgendwo das grossformatige Poster an die Wand gepappt war, auf dem ein bis auf die Schuhe und die runtergelassenen Hosen nackter Zappa auf der Toilette thronte. Die einen pappten es als Toiletten-Symbol an die Klotür, die andern ins stille Örtchen selber, und dann sass man mit Zappa zusammen auf dem Lokus. Als sie das Geschäft betrat, hing wie immer eine dichte Wolke Tabakrauch in der Luft. Lou stand da mit dem Aschenbecher in der einen und der Zigarette in der anderen Hand und redete mit heiserer Stimme auf einen Mann ein. Die beiden standen im schmalen Gang, der zwischen den proppenvollen Vinylregalen von der Ladentheke beim Eingang bis nach hinten zu Lous Wohnnische führte, einen an das Ladenlokal angrenzenden, fensterlosen Raum. Iris reckte neugierig den Hals. Manchmal hielt sich dort eine der nächtlichen Gespielinnen Lous auf. Heute war die Nische aber leer. Immerhin schien Lou gut gelaunt zu sein. Aber das konnte sich blitzartig ändern. Lou hatte auch Iris schon aus dem Nichts und mit wutverzerrter Visage angeblafft, ihre Zigi auszumachen, er habe keine Lust, hinter ihr herzuwischen. Dabei war es doch Lou selbst, der die Bude einaschte. Als Lou Iris sah, winkte er sie zu sich heran. Manches an ihm erinnerte sie an Zappa. Die lange schwarz-gelockte Mähne, die strähnig an ihm herunterhing, die auffällige Gesichtsbehaarung, die unübersehbare Wölbung in Lous Schritt. Die war so, wie sie Zappa auf dem Albumcover von Zoot Allures zur Schau stellt, als ob eine Wurst in seiner Hose stecken würde. Kein Wunder, stehen Männer wie Lou so auf Zappa. Der war zweifellos ein grossartiger Musiker, aber Iris konnte mit dessen Gewese um die amerikanische Prüderie und den pornografischen Texten wenig anfangen. Lou hatte Iris Zoot Allures vor Kurzem geschenkt. Eine bessere Scheibe gebe es von Zappa bislang nicht, meinte er. Sie hatte die Platte nicht in ihre Sammlung aufgenommen, aber zur Musik für die Disco gesteckt. Man wusste ja nie. «Hörst du das, Iris?», fragte Lou. Inzwischen schwebte ein fein gewobener Soundteppich durch den Raum. «Wie ein Orgasmus, der sich aus der Ferne in sanften Wellen ankündigt und einen dann überwältigt.» Lou streckte wie ein Dirigent den Zeigefinger in die Höhe und spiesste die umherschwirrenden Töne auf. «Jetzt, hör hin», sagte Lou mit glänzenden Augen. In diesem Augenblick detonierten Perkussion und Bass, die Gitarre heulte auf. Dann das abrupte Ende und Stille. Lou fasste Iris mit der Linken an der Schulter, seine rechte Hand bewegte sich kaum merklich in Erwartung dessen,...




