E-Book, Deutsch, 374 Seiten
Jones Der Tod in deinem Haus
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-69076-000-3
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Thriller - »Parasite« meets »Taken« in den Colorado Mountains
E-Book, Deutsch, 374 Seiten
ISBN: 978-3-69076-000-3
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Bruce Jones wurde 1944 in Kansas City in den USA geboren. Als Schriftsteller und Drehbuchautor bei Film und Fernsehen hat er sich einen Namen gemacht. Heute lebt er in Kalifornien. Von Bruce Jones erscheinen bei dotbooks: »ANGST - Tödliches Spiel« »WUT - Tödlicher Alptraum« »ZORN - Im Netz des Grauens« »HASS - Tödlicher Instinkt«
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KAPITEL EINS
Elvis steuerte mit ihr die Olive Street an, kletterte die Tonleiter hinauf, während Jeni die erste wirkliche Steigung in Angriff nahm. Das war ein gutes Zeichen.
Presleys hohe und einschmeichelnde Stimme glitt von Strophe zu Strophe eines ihrer Lieblingsstücke: I WAS THE ONE. Die Art, wie er – wie seine magische junge Stimme – nicht nur die Tonart, sondern auch das Timbre und die Stimmlage wechselte und in ein beinahe weibliches Falsett verfiel, hatte sie schon immer bis in die Zehenspitzen elektrisiert.
Sie würde es brauchen. Sie würde es in den Zehen, den Waden und den straffen, kräftigen Sehnen brauchen, wenn sie diesen Wettlauf gewinnen wollte.
Seit fünfzehn Minuten jagte Jeni mit gleichmäßigen Schritten den am Embarcadero gesperrten Abschnitt des Pacific Highway entlang, an dessen Nord- und Südende die Polizei gestreifte Holzböcke aufgestellt hatte. Sie lief leichtfüßig, ohne Hast und begnügte sich vorläufig mit einem rhythmischen, anmutigen Trab. Sie befand sich ungefähr in der Mitte des Feldes aus etwa sechzig weiteren Läufern, ihre leuchtend orangefarbenen Shorts flatterten, das Stück Stoff mit ihrer Startnummer, einer großen »6«, schlug sanft gegen ihren Rücken. Sie hegte keinerlei Zweifel daran, daß sie die anderen schlagen konnte, ohne sich selbst übermäßig zu verausgaben. Alle anderen Läufer, mit vielleicht; einer Ausnahme.
Etwa nach der Hälfte der Strecke war Jeni eine gertenschlanke, schwarze junge Frau mit schier endlos langen Beinen aufgefallen, die sich links von ihr hartnäckig und stetig nach vorn schob. Der Ausdruck in ihrem leicht negroiden Gesicht ließ auf unvorhersehbare Reserven und recht viel Ausdauer schließen. Ebenso wie Jeni hielt sich dieser langbeinige schwarze Engel im Mittelfeld und wartete auf die letzten Meter der Strecke, auf den Sprint.
Vorausgesetzt, ihre Berechnungen waren korrekt, erwartete Jeni den Schlußspurt an der Kreuzung Jewel und Second Street, kurz bevor die Straße nach Sea Port Village abbog. Von dort waren es weniger als zweihundert Meter bis zur Hafenmeisterei und dem flatternden gelben Band, das für ein halbes Hundert schwer atmender Wettbewerber Sieg oder Niederlage bedeutete. Nur einer würde es zerreißen.
Als Jeni am Start ihre nervösen Konkurrenten gemustert hatte, war sie ziemlich sicher gewesen, daß ihre Aussichten gut, geradezu ausgezeichnet waren. Sie war ganz versessen auf die Trophäe, brauchte sie. Auf die Fingerspitzen gestützt, den Kopfhörer aufgesetzt, eine Kassette mit ihren Lieblingssongs von Elvis im Recorder, verspürte sie an der Startlinie völlige Gelassenheit und vorsichtige Zuversicht. Es gab zwei, drei muskelschwache männliche Teilnehmer, die einiges Stehvermögen zu besitzen schienen, jedoch nichts, mit dem sie nicht fertig werden konnte. Nach dem Startschuß ließ sie sie und die Hälfte der übrigen Läufer in ihrem einfältigen Eifer an die Spitze stürmen; nur eine Handvoll war so klug, sich wie sie selbst zurückzuhalten und das eigene Tempo zu bestimmen. Keiner von ihnen besaß ihre natürliche Grazie oder die Kraft ihrer muskulösen, festen, sexy Oberschenkel. Wenn sie die schlagen konnte, würde sie auch den anderen davonlaufen und die Trophäe – und das Preisgeld – nach Hause tragen.
Als dann an der Rosecrans Street die letzte Meile eingeläutet wurde, hatte sie einen dunklen Schatten sich selbstbewußt an den Rand ihres Blickfeldes schieben sehen, ein flachbrüstiges, spindeldürres Wunderwesen mit den Beinen eines Gepards. Alles an der schwarzen Läuferin zeugte von urwüchsiger Gerissenheit. Sie hielt gekonnt mit Jeni Schritt, wie ein Schatten, war äußerlich ihr genaues Gegenteil: schwarze, wippende Locken gegenüber Jenis blondem Pferdeschwanz, flache Brust und schmale Hüften gegenüber Jenis kurvenreichem Körper, billige, ausgetretene Keds gegenüber Jenis kostspieligen Reeboks.
Trotzdem rechnete Jeni sich Chancen aus. Elvis hatte in ihrem Walkman Sprinter 9000 eben die süßen Qualen von I WAS THE ONE glücklich überstanden und hob zum klagenden Stakkato ihres ewigen Lieblingstitels an: I WANT YOU, I NEED YOU, I LOVE YOU. Falls irgendein Lied sie zum Sieg führen konnte, dann dieses. Sie hörte das Aufbrausen von Scotty Moores Gitarrenvorspiel, beugte sich vor, biß die Zähne zusammen und zog das Tempo an. Die Schwarze hielt mit.
Die meisten der übrigen Läufer waren mittlerweile zurückgefallen. Nur zwei verzweifelte, rotgesichtige Männer liefen an der Spitze, der eine ein kahlköpfiger Brillenträger mit einem fast weiblichen Laufstil, der andere unbeugsam wie ein Hydrant, nicht geschaffen für Langstrecken: Die würden bald ihren Staub schlucken. Ihren und den der hageren Schwarzen, die jedem Tempowechsel Jenis gewachsen zu sein schien, ihn geradezu vorausahnte und die Taktik der Blonden mit dem wippenden Pferdeschwanz durchkreuzte, ohne überhaupt in ihre Richtung zu sehen. Unheimlich.
Dennoch war Jeni zuversichtlich. Sie hatte ihre Reserven für den Schlußspurt noch keineswegs aufgebraucht. Und im Sprint war Jeni Starbuck verdammt schwer zu schlagen. Zu ihrer Linken näherte sich die Olive Street. Sie bereitete sich auf das Finish vor. Doch als hätte sie es geahnt, stürmte die Schwarze unverhofft los, so erschreckend plötzlich, daß Jeni einen Adrenalinstoß verspürte und vor ihrem geistigen Auge den Roadrunner am Kojoten vorbeiflitzen sah, als stünde der still.
Überrumpelt, fluchte Jeni leise vor sich hin und war um so wütender, als ihre Taktik – den Endspurt an der Olive Street einzuleiten – zunichte gemacht worden war. Die Spurtstrecke würde jetzt länger sein und die letzten Reserven erfordern. Sie merkte, daß sie die Schwarze haßte.
Das brachte neue Energie, sie zog mit den schwarzen, stampfenden Beinen gleich, senkte das Kinn und war nicht mehr zu halten. Sie hörte nicht einmal mehr Elvis, lauschte nur auf das verzweifelte Pochen ihres Herzens, das vibrierende Trommeln der Laufschuhe auf Asphalt.
Während dieses Endspurts sah die Schwarze schließlich zu ihr hinüber, und in ihrem Blick erkannte Jeni das Schreckgespenst der Niederlage. Ihr Herz schlug dem Sieg entgegen. Ihre rasenden Beine rissen sie vorwärts.
Es würde knapp werden, doch sie konnte einen Endspurt länger durchhalten als jeder andere. Die Schwarze fiel allmählich zurück ...
Fünfzig Meter vor dem flatternden Zieltransparent hörte sie von der Seeseite her ein kurzes Hornsignal, schaute geistesabwesend in die Richtung und erhaschte – im Gefühl des sicheren Sieges – einen flüchtigen Blick auf den Rumpf einer glänzenden, kobaltblauen Segeljacht, die den Kai ansteuerte.
Zwanzig Meter vor dem Ziel und eine Körperlänge vor der schwarzen Läuferin fühlte Jeni den Boden unter sich wanken (ein Erdbeben!), unmittelbar darauf folgte eine Hitzewelle, die sie wie die Nachwehen des Flügelschlags eines riesigen Vogels aus dem Gleichgewicht brachte. Da sie der Küste am nächsten war, bekam sie die Hauptwucht der Explosion zu spüren und schirmte zum Teil sogar die schwarze Läuferin ab, während die der Hitze nachfolgende Druckwelle die übrigen Läufer zu einem Knäuel aus Beinen und Laufschuhen übereinander warf. Ob hager oder nicht, die dunkelhäutige junge Frau war groß und standfest. Es war Jeni, die zu Boden ging.
Der Stoß traf sie am rechten Knie und Oberschenkel – sie spürte nicht den Schmerz aufgerissenen Fleisches, hörte nicht einmal das Echo der Explosion in der Bucht, die entsetzten Schreie der Zuschauer, die sich hin und her reckten, um irgend etwas zu sehen. Nahm nicht wahr, wie die anderen Läufer an ihr vorbeizogen.
Sie saß auf dem warmen Asphalt auf ihren blutverschmierten Handballen, badete im orangefarbenen Schein der nach der Explosion aufsteigenden Rauchwolke und verfolgte mit trüben Augen, wie die Schwarze graziös das Zielband zerriß und dem Ruhm entgegenlief.
Später humpelte sie, mit dem Makel der Niederlage versehen, zu ihrem verrosteten Volvo und bemühte sich, die Blicke der Zuschauer zu meiden. Das war nicht schwer: Sie waren durchweg den schwelenden Überresten der Jacht in der Bucht zugewandt. Jeni bahnte sich ihren Weg an den Fernsehkameras vorbei, die an der Ziellinie standen und nun plötzlich mit einem viel bedeutenderen Ereignis konfrontiert waren. Sie stieg in ihren Wagen und fuhr auf einen bitter benötigten Drink zu »Harvey Wahlbanger's«. Sie hatte seit der Aufnahme des Trainings zwei Monate zuvor nichts mehr getrunken. Wie Dr. Keegie angelegentlich bemerkt hatte, vertrugen sich Psychopharmaka und Alkohol nicht, es sei denn, man trage sich mit Selbstmordabsichten. Da sie außerdem ihre Tabletten nicht mehr regelmäßig einnahm, dachte sie, das Risiko eingehen zu können. Ein Drink würde sie nicht umbringen.
Ganz auf Sieg eingestellt, hatte sie diesen Abstecher nicht eingeplant und auch nicht die passende Kleidung für eine lärmende Arbeiterkneipe dabei. Auch egal. Sie war müde und gereizt und brauchte einen Drink. Ihr Knie begann fürchterlich zu schmerzen. Sie könnte es mit Brandy betupfen, um einer Infektion vorzubeugen.
Sie kam rechtzeitig zu den Achtzehn-Uhr-Nachrichten in einem über der Bar angebrachten Fernseher mit trübem Bildschirm, der dort, soweit Jeni Starbuck wußte, schon mindestens vier Jahre vor sich hin flimmerte.
Sie setzte sich in eine altvertraute Nische und bestellte bei einer ihr unbekannten Person einen Bourbon pur. Keines der Mädchen in den engen roten Wahlbanger-T-Shirts kam ihr bekannt vor, so lange war sie nicht mehr hiergewesen. Einige der Stammgäste jedoch kannte sie. Drüben auf seinem Lieblingsplatz neben dem Fernseher saß Harvey Spencer, der kleinste und flinkste Bulle von San Diego. Und dort in einer dunklen Ecke saß Big Tim Tanner, ein grobschlächtiger Kriegsveteran, der über...




