Kempowski | Letzte Grüße | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 4, 432 Seiten

Reihe: Weitere Romane

Kempowski Letzte Grüße

Roman
1. Auflage 2009
ISBN: 978-3-641-01052-2
Verlag: Knaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, Band 4, 432 Seiten

Reihe: Weitere Romane

ISBN: 978-3-641-01052-2
Verlag: Knaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



In seinem 75. Lebensjahr legt Walter Kempowski einen neuen Roman vor, seinen zehnten. Die »Letzten Grüße« sind nur vordergründig die Abschiedsgrüße eines Amerikareisenden an seine Frau. Sie sind auch Grüße an seine Leser - und darüber hinaus das Resümee eines Repräsentanten seiner Generation, die Auseinandersetzung eines Unzeitgemäßen mit den Werten des »Alten Europa« im Angesicht der Neuen Welt.

Die Einladung zu einer Lesereise durch Amerika kommt für den Schriftsteller Alexander Sowtschick im rechten Augenblick. Sein neuer Roman will nicht recht vorwärts gehen. Seine Ehe mit Marianne dümpelt vor sich hin. Die Beleidigungsklage eines Kollegen, den Sowtschick »Dünnbrettbohrer« genannt hat, steht ins Haus. Und auch der bevorstehende 70. Geburtstag löst zwiespältige Gefühle aus. Also macht sich der distinguierte ältere Herr mit Goldrandbrille auf in die Neue Welt. 37 Stationen sind zu absolvieren, vom aufregenden New York über die frömmelnd-puritanischen Universitäten an der Ostküste bis in den kanadischen Norden. Sowtschick liest vor beflissenen Kulturträgern und gelangweilten Studenten, vor unbefriedigten Archivarinnen und ältlichen Professorengattinnen. Doch seine Bücher sind weniger präsent, als er erhoffte, und die Vorurteile seiner Gastgeber gegenüber den Deutschen findet er verstörend. Selbst die kleinen erotischen Abenteuer erweisen sich als nicht wirklich erregend. Über allem liegt die Melancholie des Abschieds, gepaart mit der illusionslosen Ironie eines Unzeitgemäßen. Die junge Generation hat ihn längst überholt. Doch wer dem Ende wirklich näher ist, bleibt offen.
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4;Der Schluß;410


(S. 174-175)

In Boston wurde Alexander von einem älteren Herrn abgeholt, der zehn Jahre jünger war als Alexander. Er war der Leiter des Instituts, und er trug eine randlose Brille und eine übergroße Baskenmütze. «Auf Boston freuen Sie sich man schon, das ist so, als ob Sie nach London kommen», war gesagt worden. «Und Dr. Neubert ist ein reizender Mann.» Und: «Fischsuppe müssen Sie dort essen, die ist berühmt!» Es war also mit allerlei Verwöhnungen zu rechnen: Sowtschick war gespannt. Drei Universitäten in einer Stadt? Da käme es doch gewiß zu ernsteren Kontakten. Stille Stunden mit Menschen, die Hintergründe in seinen Texten aufdeckten, von denen er selbst keine Ahnung hatte, Verflechtungen der Bücher untereinander und mit seinem Leben. Vielleicht würde man später einmal sagen: «… und dann kam Boston …»

Neubert übergab ihm, eh er’s vergißt, einen Luftpostbrief aus Deutschland, mehrfach abgestempelt: Alexander klopfte das Herz, als er ihn aufriß: die Sache mit dem Dünnbrettbohrer? War die Staatsaffäre aufgebrochen? Sollte es ihm jetzt ans Leder gehen? Am Ende müßte er sofort abreisen? Nein, der Luftpostbrief kam von seinem Sohn, daß er ihm einen Hosenträger mitbringen soll in den US-Farben, Stars and Stripes, den will er sich aus Jux mal anlegen, was die andern wohl dazu sagten …

Ob Sowtschick eine Frau Samson kenne? Gestern habe diese Frau angerufen, sie möchte ihn gern treffen, wenn er wieder retour kommt, vielleicht lasse sich das einrichten? Sei das irgendeine Kindheitsangelegenheit? Nein, eine Frau dieses Namens kannte Alexander nicht. Und: Um Gottes willen! In der Sandkiste habe er mit der gewiß nicht gespielt. Neubert brachte ihn ins Hotel, einen Prachtbau aus dem neunzehnten Jahrhundert mit viel Marmor und Gold, dessen Halle angefüllt war von einer lärmenden Männergesellschaft, die sich «Honeywell» nannte. Irgendeine Touristensache, Männer, die ganz offensichtlich zusammengehörten wie Pech und Schwefel. Schlurften in die Kellerbar und wieder zurück. Einer von ihnen, eine Art Vorsänger, gab den Witzemacher, und die andern lachten dann.

Das hatte einen liturgischen Anstrich. Sowtschick bezog eine hübsche kleine Kabine mit Mahagonischreibtisch, in dem eine Bibel lag. Das Bad war in schwarzem Marmor gehalten, kolossale Messinggriffe, daß man in der Wanne nicht ausrutscht, und Messingwasserhähne über dem von Löwentatzen gestützten Waschbecken. «Hier könnte ich es aushalten, in dieser Schiffskabine, hier könnten sie mich lange suchen …» Er verteilte sein Hab und Gut und ging sofort wieder hinunter in die Lobby, in der sich die Männer von «Honeywell» gerade laut lachend durch die Drehtür hinausschoben. Hipp, hipp, hurra! Jeder mit einem goldenen Ring am Finger, dick wie ein Knoten, den sie wie ein Abzeichen vor sich hertrugen: Wir halten zusammen, bedeutete das. Am Ende handelt es sich um Veteranen aus dem Zweiten Weltkrieg, dachte Alexander. Inselspringer aus dem Pazifik?

Mal halbwegs sich ranpirschen an die? Statements von der anderen Seite, wie sie in Gefangenschaft gerieten oder, besser noch, wie sie Gefangene machten? Vielleicht waren das ja Bomberpiloten? Alexander nahm in der Lobby einen strategischen Platz ein, damit er alles mitkriegt, was da kommt und geht, und wenn man längere Zeit auf einem Fleck sitzt, kennen einen die Leute bald und nicken einem zu.


Kempowski, Walter
Walter Kempowski wurde am 29. April 1929 als Sohn eines Reeders in Rostock geboren. Er besuchte dort die Oberschule und wurde gegen Ende des Krieges noch eingezogen. 1948 wurde er aus politischen Gründen von einem sowjetischen Militärtribunal zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Nach acht Jahren im Zuchthaus Bautzen wurde Walter Kempowski entlassen. Er studierte in Göttingen Pädagogik und ging als Lehrer aufs Land. Seit Mitte der sechziger Jahre arbeitete Walter Kempowski planmäßig an der auf neun Bände angelegten "Deutschen Chronik", deren Erscheinen er 1971 mit dem Roman "Tadellöser & Wolff" eröffnete und 1984 mit "Herzlich Willkommen" beschloss. Kempowskis "Deutsche Chronik" ist ein in der deutschen Literatur beispielloses Unternehmen, dem der Autor das mit der "Chronik" korrespondierende zehnbändige "Echolot", für das er höchste internationale Anerkennung erntete, folgen ließ.Walter Kempowski verstarb am 5. Oktober 2007 im Kreise seiner Familie. Er gehört zu den bedeutendsten deutschen Autoren der Nachkriegszeit. Seit 30 Jahren erscheint sein umfangreiches Werk im Knaus Verlag.



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