E-Book, Deutsch, Band 3, 400 Seiten
Reihe: Engelssturm-Reihe
Killough-Walden Engelssturm - Azrael
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-641-09535-2
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Band 3 - Roman
E-Book, Deutsch, Band 3, 400 Seiten
Reihe: Engelssturm-Reihe
ISBN: 978-3-641-09535-2
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Als Azrael, ehemaliger Todesengel und umjubelter Sänger einer Rockband, auf der Hochzeit seines Bruders Gabriel der schönen Sophie Bryce begegnet, ist es um ihn geschehen: Sie ist sein Sternenengel, nach dem er zweitausend Jahre gesucht hat. Doch kaum hat er seine Seelengefährtin gefunden, wird die Beziehung der beiden auch schon auf die Probe gestellt, denn finstere Mächte haben es auf Sophie abgesehen. Azrael ist bereit, seine wahre Liebe zu beschützen – auch wenn das bedeutet, dass er die Dämonen in sich entfesseln muss ...
Heather Killough-Walden wurde in Kalifornien geboren und studierte unter anderem Religionswissenschaften und Archäologie, bevor sie beschloss, sich ganz dem Schreiben zu widmen. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Texas.
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Prolog
Im Jahre Null unserer Zeitrechnung …
Der Erzengel Michael umfasste den Stein mit seiner rechten Hand so fest, dass seine Finger Abdrücke im Gestein hinterließen und Azrael ein Knacken hörte. Mit zusammengebissenen Zähnen bekämpfte er den Schmerz, der durch seinen Körper schoss.
Das wusste Az. Diese Qualen spürte er, als wären sie seine eigenen. Er hatte sie ja auch verursacht.
So hoch im Norden waren die Wälder licht, und Az merkte, wie der Boden unter den Füßen seines Bruders kälter und härter zu werden schien, während die Kraft seinen übermenschlichen Körper verließ. Azraels Reißzähne waren tief in Michaels Hals vergraben. Mit jedem Schluck wurden die Schmerzen heftiger.
»Az … das reicht«, stieß Michael mühsam hervor.
Es tut mir leid, dachte Az. Die Worte sprach er nicht aus, aber er flüsterte sie ins Gehirn seines Bruders. Sie bekundeten echtes Bedauern, und trotzdem konnte er nicht aufhören, Michaels Blut zu trinken.
Nicht zum ersten Mal, seit sie vor zwei Wochen auf die Erde gekommen waren, spürte Az die wachsende Angst seines Bruders. Bald würde Michael Gewalt anwenden, um ihn abzuwehren. Eine unvermeidliche Tragödie.
Mit golden glühenden Augen unter halb geschlossenen Lidern beobachtete Az, wie sein Bruder den Stein, den seine Finger umklammerten, hob. Nachdem er ein weiteres Mal das Gesicht verzogen und vor Schmerzen gestöhnt hatte, schmetterte Michael ihn Azrael gegen die Schläfe. Das hatte Az vorausgesehen, den Gedanken seines Bruders mehrere Sekunden vor der Tat registriert, und dennoch hatte er nicht aufhören können zu saugen, weil er das Blut so dringend brauchte.
Von dem Schlag wurde er zur Seite geschleudert, seine Zähne aus Michaels Hals gezerrt, in dem lange Risswunden entstanden. Taumelnd fing Az sich mit starken, aber zitternden Armen ab.
Michael ließ den Stein fallen und presste eine Hand auf seinen Hals. »Az, es tut mir leid«, würgte er hervor. Auf einen Ellbogen gestützt, versuchte er, die Wunde zu schließen, die sein Bruder verschuldet hatte. Das war Michaels Talent: die Heilkraft.
Und Azraels Talent? Die Fähigkeit, Schaden anzurichten. Anscheinend würde ihm niemals etwas anderes gelingen.
Unter Michaels Handfläche bildeten sich Licht und Wärme und sandten heilsame Energie in die Wunde. Az beobachtete ihn schweigend, den Kopf gesenkt, sein langes schwarzes Haar verbarg seine Züge vor dem Blick seines Bruders.
»Az?« Michael entfernte die Hand von seinem Hals. Offenbar war die Wunde geheilt.
»Hör auf, Michael«, sagte Az, »ich kann es nicht ertragen.«
Der blonde Erzengel schloss die Augen, als der überirdische Klang von Azraels Stimme in sein Gehirn und seinen Körper drang. Az las alle Gedanken seines Bruders, auch die oberflächlichen. Verzweifelt suchte er nach einem flüchtigen Wort oder Satz, nach irgendetwas, was ihn von der endlosen Tortur seiner neuen Existenz ablenken würde.
Nun dachte Michael, dass Azrael eine wirklich schöne Stimme hatte.
Beinahe hätte Az angefangen zu lachen. Schon immer hatte er eine unglaubliche Stimme besessen. Aber jetzt, seit er diese eigenartige, schreckliche irdische Gestalt angenommen hatte, klang seine Stimme intensiver denn je. Das musste er sich eingestehen. Er war ein Monster geworden – ein Monster mit einer ungewöhnlichen Stimme.
Außerdem dachte Michael, er würde Verzweiflung aus dieser Stimme heraushören.
Natürlich. Konnte es anders sein? Az war so verzweifelt wie kein Lebewesen je zuvor.
Michael öffnete die Augen und betrachtete den zusammengekrümmten Körper seines Bruders. »Die Schmerzen, die du durchleidest, können nicht viel länger anhalten«, sagte er leise.
»Ein einziger Moment länger ist zu lange«, flüsterte Az. Langsam und mühselig richtete er sich auf, um seinen Bruder mit seinem stechenden, unnatürlichen Blick zu beeinflussen. »Töte mich.«
Michael wappnete sich gegen den Angriff und schüttelte den Kopf. »Niemals.«
Warum Az überhaupt versuchte, das zu verlangen, wusste er selbst nicht. Wenn sich einer der vier Erzengel-Brüder hätte entschließen können, einen der anderen zu töten, so wäre es nicht Michael gewesen, sondern am ehesten Uriel, der Racheengel. Nur Uriel könnte seinen Verstand lange genug ausschalten, um zu dem tödlichen Schlag auszuholen, den Az ersehnte.
Aber Uriel war nicht bei ihnen. So wie ihren anderen Bruder, Gabriel, hatte ihn der rasante Sturz zur Erde irgendwohin verschlagen. Die vier Erzengel waren getrennt und verstreut worden wie welke Blätter in einem Hurrikan. Azrael hatte keine Ahnung, wo die anderen steckten, geschweige denn, was sie gerade machten. Und es interessierte ihn auch nicht. Nur eins wusste er: Als er seine menschliche Gestalt angenommen hatte, war er verwandelt worden.
Michaels Macht hatte nach dem Fall nachgelassen. Mehr oder weniger war das Wesen seiner übernatürlichen Kräfte gleich geblieben und der Erzengel immer noch der beste Kämpfer, den Azrael kannte, und wahrscheinlich der beste in der ganzen Schöpfung. Zudem besaß er nach wie vor seine Heilkräfte. Doch der Wirkungsbereich seiner Macht hatte sich verringert. Jetzt konnte er nur mehr beeinflussen, was sich in seiner unmittelbaren Umgebung befand, und das auch nur kurzfristig. Sein Körper ermüdete sehr schnell, er war hungrig und fühlte sich oft schwach. Auf drastische Weise hatte er sich verändert.
Aber nicht so sehr wie Azrael.
Der einstige Todesengel spürte eine andere Veränderung als Michael. Dunkler, schmerzlicher. Seine neue Gestalt schien wie der Inbegriff der negativen Energien, die er während seiner ewig langen früheren Existenz gesammelt hatte. In der Sphäre der Sterblichen hatte er als Sensenmann Unzähligen das Leben genommen. Nun belastete ihn das Gewicht dieser Seelen. Zu seiner Verwandlung gehörten die Reißzähne eines Ungetüms, eine Aversion gegen das Sonnenlicht, die ihn zur Flucht in nächtliche Schatten zwang, und – am allerschlimmsten – ein ständiger Durst nach Blut.
Immer Blut.
»Bitte, Michael.« Azraels breite Schultern zitterten ein wenig, als er die Hände zu Fäusten ballte und die mächtigen Muskeln an seinem Oberkörper hervortraten. Er musterte seine Hände, die schmalen, perfekten Finger, und bestaunte seine helle Haut. Welchen Kontrast sie zur Mitternachtsschwärze seines Haars bildete, wusste er. Nun war er ein personifizierter Widerspruch, und das galt sogar für seine Augen. Obwohl die Sonne in ihnen brannte, leuchtete seine Iris genauso wie dieser Riesenstern. Es war der blanke Hohn, grausam und gnadenlos. Jetzt gesellte sich Zorn zu dem Schmerz, der seinen übermenschlichen Körper durchströmte. Er fletschte seine Zähne, entblößte die blutroten Fänge. »Zwing mich nicht dazu zu betteln.«
Michael stand auf, wich zu einem der wenigen Bäume zurück und öffnete den Mund, um das Ansinnen seines Bruders erneut abzulehnen.
Da stürzte sich Azrael plötzlich auf ihn. Michaels Körper prallte gegen den Baumstamm, hinter ihm zersplitterte das Holz. Er war schwächer als noch vor wenigen Minuten. Dafür hatte Az gesorgt. Der Blutverlust beeinträchtigte die Reflexe des einstigen Kriegers. Obwohl er seine Wunden auch auf der Erde immer noch heilen konnte, misslang es ihm aus irgendwelchen Gründen, das fehlende Blut zu ersetzen. Eine neue Schwäche. Und gefährlich, weil er sich Azraels neuer blutrünstiger Gestalt ausgeliefert sah.
Seit zwei Wochen schon sahen sich die beiden Brüder nun jede Nacht in denselben Kampf verstrickt, und Az wusste nicht, wie lange sein Bruder noch durchhalten würde. Er selbst war trotz der Schmerzen, die ihn fast zum Wahnsinn trieben, sehr stark, vermutlich der kräftigste der vier Erzengel, doch der Blutdurst machte ihn zu einem wahren Monster und drohte, ihn zu verzehren.
Auf der Erde war das Leben anders. Bisher hatten sie keine Unannehmlichkeiten ertragen müssen. Keinen Hunger. Keinen Durst. Für beide waren diese Gefühle neu. Aber was immer Michael in seiner Menschengestalt erdulden musste – Azraels Qual war tausendmal schlimmer.
Vorher hatte kein Schmerz existiert. In keiner Form. Für keinen von ihnen. Was Leid bedeutete, hatte Az erst erkannt, als seine Seele hier unten gelandet war und sich in seiner jetzigen dunklen Gestalt wiedergefunden hatte.
Aber trotz allem, was er seinem Bruder zumutete, wusste Azrael, dass Michael ihn nicht aufgeben würde. Weder jetzt noch jemals. Der dumme Erzengel würde wohl eher sterben.
Mühsam schob Michael ihn weg. Az wich zurück, wartete lange genug, damit sein Bruder sich für einen weiteren sinnlosen Kampf wappnen konnte. Irgendwo kämpften Uriel und Gabriel nun wahrscheinlich genauso. Entweder gegeneinander oder gemeinsam gegen Feinde. Falls Az und Michael das hier überlebten und Azrael am nächsten Morgen nicht einfach ins Sonnenlicht ging, würden sich alle vier finden.
Aus einem ganz bestimmten Grund waren sie auf die Erde gekommen, wenn es Az in seinem derzeitigen Elend auch schwerfiel, darüber nachzudenken. Die vier Lieblingserzengel wollten ihre anderen Hälften aufspüren, die Seelengefährtinnen, die der Alte Mann für sie erschaffen hatte, ihre Sternenengel.
Sofern das grausige Chaos, das Az jetzt zutiefst verletzte, ihm einen Hinweis auf den Verlauf dieser Suche gab, würden sie die Sternenengel wohl kaum finden, bevor sie einander nicht wiedergefunden hatten, und selbst dann vielleicht nicht.
Doch im Moment war ihm das ziemlich egal.
Michael knirschte mit den Zähnen, verengte die Augen und krempelte die Ärmel hoch. Als Az wie der Blitz auf ihn zustürmte, kam er ihm auf halbem Weg...




