Kramp Rabenschwarz
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-95441-058-3
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kriminalroman aus der Eifel
E-Book, Deutsch, Band 2, 236 Seiten
Reihe: Herbie Feldmann
ISBN: 978-3-95441-058-3
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ralf Kramp, geboren am 29. November 1963 in Euskirchen, lebt heute in Flesten in der Vulkaneifel. Für sein Debüt 'Tief unterm Laub' erhielt er den Förderpreis des Eifel-Literaturfestivals. Seither erschienen mehrere Kriminalromane, unter anderem auch die Reihe um den kauzigen Helden Herbie Feldmann und seinen unsichtbaren Begleiter Julius, die mittlerweile deutschlandweit eine große Fangemeinde hat. Seit 1998 veranstaltet er mit großem Erfolg unter dem Titel 'Blutspur' Krimiwochenenden in der Eifel, bei denen hartgesottene Krimifans ihr angelesenes 'Fachwissen' endlich bei einer Live-Mördersuche in die Tat umsetzen können. Im Jahr 2002 erhielt er den Kulturpreis des Kreises Euskirchen. Seit 2007 führt er mit seiner Frau Monika in Hillesheim das 'Kriminalhaus' mit dem 'Deutschen Krimi-Archiv' mit 26.000 Bänden, dem 'Café Sherlock' und der Buchhandlung 'Lesezeichen'.
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1951
Es war ein unaufhörliches Hecheln, Schnaufen und Rascheln, wenn sich die beiden düsteren Gestalten ihren Weg durch das hohe Gestrüpp entlang des Ackerrains bahnten. Sie schienen immer und überall gleichzeitig zu sein. Nie war man sicher, ob die beiden riesenhaften Schatten nicht im nächsten Augenblick aus dem Dickicht herauswachsen und erbarmungslos zuschlagen würden. Man fürchtete sie schon als Kind, und selbst als Erwachsener musste man auf der Hut sein, verhieß doch ihr Erscheinen stets skrupellose Behandlung und harte Bestrafung. Krechels Griff war hart und unbarmherzig. Gerade so, wie es die tiefen Furchen waren, die sich links und rechts seines verkniffenen, schmallippigen Mundes tief in sein Gesicht gegraben hatten. Furchen, vom rauen Wind über den Eifelhöhen so grob und kantig geschnitzt wie die Rinde der alten Bäume, die sich unten im Rothensief um den sumpfig nassen Wiesengrund der Sonne entgegenreckten.
Wenn Krechelfränz erschien, hatte es fast den Anschein, als wählte er seinen Standort gerade so aus, dass sich jedes Licht, ganz gleich, ob es sich um fettes, gleißendes Sommerleuchten oder nur um das magere Zwielicht nahender Winterabende handelte, stets hinter seinem Rücken und dem struppigen Nacken seines stetigen Begleiters, eines riesenhaften, verkommenen Wolfshundes, ausbreitete. Das machte die beiden Spukgestalten noch düsterer, noch bedrohlicher. Das malte ihm Schatten ins Gesicht und ließ die Angst der erwischten Missetäter wachsen – und ihre Verzweiflung.
Seine Augen lagen tief begraben in einem undurchdringlichen Gewirr harter, schnörkelloser Falten, überschattet von einem Paar buschiger Augenbrauen, grau und störrisch wie das Haar, das dicht und ungepflegt unter seinem breitkrempigen Hut hervorwuchs. Krechelfränz, der Feldschütz, den jeder mied und alle fürchteten, erschien, in der Einheit mit dem bösartigen Vieh an seiner Seite, jedem im Dorf wie eine nicht ganz reale Erscheinung, wie ein düsterer Schatten aus grauer Vorzeit, wie eine Sagenfigur, die normalerweise nur am heimischen Herdfeuer in abendlichen Erzählungen zu Furcht einflößendem Leben erwacht. Den Kindern, die man zur Vernunft bringen wollte, drohte man damit, dass der Feldschütz sie hole. Weder die Menschen aus dem Dorf, die stets in der Furcht lebten, von ihm bei einer noch so kleinen Untat in Feld und Wald erwischt zu werden, noch die Herrschaften in der Gemeinde, bei denen er in Brot und Lohn stand, suchten den Umgang mit dem Mann mit dem schmutzig grünen Lodenmantel und dem schwieligen Eichenknüppel.
Sein Hund wurde von ihm mit knapp bemessenem Futter verpflegt, doch ebenso wie das Vieh bei passender Gelegenheit nicht gezögert hätte, ihm die Kehle zu zerreißen, so würde auch er nicht mit der Wimper zucken, wenn es eines Tages daran ginge, dem widerlichen Untier mit einem kräftigen Schlag des schweren Knüppels den Schädel zu spalten.
Man hatte alles verloren. Das Land war verwüstet, das Saatgut knapp, die Maschinen zerstört. Die Eifel war arm, immer schon ein bisschen ärmer als andere Landstriche gewesen. Doch jetzt, nach dem Krieg, der bis zuletzt in greifbarer Nähe am Westwall getobt hatte, war es um diese Landschaft noch ärger bestellt. Der Hunger nagte unbarmherzig an den Mägen der Einwohner Buchscheids, und allzu deutlich musste man jeden Tag aufs Neue erfahren, dass Gotteslob und Frömmigkeit allein nicht satt machten.
So trieb es die Menschen in die Sünde. Besonders Mutige überquerten die neue Grenze nach Belgien. Zu Fuß. Bei Nacht. In kleinen Trupps und auf eigene Faust. Tagelang blieben sie fort. Oft genug kam es vor, dass sie nicht zurückkehrten. Statt Lebensmitteln und dem erträumten Stück Schokolade erhielt man nur Nachricht von der Verhaftung.
Andere schlugen sich in die Wälder, bauten Fallen, jagten Kaninchen, schlichen sich angsterfüllt auf die Felder, gruben Kartoffeln aus, stahlen Kohlköpfe.
Krechel fing sie. Er packte sie beim Nacken und zerrte sie an ihrem Kragen zu sich hinauf, sodass sie in Todesangst, nach Luft schnappend, um ihr Leben winselten. Niemand hatte den Mut zur Gegenwehr. Das tiefe, rollende Knurren des gemeinen Köters, der Schatten des hocherhobenen Knüppels, Krechels eiserne Umklammerung, all das machte sie wehrlos. Und Krechel sorgte gnadenlos dafür, dass jeden von ihnen die gerechte Strafe ereilte. Er war wie eine Maschine, die schnaufend und bösartig ihre Bahnen zieht, die nichts aufhalten kann, die sich nicht etwa an ihrer Aufgabe erfreut, sondern unbeirrt fortfährt, ihr grausames Handwerk zu verrichten. Solange, bis irgendjemand kommt und sie zu Fall bringt.
»Er kommt!« Der Junge mochte sechzehn oder siebzehn Jahre alt sein. Sein Freund, der noch rasch etwas Laub verteilte, vielleicht drei oder vier Jahre älter.
»Er sieht et«, dachte der Jüngere. »Er wird et sehen. Sofort, auf den ersten Blick!« Das Laub an der Unterseite war feucht gewesen. Die trockene, deckende obere Schicht war zerstört, wo sie die Schnur verlegt hatten und wo das Eisen lag. Jemand, der Tag und Nacht im Gelände herumstreifte, der musste es sehen, der konnte Fährten lesen. Der sah, was hier getan worden war. Aber der Schein des flackernden Feuers würde den Blick ablenken.
Es war ein kleines Feuerchen. Gerade groß genug, um Krechel anzulocken. Sie hatten ihn zuletzt unten auf der Bank am Eichbaum entdeckt, wo er eine Rast eingelegt hatte. Der Wind stand günstig. Wahrscheinlich hatte er das Feuer gerochen, noch bevor er es gesehen hatte.
Krechel war schnell. Sie konnten von Glück sagen, dass sie mit den Vorbereitungen fertig geworden waren, bevor seine schweren Schritte den Pfad zum Leeßenpesch hinauf ertönten.
Sie hörten das Hecheln des Köters. Dann schnaufte Krechel heran. Er gab sich keine Mühe, leise zu sein. Der Feldschütz war wütend. Ein Feuer war eine offene Herausforderung. Kein Mensch durfte sich ungestraft derlei Frechheiten erlauben! Wie konnte dieses lichtscheue Gesindel es wagen, mitten in der Nacht ein lustiges Lagerfeuerchen anzuzünden, um sich gestohlene Kartoffeln zu braten?
Krechels Gesichtszüge waren verkniffen wie eh und je. Auf seiner fliehenden Stirn standen Schweißperlen, seine harten Wangenknochen traten gerötet hervor. Unter dem Dickicht seiner eisgrauen Augenbrauen sandte er den schneidend scharfen Blick eines Besessenen in die Nacht, als er um die Ecke bog.
Die beiden Jungen glaubten, er müsse sie durch den schützenden Vorhang des reifen, dürren Maisfeldes hindurch sehen, als er an ihnen vorüberstapfte. Aber weder er noch sein Hund nahmen Notiz von ihnen, sie hasteten auf das mickrige Feuerchen zu, die nackte Wut im Blick, keuchend den Atem in die kühle Nacht hinausstoßend. Unaufhaltsam liefen sie bergan, auf das Feuer zu. Krechel begann, den Blick nun nach rechts und links auszusenden. Er hielt hastig nach den Übeltätern Ausschau, seine Augen sondierten das Gelände rund um die Feuerstelle. Er erreichte schließlich das kleine Plateau, auf dem mit sachtem Knistern und leisem Knacken die Flammen ab und an einen munteren Funkenwirbel in die Nacht aufsteigen ließen.
In diesem Moment zerriss das schmerzverzerrte Aufheulen des Köters die klare Nachtluft. Der schrille Ton ließ den Jungen in ihrem Versteck das Blut in den Adern gefrieren, und der Ältere erinnerte sich nur mit Mühe daran, dass es nun Zeit war, die Schnur anzuzünden. Während Krechel hastig auf seinen winselnden Hund zustolperte, brachte der Junge es mit zitternden Fingern fertig, das Streichholz zu zünden. Er hielt es an das Ende der Lunte, die sofort mit leisem Zischen in Brand geriet. Das prasselnde Flämmchen begann mit atemberaubender Geschwindigkeit seine Reise, bahnte sich seinen Weg durch struppiges Gras und klebriges Laub und marschierte unaufhörlich den Weg hinauf, den soeben noch der Feldhüter und sein Hund genommen hatten.
Der gellende Schrei des Mannes verhieß den beiden Jungen, dass auch der zweite Teil ihres Plans reibungslos funktionierte. Sie rannten los.
Krechel war neben seinem Hund zusammengebrochen. Ein scharfer Schmerz durchfuhr seinen linken Knöchel. Die Zähne des Fangeisens hatten sich tief in das sehnige Fleisch seines Fußes geschlagen, genauso wie das andere Eisen wenige Augenblicke zuvor dem Hund mit einem Schlag beinahe den rechten Vorderlauf zerfetzt hatte. Der Hund winselte und heulte, Krechel versuchte hastig und mit zitternden Händen, seinen Fuß aus der eisernen Umklammerung zu lösen. Seine Hand rutschte an dem blutigen Metall ab, er verlor das Gleichgewicht und stürzte nach hinten. Ein drittes Eisen sprang mit einem metallischen Schnappen ein paar Zentimeter in die Höhe, als es sich um seine rechte Hand schloss. Krechel heulte auf. Es war ein unmenschlicher Schrei, tief und röhrend, wie ein sterbendes Tier ihn in die Tiefe der Nacht hinausschreit.
»Wir hätten et net tun dürfen!« Der Kleinere heulte, während sie auf den...




