Kummer | Wäre doch gelacht | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 160 Seiten

Kummer Wäre doch gelacht

Erzählungen
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-7296-2004-9
Verlag: Zytglogge
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)

Erzählungen

E-Book, Deutsch, 160 Seiten

ISBN: 978-3-7296-2004-9
Verlag: Zytglogge
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



«Ihre Worte setzt sie einmal so knapp wie möglich, ein andermal jongliert sie mit ihnen. In der Eigenwilligkeit ihrer Sprache, die den Charakter ihrer Protagonisten widerspiegelt, verschmelzen Tania Kummers Erzählungen zu einem einheitlichen Ganzen.» Dieter Leuenberger Tanja Kummer Wäre doch gelacht Erzählungen Erstausgabe 2009. 2009. 200 Seiten. Gebunden. sFr. 29.- / ? (D) 22.50 ISBN 978-3-7296-0785-9

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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Angst, so gross wie Tage

Aarau, 10. Oktober 1982

Meine Felizita

Ich sitze in unserem Sessel, seit du weg bist. Ich kann nicht aufstehen. Nicht im Kopf. Darum kann ich dich nicht besuchen. Wir haben schneller gelebt als die Zeit. Die Stunden, die wir übersprungen haben, sind zurück und wollen abgesessen werden.

Wenn du wieder da bist, machen wir nicht weiter wie bisher.

Wir werden uns entspannen.

Die Entspannung wollten wir erreichen und waren auf dem Weg dahin ausgelastet. Nur ab und zu hast du gesagt, dass du einen schlechten Tag hast. Ich habe nie etwas davon gemerkt und du hast es immer in den Griff gekriegt, meintest du.

Heute frage ich mich, was das für dich bedeutet hat, etwas in den Griff kriegen, und was es aus dir gemacht hat. Ich habe dich immer ernst genommen, auch wenn ich nie verstanden habe, was in dir vorgeht. Und das hast du gemerkt und darum immer weniger erzählt. Deine Angst ist konstant geblieben, nicht?

Hast du nicht wie ich darauf gewartet, dass wir den Ruhestand erreichen: Arbeit weg, Angst weg? Jetzt ist es anders gekommen.

Entspanne dich. Stell deinen Kopf auf Ruhe, schlafe, das hat doch immer geholfen.

Ich bin besorgt und fühle mich kalt.

Ich komme bald vorbei.

Ich vermisse dich,

dein Alexander

Brugg, 14. Oktober 1982

Alexander mio!

Du frierst! Obacht, ich schick dir heisse Worte: Glühwein, Curry, Ohrfeige, Sauna, Rot! Ist es jetzt besser, ist dir heiss unterm Hintern, auf unserm Sessel?

Als ich das letzte Mal im Sessel sass, habe ich mir geschworen, dass ich meiner Leidenschaft gegenüber nie mehr untreu werde, und du bist mir zu Füssen gesessen und hast den Ruhestand eröffnet.

Doch der Ruhestand ist mir nur ein Einvierteltrost. Du kennst uns doch! Wir werden weiterreisen, weiterlesen, weiter Feste feiern. Und das wird mich am Malen hindern. Dieser Gedanke hat mich besorgt, ich habe Medikamente genommen, doch die Angst war stärker. Früher war sie höchstens halbtäglich, doch dann war sie gross und tagelang. So habe ich das Telefonat mit dem Arzt, das ich mein Leben lang versäumt habe, getätigt und war entgeistert von mir. Enttäuscht, weil die Angst gesiegt hat, sie mich im Griff hat und nicht umgekehrt, obwohl ich ein Leben lang gekämpft habe. Ich habe mich eingeschlossen, und als ihr die Türe aufgebrochen habt, war ich müde und es war mir alles egal.

Ich will hier sein, hier, wo nichts passiert.

Komm nicht her, ich wüsste nicht, was sagen, ich muss sonst schon oft reden und niemand kann helfen, nur die Medikamente und die Wände meines Zimmers und die Mauern des Hauses und die Arme der Pfleger. Arme wie Stacheldraht, die mich im Zaum halten. Sie lassen mir keine Chance, ich will auch kei-ne, sondern will meinen Angstplauderkopf endlich vom Körper schlagen.

Sei mir nicht böse. Es geht hier besser und wieder schlechter, ich werde siegen, das glaubst du doch auch.

Bleib sitzen, bleib warm,
Felizita

Aarau, 17. Oktober 1982

Meine Feli

Du bist rätselhaft, wie immer. Du hast zugelassen, dass die Krankheit uns trennt.

Wenn du jetzt so viel Zeit zum Malen hast, nutzt du sie auch?

Mir geht es gut. Ich mache das Büro, den Garten, treffe mich mit Freunden, wir waren am Sonntag wandern, es ist sehr herbstlich. Übrigens lüge ich. Wenn sie mich fragen, was du machst, sage ich, du seist in den Malferien im Tessin.

Ich habe Doktor Späni angerufen. Er sagt, dass es dir nicht gut geht. Erst hast du mich erschreckt, als du dich eingeschlossen hast, jetzt erschreckst du mich, weil du es wieder tust. Den ganzen Tag seist du im Zimmer, einen Sessel hast du verlangt, ob ich wisse warum.

Verdammt, warum glaubst du, dass du dich einfach wegschliessen kannst? Und vor wem denn, die Angst kennt doch keine Türen.

Warum willst du jetzt nicht zur Last fallen, an diesem Ort, wo alle nur darauf warten, dass die Patienten das tun? Doktor Späni sagt, du brauchst mehr Therapiestunden, warum nutzt du die Zeit nicht?

Angst haben viele, sagt Doktor Späni, und er könne die meisten davon heilen. Ich will, dass du dich heilen lässt, du wieder da bist und der Sessel unsere Geschichten hören kann. In seinem Polster steckt unser Leben, hast du gesagt.

In Liebe,

dein Alexander

Brugg, 15. November 1982

Dann schneid das verdammte Polster auf und hol die Geschichten raus, ich werde dir keine neuen liefern! Ich habe keine Lust mehr. Späni sagt, ich soll dir schreiben, das ist doch für die Katz, aber bitte, Papier ist geduldig:

Ich mag nicht malen, ich mag keine Briefe schreiben, ich mag mich nicht anziehen, ich mag nicht essen, nicht duschen, nicht mit Späni sprechen, nicht mit den anderen, sowieso nicht mit denen.

Ich mag nicht immer wieder darüber nachdenken, was alles Furchtbares passieren könnte, und ich kann nicht aufhören, darüber nachzudenken.

Ich denke mein Leben lang darüber nach, was alles Furchtbares passieren könnte, und doch ist nie etwas Schlimmes passiert!

Vielleicht wäre ich jetzt gesund, wäre nur einmal das ganze Haus niedergebrannt, nachdem du die Pfeife auf einer Zeitung liegen gelassen hast oder ich die Herdplatten nur einmal kontrolliert habe.

Doch jetzt denke ich, dass die in der Küche den Herd nicht kontrollieren. Dann brennen der Speisesaal, der Flur und mein Zimmer, wenn ich schlafe.

Ich mag Schlafmittel und Schlafen, nur so möchte ich noch älter werden, schlafend.

Jetzt machst du dir Sorgen. Ich will aber nicht, dass du kommst, dass ich immer Angst haben muss, dass du gleich da bist. Ich will nicht, dass du mich so siehst, also bleib, wo du bist, bleib im Sessel. Daran kann ich gut denken, an dich im Sessel. Ich bleibe hier. Ich werde schon zurückkommen.

Felizita

Aarau, 20. November 1982

Meine Felikatze

Du machst mir auch Angst. Ich bin traurig, dass du mich nicht in dein Leben lässt. Hast du dir mal überlegt, wie es mir geht? Der Mensch, mit dem ich die besten Zeiten erlebt habe, ist krank und will, dass ich mich nicht um ihn kümmere.

Was würdest du tun? Vermutlich alles, um mir zu helfen, würdest dem Doktor unterstellen, dass er keine Ahnung hat, und mich mit deinen Mitteln zu heilen versuchen, mit Atmen und Pflanzen und Tee.

Du könntest mich nie in Ruhe lassen, vor allem in der Nacht nicht. Dank der Liebe nicht an die Krankheit denken, dank Medikamenten, trinken und schlafen.

Alles Ablenkung für Ruhe im Kopf, wie beim Malen.

Ist das die Welt, in der du gerne leben möchtest? In der die Angst nicht Mittelpunkt ist, in der du nicht an allem schuld bist, wie du immer glaubst, in der es keine bösen Blicke und üble Nachreden gibt, von denen du immer glaubst, sie seien auf dich gemünzt? Du glaubst an die Katastrophe. Und bis sie geschieht, hast du Angst. Und weil sie nie eintrifft, hast du immer Angst. Und das denkt jemand, der so intelligent und stark ist wie du, ich kann es nicht verstehen.

Felizitas, reiss dich zusammen! Kämpfe und komm zurück, wir haben viel Geld gespart für das schöne Leben dann, und dann ist jetzt da. Wir könnten endlich die Kreuzfahrt machen, ich höre dich lachen bis zur Erschöpfung: «Das Meer, Alexander, das Meer! Ich male das Meer und es ist immer nur blau, nur blau, Alexander, ist das nicht lustig und absurd, das Meer ist immer nur blau, und auch das ist nicht gewiss. Was ist schon blau, Alexander, wenn es ums Meer geht, es ist doch nur Wasser!»

Wir können unser Leben so ausrichten, dass es dir nie mehr schlecht geht, dass du immer entspannt bist! Ich gestehe dir zu, dass du mein Leben bestimmst, das schreibe ich jetzt nur einmal und ich werde es nie sagen.

Hast du einmal darüber nachgedacht, was ich mache, wenn du nicht zurückkommst?

Ich plane nicht, meinen Lebensabend alleine zu verbringen, hast du das verstanden? Frauen zu haben, ist nicht mein Problem, so viele Frauen sind nett zu mir, im Gegensatz zu dir, Feli, weisst du, wie kalt du sein kannst? Ich würde mir jemanden suchen, mit dem ich alt werde, der mich mit Liebe und Fürsorge eindeckt!

Und wenn der Sessel unsere Geschichten ausgekotzt hat und sich mit neuen vollfrisst, mit fröhlichen und liebevollen Geschichten von ihr und mir, was dann?

Denk mal drüber nach!

Alexander

Brugg, 6. Dezember 1982

Liebster, warum denn so garstig? Ich blühe im Winter, mir ist wohlig warm, mir ist wohl!

Ich stricke einen Schuh und gleich einen zweiten, auf dass ich bald im Schnee liegen kann. Einen Engel schlagen! Einen für mich und einen für dich, ich strecke mich sehr, damit er gross genug ist, so gross wie du! Liebster, es sind nur noch ich und die Luft und der Schnee in der Luft, die Bilder sind fortgegangen!

Da hat mir doch einer tatsächlich das ganze Leben lang Bilder vor die Augen gestellt und dahinter konnte ich nicht sehen und nicht darum herum, und wenn ich geatmet habe, kam die Atemluft sofort zu mir zurück. Ich konnte nie atmen!

Jetzt sind die Bilder weg, die Angst ist aus mir rausgeflogen, ich habe sie ausgehaucht!

Ich freue mich nur noch, verbreite gute Laune. Ich habe gute Laune für alle im Korb, damit gehe ich durch die Gänge,...


Kummer, Tania
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