MacAlister Eine Ehe mit kleinen Hindernissen
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-8025-9686-5
Verlag: LYX
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, Band 3, 380 Seiten
Reihe: Noble
ISBN: 978-3-8025-9686-5
Verlag: LYX
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Der adlige Witwer Harry muss dringend heiraten - er hat fünf lebhafte Kinder, die ihn in den Wahnsinn treiben, und keine Ahnung, wie man einen Haushalt führt. Da begegnet er der skandalumwitterten Frederica Pelham, die von ihrer Familie enterbt wurde und Verfasserin eines höchst umstrittenen Eheratgebers ist. Harry verliert augenblicklich sein Herz an sie, aber ist sie wirklich die Frau, die sein Leben wieder in vernünftige Bahnen lenken kann?
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1
Harry wünschte, er wäre tot. Na ja, vielleicht war »tot« ein wenig übertrieben, obwohl weiß Gott nicht mehr viel daran fehlte, dass er unter dieser ganz speziellen Art der Befragung zusammenbrach.
»Und dann?« Seine Inquisitorin starrte ihn aus Augen an, die ihm sehr vertraut waren, blickten sie ihm doch jeden Morgen beim Rasieren aus dem Spiegel entgegen. Augen, deren interessante Mischung aus Braun, Grau und Grün schon bei ihm großen Charme besaß, bei seiner Peinigerin jedoch einfach nur hinreißend aussah. Und so unschuldig. Und harmlos … etwas, das die Besitzerin dieses Augenpaares auf jeden Fall nicht war. »Und? Was dann? Bekomme ich noch eine Antwort?«
Harry fuhr mit den Fingern unter seinem Halstuch entlang und versuchte, den unerträglichen Druck auf seine Kehle zu mindern, als er sich zum x-ten Male in den letzten zehn Minuten wünschte, es wäre ihm rechtzeitig gelungen, zu entkommen.
»Sag schon!«
Oder die Person, in deren Gewalt er sich befand, hätte sich ein anderes Opfer ausgesucht.
»Nun antworte endlich!«
Vielleicht war sein Wunsch, tot zu sein, doch gar nicht so absurd. Und wenn er in diesem Moment aus dem Leben schied, käme er auch bestimmt in den Himmel. Petrus würde ihm bestimmt zugutehalten, was er für andere getan hatte, wie zum Beispiel seine fünfzehnjährige Tätigkeit als Spion in den Diensten des Home Office, des Innenministeriums. Ganz gewiss würde Petrus ihm nicht die Belohnung verwehren, die ihm zustand, er würde ihn nicht der ewigen Verdammnis anheimfallen und auf immer und ewig in der Hölle schmoren lassen, in der er sich gegenwärtig befand, einer Hölle, die beherrscht wurde von seinen eigenen –
»Papa! Was … passiert … danach?«
Harry stieß ein gequältes Seufzen aus, schob seine Brille hoch und gab sich geschlagen. »Sobald die Henne und der Hahn … äh … verheiratet sind, möchten sie natürlich auch gerne Küken haben.«
»Das hast du mir schon erzählt«, warf seine dreizehn Jahre alte Peinigerin ihm aus schmalen Augen vor, und zwar in einem Ton, der erkennen ließ, dass sie am Ende ihrer Geduld angelangt war. »Aber was passiert dann? Und was haben kleine Küken mit meiner Unpässlichkeit zu tun?«
»Dein Unwohlsein beruht auf den ganz natürlichen Vorgängen in einem Körper, der sich allmählich auf möglichen Nachwuchs vorbereitet. Wenn eine Henne Küken möchte, müssen sie und der Hahn … äh … vielleicht sind Hühner doch kein so gutes Beispiel.«
Lady India Haversham, die älteste Tochter des Marquis Rosse, trommelte ungeduldig mit den Fingern auf den Tisch neben ihr und funkelte ihren Vater vorwurfsvoll an. »Du hast versprochen, mir zu erklären, woher mein Unwohlsein kommt! George hat gesagt, ich würde nicht sterben, auch wenn ich doch ganz offensichtlich blute. Sie sagt, dass dies eine ganz besondere Zeit im Leben eines Mädchens sei, obwohl mir schleierhaft ist, was so besonders daran sein soll, wenn man Bauchschmerzen hat. Du hast versprochen, mir zu erklären, warum das so ist, und jetzt redest du die ganze Zeit von Bienen und Blumen, von Hühnern und von Fischen im Fluss. Was hat denn das alles bitte schön mit mir zu tun?«
Also doch lieber tot, entschied Harry nach einem kurzen Blick in die ernsten, wenn auch ärgerlich blitzenden Augen seiner Erstgeborenen. Lieber tot, als India die bei der Fortpflanzung des Menschen stattfindenden Vorgänge erläutern zu müssen, vor allem wenn es bei diesen Vorgängen um die Rolle der Frau ging, insbesondere um ihre ganz speziellen Tage. Die Tatsache, dass er dieser foltergleichen Form der Befragung letztendlich nicht mehr gewachsen war, brachte ihn zu der bitteren Erkenntnis, dass er im Grunde genommen ein Feigling war – und das, nachdem ihm der Premierminister drei Mal die Tapferkeitsmedaille verliehen hatte.
»Frag Gertie. Sie wird dir alles erklären«, stieß er knapp hervor, während er aus dem engen rosafarbenen Stuhl aufsprang und aus dem sonnendurchfluteten Kinderzimmer floh, wobei er auf schmähliche Weise den Protest seiner Tochter ignorierte, die ihm hinterherrief: »Papa! Du hast aber versprochen, dass du es mir erklärst!«
»Sie haben mich nicht gesehen«, sagte Harry, als er eiligen Schrittes den kleinen, fensterlosen Raum vor seinem Arbeitszimmer durchquerte. »Sie haben mich nicht gesehen und wissen auch nicht, wo ich bin. Bestreiten Sie von mir aus, mich überhaupt zu kennen. Wahrscheinlich wäre das sogar noch das Sicherste. Und verriegeln Sie ruhig die Tür, Temple. Vielleicht stellen Sie auch noch einen Sessel davor. Oder den Schreibtisch. Ich würde es diesen Teufelsbraten zutrauen, sich irgendwie Zutritt zu meinem Zimmer zu verschaffen, wenn nur der Riegel vorliegt.«
Templeton Harris, sein Sekretär und enger Vertrauter, verzog das Gesicht, als sein nobler Dienstherr ins Nachbarzimmer eilte.
»Was ist es denn diesmal, Sir?«, fragte Temple, als er Harry folgte. Das schwach durch die trüben Fensterscheiben in den Raum dringende Sonnenlicht brachte die Staubwolken zum Leuchten, die durch Harrys hastigen Einfall aufgewirbelt worden waren. »Hat McTavish Ihnen seinen neuesten Fund präsentiert? Oder hat Lord Marston sich dazu entschlossen, doch lieber Schmied zu werden, als eines Tages Ihr Erbe anzutreten? Oder versuchen die Zwillinge etwa wieder, vom Stalldach zu fliegen?«
Harry erschauderte sichtlich, als er sich einen kräftigen Schluck Brandy genehmigte. »Leider nichts von alledem. India wollte Auskünfte zu einem ganz besonderen Thema. Zu Frauendingen.«
Temples blassblaue Augen wurden deutlich größer. »Aber … aber Lady India ist doch noch ein Kind. Sollten ihr derartige Themen nicht noch fremd sein?«
Harry tat einen tiefen, stockenden Atemzug und beugte sich misstrauisch in Richtung des arg verschmutzten Fensters. Dann rieb er mit dem Ellbogen ein kleines Guckloch in die Scheibe und spähte in die Wildnis hinaus, die einst ein Garten gewesen war. »In unseren Augen mag sie zwar noch ein Kind sein, Temple, aber aus Sicht von Mutter Natur ist sie auf dem besten Wege, eine Frau zu werden.«
»Ach, diese Art von Frauendingen.«
Harry hielt ihm schweigend den leeren Weinbrandschwenker vor die Nase, worauf Temple ihm ebenso stumm eine wohl bemessene Portion des bernsteinfarbenen Getränks nachschenkte. »Nehmen Sie sich auch ein Glas. Es geschieht schließlich nicht alle Tage, dass ein Vater vermelden kann, dass seine Tochter ihren ersten … äh … Schritt auf dem Weg zur Frau getan hat.«
Temple goss sich ein kleines Schlückchen ein und prostete seinem Arbeitgeber wortlos zu.
»Ich kann mich noch an ihre Geburt erinnern«, sagte Harry, während er durch das Guckloch nach draußen starrte und das wohltuende Brennen des Weinbrands in der Kehle genoss. »Beatrice war enttäuscht, dass es ein Mädchen war, aber ich fand sie einfach nur perfekt, mit ihrem süßen Näschen, ihren bauschigen braunen Löckchen und diesen Augen, die mich immer so ernst ansahen. Sie kam mir vor wie ein Engel, der uns gesandt worden war, um unser Leben zu bereichern, ein Lichtstrahl, ein Sonnenstrahl, eine Augenweide.« Er holte noch einmal tief Luft, als drei lebhafte Schatten an dem schmutzigen Fenster vorbeihuschten, gefolgt vom heiteren Lachen mehrerer Kinder, die irgendetwas ausheckten. Harry wich zurück und drückte sich flach an die Wand, das Glas in der vor Anspannung weißen Hand. »Und dann ist sie plötzlich groß und bekommt zum ersten Mal ihre Menses, was sie bitte schön von mir erklärt haben wollte. Was kommt noch, Temple, ich frage Sie, was kommt als Nächstes?«
Temple stellte sein Glas auf exakt derselben Stelle ab, von der er es aufgenommen hatte, und wischte sich die Finger an seinem Taschentuch ab, wobei er versuchte, sich seinen Unmut über die deutlichen Anzeichen der Vernachlässigung des Arbeitszimmers nicht anmerken zu lassen. Es widerstrebte seinem ausgeprägten Sinn für Sauberkeit und Ordnung zu wissen, dass dieser Raum seit ihrer Ankunft vor etwa drei Wochen kein Putztuch mehr gesehen hatte. »Da Lady Anne mittlerweile auch schon acht Jahre alt ist, Mylord, wird sie in ungefähr fünf Jahren vermutlich mit denselben Fragen auf Sie zukommen. Würden Sie mir gestatten, eines der Dienstmädchen zum Saubermachen in Ihr Arbeitszimmer zu schicken? Ich kann Ihnen versichern, dass dabei weder Ihre Papiere noch andere wichtige Dinge angerührt werden. Es wäre mir sogar eine Ehre, diese Aufgabe höchstpersönlich –«
Harry, völlig vereinnahmt von der furchtbaren Aussicht, durch seine jüngste Tochter noch einmal in dieselbe Bedrängnis zu geraten, wie er ihr soeben – mit knapper Not – entronnen war, schüttelte entschieden den Kopf. »Nein. Das hier ist mein Zimmer, der einzige Raum im ganzen Haus, in den ich mich zurückziehen kann. Niemand darf hier rein, weder die Kinder noch die Dienstmädchen, einfach niemand. Ich brauche einen Ort, der nur mir gehört, Temple, einen Ort, der für alle tabu ist und an dem ich allein sein kann.«
Temple ließ den Blick durch den Raum schweifen, dessen Inventar er sehr genau kannte, hatte er doch all die Kisten mit Harrys Büchern und seinen Nachlassdokumenten, das kleine Pult mit den Kuriositäten sowie die schrecklich unansehnlichen Aquarelle, die jetzt die Wände zierten, selbst hineingetragen. »Wenn ich wenigstens die Vorhänge waschen –«
»Nein«, wiederholte Harry und lugte kurz nach draußen, ehe er es wagte, sich zu dem großen Rosenholzschreibtisch zu begeben, der mit Papieren, zerschlissenen Federn, Tintenfässchen, Büchern, einer großen Statue des...




