E-Book, Deutsch, 374 Seiten, GB
Reihe: Oktaven
Markovits Spieltage
Novität
ISBN: 978-3-7725-4423-1
Verlag: Freies Geistesleben
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 374 Seiten, GB
Reihe: Oktaven
ISBN: 978-3-7725-4423-1
Verlag: Freies Geistesleben
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Benjamin Markovits, wuchs in Texas, London und Berlin auf. Eine kurze, wenig vielversprechende Karriere als Profi-Basketballer brach er ab, um die Literatur der Romantik zu studieren. Seitdem war er Highschool-Lehrer für Englisch, gab ein linksgerichtetes Kulturmagazin heraus und schrieb Essays, Storys und Buchkritiken für Publikationen wie die New York Times, den Guardian, die London Review of Books oder das Times Literary Supplement. Vor 'Playing Days' sind von ihm bereits die Romane 'The Syme Papers' ('Symes Entdeckung'), 'Either Side of Winter' ('Manhattan Love Story'), 'Imposture und A Quiet Adjustment' erschienen. Seit dem Jahr 2000 lebt Markovits mit seiner Frau und einem gemeinsamen Kind in London, wo er Creative Writing am Royal Holloway College lehrt.
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3
Der Club schickte jemanden, der mich am Flughafen in Empfang nahm, einen Amerikaner namens Bo Hadnot, vom Akzent her Südstaatler. Er war so eins sechsundachtzig, eins achtundachtzig groß; vermutlich ein ehemaliger Spieler, dachte ich. Mit großen Zähnen, die seine Lippen ein wenig aufdrückten und ihn durstig aussehen ließen. Und mit kräftigen Händen – er nahm mir die Reisetasche ab. Das schien mir eine eher traurige Aufgabe für einen Expat.
Ich wurde in diesem Sommer öfters «in Empfang genommen», an Flughäfen, Bahnhöfen, Busterminals, von diversen Teamchefs und Clublakaien. Dicke, schlecht gekleidete Männer, deren letzter Rest von Jugend darin bestand, dass sie noch bei ihren Eltern wohnten. Ein Freund aus der Clubleitung hatte ihnen irgendeinen Job verschafft: Übernachtungen und Ablaufpläne organisieren, Spieler vom Hotel zur Halle befördern, danach die Umkleide putzen, Trikots waschen etc. Trotzdem spielten sie sich vor den nervösen Neuankömmlingen auf, vor Typen wie mir. Die meisten wussten gar nicht, wie ich heiße, und Hadnot war da keine Ausnahme. Ihnen genügte, dass ich Basketballspieler war, sie rechneten damit, meinen Kopf schon irgendwie über den anderen erkennen zu können.
Ich war nach dem Flug verschwitzt und verschüchtert und schlief auf der Fahrt schon nach wenigen Minuten ein. Hadnot verfuhr sich auf dem Weg vom Flughafen. Er weckte mich an einer Tankstelle, damit ich nach dem Weg frage, und sagte dabei erst leise, dann immer lauter: «Junge! Junge!» Er hatte mitbekommen, wie ich mit einem der Zollbeamten Deutsch gesprochen hatte. Wieder im Auto fragte ich ihn, wie lange er schon hier sei, und ohne Ironie oder Scham meinte er, fünf Jahre. Was er die ganze Zeit gemacht habe, fragte ich.
«Basketball gespielt.»
Irgendwann überwanden wir das Gitternetz an Autobahnen rund um den Flughafen und fuhren durch eine ländliche Gegend, die einladend und ordentlich bewirtschaftet aussah. Landstraßen, links und rechts von hohem Getreide gerahmt. Und Dörfer, die von Oberüber Mittel- zu Unter- eine ganze Skala von Namen aufwiesen, keines davon größer als eine Kurve und ein paar Bauernhäuser. Die Stadt selbst war recht hübsch und alt. Wir rumpelten ein paar Minuten lang über die Hauptstraße, vorbei an einer Kirche mit Backsteinturm, so nüchtern wie ein Fabrikschlot, bevor wir direkt am Fluss vor einem kleinen italienischen Restaurant namens anhielten. Unter einer rotgestreiften Markise hingen Korbflaschen im Fenster. Die meisten Autos, die hier parkten, waren blaue, zweitürige Fiats mit brandneuen Nummernschildern: ein Anzeichen dafür, dass sich das Basketballteam hier versammelt hatte. Hadnot meinte, er müsse noch seine Tochter von ihrer Großmutter abholen, und fuhr los, kaum dass ich die Tür zugeschlagen hatte.
Das trug den Namen seines Besitzers, eines Türken, der aus Turin über die Alpen gekommen war, als die Deutschen Ende der Achtzigerjahre die Einwanderungsbestimmungen lockerten. Er war die Sorte Mann, die mein Vater liebt, ein wurzelloser, polyglotter Verkäufertyp – mit Leuten wie ihm hatte ich meinen Dad meine ganze Kindheit über «parlieren» gesehen. Er hielt mich wegen meiner Größe für einen weiteren Spieler und führte mich unter mehreren niedrigen Backsteinbögen durch, allesamt von Weinreben umrankt. Die Bayern, sagte er mir (genau wie mein Vater das getan hätte, überhäufte ich ihn mit Fragen), würden die türkische Küche nicht sonderlich schätzen, weshalb er italienisch kochte, gelegentlich aber versuchte, auch ein paar östliche Elemente einfließen zu lassen. Herr Sahadi schien überglücklich, einen neuen Basketballspieler kennenzulernen. Unter einem der Bögen legte er mir die Hand auf den Arm, damit ich stehen blieb und er seinen Sermon loswerden konnte – die erste Andeutung von Berühmtheit.
Der letzte Raum war kaum mehr als eine Höhle; er enthielt einen niedrigen Tisch sowie ein halbes Dutzend Männer, die um ihn herum saßen und versuchten, irgendwie ihre Knie unterzubringen.
«Wo ist Hadnot?», rief jemand, als ich unter einer eingetopften Weinrebe den Kopf einziehen musste und einen freien Stuhl suchte. Er müsse seine Tochter abholen, sagte ich. «Bist du der Amerikaner?», fragte die gleiche Stimme. «Setz dich her, , setz dich her, denn mir beliebt mit dir zu sprechen.»
Die Stimme gehörte einem der beiden schwarzen Männer im Raum. Er machte mir neben sich am Tischende Platz und griff nach einem sauberen Teller, auf den er aus einer von Sprudelflaschen umringten Schüssel Spaghetti häufte. Die meisten anderen hatten schon gegessen. Es war nicht mehr viel übrig, aber er suchte zusammen, was er konnte, und präsentierte es mir: Grissini und Hummus, kalte Calamari, Parmesan, Zitrone, ein bisschen Frascati. Sein Name sei Charlie, sagte er, Charlie Gold, dann stellte er mir den Rest der Mannschaft vor: Olaf Schmidt, Axel Plotzke, Willi Darmstadt, Milo Moritz und Karl.
Charlie bestritt den Großteil des Gesprächs. Er hatte ein eher unmarkantes Gesicht, tiefhängende Augenbrauen und einen zurückweichenden Haaransatz – verschmitzt, aber keineswegs jugendlich. Zum Beispiel hatte er sich nicht die Mühe gemacht, wie bei Leistungssportlern üblich den Wildwuchs an Löckchen um die Ohren, am Hals und im Nacken wegzurasieren. Die Haut seiner Wangen war von Akne zerfurcht. Man hätte daran ein Streichholz entzünden können – ein Bild, das sich aufdrängte, weil so viele am Tisch rauchten.
Die Zigaretten wurden in den Essensresten, den Olivenschälchen und den leeren Kaffeetassen ausgedrückt. Charlie hatte sich nicht daran beteiligt, das roch ich sofort. Ich konnte es auch am Klang seiner Stimme hören, in der, wenn er jemandem zum Anzünden eine Kerze reichte, sowohl Belustigung als auch Missfallen mitschwang. Er war glücklich über dieses Missfallen; es verschaffte ihm die richtige Position. Er sagte zu mir: «Du rauchst aber nicht, oder?», und als ich den Kopf schüttelte, fügte er so laut, dass ihn jeder hörte, hinzu: «Diese Europäer, sie denken, sie sind Künstler. Sie denken, sie sind Rockstars. Direkt vor dem Spiel erzählen sie sich, wie viele Drinks sie am Abend davor gekippt haben. Sie wollen, dass du anständig spielst. Ich geb dir einen Rat, . Spiel niemals anständig.»
Daraufhin meinte einer der anderen lachend: «Ja, aber wir sind glücklich.»
«Nein, du bist nicht glücklich, Milo, du bist sicher nicht glücklich, wenn ich mit dir fertig bin.»
Milo hatte das Gesicht eines Boxers, fleischig, mit gebrochenem Nasenbein. Sein Lächeln wirkte wie aufgeklebt. Während ich aß, bahnte sich ein Mann mittleren Alters mit üppigem Schnurrbart einen Weg zwischen den Stühlen hindurch an unser Tischende. Ich muss auf seinem Stuhl gesessen haben, denn er sah mich scharf an, bis Charlie sagte: «Alles in Ordnung, Coach. Der Junge hier war hungrig, also hab ich gesagt, er soll sich zu mir setzen.»
Ich erkannte Herrn Henkel vom Probetraining und stand auf, um ihm die Hand zu geben.
«Wo ist Hadnot?», fragte er mich.
«Er muss seine Tochter abholen.»
«Er holt nie seine Tochter ab», erwiderte Henkel und ließ einen flüchtigen Blick über den Rest der Mannschaft streifen.
Dieser kurze Blick hatte etwas Väterliches, und das Kind und das Heimweh in mir fühlten sich angesprochen. «Wollen Sie sich wieder hierhersetzen, Coach?», fragte ich ihn auf Deutsch, aber er erwiderte in seinem holprigen Englisch: «Man soll nie seine Stellung aufgeben, oder was sagst du, Charlie?» Dann sagte er zu einem der anderen Jungs: «Rutsch mal, Darmstadt.»
Darmstadt war ein Schüler mit herausgewachsener Pilzfrisur. Er schob seinen Stuhl zurück, erhob sich und stand den restlichen Nachmittag an die Wand gelehnt. Niemand sagte etwas. Charlie nutzte die Gelegenheit, um sich ein paar Leute vorzuknöpfen – seine eigene Formulierung. Er hatte etwas Ruheloses an sich, das auf mich schon bei dieser ersten Begegnung wirkte, als sei er nicht wirklich glücklich. Man spürte, dass er sich zu Größerem berufen fühlte und mit der aktuellen Situation nur arrangierte. Zum Ausgleich machte er sich über andere lustig. Der Mann, den er mir als Plotzke vorgestellt hatte, war ein dicker, langarmiger Deutscher mit leichten Merkmalen einer Drüsenfunktionsstörung: ein hängendes, ovales Gesicht; große Kuhaugen. «Wie viel wolltest du im Sommer abnehmen, Axel? Oder hast du am Zunehmen gearbeitet?» Die Sorte von Witz.
«Ja, ja», sagte Axel. Eine wohlerzogene, mürrische Stimme. Aber Charlie schenkte fast jedem am Tisch seine Aufmerksamkeit, nur Darmstadt ließ er in Ruhe, außer er wurde provoziert. Aber es gab noch einen anderen Schüler im Team, und von dem sagte Charlie, er wolle ihn gern «als besten Freund bezeichnen».
Nennen wir ihn einfach Karl. Es gibt zum einen das rechtliche Problem, aber ganz unabhängig davon würde seine heutige Berühmtheit den Charme überlagern, den er damals hatte, in seiner ersten Profisaison, als er noch mehr oder weniger unbekannt war. «Wir zwei haben allerhand zu besprechen», sagte Charlie. Karl ließ dieses Gerede lächelnd über sich ergehen, ohne groß zuzuhören oder sich weiter darum zu kümmern. Er hatte eines dieser riesigen, flachen Gesichter, die Gefühle nur bedingt erkennen lassen. Und er wirkte ungemein deutsch, speziell was seinen Kleidungsstil anging, der fast schon penetrant leger war: braune Jeanshose, Ledersandalen und ein knallgelbes T-Shirt, auf das in verwaschenen Buchstaben die Worte gedruckt waren.
Später, als er sich unter der Toilettentür hindurchduckte, fiel mir erst...




