Moers | Die 13 1/2 Leben des Käpt'n Blaubär | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 720 Seiten

Moers Die 13 1/2 Leben des Käpt'n Blaubär

Roman, erstmals in Farbe
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-641-12836-4
Verlag: Knaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman, erstmals in Farbe

E-Book, Deutsch, 720 Seiten

ISBN: 978-3-641-12836-4
Verlag: Knaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der große Bestseller – erstmals komplett in Farbe bei Lesegeräten mit Farbdisplay

Ein Blaubär, wie ihn keiner kennt, entführt in eine Welt, in der Phantasie und Humor auf abenteuerliche Weise außer Kontrolle geraten sind: Auf dem Kontinent Zamonien sind Sandstürme viereckig und Intelligenz ist eine übertragbare Krankheit, hinter jeder Idylle lauert eine tödliche Gefahr und es hausen dort all jene Wesen, die aus dem normalen Leben verbannt sind. In dreizehneinhalb Lebensabschnitten kämpft sich der blaue Bär durch ein märchenhaftes Reich, in dem alles möglich ist – außer Langeweile.
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s stellte sich sehr bald heraus, daß die Klabautergeister mich nicht aus reiner Gastfreundschaft aufgenommen hatten. Noch in derselben Nacht zeigten sie mir durch anschauliche Pantomimen, was sie von mir verlangten: Ich sollte für sie weinen.

Aus dem
Lexikon der erklärungsbedürftigen Wunder,
Daseinsformen und Phänomene Zamoniens und Umgebung
von Prof. Dr. Abdul Nachtigaller

* * * * * * *

Klabautergeister, die (Forts.): Klabautergeister entstehen durch das Zusammentreffen eines Irrlichts (Lux Dementia) mit zamonischem Friedhofsgas. Friedhofsgas ist ein unangenehm riechendes Fäulnisgas, das aus vermodernden Särgen aufsteigt, wenn die Erde darauf nicht gasversiegelnd genug beklopft wurde. Irrlichter entstehen, wenn Glühwürmchen vom Blitz getroffen werden und dann im lädierten Zustand weiterflattern. Treffen nun Irrlicht und Friedhofsgas zusammen, was aus naheliegenden Gründen vorwiegend über öffentlichen Begräbnisstätten stattfindet, verschmelzen die Gasmoleküle und Lichtatome zu jener rückgratlosen und unseligen Allianz, die gemeinhin als Klabautergeist bekannt ist.

Eigentlich klar, daß dabei nichts Erfreuliches zustande kommen kann. Wer kein Rückgrat hat, braucht auch kein Nervensystem, und wer keine Nerven hat, der hat auch keine Gefühle – und gerade deswegen interessieren den Klabautergeist die Gemütsbewegungen anderer Lebewesen so sehr. Man will eben immer das haben, was man selber nicht hat. Und wenn man einmal weiß, wie Klabautergeister entstehen, wundert man sich auch nicht darüber, daß ihr Interesse an unangenehmen Gefühlen wie Angst, Verzweiflung und Trauer so ausgeprägt ist. Ein Weinkrampf, also etwas, in dem all diese Gefühle gleichzeitig vorkommen, ist für einen Klabautergeist das Allergrößte.

Sie zeigten mir einen Platz auf einem mächtigen modernden Baumstamm, der dort wie ein umgestürzter Fabrikschornstein lag, und schoben mir ein paar Blätter unter, damit ich bequem sitzen konnte.

Unter Geistern

Die Lichtung füllte sich immer mehr mit Klabautergeistern, sie glitten zwischen den Baumstämmen umher und suchten summend ihre Sitzplätze. Es war schon unheimlich, Hunderte von ihnen einen Baumfriedhof erleuchten zu sehen. Zusammen erzeugten sie einen grünen Lichtdom, der sich gespenstisch über den Schauplatz wölbte. Es herrschte nervöses Wispern und Gekicher, bis auch der letzte Klabautergeist seinen Platz gefunden und seinen Blick auf mich gerichtet hatte. Dann wurde es still.

Ich ahnte, was von mir verlangt wurde, aber ich war irgendwie nicht in der richtigen Stimmung. Mir war durchaus unbehaglich zumute, aber nicht unbehaglich genug, um weinen zu können. Ich hatte das Gefühl, keinen Tropfen Flüssigkeit in mir zu haben, nie waren mein Mund und meine Kehle trockener gewesen. Dennoch versuchte ich, mein Bestes zu geben. Ich verzog mein Gesicht auf alle möglichen Arten, um eine Träne hervorzupressen, aber es kam nichts.

Ich versuchte es mit Schluchzen, aber heraus kam nur ein heiseres Krächzen. Die Klabautergeister wurden unruhig. Einige von ihnen fingen einen unangenehmen leisen Singsang an, und überall in der Luft knisterten kleine elektrische Entladungen. Ich schüttelte meinen Körper ein bißchen hin und her, als würde er von einem Weinkrampf erschüttert, und rieb mir die Augen, um die Tränen zum Fließen zu bringen; aber die Bewegungen wirkten hölzern und gekünstelt, und die Tränen blieben aus.

Mehrere Klabautergeister erhoben sich von ihren Plätzen, überall erklang gemeines Gezischel wie von kaputten Gasleitungen. Einige glitten von den Stämmen und schlängelten langsam auf mich zu, offenbar mit unguten Absichten. Ich versuchte es mit Selbstmitleid. Ich dachte daran, ein kleiner, nackter, ausgesetzter und sehr hungriger Blaubär zu sein, ohne Eltern, ohne Heimat, ohne Freunde. Ich dachte an die glücklichen Zeiten mit den Zwergpiraten und daran, daß diese Zeiten nun für immer vorbei waren. Mir schien, daß ich das mit Abstand bedauernswerteste, alleingelassenste, hungrigste Blaubärchen der Welt war, die absolut bemitleidenswerteste Kreatur, die jemals … und endlich flossen die Tränen!

Und wie sie flossen! Wahre Sturzbäche von Tränen, eine Überschwemmung von salzigen Fluten. Das Wasser spritzte aus meinen Augen, stieg mir in die Nase und sabberte über meine Lippen. Ich schluchzte herzzerreißend, warf mich auf den Bauch und trommelte mit meinen kleinen Fäusten auf den hohlen Baumstamm, so daß es tief in den Wald schallte. Ich strampelte mit den Füßen und raufte mir die kurzen Härchen. Ich hockte mich auf alle viere und heulte die Mondsichel an wie ein kleiner heimwehkranker Hund. Es war ein Weinkrampf der Sonderklasse, viel besser und länger als der erste.

Dann war er plötzlich vorbei. Schniefend setzte ich mich auf und wischte die letzten Tränen ab. Durch den wäßrigen Schleier vor meinen Augen sahen die Klabautergeister noch unheimlicher aus. Sie saßen völlig regungslos da und starrten mich an.

Absolute Stille.

Ich zog die Nase hoch und war auf alles gefaßt. Sollten sie mich doch fressen oder sonstwas – mir war es seltsam egal. In der letzten Baumreihe fing ein einzelner Klabautergeist zögernd an zu applaudieren. Immer noch saßen alle anderen regungslos da. Dann fiel ein zweiter in den Applaus ein, ein dritter, ein vierter, und plötzlich standen die Klabautergeister wie auf ein geheimes Kommando geschlossen auf und applaudierten, daß der Wald bebte. Sie stießen spitze Schreie des Entzückens aus und pfiffen auf ihren dünnen Geisterfingern. Manche nahmen Äste und schlugen sie im Takt gegen die hohlen Baumstämme. Es herrschte ein unglaublicher Lärm. Blumenkelche wurden in meine Richtung geworfen. Hier und da schoß ein Klabautergeist wie eine grüne Leuchtrakete hoch in die Luft. Alles in allem zeigten diese ansonsten gefühllosen Kreaturen ein erstaunliches Maß an Begeisterung. Und ich muß gestehen: Ich war davon ziemlich ergriffen.

Man kann es nicht anders sagen: Ich war buchstäblich über Nacht zum Star geworden. Ich bekam zwar kein Geld (ich wußte damals nicht mal, daß es so etwas überhaupt gibt), aber die Klabautergeister versorgten mich für meine Heulerei mit Nahrung. Nichts Besonderes, vorwiegend Nüsse und Beeren, Quellwasser und Bananen und ab und zu eine frische Kokosnuß, aber mehr brauchte ich in diesen Tagen auch nicht. Die Gespenster hatten sehr schnell begriffen, daß ich mit ihrer seltsamen Art der Ernährung nichts zu tun hatte, Neptun sei Dank. Sie ernährten sich nämlich von Angst. Ich wußte das von den Zwergpiraten: Die Klabautergeister gleiten des Nachts übers Meer, auf der Suche nach Schiffen, deren Besatzung sie mit ihrem Gesang und Geheul in Angst und Schrecken versetzen können. Haben sie das erreicht, saugen sie die Angst in sich hinein wie Milch durch einen Strohhalm.

Wenn ich diese durchsichtigen Gespenster von ihren nächtlichen Beutezügen heimkehren sah, vollgesogen mit Angst, satt und feist wie Tiefseeschwämme, dann standen mir die Haare zu Berge. Anfangs wollten sie mich noch auf ihre Schlemmertouren mitnehmen, aber sie ließen es bleiben, als sie merkten, daß ich nicht übers Wasser gehen konnte.

Trotz meiner anfänglichen Abscheu vor den Klabautergeistern: Ich muß zugeben, daß ich immer mehr Spaß an den allabendlichen Vorstellungen fand. Das Lampenfieber am Anfang, meine immer besser werdenden Schluchzarien, der tosende Applaus am Schluß – ich wurde regelrecht süchtig danach. Es fiel mir immer leichter, einfach so loszuflennen (und ich kann es auch heute noch, wenn aus dramaturgischen Gründen gelegentlich mal ein paar Tränchen notwendig sind).

Ich brauchte nur an etwas Trauriges zu denken, und schon ging es los. Ich baute dramatische Steigerungen und wirkungsvolle Schluchzpausen in mein Programm ein. Ich beherrschte die ganze Palette, vom leichten Seufzen über das verzweifelte Schluchzen bis hin zum kreischenden Tobsuchtsanfall. Ich lernte, den Rhythmus meines Schluchzens mit der Melodie meines Heulens so perfekt abzustimmen, daß kleine Symphonien daraus entstanden. Ich konnte mein Kreischen in hysterische Höhen schrauben, um es gleich darauf wieder in tiefe Jammertäler des Schniefens abstürzen zu lassen. Manchmal sabberte ich minutenlang fast tonlos vor mich hin, um das Publikum in unerträgliche Spannung zu versetzen, und dann brüllte ich auf einmal los wie ein heimatloser Seehund.

Starallüren

Die Klabautergeister waren Wachs in meinen Händen. Jeden Abend wurden die Ovationen lauter, anhaltender und begeisterter. Sie erstickten mich beinahe mit Blumen, wanden mir Kränze und überschütteten mich mit Beeren und Obst – kein Wunder, daß ich mir immer mehr in meiner Rolle gefiel. Wenn man im Rampenlicht steht und den Beifall empfängt (auch wenn es nur das fahle Licht der Klabautergeister und ihr gespenstisches Geheul ist), kann einem das schon zu Kopf steigen. Man darf nicht vergessen, daß ich noch sehr jung war – es war erst mein zweites Leben.

Bald war ich für meine Starallüren bekannt und wurde gelegentlich sogar launisch wie eine Operndiva. Wenn mein Publikum nicht frenetisch genug applaudierte, wurde ich schroff und verließ ohne Zugabe die Bühne. An manchen Abenden täuschte ich Kopfschmerzen vor, um die Vorstellungen platzen zu lassen und die Klabautergeister zu quälen. Ich wurde ein ziemliches Ekel, fast so eklig wie die Klabautergeister selbst. Tatsächlich wurde ich ihnen immer ähnlicher. Ich fing an, ihren gruseligen Singsang zu imitieren und ihre Lieder nachzusummen. Zuerst hatte ich noch darauf bestanden, allein und unter freiem Himmel zu...


Moers, Walter
Walter Moers ist der Schöpfer des fantastischen Kontinents Zamonien und des dort lebenden Erfolgsschriftstellers Hildegunst von Mythenmetz, dessen Werke er vorgibt ins Deutsche zu übersetzen. Dazu gehören u.a. »Die Stadt der Träumenden Bücher«, »Die Insel der Tausend Leuchttürme« und zuletzt »Das Einhörnchen, das rückwärts leben wollte«. Moers ist darüber hinaus der geistige Vater von Käpt´n Blaubär, dem Kleinen Arschloch, dem Alten Sack, von Adolf, der Nazisau, dem Fönig und vieler anderer populärer Charaktere. Moers ist eines der großen Multitalente: als Zeichner, als Schriftsteller und auch als Drehbuchautor. Seine Auflagen gehen in die Millionen, die Filme nach seinen Büchern waren Blockbuster. Er hat den Grimme- und den Fantastik-Preis gewonnen und wird – weit über den deutschen Sprachraum hinaus – vom breiten Publikum ebenso geschätzt wie von den Feuilletonisten: für seine überbordende Fantasie, seine Fabulierkunst, seinen Anspielungsreichtum und seinen mal feinen, mal anarchischen Humor.



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