E-Book, Deutsch, 272 Seiten
N. Die Prostata
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-347-77561-9
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine Erzählung
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
ISBN: 978-3-347-77561-9
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
N. N. studierte Humanmedizin und Systemisches Management und wurde zum Thema CorticoSteroide promoviert. Während der klinischen Tätigkeit galt das Interesse den systemischen Koppelungen von Organismus, Psyche und Sozialem und deren rekursiven, paradox organisierten Regelkreisen.
Autoren/Hrsg.
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2. Das Objekt
2.01 Prostata
Hier ist das medizinische Objekt, das Organ, die Prostata, dt. Vorsteherdrüse. Der deutsche Name bezeichnet in seinem ersten Teil die Position der Prostata. Sie steht vor etwas, hier, von unten gesehen, vor der Blase im männlichen Becken. Die Prostata umschließt die Harnröhre. Ein im Körper verborgenes Organ, das nicht gesehen wird, das in gesunden Tagen nicht ins Bewusstsein kommt, über das eher nicht gesprochen wird.
In seinem zweiten Teil bezeichnet der Name des Organs seine Funktion, Drüse. Die Prostata (vom altgriechischen Wort für Vorsteher) erzeugt ein Sekret, eine Flüssigkeit, in der die Spermien schwimmen.
Ausgehend von diesen Parametern untersucht die medizinische Wissenschaft subjektiv, durch Ertasten mit dem Finger über den Enddarm, Größe, Form und Struktur der Prostata und vergleicht diese mit bekannten Objekten, etwa einer Kastanie. Diese subjektive Untersuchung ist noch immer Standard.
Objektiv werden Größe, Gewicht und Struktur messtechnisch mit Ultraschall und/oder MRT dargestellt. Neben Größe, Gewicht und Struktur interessiert die Funktion der Prostata. Ein Marker für die Funktion der Prostata ist das prostataspezifische Antigen im Blut, der PSA-Wert. Dieser ist, entgegen seiner Bezeichnung, nicht prostataspezifisch. Dieses Antigen wird in weiteren exokrinen Drüsen des Organismus produziert, in geringerer Menge z. B. in der Brustdrüse.
Das PSA-Molekül liegt – an TransportEiweiß gebunden und in freier Form – im Blut vor. Seine Gesamtmenge und das Verhältnis seiner gebundenen und freien Formen geben Hinweise auf die Funktion der Prostata.
Bei Verdacht auf eine Erkrankung der ProstataZellen wird eine Biopsie mit vielen Stanzen durchgeführt und ein PSMA-PET/CT, eine Kombination aus Positronen-Emissions-Tomographie (PET) und Computertomographie (CT) zum Aufspüren von prostataspezifischem Membran-Antigen (PSMA) in autonomen, migrierenden Zellen.
2.02 wieso weshalb warum
Lohnt es, sich mit der Prostata näher zu beschäftigen? Das Internet verzeichnet heute für den Begriff Prostata 114.000.000 Einträge. Morgen werden es vielleicht schon wieder mehr sein. Ist das ein Hinweis, dass schon alles gewusst ist über dieses eher kleine Organ? Oder eher ein Hinweis, dass viele Fragen offen sind? Beides ist wohl richtig.
Im Netz finden sich Informationen über Form und Lage des Organs, über seine Struktur, seine Funktion und seine Erkrankungen. Wie jedes Organ kann die Prostata erkranken. Eher selten bis zum 30. Lebensjahr. Vergleichbar der Häufigkeit anderer Organerkrankungen in diesen jungen Jahren.
Doch ab dem 30. Lebensjahr vermehren sich, aus bisher nicht bekannten Ursachen – ich wähle lieber den Begriff nicht bekannten Prozessen –, Zellen in der anatomisch definierten Transitional- bzw. Übergangszone rund um die Harnröhre.
Ich zitiere aus www.prostata.de: „Die gutartige Vermehrung der Prostatazellen (benigne Prostatahyperplasie, BPH) beginnt nach dem 30. Lebensjahr und nimmt dann immer mehr zu. So sind in Europa bis zu 40 % der Männer im Alter von 40–49 Jahren und bis zu 90 % der Männer im Alter von 80–89 Jahren von einer BPH betroffen.“
Dies führt nicht immer zu heftigen Beschwerden. Verdickt sich jedoch das nahe der Harnröhre gelegene ProstataGewebe, wird der Urinfluss zunehmend behindert. Die Blase kann nicht mehr vollständig entleert werden. Der Mann spürt den Harndrang, Tag und Nacht, hilft sich mühsam mit häufigen, zuweilen eiligen Toilettengängen. Wenn nichts mehr geht, fließt, muss die Blase mit einem Katheter entleert werden.
Eine chirurgische Korrektur der Prostata ist heute möglich, jedoch nicht ganz ohne unerwünschte Effekte.
Wenn ProstataHyperplasie ansteckend wäre, würde man von einer Epidemie sprechen. ProstataHyperplasie ist jedoch nicht ansteckend, betrifft nur Männer, die altern, könnte man hinzufügen. Und schon stellt sich die Frage, ob Altern eine Krankheit ist, sein könnte.
Manneken Pis, Bruxelles
2.03 und das kommt noch dazu
Wer im Internet Prostata googelt, bekommt nicht nur Prostata-Hyperplasie und das damit verbundene ProstataHyperplasie-Syndrom angeboten, sondern ebenso das ProstataCarcinom.
Richtig, jedoch irritierend, wird die ProstataHyperplasie als Benigne ProstataHyperplasie bezeichnet, um darauf hinzuweisen, dass die Zellen nur! hyperplastisch sind, sich vermehrt haben, jedoch im Zellverbund, im Organ, verblieben sind. Gutartig. Medizinisch mitgedacht wird hier das Gegenteil von benigne, die maligne Veränderung der Prostata, das ProstataCarcinom. Maligne bedeutet, dass Zellen eines Organs sich ungeregelt teilen und ebenso ungeregelt den Zellverbund verlassen, im Organismus migrieren, autonome Nester bilden.
Die beiden Worte „Benigne ProstataHyperplasie“ und „ProstataCarcinom“ werden anstelle von differenzierenden medizinisch-anatomischen Begriffen benutzt, um diese beiden differenten Veränderungen in der Prostata zu benennen.
Schon Johann Wolfgang von Goethe lässt im „Faust“ Mephistopheles, den Teufel, kommentieren, was passiert, wenn statt der Begriffe nur Worte benutzt werden.
Mephistopheles.
Schon gut! Nur muß man sich nicht allzu ängstlich quälen;
Denn eben wo Begriffe fehlen,
Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.
Mit Worten läßt sich trefflich streiten,
Mit Worten ein System bereiten,
An Worte läßt sich trefflich glauben,
Von einem Wort läßt sich kein Jota rauben.
Es wird mit diesen Worten „ProstataHyperplasie“ und „ProstataCarcinom“ implizit kommuniziert, die Veränderung der Prostata betreffe das Organ in seiner Ganzheit. Dass dieses Organ, die Prostata, im Inneren aus höchst unterschiedlichen Geweben besteht, die unterschiedlich agieren und reagieren können, bleibt offen.
Vereinfacht beschrieben, besteht die Prostata aus dem innenliegenden Gewebe, das die Harnröhre berührt und ab dem 30. Lebensjahr hyperplastisch werden kann, individuell mehr oder weniger. Dieses Gewebe ist in der Regel benigne, bildet typischerweise keine CarcinomZellen. Die äußere Zone der Prostata dagegen besteht aus sekretorischen Zellen, die die Flüssigkeit des Ejakulats produzieren, in dem die Spermien gut versorgt werden auf ihrem Weg zur Eizelle.
Dieses sekretorische Gewebe ist analog allen Drüsengeweben des Körpers, die Sekrete bilden, die nach außen abgegeben werden. In diesen Geweben sitzen auch die Stammzellen, die möglicherweise bei Hormonmangel kognitiv depriviert sind. Beispielsweise zwischen den sekretorischen Zellen in den Gängen der Brustdrüse, den sekretorischen Zellen im Darm, den sekretorischen Zellen in der Bauchspeicheldrüse, den sekretorischen Zellen der Speicheldrüsen, den sekretorischen Zellen der Schilddrüse, die auf einer früheren evolutionären Stufe ihr Sekret nach außen abgegeben hat. Alle diese epithelialen sekretorischen Gewebe haben die Potenz, entdifferenzierte Zellen zu bilden, die sich aus dem Zellverband lösen können und in den Körper ausschwärmen und dort autonome Kolonien bilden.
Wenn der Mediziner dem Patienten kommuniziert, das Problem sei eine benigne Veränderung der Prostata, dann ist das möglicherweise nur die halbe Wahrheit, ein Pacifier (Schnuller) für alle Beteiligten.
Es ist nicht bekannt, es gibt dazu keine für mich auffindbaren Daten, ob die Hyperplasie der inneren Zone der Prostata einem ProstataCarcinom der äußeren Zone vorangeht.
Seit mindestens 50 Jahren ist jedoch bekannt, dass nahezu alle 90-Jährigen, die aus unterschiedlichen Gründen in der Pathologischen Anatomie untersucht werden, ein feingeweblich nachweisbares ProstataCarcinom aufweisen.
Das biologische Alter, so könnte vermutet werden, geht zunächst einher mit einer ProstataHyperplasie, benigne, und dann mit dem Prostata-Carcinom, so denn die Männer dieses hohe Alter erreichen.
2.04 Worte Worte Worte
Bisher sind es höfliche Worte, sachliche Worte, affektiv getönte Worte, die helfen sollen, die Prostata zu verstehen.
Worte allein haben noch nie geholfen zu verstehen. Verstehen beinhaltet, die Bedeutung der Worte zu erfassen, und „[d]ie Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache“, wie Ludwig Wittgenstein formulierte.
Oft werden Worte gebraucht, deren Bedeutung nicht gewusst werden kann, weil ihre Bedeutung nicht erlebt wurde. Und weil das Erleben ganz unterschiedlich sein kann, so unterschiedlich wie Körper, Psyche und Soziales.
Und noch einmal Wittgenstein: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen.“ Die richtigen Worte zu finden ist offensichtlich nicht einfach.
Folgen wir dem Systhemtheoretiker Fritz B. Simon in seinem Werk „Formen“, dann brauchen wir Worte, um Beobachtungen unseres Bewusstseins in die soziale...




