Niemi | Der Mann, der starb wie ein Lachs | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

Niemi Der Mann, der starb wie ein Lachs

Roman
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-641-15749-4
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

ISBN: 978-3-641-15749-4
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Kriminalroman, Liebesgeschichte, Landschaftsbeschreibung
Martin Udde ist tot. Er wurde brutal ermordet. Mit einer Fischgabel regelrecht aufgespießt. Ein seltener Ausbruch von Gewalt in einer der nördlichsten Regionen Schwedens, in denen keiner seine Tür abschließt und Gastfreundlichkeit auch Fremden gegenüber die Regel ist. Hatte hier jemand eine alte Rechnung zu begleichen? Die junge Stockholmer Polizistin Therese ist nicht begeistert, als sie damit beauftragt wird, der Sache auf den Grund zu gehen. Die Menschen im hohen Norden kommen ihr merkwürdig vor. Doch bald erkennt sie, dass dieser seltsame Landstrich ihr mehr zu bieten hat als gedacht ...

Mikael Niemi, Jahrgang 1959, wuchs im hohen Norden Schwedens in Pajala auf, wo er heute noch lebt. Im Jahr 2000 erschien sein erster Roman 'Populärmusik aus Vittula', für den er den renommiertesten Literaturpreis seines Landes, den Augustpreis, bekam. Es war das spektakulärste Debüt, das Schweden je erlebt hatte. Das Buch stand monatelang auf Platz 1 der Bestsellerliste, verkaufte sich über eine Million mal, wurde in 24 Sprachen übersetzt und ebenso erfolgreich verfilmt.
Niemi Der Mann, der starb wie ein Lachs jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


1


Die Morgenmaschine aus Stockholm war fast voll besetzt, als sie auf der riesigen Frachtfluglandebahn des Kallax-Flughafen kurz vor Luleä landete. Im Passagiergewimmel gab es drei Personen, die nicht den Langzeitparkplatz oder den Flughafenbus ansteuerten, sondern sich durch das Terminalgebäude bis zu Gate 5 ganz hinten begaben. Im Gegensatz zu den ersten vier Gates lag dieses auf ebener Erde, und statt durch die riesigen Saugrohre an Bord zu gehen, mussten die Passagiere einen kurzen Spaziergang im Freien unternehmen, zu dem kleinen Propellerflugzeug mit neun Sitzplätzen, das auf dem juliwarmen Asphalt wartete. Das Flugzeug 8N402, unterwegs zur Nordkalotte, hob fahrplanmäßig kurz nach zehn Uhr vormittags mit Ziel Pajala ab. Die beiden Piloten und die drei Passagiere spürten, wie die Maschine sich mit wiegendem Ruckeln durch die Morgenthermik arbeitete. Rechts unter ihnen zeigte sich kurz das Zentrum von Luleä, eine dicht bebaute Halbinsel am Meeresrand, umgeben von Buchten und Sonnengefunkel. Im Meer war eine Unzahl von bewaldeten Inseln und kleinen weißen Dreiecken der Sommersegelboote zu sehen, auf dem Weg hinaus in den nordbottnischen Schärengürtel. Nur gut hundert Kilometer weiter entfernt, momentan im Sonnennebel nicht auszumachen, lag Finnland. Der Pilot schaltete, schwenkte in die richtige Richtung und kletterte weiter hinauf auf die Flughöhe von 18000 Fuß, gut 5000 Meter. Wollige Kumuluswolken zogen am Fenster vorbei, während das Flugzeug seinen Weg über die in der Wettervorhersage als nördliches Inland von Norrland bezeichnete Gegend nahm.

Therese Fossnes spürte die Kälte des Kabinenfensters an ihrer Wange, während sie hingerissen über die Weiten hinwegschaute. Es war ihr erster, alles bestimmender Eindruck. So schrecklich viel Wald. Sie hatte versucht, sich die norrländische Taiga vorzustellen, von ihr fantasiert, und jetzt sah sie sie zum ersten Mal mit eigenen Augen. Von allen Seiten. Ein dunkelgrüner Flickenteppich, ein Riesenwasserfall. Moosgrün. Nadelgrün. Zum Horizont immer blauer werdend, und hier und da blitzten Teiche und Waldseen auf. Entlang dahinschlängelnden Wasserzügen bahnten sich Straßen durch die Ebene. Und ab und zu, als wären sie zu schüchtern, waren vereinzelte Hausgruppen zu erkennen. Unbedeutende norrbottnische Orte. Viel zu klein für diese unfassbare Landschaft. Sie versuchte sich vorzustellen, wie es war, dort unten zu leben. Ausgesetzt in dieser Ödnis. Ein einsames Mädchen, das ruft. Das durch die Sümpfe schlendert und auf etwas Abwechslung hofft.

Nein, sie war Städterin. Sie war zu festgelegt, es gab so viel anderes im Leben als den Wald.

Therese öffnete die apfelsinenfarbene Plastikmappe mit dem Emblem des Landeskriminalamts und las noch einmal das Fax mit den Namen der lokalen Polizeibeamten, mit denen sie zusammenarbeiten sollte. An den Rand kritzelte sie ein paar Anmerkungen. Es ging darum, von Anfang an das Kommando zu übernehmen, Kompetenz zu zeigen. Für die da oben war sie nur eine blondierte Null, sie musste zubeißen, falls sie Schwierigkeiten machten. Sie sah jünger aus als ihre 33 Jahre. Einige dieser Schnauzer glaubten, das ausnutzen zu können. Besonders die Polizisten. Es gab wenige Berufsgruppen in diesem Land, die machogeprägter waren, vielleicht noch die Staatsanwälte. Aber mit der Zeit lernte man dazu. Man achtete darauf, dass die Krallen geschärft blieben.

Nach einem halbstündigen dröhnenden Flug senkte das Flugzeug seine Nase und näherte sich den Baumwipfeln. Sie konnte nirgends eine Landebahn entdecken, nur Waldwege. Ihr Mund wurde trocken, ein Schutzreflex. Adrenalin. Die beiden anderen Passagiere beugten sich vor und zeigten hinaus, ein gemütliches Rentnerehepaar, das sie bereits im Flugzeug aus Stockholm gesehen hatte. Die Frau sagte etwas Unverständliches. Die Worte drangen durch den Motorenlärm, waren aber nicht zu verstehen. Der Mann gab etwas ebenso Wunderliches zurück, am Tonfall war zu erkennen, dass er ihr zustimmte.

Und jetzt erst begriff Therese. Es war Finnisch. Sie hatten Finnisch miteinander gesprochen.

Mit einem kurzen Gummikreischen traf das Flugzeug auf der Erde auf und brauste schaukelnd weiter, während die Geschwindigkeit gebremst wurde. Ziel war das kleine Flughafengebäude, umgeben von hohen Kiefern. Pajala stand kurz und knapp auf der Fassade. Zwei Männer in gelben Sicherheitswesten schoben eine Gepäckkarre vor sich her, schlossen dann die Kabinentür ganz hinten auf und klappten die eingebaute Treppe aus. Sie kletterte hinunter und spürte ihre Blicke. Schweigende Neugier, ein wenig aufdringlich. Sie ging über den Asphalt und registrierte den Geruch nach Waldhitze, trockener, dampfender Wildnis. Eine Tür im Gebäude wurde aufgeschlagen, und ein langer, grauhaariger Polizeibeamter in Uniform kam heraus und streckte ihr die Hand entgegen. Sein Gesicht verzog sich zu einem runzligen, leicht schüchternen Lächeln.

»Willkommen«, begrüßte er sie. »Willkommen im Tornedal.«

Das klang steif und eingeübt. Er musste es den ganzen Morgen wiederholt haben. Therese holte ihre eingecheckte Reisetasche, bevor sie in sein von der Sonne aufgeheiztes Dienstauto stiegen und durch den Wald zur Stadt hin fuhren. Eino, wie der Polizist hieß, saß die meiste Zeit schweigend da und nahm eine auffallend entspannte Haltung ein. Er ist es gewohnt, Auto zu fahren, dachte sie. Lange Ausfahrten mit viel Zeit für eigene Gedanken. Doch plötzlich bremste er scharf.

»Piru ...«

Pi ... roo ..., wiederholte sie wortlos das Wort. Gleichzeitig kreuzten die Tiere die Fahrbahn ohne jede Eile, grau wie Steine. Die Geweihspitzen wogten, während sie sich daran machten, das Gras im Graben zu fressen.

»Rentiere?«, fragte sie.

»Du bist hier in Tornedal«, bestätigte er.

Er hat Finnisch gesprochen, dachte sie und wollte sich das merken. Rentiere hieß piru. Ihr Fotoapparat lag in der Tasche im Kofferraum, aber sie wollte ihn nicht bitten, anzuhalten. Es wäre zu peinlich gewesen. Sie würde später herfahren und fotografieren. Das wäre wirklich etwas, um es Doris zu mailen.

Das Gerichtsgebäude von Pajala war ein wuchtiges rotes Ziegelgebäude, das auf einer kleinen Anhöhe mitten in der Gemeinde stand, umgeben von Birken und Ebereschen inmitten eines Rasens. Mo – Fr 9–12, 13–15 Uhr war auf einem Schild an der Eingangstür aus dunklem Holz zu lesen. Therese wurde von Eino zu einem Büroraum gebracht, der schnell eingerichtet worden war, ein Schreibtisch, ein Telefon, eine elektrische Schreibmaschine aus den Achtzigern.

»Dein Dienstwagen«, sagte eine Stimme.

Ein Schlüsselbund fiel auf die Tischplatte. Sie drehte sich um und begegnete einem kurzen Lächeln, hellblondes Haar, militärisch kurz geschnitten, ein gestutzter Schnauzer und kräftige Kiefermuskeln. Sein Handschlag war sehr fest, als wollte er seine Unsicherheit verbergen.

»Sonny Rantatalo«, stellte er sich vor, »Polizeianwärter. Svedberg hast du ja schon kennen gelernt.«

Eino Svedberg war der Grauhaarige, der sie abgeholt hatte. Sie setzten sich alle drei in einen kleinen Konferenzraum, der nach altem Klassenzimmer roch. Ein Fenster stand einen Spalt offen, dennoch war es warm und feucht.

»Ja, also, ich bin Therese Fossnes, von der Kriminalpolizei.«

Eino schaute schweigend auf den Tisch. Sonny erwiderte ihren Blick und versuchte ungerührt auszusehen. Aber die zuckenden Wangenmuskeln verrieten seine Nervosität.

»Als Erstes möchte ich den Tatort sehen«, sagte sie. »Die Spurensuche ist sicher noch damit beschäftigt?«

»Ja, sie sind gestern aus Luleä gekommen.«

»Habt ihr schon die Nachbarn befragen können?«

»Ja, einige. Mehrere sind verreist, sitzen sicher in ihren Sommerhäusern.«

»Und die Frau, die die Leiche gefunden hat?«

»Rauha Jauhojärvi, sie arbeitet als Haushaltshilfe für die Gemeinde. Sie ist heute zu Hause, krank geschrieben. Wir haben mit ihr gesprochen, aber sie war nicht in der Lage, viel zu sagen.«

Sonny war derjenige, der ihre Fragen beantwortete, während er gleichzeitig eine Schreibtischunterlage zurechtschob, bis sie genau parallel zur Tischkante lag. Anschließend wandte sie sich direkt an Eino, um ihn ins Gespräch einzubeziehen.

»Habt ihr irgendwelche Zeugen gefunden?«

»Nun, das kommt ganz darauf an ...«

»Worauf?«

»Das Ganze scheint ja am Wochenende passiert zu sein. Und es war ein ganz besonderes Wochenende. Wenn man es so sagen kann.«

Er sprach langsam, fast übertrieben korrekt. Als suche er nach Worten, drehe und wende er jedes einzelne, bevor er sich traue, sie zu benutzen. Dabei war ein deutlicher Akzent zu hören, eine finnische, singende Sprachmelodie.

»Wenn man was sagen kann?«

»Pajala-Markt. Am Wochenende fand der Pajala-Markt statt.«

»Und?«

Jetzt mischte sich Sonny ein.

»Ja, du bist nicht von hier. Das ist der größte Sommermarkt vom Norrbotten, mehr als dreißigtausend Besucher. Die Leute kommen aus dem ganzen Land, sogar aus dem südlichen Schweden.«

»Alle, die weggezogen sind«, ergänzte Eino.

»Der Pajala-Markt ist ein Wahnsinnsgetümmel«, fuhr Sonny fort, »mit Leuten und Marktständen überall. Die ganze Stadt ist voll. Da wird es nicht so leicht sein, die Nadel im Heuhaufen zu finden.«

»Deshalb bin ich ja hier«, erwiderte sie kurz und stand auf. »Ich möchte um sechzehn Uhr alle Diensthabenden hier haben. Und bis dahin möchte ich eine Liste aller Zeugenaussagen, ihr wisst schon, Autos, Menschen, die in der Gegend gesehen worden sind, alles. Übrigens: Kanntet ihr das Opfer, die Stadt ist ja klein?«

...


Niemi, Mikael
Mikael Niemi, Jahrgang 1959, wuchs im hohen Norden Schwedens in Pajala auf, wo er heute noch lebt. Im Jahr 2000 erschien sein erster Roman »Populärmusik aus Vittula«, für den er den renommiertesten Literaturpreis seines Landes, den Augustpreis, bekam. Es war das spektakulärste Debüt, das Schweden je erlebt hatte. Das Buch stand monatelang auf Platz 1 der Bestsellerliste, verkaufte sich über eine Million mal, wurde in 24 Sprachen übersetzt und ebenso erfolgreich verfilmt.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.