E-Book, Deutsch, 484 Seiten
Nolte Unheilbringer
3. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7504-7876-3
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Gesandtschaft
E-Book, Deutsch, 484 Seiten
ISBN: 978-3-7504-7876-3
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Cord Tonka ist ein einfacher Deichvogt, dessen kriegerische Tage eigentlich hinter ihm liegen. Er hat Familie, einen halbwegs wichtigen Job und vor allem zumeist eins: seine Ruhe. Mit einem hätte er jedenfalls sicherlich nicht gerechnet: Dass er in diesen Zeiten der Unsicherheit eine Gesandtschaft von Gelehrten nach Cimberia begleiten soll - ausgerechnet ins Herz des verhassten Kaiserreichs! Was als Babysitterjob beginnt, wird zu Cords härtester Bewährungsprobe. Aber was sind das bevorstehende Ende der Welt, ein unheilbringender Komet, die Bekanntschaft mit totgeglaubten Wesen und die Herrschaftspläne eines Größenwahnsinnigen schon für einen Mann wie Cord Tonka? Die glauben, sie könnten ihn aufhalten? Die glauben, blutrünstige Monster, Duelle auf Leben und Tod und schwere Selbstzweifel könnten ihm Einhalt gebieten? Sie könnten recht haben.
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Kapitel I – Im Sumpf des Erbrechens Regen, Wind und Wetter waren nie ein Problem für Cord Tonka gewesen. Immerhin war er am Nordkap aufgewachsen und man verbrachte nicht einen guten Teil seines Lebens einen kurzen Fußmarsch von den Singenden Klippen entfernt, wenn einem ein bisschen schlechtes Wetter bereits den Tag versaute. Die Männer und Frauen vom Nordkap liebten ihr schlechtes Wetter, denn sie hatten gar keine andere Wahl, wenn sie nicht in Dauerdepressionen verfallen wollten – obwohl man ihnen natürlich genau das nachsagte: mürrisch, deprimiert, zankhaft und mit einer kurzen Zündschnur gesegnet, das waren die Nordler. Cord war da oft keine Ausnahme, das musste er zugeben, aber er weigerte sich, das Naturell seines Volks dem stets diesigen, nebligen, bisweilen sintflutlichen Wetter seiner Heimat zuzuschreiben. Nicht, dass gutes Wetter zwingend besser gewesen wäre. Und wie definierte man gutes Wetter schon? Das war doch Ansichtssache. Völlig subjektiv. Die paar Male, die er zu viel Sonne abbekommen hatte, war ihm kotzübel gewesen, seine Haut war rot geworden und dann hatte er sich gehäutet wie eine Schlange, was ihm widernatürlich erschien. Und Regen machte hart, Schnee und Kälte beugten Krankheiten vor (jedenfalls hatte seine Großmutter das immer gesagt und der alte Drachen hatte meistens recht gehabt) und Wind und Wetter gerbten das Gesicht und ließen einen Mann wie einen Mann aussehen. Nein, mein Herr, ein bisschen schlechtes Wetter konnte einem echten Nordkapwemmser nichts anhaben. Was, so überlegte er, diesen götterverlassenen Ort eindeutig von seiner rauen Heimat unterschied und ihm tatsächlich zu schaffen machte, war schlicht und ergreifend die Abwesenheit von jedweder frischen Luft. Cords steckte seit Stunden bis zum Schaft seiner hohen Lederstiefel im Morast und der Sumpf gab sich größte Mühe, ihn selbst dieses festsitzenden Schuhwerks zu entledigen. Regen prasselte auf seinen Lederhelm und hatte längst Mantel und Hemd völlig durchtränkt. Dazu kam der Gestank. Bei Selax‘ Palmwedel, der Gestank. Der Sturm tobte über ihm und ließ die Baumkronen sich geradezu ekstatisch schütteln, fast wie Hohepriesterinnen des Gaulok-Kultes nach ihrem dritten Becher Schirlingswein. Immer wieder zuckten Blitze, Donner grollte und die eine oder andere schwüle Böe wehte ihm Blätter, Astwerk und noch mehr Regen ins Gesicht, aber kein einziges Mal sorgte eine frische Brise dafür, dass der faulige Sumpfgeruch sich gänzlich verflüchtigte. Cord hätte alles für eine Nase voll salziger Seeluft gegeben. Was er bekam, waren neblige Schleier, die fast rochen wie … „Stinkt echt, als hätte Botukall einen fahren lassen, ne?!“, rief Drescher von vorne, drehte sich halb zu Cord um und ließ seine gelblichen Riesenzähne sehen. Cord schenkte ihm ein schmallippiges Schmunzeln, das kein Stück ernst gemeint war, aber Drescher schien sich so zu amüsieren, dass Cord es nicht übers Herz brachte, ihn zu pikieren. Botukall, der die Nachhut übernommen hatte, gab nur ein leises Grunzen von sich – was nicht zwingend heißen musste, dass er Dreschers famosen Spaß vernommen hatte. Üblicherweise war ein Grunzen oft das Einzige, was Botukall zu jedweder gegebenen Konversation beizutragen hatte, zumindest wenn er sich im offenen Feld befand und sich konzentrierte. Er war dann ein anderer als in geselliger Runde. Unter Freunden offenbarte er bisweilen einen derben Sinn für Humor, wie auch in so manch anderer Situation, in der ein weniger furchtloser Mann vielleicht verhaltener reagiert oder ein wenig zu sehr mit Sich-in-die-Hose-Pissen beschäftigt gewesen wäre, um zu lachen. Doch jetzt waren sie im Feld und Botukall schwieg. Die fleischige Flunschlippe dank seines massiven Unterbisses geradezu grotesk weit nach vorn geschoben, schien der in seiner Gedrungenheit und Breitschultrigkeit fast schon quadratische, überaus haarige Mann seinen eigenen, sicherlich hochkomplexen Gedanken nachzuhängen. Während er sich mit schmatzenden, mühsamen Schritten, die Drescher sicherlich ebenfalls an gewisse Körperfunktionen erinnerten, weiter fortbewegte, versuchte Cord vergeblich, nicht an zu Hause zu denken. Elsa würde inzwischen das Abendbrot servieren. Seine drei ältesten Kinder würden den Tisch decken. Dann würden sich alle acht den Bauch vollschlagen. Elsa, die beste Freundin, die er je gehabt hatte und die Liebe seines Lebens, sein Ältester Benno, die kleine Gitte, die freche Lotte. Selbst die Drillinge, die er bis heute nicht auseinanderhalten konnte und Svea, die Jüngste, gerade vier Monate alt. Sie war sein Augenstern. Apropos Stern. Sein Blick glitt über den pechschwarzen Himmel, an dem selbstverständlich vor lauter Wolken und Regenbruch kein Stern, kein todbringender, wabernder, gleißend roter Komet aus den Tiefen des leeren, finsteren Nichts über dem Himmel auszumachen war. Ich weiß, dass du da oben bist. Auch wenn er den Unheilbringer nicht sehen konnte, wusste Cord genau, dass er da war. Das große Ding. Der macht uns alle kaputt, nimm mich beim Wort. Der geht nicht einfach so weg, so viel Schwein hast du nicht, Alter. Nie gehabt. Also marschier weiter, Breitarsch. Sonst gibt’s kein Zuhause mehr, zu dem du zurückkehren kannst. Heitere Gedanken wie dieser waren es, die ihn jeden Morgen aufs Neue aus dem Bett (beziehungsweise Schlafsack) steigen und in einen weiteren erbaulichen und produktiven Tag starten ließen. Warum jetzt damit aufhören? „Hab ja in meiner Zeit schon einige Sümpfe gesehen, aber der hier gewinnt den Hauptpreis für den fiesesten Gestank“, knurrte er nun nach vorne, mehr, um sich von seinem Heimweh, der Feuchtigkeit und dem ekelerregend sämigen Matsch abzulenken, der ihm nun in den rechten Stiefel lief, als um wirklich ein ernsthaftes Gespräch mit dem wandelnden Waffenschrank vor sich zu beginnen. Drescher nickte heftig, wobei ihm seine Kettenhaube in den Nacken rutschte und seinen rasierten Schädel freilegte, der mit seiner blassen Haut, den zahlreichen Haarstoppeln sowie den Pickeln und alten (und neuen) Narben wenig mit dem Hirnkasten eines menschlichen Wesens gemein zu haben schien. Mit einer Andeutung von Ekel auf dem Gesicht betrachtete Cord, der nun selbst kein Abbild überirdischer Schönheit war und seine besten Zeiten sicherlich hinter sich hatte, insbesondere die tiefe Einbuchtung an Dreschers Hinterkopf. Vor vielen Jahren war hier einem Aufständischen aus dem Bauernheer Hikodeus‘ des Aufknüpfers ein hinterlistiger Streich mit einem Streitkolben gelungen. Viel Zeit, sich über diesen Glückstreffer zu freuen, hatte der Mann allerdings nicht gehabt, wie Cord sich unter Schaudern erinnerte. Drescher, der eigentlich Hauke hieß und der gefragteste Getreidedrescher von Hilmensiel gewesen war, bevor er sich den Haustruppen des Freiherrn Herger von Schranzen angeschlossen hatte, hatte noch einen weiteren vorteilhaften Spitznamen weg, seit er den übermütigen Angreifer mit bloßen Händen von seinem Kopf getrennt hatte: Der Oger. Verständlicherweise tat man gut daran, diesen Namen nicht zu nutzen, solange Drescher in Hörweite war. Der Verstand des großen Mannes hatte jedenfalls seither merklich gelitten – dem Schlag sowie den drei Wochen des Nahtodzustandes, in welchem Drescher sich infolgedessen befunden hatte, sei Dank. Nicht, dass er je einer der aussichtsreichsten Kandidaten für ein Stipendium der Universität von Cimberia gewesen war. „Da haste recht, Vogt“, pflichtete er Cord, weiterhin nickend, bei. „Fast so, als hätte …“ „Jaja, als hätte Botukall einen fahren lassen“, unterbrach Cord. „Sag mal, ich glaub, ich hab dich das schon öfters gefragt, aber hast du eigentlich den Eignungstest für Hauskerle tatsächlich bestanden damals, oder haben die dich einfach angeguckt und sich gesagt: Ja, okay, der Typ is groß wie ein Haus und hat Arme wie ich Oberschenkel, den nehmen wir, mir egal, wie hohl seine Birne is?“ Diese wenig gekonnte Spitze, die vermutlich der Wahrheit sehr nahe kam, so wie er Herger von Schranzens Hauptleute kannte, und die ihm sofort wieder leidtat, als er sah, wie Drescher das obligatorische dümmliche Lächeln vom kantigen Gesicht wich, entlockte Botukall ein barsches Geräusch, das genauso gut ein asthmatisches Husten oder Röcheln wie ein Lachen hätte sein können. Der häufig so finstere Botukall verzog dabei keine Miene, sondern marschierte einfach weiter wie einer dieser Golems aus alten Findari-Legenden, mehr Maschine als Mensch. Cord war es manchmal fast schon unangenehm, diesen Mann im Rücken zu haben, aber Botukall war ein erfahrener Jäger und würde jeden Gegner erspähen, der ihnen zu folgen versuchte. Normalerweise schickte man einen Fährtenleser ja als Vorhut, aber Cord hatte so seine Gründe, Botukall als Rückendeckung einzusetzen, um eventuell folgende Feindkräfte zu erkennen, bevor sie über sie herfielen. Den Fehler, diese Eventualität unberücksichtigt zu lassen, würde er kein zweites Mal machen. Der schwarzhaarige Mann aus dem Westen blieb also, wo er war, die scharfen Jagdmesser am...