Otte | Analytische Philosophie | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 480 Seiten

Reihe: Blaue Reihe

Otte Analytische Philosophie

Anspruch und Wirklichkeit eines Programms
unverändertes eBook der 2. Auflage von 2021
ISBN: 978-3-7873-4008-8
Verlag: Felix Meiner
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Anspruch und Wirklichkeit eines Programms

E-Book, Deutsch, 480 Seiten

Reihe: Blaue Reihe

ISBN: 978-3-7873-4008-8
Verlag: Felix Meiner
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die analytische Philosophie hat sich stets an der Logik und Mathematik orientiert, also an Wissenschaften, die als Paradigmata des Formalen und Subjektfreien gelten. Michael Otte zeigt dagegen, dass innerhalb jeder Kunst und Wissenschaft, also auch in der Logik und Mathematik, das Formale komplementär mit dem Narrativen auftritt. Er beschreibt die Analytische Philosophie nicht nur als eine die Philosophie der Gegenwart dominierende Schulrichtung, sondern legt dar, dass auch die Reduktion aller Erkenntnis auf logische Regeln daran gebunden bleibt, dass die Wirklichkeit, die wir begreifen wollen, immer begleitet wird von der Suche nach dem Sinn. - Grundlegend überarbeitete Neuauflage mit neuem Schlusskapitel.

Michael Otte (Jg. 1938) ist Prof. em. an der Fakultät für Mathematik der Universität Bielefeld mit den Forschungsschwerpunkten Philosophie und Geschichte der Mathematik, Grundlagen der Fachdidaktik. Neben zahlreichen Publikationen zu Fragen der Mathematik und zur Philosophie, Geschichte und Didaktik der Mathematik gab er in der Reihe 'Boston Studies in the Philosophy of Science' den Band 'Analysis and Synthesis in Mathematics' (vol. 196) und in der »Philosophischen Bibliothek« u. a. Bertrand Russells Schriften 'Unser Wissen von der Außenwelt' (PhB 561) und 'Einführung in die mathematische Philosophie' (PhB 536) heraus. Anlässlich seines 65. Geburtstages erschien bei Springer der Band Activity and Sign (Hg.: M. Hoffmann, J. Lenhard, F. Seeger). 2014 veröffentlichte er bei Meiner 'Analytische Philosophie. Anspruch und Wirklichkeit eines Programms'.
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II.Analytische Philosophie zwischen Sprache, Logik und Mathematik


In einem Korb liegen 2 Eier. Die Mutter tut 2 weitere Eier in den Korb und fragt das Kind: Wie viele Eier befinden sich nun im Korb? Antwort: 4!

Mutter: Aber waren nicht die ersten Eier weiß und die zweiten braun gewesen!?

Kind: Es sind doch alles Eier!

Noch ein Problem: In einem Käfig befindet sich ein Tier. Der Vater sperrt ein weiteres Tier in den Käfig. Wie viele Tiere befinden sich nun im Käfig?

Kind: Das weiß ich nicht!

Vater: Was heißt das, weiß ich nicht. Kannst du denn nicht bis 2 zählen?

Kind: Es kommt doch darauf an, um welche Tiere es sich hier handelt!

»The subject matter of logic is intensions (concepts); that of mathematics is extensions (sets)« (Gödel, in: H. Wang, , The MIT Press Cambridge/ USA 1996, p. 247)

»The difference between the logic of philosophy and mathematics is […] that in mathematics the reasoning is frightfully intricate, while the elementary conceptions are of the last degree of familiarity, in contrast in philosophy, where the reasonings are as simple as can be, while the elementary conceptions are abstruse and hard to get clearly apprehended« (Peirce, 3.560).

»There are two modes of cognitive functioning, two modes of thought, each providing distinctive ways of ordering experience, of constructing reality. The two (though complementary) are irreducible to one another. Efforts to reduce one mode to the other or to ignore one at the expense of the other inevitably fail to capture the rich diversity of thought. Each of the ways of knowing, moreover, has operating principles of its own and its own criteria of well-formedness« (J. Bruner, , Boston 1986, p. 11).

II.1


Auf fast jeder Konferenz zur Wissenschaftsphilosophie diskutieren insbesondere die jüngeren Teilnehmer in den Pausen darüber, ob ein Studium der Logik ausreichend oder sogar besser geeignet sei, um die Mathematik philosophisch zu verstehen, oder ob man die Mathematik selbst näher kennen gelernt und aktiv betrieben haben muss. Logik beruht auf Sprache, und Sprache ist eine soziale und erstrangig kommunikative Institution. Die Menschen reden miteinander und im Wesentlichen übereinander. Mathematik und Naturwissenschaft stützen sich auf Experimente. Worte verändern Geister, Experimente verändern die Dinge. Die Mathematik ist ein Mittel der gegenständlichen Tätigkeit und weniger der Kommunikation. Die Mathematik ist keine Sprache, sondern eher die Kunst der Erfindung stets neuer Sprachen oder anderer Werkzeuge der gegenständlichen Tätigkeit und der Argumentation. Sprache und Mathematik bilden so unterschiedliche Kontexte des menschlichen Denkens und Handelns. In der Sprachtheorie dominieren dementsprechend Fragen des Sinns und in Mathematik und der Philosophie der Mathematik Probleme der Bedeutung (Referenz) (vgl. das obige von Gödel oder auch die Erörterung im folgenden Abschnitt II.6.).

Dadurch dass man, Frege folgend, den Sinn an die Bedeutung gebunden hat – wie wir im nächsten Kapitel noch ausführlich diskutieren werden –, hat man die wesentliche Komplementarität von Sinn und Bedeutung bzw. von Sprache und Mathematik weitgehend verfehlt. Es sei allerdings gleich an dieser Stelle zugegeben, dass wir in einem eher einführenden Werk wie dem vorliegenden sicherlich nicht alle Teile der damit verbundenen Schwierigkeiten hinreichend diskutieren oder gar auflösen können.

Mathematik und Naturwissenschaft beruhen eher auf dem Auge denn auf der Sprache und auf der Koordination von Hand und Auge, mit deren Perfektion sich sogar ein Robinson Crusoe zu beschäftigen hatte, wenn er überleben wollte. Auch Kolumbus konnte nicht beim spanischen Thron anrufen, um sich auf dem Meer zurecht zu finden, sondern musste Wasser, Wellen, Winde, Sonnenstände und Strömungen beobachten und auf die schwimmenden Pflanzen und die Tiere achten (J. Huth, , Cambridge/USA 2013).

Worum es beim menschlichen Denken jeweils geht, ist, die Verbindung zwischen Wahrnehmung und Beobachtung einerseits und Berechnung und Schlussfolgerung andererseits stets aufs Neue einzusetzen. Das Problem hat bereits Kant am Ende des »klassischen Zeitalters« (Foucault), das eben durch eine Dichotomie von Philosophie – inklusive Naturphilosophie – und Mathematik gekennzeichnet war, in seinen zwei Grundquellen des Gemütes wiedergegeben. Er schreibt: »Unsere Erkenntnis entspringt aus zwei Grundquellen des Gemüts, deren die erste ist, die Vorstellungen zu empfangen (die Rezeptivität der Eindrücke), die zweite das Vermögen, durch diese Vorstellungen einen Gegenstand zu erkennen (Spontaneität der Begriffe); durch die erstere wird uns ein Gegenstand gegeben, durch die zweite wird dieser im Verhältnis auf jene Vorstellung (als bloße Bestimmung des Gemüts) gedacht. Anschauung und Begriffe machen also die Elemente aller unserer Erkenntnis aus, so dass weder Begriffe, ohne ihnen auf einige Art korrespondierende Anschauung, noch Anschauung ohne Begriffe, ein Erkenntnis abgeben kann« (KdrV B 75).

Danach trat die analytische Philosophie auf den Plan und mit ihr der Reduktionismus des Denkens auf Sprache und Logik (vgl. Dummett in Kapitel I.5.). Dieser Reduktionismus der analytischen Philosophie rechtfertigt sich nur durch ihre Verwandtschaft mit der Bewegung der und deren zahlreichen kommerziellen Anwendungen. Eigentlich ist die A.I. durch eine Komplementarität von Funktion und Struktur gekennzeichnet. Wie Douglas Hofstadter, der sich seit seinem frühen Bestseller »Gödel, Escher, Bach« der Erforschung der Struktur und Funktionsweise des menschlichen Denkens gewidmet hatte, sagt: »Computers are flexible enough to model the strange evolved convolutions of our thought and yet are responsive only to precise instructions« (aus einem Interview in , November 2013), während doch der Mensch in Bildern, Analogien und Ideen denkt.

Worum es dem Mainstream der A.I. geht, ist, die Funktion des menschlichen Denkens zu erfassen und zu simulieren. Als Kasparow gegen die IBM-Maschine antrat und einmal verlor, hat doch niemand angenommen, dass die Spiel- oder Arbeitsweise der beiden Kontrahenten in etwa dieselbe gewesen wäre. Aber das jeweilige Ergebnis, die Funktion, war als identisch vorausgesetzt: Es ging darum, wer das Spiel gewinnt. Kasparow hatte nach seinem Kampf gegen auf die Frage eines Reporters von , ob ein Unterschied bestehe, wenn man gegen eine Maschine spiele anstatt gegen einen menschlichen Gegner, geantwortet, dass ein Unterschied im Spiel eigentlich nicht vorhanden sei oder sich höchstens auf Dauer bemerkbar mache, weil der Computer nicht ermüdet und keine Fehler macht. Im Übrigen: Als 1997 den besten Schachspielern Paroli geboten hatte, verzeichnete das Aktienpaket von IBM einen Wertzuwachs von 18 Milliarden Dollar (, November 2013).

Die analytische Philosophie, die Dummett durch ihre Sprachfixiertheit definiert hatte, simuliert ebenso nur die Funktion oder gewisse Funktionen des menschlichen Denkens. Sprache und Logik funktionieren ebenso wie der Computer nur auf der Grundlage von mehr oder weniger präzise festgelegten Voraussetzungen, während die Herausforderung an die Philosophie der Mathematik im Verständnis der Mathematisierungsprozesse liegt und damit im Verständnis des Übergangs von Anschauung und Wahrnehmung zu Schlussweise, Berechnung und Konstruktion. Dies führt zu Problemen, die die verschiedensten philosophischen Richtungen und Schulen intensiv beschäftigt haben.

Der Neukantianer Friedrich Albert Lange (1828–1875) schrieb in seinen »Logischen Studien« (Verlag von J. Baedeker, Iserlohn 1877), die Algebra der Logik von Boole, DeMorgan, Peacock u. a. kommentierend: Es wäre »ein Wort an der Stelle über die zahlreichen Versuche, die formale Logik in algebraischer Form darzustellen. Der Zug zum Abstrakten, der die neueren Mathematiker bis in unser Jahrhundert hinein einseitig beherrschte, musste […] leicht dahin führen, auch die Probleme der Logik womöglich, gleich denen der Geometrie, in ein Rechenexempel aufzulösen« (S. 142).

Dies Verfahren, so fährt er fort, hat insofern seine »Berechtigung, als dabei der rein logische Hauptinhalt der Sätze herausgegriffen und an Symbole angeknüpft wird, die keinerlei Zweideutigkeit zulassen. Wenn Lambert meint, mehr brauche man nicht und der übrige Inhalt der Sprache habe weiter keinen Wert, so hat er wiederum vom Standpunkt der logischen Analyse recht, aber dieser Standpunkt ist ein sehr einseitiger. Die Sprache ist aufs innigste mit dem gesamten Geistesleben des Menschen verflochten« (S. 145).

Und es sind gerade die Eigenschaften, »welche die Sprache so wenig geeignet machen zu scharfem Gedankenausdruck zu dienen, die für die allgemeine Entwicklung des Menschengeistes von der höchsten Wichtigkeit...


Otte, Michael
Michael Otte (Jg. 1938) ist Prof. em. an der Fakultät für Mathematik der Universität Bielefeld mit den Forschungsschwerpunkten Philosophie und Geschichte der Mathematik, Grundlagen der Fachdidaktik. Neben zahlreichen Publikationen zu Fragen der Mathematik und zur Philosophie, Geschichte und Didaktik der Mathematik gab er in der Reihe „Boston Studies in the Philosophy of Science“ den Band „Analysis and Synthesis in Mathematics“ (vol. 196) und in der 'Philosophischen Bibliothek' u. a. Bertrand Russells Schriften „Unser Wissen von der Außenwelt“ (PhB 561) und „Einführung in die mathematische Philosophie“ (PhB 536) heraus. Anlässlich seines 65. Geburtstages erschien bei Springer der Band Activity and Sign (Hg.: M. Hoffmann, J. Lenhard, F. Seeger). 2014 veröffentlichte er bei Meiner „Analytische Philosophie. Anspruch und Wirklichkeit eines Programms“.



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