Gesammelte Essays
E-Book, Deutsch, 98 Seiten
ISBN: 978-3-641-07903-1
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)
Autoren/Hrsg.
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Der Ackermann und die Armen (S. 75-76)
Wie Verantwortung
in die Wirtschaft kommt.
Die Zukunft hängt von uns selbst ab, und wir sind von keiner historischen Notwendigkeit abhängig.
Karl Popper
Manchmal, da sorgt sich auch Josef Ackermann darum, dass man ihn für kalt und herzlos hält. In einer ARD-Dokumentation des Grimme-Preisträgers Hubert Seipel erläutert der Chef der Deutschen Bank, dass auch er ein Mensch aus Fleisch und Blut sei, ein Mensch mit Mitgefühl. Noch heute könne er »schlecht an jemandem vorbeigehen, der um Geld bittet«. So weit, so barmherzig. Nur, so erklärt der Filmautor aus dem Off, gäbe es da wohl ein kleines Problem: Ackermann gehe an keinen Armen mehr vorbei. Er fährt. Zum nächsten Termin, des Geldes wegen.
Die Kamera zeigt den Top-Banker im Fond seiner schwarzen Mercedes-Limousine, mit Financial Times und Business-Handy. Es geht bei diesem Beispiel nicht um den Charakter von Josef Ackermann. Denn selbst wenn er den größten Teil seines Jahreseinkommens von 9,55 Millionen Euro (2009) den Armen spenden würde, das entscheidende Problem bleibt das gleiche. In der Welt des Josef Ackermann kommen nicht nur keine Armen vor.
Es kommen überhaupt fast nur Reiche und Mächtige vor, Banker, Konzernchefs und Politiker. Alles andere ist alles andere. Das System der Hochfinanz funktioniert nach dem einen und einzigen Maßstab der Vermehrung von Gewinnen. Der Rest ist, mit Niklas Luhmann gesagt, »Umwelt« (vgl. Im Netz der Spinne. Was Geld mit Moral macht). Ein Verantwortungsgefühl für die Gesellschaft, den Gesamtprozess, die Moral in unserem Land ist hier nicht nur hinderlich – es taucht gar nicht erst auf. »Ich habe Frau Merkel immer klar gesagt, dass ich Angestellter der Deutschen Bank bin, und ich kann nicht gegen die Interessen der Deutschen Bank Rat geben«, sagt Ackermann im Film.
»Banken, besonders private und börsennotierte Institute, haben keine Verpflichtung, das Gemeinwohl zu fördern«, erklärt im gleichen Sinne Alexander Dibelius, der Deutschland-Chef von Goldman Sachs. Der Satz von Dibelius ist falsch. Richtig und ehrlich wäre er gewesen, wenn der Banker gesagt hätte: »Banken, besonders private und börsennotierte Institute, fühlen keine Verpflichtung, das Gemeinwohl zu fördern.« Doch dass Banken keine Verpflichtung haben sollen, ist Unsinn.
Wie unser ganzes Wirtschaftssystem, so lebt auch die Finanzwirtschaft von Voraussetzungen, die sie nicht selbst erzeugen kann. In diesem Punkt verhalten sich die Bankchefs, wie gesagt, wie pubertierende Kinder, die glauben, ihre Eltern nicht zu brauchen und ihnen nichts schuldig zu sein. Nur in einer Kultur des Vertrauens, der Fairness und der Wahrhaftigkeit kann sich die Finanzwelt überhaupt entfalten – selbst dann, wenn sie unausgesetzt dagegen verstoßen sollte oder verstößt. Stärker als jeder andere Wirtschaftszweig sind Banken »Moralzehrer« im Sinne Röpkes.