Reck | Kein anderes Ufer | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 176 Seiten

Reck Kein anderes Ufer

Die Erfindung der Homosexualität und ihre Folgen. Anstoß zu einer notwendigen Debatte
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7867-3359-1
Verlag: Matthias-Grünewald
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Die Erfindung der Homosexualität und ihre Folgen. Anstoß zu einer notwendigen Debatte

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

ISBN: 978-3-7867-3359-1
Verlag: Matthias-Grünewald
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Nach landläufiger Meinung ist die Sache mit der »Homosexualität« inzwischen in trockenen Tüchern. Aufgeklärte Gesellschaften haben gelernt, mit Homosexuellen zu leben und deren Diskriminierung abzulehnen. Geht also die jahrhundertealte Konfliktgeschichte zu Ende? In den Sexualwissenschaften schütteln viele mit dem Kopf. Geht man vom tatsächlichen Verhalten der Menschen aus, gelingt es nicht, eindeutig zwischen Homosexuellen und Heterosexuellen zu unterscheiden.

Norbert Reck hat sich mit Bibel, Geschichte, Psychoanalyse und Sexualwissenschaften auseinandergesetzt und kommt zu dem Schluss: Die Erfindung der »Homosexualität« war eine willkürliche Einteilung der Menschen im ordnungssüchtigen 19. Jahrhundert – mit negativen Folgen für die Betroffenen. Die Menschheit lässt sich nicht in unterschiedliche Arten des Begehrens einteilen – es gibt nicht das eine und das andere Ufer. Ein Debatten- und Aufklärungsbuch.

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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


I Die Hölle der Abstraktionen

II Die biblischen Texte: Von Sodom bis Paulus

1. Die Autorität der Bibel

2. Genesis 19,1–29

3. Levitikus 18 und 20

4. Paulus: Römer 1,22–31 und 1 Korinther 6,9–10

5. David und Jonatan, Rut und Noomi

III Von Sodom zur Sodomie

1. Sodom und Levitikus in jüdischen Schriften

2. Sodom im Neuen Testament

3. Sodom in der christlichen Literatur der Antike und des Mittelalters

4. Petrus Damiani

5. Sodomie: Ein Begriff lernt laufen

6. Unter dem Radar: Freundschaftsbünde

7. Die großen Umbrüche in der Neuzeit

IV Von der Sodomie zur Homosexualität

1. Vom Sex reden

2. Der neue wissenschaftliche Blick

3. Die Erfindung der Homosexualität

4. Krankschreibungen

5. Aussondern, heilen, morden

V Abschiede von der Kategorie der Homosexualität

1. Sigmund Freud

2. Alfred Kinsey

3. Mary McIntosh, Guy Hocquenghem und andere

VI Identität und Begehren

1. Die Zweiteilung der Menschheit

2. Die Institution der Heterosexualität

3. Homophobie

4. Die Bewegung der Schwulen und Lesben

5. Wie weiter?

VII Aufbrechen


I
Die Hölle der Abstraktionen
»Die meisten Menschen sind jemand anderes.« Oscar Wilde Nach landläufiger Meinung ist die Sache mit der Homosexualität inzwischen in trockenen Tüchern. Wer heute etwas auf sich hält, hält nichts von der Diskriminierung sogenannter »homosexueller« Menschen. Sind doch nette Nachbarn, sportliche Mädels, die Rennräder reparieren können, gutangezogene Jungs mit sauber gestutzten Dreitagebärten; sie sind bloß anders und sollen es sein dürfen. Die westlichen Staaten öffnen nach und nach die Ehe für sie und stellen Gleichberechtigung her. Nur ein paar Religionsgemeinschaften und Rechtsextreme machen noch unnötig Theater. Ist es nicht so? Die Mehrheit hält sich für tolerant und ist stolz darauf. Die Welt besteht anscheinend aus Heterosexuellen und Homosexuellen, und damit muss man leben können, nicht wahr? Gibt es irgendwo noch ein Problem? Ich fürchte, schon. Der Sexualwissenschaft zumindest ist es nie gelungen, eine Gruppe von lupenreinen Homosexuellen aufzutreiben, um deren Verhalten studieren zu können. Und noch schwieriger wurde es regelmäßig, wenn man eine »saubere« Kontrollgruppe von Heterosexuellen suchte, um die Unterschiede zwischen den Gruppen festzuhalten. Immer gerieten Leute dazwischen, die sich nicht zuverlässig an die Verhaltensnorm »ihrer« Gruppe hielten. Und manche wechselten ihre sexuellen Vorlieben im Lauf ihres Lebens auch mal komplett. Sind sie dann mit »homosexuell« oder »heterosexuell« treffend charakterisiert? Oder sind sie doch »jemand anderes«, wie Oscar Wilde sagte? Anders gefragt: Gibt es die beiden Gruppen in dieser Eindeutigkeit überhaupt? Werden mit diesen Begriffen die Unterschiede zwischen den Menschen nicht eher herbeidefiniert? Vor allem in Verbindung mit der populären Vorstellung, dass die Ursache dafür »in den Genen« liege? Und wenn man sagt: »Manche sind eben anders, aber das ist okay« – ist das noch Toleranz oder schon Diskriminierung? Oder ist das inzwischen dasselbe? In diesem Buch möchte ich der Frage nachgehen, woher es kommt, dass wir in unserer Kultur offenbar so interessiert daran sind, die Menschen verschiedenen sexuellen Sorten zuzuteilen (in anderen Kulturen kennt man das weniger). Ich möchte untersuchen, wie die Begriffe »Homosexualität« und »Heterosexualität« entstanden sind, woher der Hass mancher Menschen auf die »Homosexuellen« kommt und warum es anderen wiederum so wichtig ist zu erklären, dass im Grunde alle »okay« sind, nachdem man einen Teil der Menschheit erstmal für anders erklärt hat. Es ist ja ziemlich gewagt, die Milliarden Menschen, die auf diesem Planeten leben und die alle ihr eigenes und unverwechselbares Leben führen – mit den unterschiedlichsten Vorlieben, Träumen und Daseinsweisen –, einfach in zwei Gruppen einzuteilen: in Heterosexuelle und Homosexuelle (und allenfalls noch ein paar Bisexuelle). Ziemlich abstrakte Konzepte, wenn man an die Vielfalt der Menschen denkt. Von dem bosnischen Schriftsteller Dževad Karahasan (1953– 2023) habe ich gelernt, dass es wichtig ist, einen Blick für die Spannungen zwischen dem Konkreten und dem Abstrakten zu entwickeln. Karahasan sprach vor einigen Jahren im Bayerischen Landtag in München. Ihm ging es nicht um Sexualität. Sein Thema waren die Missverständnisse der Menschen im Westen hinsichtlich des verheerenden Krieges, der in den 1990er-Jahren in Bosnien und Herzegowina stattgefunden hatte. Er fand, dass westliche Journalisten, Politiker und Besucher dazu neigten, sein Land durch die Brille abstrakter Konzepte zu sehen. Sie redeten meist von »religiösen« und »ethnischen« Konflikten, von Auseinandersetzungen zwischen »den« Serben, »den« Bosniaken und »den« Kroaten. Auf diese Weise aber – so Karahasan – löst sich die Realität auf; es kommt zu einer totalen Vereinfachung, in der die Wirklichkeit durch eine Art »Unwirklichkeit« ersetzt wird: Am Ende gibt es nur noch ethnische Gruppierungen, die einander – anscheinend zwangsläufig – als Feinde gegenüberstehen. Die einzelnen Personen und ihre jeweiligen Geschichten verschwinden. Nur Zugehörigkeiten und Gruppenidentitäten bleiben übrig. Karahasan sagte damals: »Im öffentlichen Diskurs über Bosnien gab es keine einzelnen Menschen mehr, keine Bürger und Namen, keine Körper und Einzelschicksale – und dabei starben in Bosnien, wie überall, wo gestorben wird, nur einzelne Menschen.«1 Abstrakte Begriffe verstellen den Blick auf die konkrete Wirklichkeit. Zum Beispiel, dass etliche gemischte kroatisch-serbische Paare immer gut in Bosnien zusammengelebt haben. Zum Beispiel, dass viele serbische Einwohner von Sarajevo die Jahre der Belagerung (durch serbische Truppen) gemeinsam mit ihren Mitbürgern durchgestanden haben, mit demselben Mangel an Nahrung und Wasser, unter denselben Gefahren. Und zum Beispiel, dass manche bosniakische (muslimische) Familien verwaiste kroatische (katholische) Kinder bei sich aufnahmen und für sie sorgten. Sobald diese Einzelgeschichten nicht mehr gesehen und nicht mehr erzählt werden, landen wir in der Hölle – in der »Hölle der Unwirklichkeit«, wie Karahasan sagt. Dann ist unsere konkrete Wirklichkeit gegenüber den abstrakten Begriffen bedeutungslos. Wir nehmen einander nicht mehr als Menschen wahr, sondern als Repräsentanten von Gruppen. Die Bezeichnungen »Bosniake«, »Serbe« und »Kroate« definieren dann, zu welcher Seite jemand gehört: je nach Perspektive zu den Guten oder zu den Bösen.* Der Begriff fällt ein Urteil über die so bezeichneten Menschen, ganz gleich, wie sie ihr Leben tatsächlich leben. Für Außenstehende kann das praktisch sein. Man kann die unübersichtliche Welt mit Begriffen ordnen, ohne sich davon irritieren zu lassen, dass diese Abstraktionen nur von fern mit der Wirklichkeit zu tun haben. Diejenigen aber, die auf diese Weise mit solchen Gruppenbegriffen etikettiert werden, empfinden dieses Eingeteiltwerden oft als verstörend oder verletzend. Das gilt in ähnlicher Weise, wenn wir von »Homosexuellen« reden: Wir ordnen Menschen einer Gruppe zu, die durch ihr Anderssein definiert ist. Umgehend übernehmen Klischees die Regie des Denkens. Ganz gleich, ob wir sie dann verurteilen oder mit Wohlwollen betrachten – sie sind damit schon als »anders« qualifiziert. Sie sind zu einer Abstraktion geworden; ihr konkretes Leben – was sie mögen, was sie interessiert, was sie ablehnen – spielt für die Diskussion keine Rolle mehr. Wir meinen, schon zu wissen, womit wir es zu tun haben. Und das hat nicht nur für die als homosexuell bezeichneten Menschen Konsequenzen, sondern auch für alle anderen. Die Begriffe zwingen alle, sich zuzuordnen: Was bist du? Homosexuell oder heterosexuell? Bist du einer von denen oder einer von uns? Von diesem oder vom anderen Ufer? In unserer Kultur wird von allen erwartet, darauf eine Antwort zu geben. * Ich fürchte, es wird nichts besser, wenn wir diese Etiketten dann noch »gendern«, d. h. wenn wir zusätzlich von Bosniakinnen, Serbinnen und Kroatinnen sprechen. Eher wird damit das Schubladendenken bestätigt und noch erweitert. Ich bin ein Anhänger des angelsächsischen Feminismus, der die Unterschiede zwischen den Menschen und Geschlechtern sprachlich nicht zementieren will, sondern eine grundsätzliche Gleichbehandlung anstrebt. Nele Pollatschek hat es auf den Punkt gebracht: »Wer will, dass Männer und Frauen gleich behandelt werden, der muss sie gleich benennen.« Mehr dazu in ihrem Essay: Deutschland ist besessen von Genitalien. Gendern macht die Diskriminierung nur noch schlimmer, in: Tagesspiegel, 30. August 2020. Der Text ist unter seinem Titel leicht im Internet zu finden. Solche Konzepte sind weder unschuldig noch neutral. Sie sagen uns, wie wir angeblich sind – oder wie wir zu sein haben. Sie ordnen uns Gruppen zu, zu denen wir vielleicht nicht unbedingt gehören wollen. Sie üben Macht über uns aus. Kurz: Sie führen uns in die Hölle der Abstraktionen. Hier finden wir nur wieder heraus, wenn wir uns die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte dieser Konzepte bewusstmachen. Deshalb möchte in den folgenden Kapiteln – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – einige Stationen dieser Geschichte ansprechen: von den ältesten biblischen Texten über bedeutende Veränderungen im Mittelalter bis zu den rasanten Umbrüchen im Denken seit Beginn der Moderne. Als ich vor etlichen Jahren anfing, mich mit diesen Dingen zu beschäftigen, hielt ich »Homosexualität« noch für einen neutralen, wissenschaftlichen Begriff, mit dessen Hilfe man verschiedene Epochen der Geschichte untersuchen könne. Doch das war ein Irrtum. Gewiss hat es Sex und Liebe zwischen Menschen des gleichen Geschlechts zu allen Zeiten und in allen Kulturen gegeben, aber der Begriff »Homosexualität« ist eine spezielle Brille, mit der man die Geschichte mithilfe der modernen Vorstellung sieht, dass wir es bei den Menschen mit zwei von der Natur festgelegten Arten zu tun haben:...


Norbert Reck, geb. 1961, Dr. theol., ist freier Autor und Übersetzer. Er ist Mitglied im Gesprächskreis Juden und Christen beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Von 2000 bis 2016 war er verantwortlicher Redakteur der deutschen Ausgabe der internationalen Zeitschrift »Concilium«. Beiträge von ihm zur Queer-Theorie erschienen u. a. im Queer-Magazin »Siegessäule« (Berlin), in der Zeitschrift »Werkstatt Schwule Theologie« und im Info-Rundbrief der ökumenischen Arbeitsgruppe »Homosexuelle und Kirche« (HuK e. V.).



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