Rees | Der geheime Code der Frauen | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 528 Seiten

Rees Der geheime Code der Frauen

Roman
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-8412-2548-1
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 528 Seiten

ISBN: 978-3-8412-2548-1
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Miss Graham und die Kunst der Spionage.

Deutschland im Jahr 1946. Für den britischen Geheimdienst ist Edith Graham die perfekte Spionin - sie ist jung, alleinstehend und spricht Deutsch. Ihre heikle Aufgabe: Sie soll den Arzt Kurt von Stavenow finden, ausgerechnet den Mann, mit dem sie vor dem Krieg eine Liebesaffäre hatte. Bald erkennt Edith, dass von Stavenow ein Kriegsverbrecher ist - und dass die Briten ihn nicht suchen, um ihn vor Gericht zu stellen, sondern dass sie sich vor allem für seine Forschungsergebnisse interessieren. An eine Freundin beim Geheimdienst schickt Edith daher codierte Berichte, um dafür zu sorgen, dass von Stabenow nicht davonkommt. Doch damit bringt sie sich in höchste Gefahr ... 



Celia Rees ist einer der erfolgreichsten Jugendbuchautoroinnen Großbritanniens; ihre Bücher wurden bisher in 28 Sprachen übersetzt. 'Der geheime Code der Frauen' ist ihr erstes Buch für ein größeres, erwachsenes Publikum.

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1

Regierungsbüros
Marylebone


31. Dezember 1945

Kennen Sie diesen Mann?«

Edith Graham erwiderte den Blick aus unerbittlichen Augen, der sie musterte, blickte dann nach unten auf das Foto. Ein griechischer Kouros im Cricketpullover, ein junger Mann in der Blüte seiner Jugend, hatte sie gedacht, als sie sich an diesem Nachmittag in ihn verliebte. Sie erinnerte sich, dass das Foto 1932 aufgenommen worden war. Die Parks in Oxford. Er stand an der Ecke des Spielfeldes, Hände in den Hosentaschen, Gesicht im Profil, blondes Haar, das von einer hohen Stirn geweht wurde. Schatten formten sich unter seinen Brauen und akzentuierten seine hohen Wangenknochen. Die Stirn leicht gerunzelt, war sein Mund ein gerader Strich.

»Doch, ja, ich kenne ihn. Das ist Kurt von Stavenow.«

»Sind Sie sicher?«

»O ja, ganz sicher.«

»Und ihre Beziehung

»Wir … wir waren eine Weile lang ein Paar …«

Die Frau machte sich mit ihrem grün marmorierten Sheaffer eine Notiz. Edith beließ es dabei. Sie würde sich dieser strengen Fremden mit ihren kalten, abschätzenden Augen nicht anvertrauen.

»Wie lange?«, fragte sie im Ton von jemandem, der die Antwort längst kannte.

»Nicht lange. Ein Jahr vielleicht«, antwortete Edith. Er war ihre erste Liebe gewesen, die einzige wahre Liebe, um genau zu sein. Merkwürdig, dass ihre Zeit so kurz bemessen war. In ihren gesammelten Erinnerungen nahm sie einen viel größeren Platz ein.

Die Frau machte sich noch eine Notiz, legte ihren Stift beiseite und musterte Edith wieder, Kopf zur Seite geneigt. Sie war außerordentlich gutaussehend, schwarzes Haar, aus einem bleichen Porzellangesicht nach hinten gekämmt, große, dunkle Augen, schräg und leicht verhangen. Sie trug roten Lippenstift, den Farbton, den Ediths Schwester Louisa bevorzugte, ansonsten nur sehr wenig Make-up. Ihr Mund ließ vermuten, dass sie selten lächelte. Ihr dunkelgraues Kostüm war mit der Strenge einer gutgeschneiderten Uniform geschnitten. Jeder Anflug von Maskulinität wurde von einer elfenbeinfarbenen Seidenbluse zerstreut, deren Peter-Pan-Kragen mit einer kleinen Perlenbrosche durchstochen war. Edith bewunderte die Raffinesse. Ich bin eine Frau von gewissem Rang in einer Männerwelt, sagte das Outfit.

Die Frau führt eine Hand zum Hals, als würde sie sich unbewusst gegen Ediths prüfenden Blick zur Wehr setzen.

»Ich frage mich«, durchbrach Edith die Stille, »was das alles zu bedeuten hat?«

»Sie sind hier, um Fragen zu beantworten, nicht, um welche zu stellen.«

Edith hatte keine Vorstellung, warum sie hier war oder wo auch nur »hier« war.

Sie war von der Kontrollkommission, Germany Headquarters in Kensington, hierhergebracht, ohne Erklärung aus ihrem abschließenden Briefing geholt und wortlos von einem jungen Mann in Doppelreiher und Wächterkrawatte abgeliefert worden. Er hatte lediglich auf den Eingang mit den Säulen gewiesen.

»Erster Stock, Gang links.«

Es handelte sich wohl um Regierungsbüros, obwohl die Proportionen für Büros unpassend waren: der Gang zu breit, die Decken zu hoch. Der Raum, in dem sie sich befanden, könnte einmal ein herrschaftliches Wohnzimmer gewesen sein. Ein Gasofen hockte winzig in einem ausladenden Kamin, der durch seinen höhlenartig gähnenden Abzug sämtliche Wärme schluckte, und man hörte durch eine dünne Trennwand aus Sperrholz das gedämpfte Geklapper einer Schreibmaschine. Keine Namensschilder an den Büros, keine Nummern an den Türen. Musste irgendetwas mit Cousin Leo zu tun haben. Edith würde darauf wetten. Sie waren Cousin und Cousine zweiten Grades, aber zusammen aufgewachsen, weil ihre Mütter sich sehr nahestanden. Leo blieb bei seiner Arbeit für die Regierung immer vage, aber jeder wusste, dass sie streng geheim war.

Edith blickte auf einen leeren Schreibtisch, darauf nichts als ein Schreibblock, ein Füller und zwei braune Umschläge. Die Frau dahinter öffnete den zweiten Umschlag, und Edith erhaschte einen Blick auf ihr eigenes Passfoto.

»Sie werden bald nach Deutschland gehen, um eine Stellung bei der Kontrollkommission, Abteilung Erziehung, aufzunehmen«, las die Frau aus der Akte vor. »Trifft das zu?«

Sie sprach jetzt Deutsch. Edith antwortete in derselben Sprache. Die Befragung nahm eine andere Richtung.

»Vorher haben Sie an einer Oberschule für Mädchen gearbeitet und Moderne Sprachen unterrichtet?«

Edith stimmte wieder zu.

»Wie lange?«

Edith beantwortete die Frage und ging die Stationen ihrer Ausbildung durch: ihr Abschluss in Deutsch am Bedford College in London. Die Zeit, die sie in Deutschland verbracht hatte, Daten und Orte. Schließlich kehrte sie zu ihrer Bewerbung für die Kontrollkommission Deutschland zurück. Warum?

»Warum was?«

»Warum haben Sie sich beworben? Das ist eine einfache Frage, Miss Graham.«

»Das sind oft die schwersten«, sagte sie. Ihr Lächeln wurde nicht erwidert. »Ich habe den Krieg in der Heimat verbracht. Für mich ist das eine Gelegenheit, mich nützlich zu machen, einen Beitrag zu leisten.«

Sogar in ihren Ohren klangen ihre Worte trivial, banal. Wie konnte diese Frau mit ihrer wichtigen Arbeit, beschäftigt mit Wunder was, auch nur ansatzweise die Langeweile einer leitenden Lehrerin einer Oberschule für Mädchen in der Provinz verstehen, mit ihrer Zuständigkeit für Sprachen, alte und neue, und für die Unterstufe. Und wenn sie damit nicht beschäftigt war, kümmerte sie sich um ihre Mutter, während scheinbar alle anderen unterwegs waren und etwas taten. Gefährlich, vielleicht sogar lebensgefährlich, aber wenigstens aufregend.

Im Rückblick wirkte diese Zeit, die Kriegszeit, wie eine geballte Masse, wie die erstarrten Klumpen von Metall und Glas, die man nach einem Angriff fand, unmöglich festzustellen, wo ein Teil anfing und ein anderes aufhörte. Und so war es auch mit der Aufeinanderfolge der Tage. Selbst die Angriffe waren von ermüdender Gleichförmigkeit. Das trostlose Heulen der Sirenen, Mutter in den Schutzraum bringen und wieder zurück, das Horchen auf das Dröhnen der Bomber mit ihrer nervenaufreibenden Mischung aus Grauen und Langeweile, weil man nicht wusste, wann sie erneut kommen würden, wie lange es dauern würde und wann es vorüber war. Dann ein, zwei Stunden unruhigen Schlafes, bevor wieder der anstrengende Arbeitsweg zu Fuß oder mit dem Rad anstand, bei dem Gips- und Ziegelstaub in der Luft hing, der überall einen feinen Film hinterließ und Mutters unermüdliches Staubwischen und Putzen sinnlos erscheinen ließ. In manchen Nächten, wenn sie ihre Mutter im Schutzraum in Sicherheit gebracht hatte, kehrte sie in ihr Bett zurück, unbekümmert darum, ob sie in tausend kleine Stücke gebombt würde, manchmal sich regelrecht danach sehnend. Die einzige Abwechslung waren ihre seltenen Ausflüge nach London zu Leo gewesen.

»Und wie sind sie auf die Kontrollkommission gekommen?«

»Ein Kollege, Frank Hitchin.«

»Wer ist er?«

»Meine Entsprechung in der Abteilung für Sprachen in der Jungenschule.«

»Sie suchen Lehrer«, hatte Frank gesagt, »Leute, die Deutsch sprechen und dorthin gehen, um in dem Kuddelmuddel zu helfen, das dort herrschen muss, nachdem alles vorüber ist. Ich werde es versuchen. Wahrscheinlich nehmen sie auch Frauen. Junggesellinnen, weißt du? Keine Bindungen und nichts, was sie hält. Frei und ungebunden.« Er blinzelte. »Warum bewirbst du dich nicht?«

Frei und ungebunden? Wenn der wüsste!

Sie war an diesem Abend nach Hause geradelt, hatte ihr Rad in der Garage abgestellt, während Mutter schon am Gartentor wartete. Dann Kakao und die Sechs-Uhr-Nachrichten im Radio. Weitere V2-Raketen über London, aber die Alliierten hatten den Rhein überquert, die Russen standen an der Oder. Der Krieg war doch sicher bald zu Ende? »Dann wird alles wieder normal«, hatte ihre Mutter zufrieden verkündet, als sie bei ihrer Strickarbeit eine neue Reihe begann. Damit hatte sie gemeint wie früher. Für Edith fühlte sich die Aussicht auf Frieden wie eine zuschnappende Falle an. Die Kontrollkommission bot einen Ausweg. Für eine Junggesellin und Lehrerin in ihren Dreißigern kamen solche Gelegenheiten nicht oft. Sie war ebenso qualifiziert wie Frank Hitchin und hatte vor dem Krieg einige Zeit in Deutschland verbracht, mehr als er jedenfalls.

Ihrer Familie gegenüber hatte sie kein Wort davon erwähnt. Sie hätten sie nur abgehalten.

Sie hatte umgehend Antwort erhalten, Formulare zum Ausfüllen, ein Bewerbungsgespräch. Niemand zu Hause hatte auch nur die geringste Ahnung. Sie sagte es ihnen nicht, bis es zu spät war und sie die Kündigung eingereicht hatte.

»Und was wird Ihre Arbeit umfassen? Unterrichten?«

»Unterrichten werden die Deutschen«, antwortete Edith und bezog sich damit auf die Einsatzbesprechung an diesem Tag. »Wir sind dort als Verwalter. Inspektoren. Unsere Arbeit wird darin bestehen, zerstörte Schulen wiederaufzubauen und ans Laufen zu bringen. Personal zu überprüfen, Kinder einzuweisen.«

»Ich verstehe.« Die Frau blickte wieder in die Akte. »Und eine hohe Position. Senior Officer entspricht dem Rang eines Lieutenant Colonel.« Sie lehnte sich zurück, Fingerspitzen aneinandergelegt, abwägend. Dann lächelte sie. »Sie sprechen sehr gut Deutsch«, sagte sie auf Englisch. »Sehr flüssig mit einem guten Akzent.«

Edith nickte dankend...



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