Rushdie | Luka und das Lebensfeuer | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 272 Seiten

Rushdie Luka und das Lebensfeuer

Roman
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-641-21897-3
Verlag: Penguin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 272 Seiten

ISBN: 978-3-641-21897-3
Verlag: Penguin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Salman Rushdie erhält den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2023 'für seine Unbeugsamkeit, seine Lebensbejahung und dafür, dass er mit seiner Erzählfreude die Welt bereichert.' (Aus der Begründung der Jury)
Alles beginnt mit einem Zirkusbesuch: Aus Tierliebe verflucht der zwölfjährige Luka den grausamen Zirkusdirektor Captain Aag. In derselben Nacht bricht im Zirkus ein Brand aus, und die Tiere wagen den Aufstand. Zwei von ihnen - Hund, der Bär, ein begnadeter Tänzer, und Bär, der Hund, ein begabter Sänger - nehmen Zuflucht bei Luka. Sie werden seine besten Freunde.

Doch Aag schwört Rache. Bald nach dem Brand fällt Raschid in einen tiefen Schlaf und wacht nicht mehr auf. Nur wenn Luka das große Lebensfeuer holt und es seinem Vater verabreicht, kann er ihn retten ...

Salman Rushdie, 1947 in Bombay geboren, ging mit vierzehn Jahren nach England und studierte später in Cambridge Geschichte. Mit seinem Roman 'Mitternachtskinder', für den er den Booker Prize erhielt, wurde er weltberühmt. 1996 wurde ihm der Aristeion-Literaturpreis der EU für sein Gesamtwerk zuerkannt. 2007 schlug ihn Königin Elizabeth II. zum Ritter. 2022 ernannte ihn das deutsche PEN-Zentrum zum Ehrenmitglied. 2023 wurde er mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.

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Schreckliches geschah in jener schönen,
sternenhellen Nacht


Es war einmal im Lande Alifbay in der Stadt Kahani, da lebte ein Junge namens Luka, der hatte zwei Haustiere, einen Bären namens Hund und einen Hund namens Bär, weshalb jedes Mal, wenn er «Hund!» rief, der Bär gutmütig zu ihm gewackelt kam, und wenn er «Bär!» rief, sprang ihm der Hund entgegen und wedelte mit dem Schwanz. Hund, der braune Bär, konnte manchmal ein bisschen barsch und bärbeißig sein, doch war er ein toller Tänzer, der sich gern auf die Hinterbeine stellte, um mit Grazie und Anmut einen Walzer zu tanzen, eine Polka oder Rumba, den Watusi oder Twist, aber auch Tänze, die von nicht ganz so weit herkamen, den gestampften Bhangra, den gewirbelten Ghumar (für den er einen weiten, mit Pailletten besetzten Rock anzog), den berühmten Kriegertanz Spaw oder den Thang-ta, den Pfauentanz aus dem Süden. Bär der Hund war ein schokoladenbrauner Labrador, ein sanftmütiger, freundlicher Hund, wenn auch leicht aufbrausend und manchmal zu nervös. Er konnte überhaupt nicht tanzen und hatte, wie man so sagt, vier linke Füße, doch besaß er wie zum Ausgleich für diese Ungelenkigkeit die Gabe des absoluten Gehörs, weshalb er lauthals Lieder schmettern und ohne einen schiefen Ton die Melodien der bekanntesten Songs jaulen konnte. Bär der Hund und Hund der Bär waren für Luka schon bald mehr als nur Haustiere. Sie wurden zu seinen engsten Verbündeten und treuesten Beschützern, ja, sie passten so gut auf ihn auf, dass kein Mensch auch nur im Traum daran dachte, ihm Ärger zu machen, wenn sie in seiner Nähe waren, nicht einmal sein fieser Klassenkamerad Rattenschiet, der nur selten etwas Gutes im Schilde führte.

Wie aber kam es, dass Luka solch ungewöhnliche Gefährten fand? Nun, er war zwölf Jahre alt, als eines schönen Tages ein Zirkus in die Stadt zog, und zwar nicht irgendein Zirkus, sondern der GroRiFe, der Große Ring des Feuers höchstselbst, der gefeiertste Zirkus von ganz Alifbay mit seiner «berühmten, sagenhaften Feuerillusion». Deshalb war Luka ja auch so bitter enttäuscht, als ihm sein Vater, der Geschichtenerzähler Raschid Khalifa, sagte, sie würden nicht zur Vorstellung gehen. «Bei diesem Zirkus sind sie nicht nett zu den Tieren», erklärte Raschid. «Der GroRiFe mag seine Glanzzeiten gehabt haben, seither aber ist er tief gesunken.» Die Löwin habe Zahnfäule, erzählte Raschid seinem Sohn, das Tigerweibchen sei blind, die Elefanten seien hungrig, und auch dem Rest der Menagerie gehe es hundsmiserabel. Der Direktor des Großen Rings des Feuers sei der mächtige, furchterregende Captain Aag, den man auch den Flammengroßmeister nannte. Die Tiere fürchteten sich so sehr vor dem Knall seiner Peitsche, dass sie alle – die Löwin mit den Zahnschmerzen, die blinde Tigerin und die mageren Elefanten – immer wieder durch Reifen sprangen, sich tot stellten und Dickhäuterpyramiden bauten, weil sie Angst hatten, Aag könnte wütend werden, war er doch ein Mann, den man schnell wütend machen, aber nur selten zum Lachen bringen konnte. Und selbst die Löwin traute sich nicht zuzubeißen, wenn er ihr seinen Zigarre rauchenden Kopf ins klaffende Maul steckte, weil sie fürchtete, der Kopf könnte noch in ihrem Bauch beschließen, sie aufzufressen.

Raschid, der wie gewöhnlich ein grellbuntes Buschhemd (heute war es zinnoberrot) und dazu seinen geliebten, reichlich ramponierten Panamahut trug, holte Luka von der Schule ab und hörte sich auf dem Heimweg an, was es zu erzählen gab. Luka hatte vergessen, wie die Südspitze von Südamerika heißt, und sie im Erdkundetest «Hawaii» genannt. Dafür hatte er in der Geschichtsprüfung den Namen des ersten Präsidenten seines Landes gewusst und ihn richtig buchstabiert. Im Sport wurde er von Rattenschiet mit dem Hockeyschläger am Kopf getroffen, aber Luka hatte zwei Tore geschossen und die gegnerische Mannschaft besiegt. Außerdem hatte er endlich gelernt, mit den Fingern zu schnipsen, dass es richtig schön knallte. Also hatte der Tag seine guten wie schlechten Seiten gehabt und war bislang gar nicht mal übel gewesen, allerdings sollte er noch zu einem wirklich bedeutsamen Tag werden, denn in diesem Moment sahen sie den Zirkus zum Ufer des mächtigen Silsila ziehen, wo das große Zelt aufgebaut werden sollte. Der Silsila war ein breiter, träger, ekliger Fluss, der mit seinem schlammigen Wasser nahe an ihrem Haus vorbei und durch die ganze Stadt floss. Der Anblick der griesgrämigen Kakadus in ihren Käfigen und der traurigen Dromedare, die sich grunzend über die Straße schoben, rührte Lukas selbstloses junges Herz. Am allertraurigsten aber fand er den Anblick eines Käfigs mit einem hundeelendigen Hund und einem bekümmerten Bären, die beide jammervoll in die Gegend starrten. Den Schluss des Zugs bildete Captain Aag mit fiesen, schwarzen Piratenaugen und wildem Barbarenbart. Urplötzlich wurde Luka wütend (dabei war er ein Junge, der selten wütend wurde, aber schnell zum Lachen gebracht werden konnte). Als der Flammengroßmeister auf einer Höhe mit Luka war, schrie der Junge aus Leibeskräften: «Mögen deine Tiere dir nicht länger gehorchen und die Feuerringe dein blödes Zelt verbrennen!»

Ein unerklärlicher Zufall wollte es jedoch, dass der Augenblick, in dem Luka wütend aufschrie, einer jener seltenen Momente war, in dem sämtliche Geräusche der Welt zugleich verstummen, kein Auto mehr hupt, kein Motorrad mehr knattert, das Kreischen der Vögel in den Bäumen stockt und jedermann zu reden aufhört. In diese magische Stille hinein tönte Lukas Stimme so laut und deutlich wie Kanonendonner, und seine Worte schwollen an, bis der ganze Himmel voll davon war und sie vielleicht sogar den Weg bis zum unsichtbaren Palast der Schicksalsgöttinnen fanden, die manchen Menschen zufolge die Welt regieren. Captain Aag zuckte zusammen, als hätte er einen Schlag ins Gesicht bekommen, starrte Luka direkt in die Augen und musterte ihn mit solch brennendem Hass, dass es den Jungen fast von den Füßen gerissen hätte. Gleich darauf machte die Welt jedoch wieder ihren gewohnten Lärm, der Zirkus zog weiter, und Luka ging mit Raschid zum Abendbrot nach Hause. Lukas Worte aber hingen noch in der Luft und taten weiter ihr geheimes Werk.

An jenem Abend meldeten die Fernsehnachrichten, es sei im GroRiFe zu einem erstaunlichen Vorfall gekommen: Sämtliche Tiere hatten sich geweigert, im Zirkus aufzutreten. Zur Verblüffung der Clowns wie auch der Besucher hatten sich die Tiere in einem rappelvollen Zelt mit beispiellosem Trotz gegen ihren Direktor aufgelehnt. Der Flammengroßmeister stand inmitten der drei großen Feuerringe, bellte Befehle und ließ die Peitsche knallen, doch als er die Tiere langsam und entschlossen, wie eine Armee im Gleichschritt, auf sich zukommen sah und merkte, dass sie sich aus allen Richtungen näherten, um einen tierischen Ring der Wut um ihn zu schließen, da gingen die Nerven mit ihm durch; wimmernd sank er auf die Knie und bettelte um sein Leben. Das Publikum buhte ihn aus und warf Obst und Kissen in die Arena, dann härtere Sachen, Steine zum Beispiel, Walnüsse und Telefonbücher. Aag wandte sich ab und trat die Flucht an. Die Tiere öffneten eine Gasse, um ihn durchzulassen, und weinend wie ein Baby rannte er davon.

Das war der erste erstaunliche Vorfall; der zweite fand noch in derselben Nacht, wenn auch etwas später, statt. Gegen Mitternacht gab es ein Geräusch, ein Geräusch wie das Rauschen und Rascheln von einer Milliarde Herbstblätter, gar von einer Milliarde Milliarde Blätter, ein Geräusch, das sich vom Zirkuszelt am Ufer des Silsila bis zu Lukas Schlafzimmer ausbreitete und ihn weckte. Als er aus dem Fenster blickte, sah er, dass das Zelt auf dem Feld am Silsila in Flammen stand. Die großen Feuerringe brannten lichterloh, und das war keine Illusion.

Lukas Fluch hatte funktioniert.

Zum dritten erstaunlichen Vorfall kam es am nächsten Morgen. Ein Hund mit einer Marke um den Hals, auf der Bär stand, und ein Bär mit der Marke Hund klingelten an Lukas Tür – erst später sollte sich Luka fragen, wie sie eigentlich den Weg zu ihm gefunden hatten –, und Hund der Bär wirbelte und walzte vor Freude, während Bär der Hund ein Liedchen jaulte, bei dem es jedermann in den Füßen juckte. Luka, sein Vater Raschid Khalifa, seine Mutter Soraya und sein älterer Bruder Harun liefen zur Haustür, während Miss Oneeta, die über ihnen wohnte, von ihrer Veranda herabrief «Passt auf! Wenn Tiere singen und tanzen, dann ist bestimmt Zauberei im Spiel!» Soraya Khalifa lachte nur. «Die Tiere feiern ihre Freiheit», antwortete sie. Raschid jedoch setzte eine ernste Miene auf und erzählte seiner Frau von Lukas Fluch. «Mir scheint», meinte er, «wenn hier einer gezaubert hat, dann ist das unser junger Luka gewesen, und diese guten Tiere sind gekommen, um sich bei ihm dafür zu bedanken.»

Die übrigen Zirkustiere flohen in die Wildnis und wurden nie mehr gesehen, Hund und Bär aber waren gekommen, um zu bleiben. Sie hatten sich sogar etwas zum Futtern mitgebracht. Der Bär hatte einen Eimer Fische dabei, und der Hund trug ein Mäntelchen mit den Innentaschen voller Knochen. «Warum nicht?», rief Raschid Khalifa fröhlich. «Beim Geschichtenerzählen könnte ich gut ein bisschen Hilfe gebrauchen. Geht doch nichts über eine Tanzliednummer mit Hund und Bär, um die Aufmerksamkeit des Publikums zu fesseln.» Und so war es abgemacht. Das letzte Wort behielt jedoch Lukas Bruder Harun. «Ich wusste, dass das bald passiert», sagte er an diesem Abend zu Luka. «Du hast das Alter erreicht, in dem man in unserer Familie die Grenze zur magischen Welt überquert. Jetzt bist also du mit einem Abenteuer an der Reihe – ja, endlich ist es so weit. Allem Anschein nach hast du...


Robben, Bernhard
Bernhard Robben, geboren 1955, ist seit 1992 als Übersetzer tätig. Er übertrug und überträgt u.a. die Werke von Ian McEwan, John Burnside, John Williams und Salman Rushdie ins Deutsche. 2003 wurde er mit dem Straelener Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW ausgezeichnet, 2013 mit dem Ledig-Rowohlt-Preis für sein Lebenswerk geehrt. Er lebt in Brunne, Brandenburg.

Rushdie, Salman
Salman Rushdie, 1947 in Bombay geboren, ging mit vierzehn Jahren nach England und studierte später in Cambridge Geschichte. Mit seinem Roman »Mitternachtskinder«, für den er den Booker Prize erhielt, wurde er weltberühmt. 1996 wurde ihm der Aristeion-Literaturpreis der EU für sein Gesamtwerk zuerkannt. 2007 schlug ihn Königin Elizabeth II. zum Ritter. 2022 ernannte ihn das deutsche PEN-Zentrum zum Ehrenmitglied. 2023 wurde er mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.



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