Scheuermann Shanghai Performance
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-89561-962-5
Verlag: Schöffling
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 312 Seiten
ISBN: 978-3-89561-962-5
Verlag: Schöffling
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Silke Scheuermann, geboren 1973 in Karlsruhe, lebt bei Frankfurt am Main. Für ihre Gedichte, Erzählungen und Romane erhielt sie zahlreiche Stipendien und Preise, unter anderem das Stipendium der Villa Massimo in Rom (2009) sowie den Hölty-Preis für Lyrik der Landeshauptstadt und der Sparkasse Hannover (2014). Im Wintersemester 2012/13 hatte sie die Poetikdozentur in Wiesbaden inne. Zuletzt wurde sie mit dem Bertolt-Brecht-Preis 2016, dem Robert Gernhardt Preis 2016 und dem Georg-Christoph-Lichtenberg-Preis 2017 ausgezeichnet.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Erstes Kapitel
Als ich noch jünger war und vieles für selbstverständlich nahm, sagte der Galerist, bei dem ich gerade jobbte, etwas zu mir, an das ich mich später häufig erinnerte: »Unterschätzen Sie niemals, dass Sie eine Frau sind, die gut aussieht. Nicht unbedingt schön, nein, nicht so, dass es jemandem Angst machte und sie niemand anspräche, aber eben überdurchschnittlich. Das ist ein Kapital.«
Ich kündigte ihm keine drei Wochen später. Mit neunzehn Jahren war ich zwar eitel, aber auch ehrgeizig, und es beleidigte mich, dass es nicht meine Arbeit war, die er lobte, sondern etwas, für das ich so offensichtlich nichts konnte; genauso gut, dachte ich damals, hätte er mich für die Existenz von Damien Hirst, Joseph Beuys oder der klassischen Moderne verantwortlich machen können. Ich fand ihn albern und oberflächlich und ging, anstatt ihm dafür dankbar zu sein, dass ich auch ohne Abschluss bei ihm arbeiten und Erfahrungen im Kunstgeschäft sammeln konnte. Man ist so maßlos, wenn man jung ist. Komplimente betrachtet man als Unverschämtheit, erst viel zu spät ist man froh darüber– wenn man merkt, dass sie ausbleiben. Vielleicht reagierte ich auch so heftig, weil ich ahnte, welche Dunkelheit auf mich zukam, welche Trauer– als hätte die Vergangenheit sich aufgelöst in lauter Teile, die nicht zusammengehörten, und ich stieße hier und da auf Gegenstände aus einer anderen Zeit; am helllichten Tag erschrecken sie einen: ein altes Foto, das in dem lange nicht mehr geöffneten Buch liegt, eine Haarspange, die von einem Tag auf den anderen im Spiegel lächerlich kindlich wirkt, ein Brief, der vor Jahren hinter den Schrank gefallen ist, eine verzerrte Erinnerung im Schlaf, Dinge, die an andere Zusammenhänge erinnern. Ich gebe zu, dass ich mir das womöglich einrede, im Nachhinein, um nicht eingestehen zu müssen, wie oberflächlich ich war, wie beleidigt von nichts und wieder nichts.
Es war ein exquisites Ausstellungshaus, das ich verließ, aber es gab andere. Ich vergaß diese Galerie, so wie ich viele Jobs während des Studiums vergaß. Da ich mich schnell langweilte, wechselte ich die Anstellungen häufig. Als ich gerade meine Doktorarbeit über die von mir bewunderte Performancekünstlerin Margot Winkraft angemeldet hatte, erfuhr ich, dass sie eine Assistentin suchte. Ich war mir vollkommen sicher, es geschickter anzustellen als alle anderen. Anstatt mich unter Hunderte internationaler Bewerberinnen einzureihen, ergatterte ich den Auftrag eines Kunstmagazins, sie zu interviewen, und bereitete mich akribisch auf das Gespräch vor. Es klappte. Man muss die Leute glauben machen, dass sie es sind, die die Ideen haben, das ist der ganze Trick, merkte ich mir.
Später begriff ich, dass Margot sehr wohl den Zusammenhang zwischen meinem Auftauchen und der offenen Stelle hergestellt hatte, ja, dass ich nicht einmal die Einzige gewesen war, die sich mit irgendeinem Trick ein unverbindliches Treffen erschummelt hatte. Es sah Margot ähnlich, dass sie die Geschichte Jahre später, rein zufällig vor einer Menge Leute, erwähnte, und mir, dass ich mit rotem Kopf mitlachte.
Ich lernte Margot kennen und wusste sofort, dass sie alles verkörperte, wonach ich mich sehnte. Sie glaubte, wie ich mir immer gewünscht hatte zu glauben, nur dass ich nichts Eigenes hatte, das ich entwickeln, für das ich leben konnte. Margots Projekt wurde meines. Unter ihren Mitarbeiterinnen, sagte sie manchmal, sei ich seit langem die engagierteste, das sagte sie so lange, bis ich es glaubte. Und es stimmte ja auch, dass ich all meine Kraft in jedes ihrer Projekte steckte– in alle bis auf eins, das Chinaprojekt, aber auf die Gründe dafür komme ich noch.
Es geht Margot in ihrer Kunst ausschließlich um eines, und das ist Schönheit. Sie ist davon besessen. Ich meine nicht nur die Schönheit des weiblichen Körpers, dessen Verletzlichkeit, dessen unvermeidlichen Verfall sie in ihren Installationen immer aufs Neue inszeniert oder vielmehr beklagt. Ich meine, dass ihr gesamtes Leben seit jeher darin bestand, nach Schönheit zu suchen. Sie nennt sich eine »Angestellte des Lichts«. Ich erinnere mich, wie ich sie einmal, als ich noch nicht lange für sie arbeitete, telefonieren hörte. Sie klang ungeduldig. »Was ich mit einer Zusammenfassung von Licht meine? Das liegt doch auf der Hand, meine Liebe. Ich meine: zärtliches, gefährliches, traumhaftes, lebendes, totes, klares, nebliges, heißes, grausames, nacktes, plötzliches, frühlingshaftes, fallendes, gerades, schiefes, sinnliches, gedämpftes, giftiges, beruhigendes, fallendes Licht. Das ist es, was ich vom Raum will!« Bei jeder anderen Person, die ich kenne, hätte das exaltiert, ja sogar affektiert gewirkt, bei Margot wirkte es, als erinnerte sie den Zuhörer nur an etwas, das er insgeheim schon seit langem wusste, das nur in ihm verschüttet war. Sie war klein und zierlich, aber ihre Stimme war laut und kehlig, und ich gewöhnte mir in ihrer Nähe rasch an, ebenfalls lauter zu sprechen, genau wie ich manche ihrer Redewendungen imitierte.
In der Zeit, in der sich das Chinaprojekt anbahnte, war ich Margots Vertraute geworden. Es war eine Freundschaft, in der jede ihre Geheimnisse behielt– wie existenziell diese waren, das wurde mir aber erst in Shanghai bewusst. Ich selbst hatte zu dieser Zeit einen eher peinlichen Vorfall zu verbergen, der aber weit reichende Konsequenzen hatte, wie mir zu spät klar wurde. Ich hatte Christopher schon wieder betrogen, und diesmal halfen Entschuldigungen nichts. Er versteinerte, machte seine Drohung wahr und zog aus. Ich bettelte, telefonierte ihm hinterher, flehte, schrie, schimpfte, aber er blieb eisern, ich prallte immerzu gegen die Wand seines verbindlichen, verletzten, kalten »Nein«. Ich verstand meine eigene Untreue nicht. Unsicherheit? Ach je. Angst, er könnte mir zuvorkommen? Es klang alles lächerlich, und wenn ich mit meinen Freundinnen gesprochen hatte, saß ich nach den Telefonaten lange einfach nur da, fassungslos darüber, die Adressatin so vieler Phrasen geworden zu sein.
Ohne die Sache mit Christopher wäre mir das Ungewöhnliche, Kleine, Verdruckste an dem Projekt in China schon eher merkwürdig vorgekommen, so dass ich mehr Fragen gestellt hätte, da bin ich mir sicher. Vor allem aber hätte ich mir nicht so leicht die Kontrolle über den Verlauf nehmen lassen. Alles, von Anfang an, schon die Tatsache, dass Margot in mein Büro kam, um die Sache zu besprechen, und mich nicht zu sich zitierte, war einen Tick anders als sonst. Ich weiß noch, es war ein kalter Wintertag, und die Klimaanlage spielte im ganzen Haus verrückt, so dass wir alle in Wintersachen kamen, aber darunter etwas Leichtes trugen, um uns den Temperaturen im Loft anzupassen. Margot fand das toll, denn auf diese Weise konnte sie schon ein halbes Jahr früher die neue Sommerkollektion eines Designers tragen, für den wir eine Schaufenster-Installation gemacht hatten und der sie seitdem kostenlos bestückte. An diesem Tag umflatterte sie ein melonengelbes Seidenkleid.
»Was hältst du von Shanghai?«, fragte sie und ließ ihren Blick anscheinend uninteressiert durch den Raum schweifen. Aber ich kannte sie; sie lauerte. Mehr noch als an ihren Augen sah man es an ihrer Stirn: Wenn sie sie zusammenzog, zeichneten sich deutlich zwei tiefe Längsfurchen ab, und durch zwei nicht ganz so deutliche, aber ebenfalls sichtbare in V-Form dazwischen sah es aus, als trüge sie ein »M« als ihr Zeichen auf der Stirn. Anna nannte sie, wenn wir über sie sprachen, auch nur bei diesem Anfangsbuchstaben, »M«, wie die Chefin von James Bond; ich war einigermaßen stolz darauf, mir diese Marotte nicht angewöhnt zu haben.
»China?«, fragte ich.
Sie hatte eine Mappe im Arm, die sie behutsam hielt wie einen Säugling. So begannen alle unsere Projekte. Sie lächelte zuckersüß. Sie wusste, was ich dachte, aber sie wollte es von mir hören.
»Also China. Okay, wenn du meine Meinung hören willst: Vor sieben, acht Jahren, sicher. Oder besser noch, vor zehn.«
Ich gähnte angelegentlich, um meine allzu richtige Bemerkung zu unterstreichen. Von China hatte im Moment jeder die Nase voll. Ein paar ganz Schlaue, Händler und Sammler, hatten seit den Neunzigern sehr viel Geld dort gemacht, ein paar Künstler konnten sehr gut leben, ein Rattenschwanz an Nachahmern durch kleine Betrügereien immerhin besser als vorher.
Mein Telefon klingelte. »Neulich…«, begann ich.
»Nimmst du nicht ab, meine Liebe?«
Während ich telefonierte, wendete sie sich ab und fasste zerstreut dies und das im Schrank an, einige Schnellhefter, einen gläsernen Briefbeschwerer, ein gerahmtes Foto, das Christopher an Halloween mit Vampirgebiss zeigte. Ich telefonierte, bis der Handykontakt abbrach. Margot stellte das Foto weg.
»Ich habe erwartet, dass du das sagst. Wir machen es trotzdem. Ich habe noch nie mit Asiatinnen gearbeitet.«
»Nun«, sagte ich. »Dann scheint ja alles schon entschieden zu sein.«
Sie zog die Augenbrauen hoch, was andeuten sollte, dass sie mich ganz amüsant fand. Das Telefon klingelte wieder.
»Das ist Anna«, sagte ich genervt. »Sie sitzt auf irgendeinem Markt in Bombay, und die Frau, mit der sie sich treffen wollte, kommt nicht.«
»Anna langweilt sich zu...




