Sichtermann | Weltenretterinnen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Reihe: marix Sachbuch

Sichtermann Weltenretterinnen

Es geht ums Ganze
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-8438-0688-6
Verlag: marix Verlag ein Imprint von Verlagshaus Römerweg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Es geht ums Ganze

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Reihe: marix Sachbuch

ISBN: 978-3-8438-0688-6
Verlag: marix Verlag ein Imprint von Verlagshaus Römerweg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Es sind Namen, die wiederholt durch die Medien gehen, große Namen, Namen engagierter, entschlossener junger Frauen, deren gesellschaftlicher Einsatz weltweite Aufmerksamkeit erlangt hat: Carola Rackete, Greta Thunberg, Malala Yousafzai und viele mehr. Sie repräsentieren eine weibliche Generation, die zu nachhaltigen und manchmal militanten Protestaktionen gegen Klimasünden und Menschenrechtsverletzungen entschlossen ist. Dabei ist es kein Zufall, dass es Fackelträgerinnen sind, die der Revolte vorangehen. Barbara Sichtermann beschreibt in fesselnden Porträts nicht nur die Lebensgeschichten dieser Weltenretterinnen, sondern widmet sich auch den Zuständen und Problemen im jeweiligen Land und Kulturraum, den Protestbewegungen, der Situation der jungen Menschen, den Formen der Auflehnung, der Politik der Machthaber. Nicht zuletzt wird die Bedeutung internationaler Vernetzung sichtbar, ebenso wie die Organisationen und spontanen Widerstandsbewegungen vor Ort.

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»WENN ICH ES NICHT TAT«
CAROLA RACKETE (GEB. 1988)
Die »Kapitänin« und die Seenotrettung im Mittelmeer
Die Sea-Watch 3 ist ein Schiff von circa fünfzig Metern Länge und fast zwölf Metern Breite. Sie wird von Viertakt-Sechzehnzylinder-Dieselmotoren angetrieben und erreicht eine Geschwindigkeit von 10 Knoten. In den 1970er-Jahren wurde sie als Offshore-Versorgungsschiff für die Ölindustrie gebaut und dort genutzt. Ihr Heimathafen ist Amsterdam. Sie gehört heute der Organisation Sea-Watch mit Sitz in Berlin, die es mit Spendengeldern erworben hat und für die Seenotrettung einsetzt. Die Kapitänin Carola Rackete mochte das Schiff nicht besonders. Zu alt, zu sperrig und keineswegs dazu bestimmt, eine größere Menschenmenge für längere Zeit aufzunehmen. Sie mochte auch den Beruf und erst recht das Wort »Kapitänin« nicht so sehr, wollte lieber hauptberuflich für den Naturschutz arbeiten. Und sie hatte gar nichts übrig für die Popularität, die sie im Juni 2019 fast über Nacht gewann: 53 Personen aus einem in Seenot geratenen Schlauchboot hat sie knapp 50 Seemeilen vor der libyschen Küste an Bord der Sea-Watch 3 aufgenommen. Der nächste sichere Hafen war die Insel Lampedusa, den steuerte sie an, aber sie erhielt keine Genehmigung, ihr Schiff in den Hafen zu bringen. Es wurde ihr sogar strikt untersagt. Aus Deutschland signalisierte man seitens einiger Länder und Städte die Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen, aber das Innenministerium unter Horst Seehofer verlangte eine Registrierung nach dem Abkommen von Dublin III: Geflüchtete hätten dort um Asyl zu ersuchen, wo sie an Land gingen. Italien aber gab kein Einverständnis zur Aufnahme der Menschen. Die Sea-Watch 3 musste draußen auf See erst hin- und herfahren, schließlich ankern und warten. Und auf ihr die zwanzigköpfige Besatzung mit den Geretteten. 17 Tage lang. Es war eine Qual. Es gab an Bord nur drei Toiletten, die Trinkwasseraufbereitungsanlage arbeitete langsam, alle litten unter der Hitze. Es gab keine Betten für die Geflüchteten, pro Person stand nur eine Decke zur Verfügung, die an Bord genommenen Menschen konnten sich nachts entweder darauf legen und frieren oder sich zudecken und auf dem harten PVC Schmerzen dulden. Kurz: Es haperte mit der Grundversorgung. Das Schlimmste aber war die Ungewissheit. Wie würde es weitergehen? Die italienische Küstenwache kam, die Guardia di Finanza (der Zoll), und es hieß immer nur: Keine Genehmigung, an einer Lösung werde gearbeitet. Die drückende, beherrschende Angst war, dass alle Flüchtlinge nach Libyen zurückgeschickt würden. Immerhin nahm die Küstenwache dreizehn akut Schwerkranke, Kinder und Schwangere mit an Land, doch die verbliebenen 40 Geflüchteten aus Nordafrika waren alles andere als gesund, sie waren erschöpft, verletzt, dehydriert und völlig fertig, manche zusammengebrochen und phasenweise sogar bewusstlos. Die Crew und auch die Kapitänin fürchteten, dass einige von ihnen ins Wasser springen würden – um an Land zu schwimmen oder einfach, um ein Ende zu machen. Carola Rackete war bei dieser Rettungsmission eingesprungen. Ein Kapitän war ausgefallen, und sie übernahm die Stelle. Als sie darum gebeten wurde, arbeitete sie gerade in Schottland als Trainee in einem Naturschutzprogramm. »Wir sammelten Daten über Schmetterlinge, setzten Wanderwege instand, topften zuletzt bei strömendem Regen im Gewächshaus drei Tage lang Waldkiefersetzlinge um. Im Grunde wollte ich nicht weg. Trotzdem, es war ein Aufruf, der an alle gerichtet war, die auf der Kontaktliste für Notfälle standen. Ich ahnte: Das wird schwer, so kurzfristig Ersatz zu finden. Und ein Telefonat mit dem Einsatzleiter ergab, dass wirklich niemand da war, der das Schiff hätte übernehmen können. Wenn ich es nicht tat, würde die Sea-Watch 3 trotz vollständiger Besatzung nicht auslaufen können. Ich sah mich in der Verantwortung zu handeln und packte meine Sachen.« In ihrer Jugend wusste die spätere Kapitänin eine Zeit lang nicht, was sie werden wollte. Um irgendetwas Sinnvolles zu machen, studierte sie Nautik in Elsfleth; gleich das erste Praxissemester führte sie auf einem riesigen Containerschiff einmal rund um den Globus. Danach fuhr sie auf dem deutschen Forschungsschiff Meteor und lernte das Navigieren. Es folgten Fahrten auf der Ostseefähre MS Transrussia, einem Eisbrecher; die erste Stelle als Nautikerin nach dem Studienabschluss bekam sie auf der Polarstern, auf der sie eine Arktisexpedition unternahm. Hier sah sie selbst, dass das Eis in der Polarzone eben nicht ewig ist, denn es schmilzt immer weiter mit all den desaströsen Folgen für den Meeresspiegel und das Klima. An Bord wurde geforscht, das heißt gemessen und interpretiert und berichtet, es wurde bewiesen, dass Gefahren drohen, aber in der Politik bewegte sich nichts. Rackete war mit dem, was sie tat, erneut unzufrieden. »Es reichte mir nicht mehr, als eine Art Busfahrer für die Wissenschaft zu arbeiten. Ich hatte das Gefühl, dass ich meine Energie nicht an der richtigen Stelle einsetzte.« 2015 begann sie ein zweites Studium in England, Omskirk, das sie mit dem Master abschloss. Sie belegte Naturschutzmanagement und betätigte sich während der Semesterferien als Freiwillige in Naturparks und für Greenpeace. Es war eine Zeit, in der immer mehr Menschen aus ihrer Heimat flüchteten: aus Syrien wegen des Bürgerkrieges, aber auch aus Pakistan, Afghanistan und Nordafrika. Rackete bewarb sich bei der neu gegründeten NGO Sea-Watch, einem gemeinnützigen Verein, der sich der zivilen Seenotrettung widmet, und wurde bald mit einer ersten Mission auf der Sea-Watch 2 betraut. Sie verfügte also schon über einschlägige Erfahrungen, als sie auf der Sea-Watch 3 einsprang. Zwar hatte sie beschlossen, nicht mehr als Nautikerin zu arbeiten, sondern sich ganz dem Naturschutz zu widmen, aber da gab es etwas, das noch wichtiger war: Leben zu retten. Als sie 2019 von Schottland aus ihre neue Aufgabe für die Sea-Watch 3 antrat, wusste Carola Rackete, dass es nicht einfach sein würde. Die Lage hatte sich verschärft, die Staaten in der Europäischen Union konnten sich in der Flüchtlingsfrage nicht einig werden. Rechte Politiker, die sich gegen jede Art von Zuzug stemmten, hatten an Einfluss gewonnen, und in Italien war Innenminister Matteo Salvini von der rechten Partei Lega Nord ein harter Gegner jeglicher wilden Immigration und Seenotrettung vor den Küsten seines Landes. Alle zuständigen Stellen in den seefahrenden europäischen Ländern versuchten mit immer neuen bürokratischen Regulierungen die Arbeit der Rettungsschiffe zu behindern, auch die Sea-Watch 3 musste sich allerlei speziellen technischen Inspektionen seitens der niederländischen Behörden unterziehen, ein Spiel auf Zeit, in der Menschen im Mittelmeer auf Schlauchbooten in den Tod fuhren. Die Strategie hieß Abschreckung – sowohl der privaten Rettungsboote als auch der Flüchtlinge selbst. »Es war uns klar, dass Seenotrettung kriminalisiert wird. Die öffentliche Stimmung schlug um, es gab den Vorwurf, Seenotretter steckten mit Schlepperbanden unter einer Decke.« So mussten die Kapitänin und auch die Crew mit einer Festnahme und Klage seitens der italienischen Staatsanwaltschaft rechnen – der Vorwurf: Beihilfe zur illegalen Einwanderung. Ein entsprechendes Dekret hatte die regierende rechtsnationale Partei in Italien durchgebracht. Das untersagte privaten Rettungsschiffen das Einlaufen in die italienischen Hoheitsgewässer. Alle auf der Sea-Watch 3 wussten das, als sie losfuhren, als sie die Flüchtlinge an Bord nahmen, als sie den Hafen von Lampedusa ansteuerten. Wenn man die Situation auf Personen projizieren darf, kann man sagen: Der Innenminister Salvini und die Kapitänin Rackete standen sich vor der Küste Lampedusas Aug’ in Auge gegenüber. Auf der einen Seite der Minister, der verhindern will, dass – wie er es sieht – arme Teufel sein Land unsicher machen, auf der anderen Seite eine Menschenrechtsaktivistin, die es nicht zulassen kann, dass die aus dem fürchterlichen Elend libyscher Lager Geflüchteten auf See den Tod finden. Wer wird nachgeben? Das Buch, das Carola Rackete noch im selben Jahr herausbrachte und in dem sie die Rettungsaktion vor Lampedusa in allen Einzelheiten schildert, heißt Handeln statt hoffen. Das ist genau die richtige Losung für die Situation vor Ort im Juni 2019. »Ich war davon überzeugt, dass wir als Zivilgesellschaft unsere europäische Außengrenze und die Definition der Menschenrechte nicht den Rechtsnationalen wie denen im damaligen italienischen Innenministerium überlassen konnten. Wir durften uns nicht einschüchtern lassen.« Was die Kapitänin der Sea-Watch 3 ihrer eigenen Devise folgend nach siebzehn Tagen und angesichts der leidenden und verzweifelnden Menschen auf ihrem Schiff zu tun hatte, war: den Notstand erklären. Denn der war eingetreten. Handeln statt hoffen. »Ich habe die Optionen lange abgewogen. Wir hatten alle politischen und...


Barbara Sichtermann ist Schriftstellerin und Journalistin, geboren 1943 in Erfurt, nach dem Abitur erfolgte der Besuch einer Schauspielschule in Bochum. Theaterpraxis im Ruhrgebiet 1965 bis 1968, danach Aufnahme eines Studiums der Sozialwissenschaften an der FU Berlin. Diplom in Volkswirtschaftslehre, Tätigkeit als freie Autorin seit 1978, Themen: Frauenpolitik, Leben mit Kindern, Geschlechterbeziehung, Literatur, Medien. Von 1987 bis 2002 Fernsehkritikerin mit wöchentlicher Kolumne bei der ZEIT. Barbara Sichtermann lebt heute in Berlin.



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