Simim | Der Wert der Arbeit | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 37, 284 Seiten

Reihe: International Labour Studies

Simim Der Wert der Arbeit

Das Leistungsprinzip in Arbeitskämpfen zwischen Zentrum und Peripherie

E-Book, Deutsch, Band 37, 284 Seiten

Reihe: International Labour Studies

ISBN: 978-3-593-45555-6
Verlag: Campus Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Das Leistungsprinzip ist Dreh- und Angelpunkt zahlreicher sozialer Konflikte der modernen Welt. So verschieden die Strukturen von Arbeit im »Zentrum« und in der »Peripherie« des kapitalistischen Systems sind, so unterschiedlich wird auch Leistung verstanden und angewandt. Thiago A. Simim verdeutlicht dies durch einen Vergleich zwischen Deutschland und Brasilien, indem er die Unrechtsempfindungen von dort Arbeitenden im Kontext von Arbeitskämpfen aus der Perspektive einer kritischen Gesellschaftstheorie heraus beleuchtet. Der vergleichende Blick und die historische Rekonstruktion des Leistungsprinzips ermöglichen eine Entgegensetzung des industriegesellschaftlich geprägten Begriffs zu dessen peripherischer Ausprägung.
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1.Einleitung
Wenngleich die Zeit der großen Industriestreiks vergangen zu sein scheint, sind Arbeitsniederlegungen aktuell nicht weniger relevant für das Verständnis gesellschaftlicher Praxis in der Arbeitswelt. 2015 war beispielsweise ein »außergewöhnliches Streikjahr« in Deutschland (WSI 2016: 1). Ebenso vermehrten sich Streikaktionen in Brasilien deutlich ab 2013 und sind seitdem immer noch sehr verbreitet (Dieese 2019: 43). Auffällig bei den beiden Ländern ist, dass die meisten Konflikte im Dienstleistungssektor stattfinden:1 Zu dieser Zeit streikten in Deutschland beispielsweise Erzieher:innen, Lokomotivführer:innen, Pilot:innen, Postangestellte und Einzelhandels-Beschäftigten; in Brasilien wiederum streikten unter anderem Straßenkehrer:innen, Bahnfahrer:innen, Busfahrer:innen, Schullehrer:innen, Professor:innen und Mitarbeiter:innen von Universitäten. Anhand eines Streiks plädierten beispielsweise Straßenkehrer:innen in Rio de Janeiro/Brasilien im Jahr 2014 für eine Gehaltserhöhung – neben anderen Verbesserungen der Arbeitsbedingungen – mit dem Argument, dass sie nicht gerecht für das belohnt werden, was ihre Arbeit zur gesellschaftlichen Reproduktion beiträgt. Mithilfe einer Arbeitsniederlegung gelang es ihnen ferner, den »Wert« ihres sozialen Beitrags deutlich zu machen, denn die Stadt »versank im Müll« bereits nach einem Wochenende (taz 2014). Gleichfalls versuchten Lehrerkräfte staatlicher Schulen mithilfe von Arbeitsniederlegungen jeweils in allen Bundesländern Brasiliens die Zahlung vom bereits gesetzlich festgelegten Mindestentgelt für ihre Berufsbranche geltend zu machen. Einer der Gründe für die Aufwertung des Berufes lautete, dass die Qualifikationsanforderungen für die Lehrtätigkeit sich nicht in der Honorierung ihrer Arbeit widerspiegeln. Zur gleichen Zeit befanden sich in Deutschland Erzieher:innen und Sozialarbeiter:innen von Kindertagesstätten (Kitas) ebenfalls in einem längeren Tarifkonflikt für die Verbesserung ihrer Löhne. Ein Ziel des Kita-Streiks 2015 war auch, den Wert »sozialer Dienstleistungsarbeit« in der Öffentlichkeit zu diskutieren (Schildmann/Voss 2018: 4). Sie betonen andererseits aber auch die zusätzlichen Qualifikationen, die sie abschließen mussten, um die heutigen Leistungsstandards erfüllen zu können. Die kurz dargestellten Beispiele zeigen – wie auch in anderen Arbeitskämpfen in dieser Untersuchung betrachtet werden kann –, dass der Anspruch auf Aufwertung der Arbeit auf Basis der erbrachten Leistung unterschiedliche Aspekte zum Ausdruck bringt: Die Rechtfertigung nach gesellschaftlicher Relevanz nimmt beispielsweise die Perspektive des Arbeitsergebnisses ein, während die tätigkeitsbezogene Qualifikation eine Art Aufwandsanforderung repräsentiert. Voswinkel und Kocyba (2008) stellen diese Aspekte unter zwei Dimensionen des Leistungsbegriffs – Aufwand (Input) und Ertrag (Ergebnis oder Output) – schematisch vor: »In der Aufwandsdimension bezieht sich Leistung erstens auf mit- oder eingebrachte Ressourcen wie Talente […] oder durch Ausbildung erworbene Qualifikationen. Zweitens wird Leistung definiert durch die Anstrengung, die Belastung in der Arbeit, den körperlichen und psychischen Einsatz. Hinsichtlich des Ergebnisses sind eine sachliche, eine soziale und eine ökonomische Dimension zu unterscheiden. Die sachliche Dimension umfasst Kategorien des Leistungsergebnisses wie die Menge und die Qualität des Erzeugnisses. In der sozialen Dimension geht es um die Problemlösung für Kunden oder das Verdienst, das sich Leistungsträger durch ihren Beitrag zum gesellschaftlichen Wohl erworben haben. In der ökonomischen Dimension schließlich geht es um wirtschaftliche Erfolgskategorien wie Umsatz, Ertrag und Gewinn, also um den Verdienst, der als Indikator von Leistung gilt« (ebd.: 23–24). Zusammenfassend bieten Aufwand (Ressource oder Einsatz) und Ergebnis (sachliches, soziales oder ökonomisches) Bewertungskriterien für Leistung nach bestimmten Messverfahren. Der konkrete Aufwand für die Anfertigung einer Arbeit kann im Grunde nicht gemessen werden, sondern wird anhand bestimmter Maßstäbe festgelegt. Beispiele sind das »Qualifikationsniveau« (nach Abschluss) als Maßstab für Ressource und Arbeitszeit als Ausdruck von Einsatz. Dazu können weitere Kriterien hinzugefügt werden, wie Verantwortung oder besondere Belastungsformen (z. B. Schichtdienst). Die Messbarkeit des Outputs variiert naheliegend sehr stark zwischen sachlichen oder ökonomischen Erträgen und sozialen Ergebnissen. Während Erstere sich in Zahlen unmittelbar ausdrücken lassen, können Letztere kaum auf eine berechenbare Form reduziert werden. Jenseits dieser »Mehrdeutigkeit« (ebd.) des Leistungsbegriffs sind die Geltung, der Umfang, der Parameter und das Verhältnis zwischen diesen Bewertungsmaßstäben auch sehr umstritten. Auf ihre »Vergleichbarkeit« ist die »Bestimmung des differentiellen Arbeitswertes« angewiesen (Offe 1970: 122), das heißt die Möglichkeit der »gerechten« Festlegung dessen, welche Honorierung jeder Arbeit gebührt. Claus Offe spricht weiterhin in seiner Studie (1970) von den problematischen Konsequenzen einer gespalteten Gestaltung des Leistungsbegriffs: »Je nachdem, ob eine objektivistisch verfahrende Methode der Ermittlung von Arbeitswerten auf die Aufwands- oder die Ertragsseite der Arbeitsfunktion das größere Gewicht legt, ergeben sich daher entgegengesetzte Resultate« (1970: 133). Für Offe verweist dies auf den »unausgetragenen Dualismus« (ebd.: 47) des Leistungsprinzips, denn dies setzt unausweichlich eben die Erfüllung dieser (gelegentlich) entgegengesetzten Kriterien voraus, die sich in beiden Dimensionen finden.2 Außer der internen Spaltung ergibt sich aus der Beziehung von Leistungsprinzip zu weiteren Gerechtigkeitsprinzipien in vielen Fällen auch ein Spannungsverhältnis, was beispielsweise François Dubet in seiner empirischen Studie über (Un-)Gerechtigkeit bei Beschäftigten zeigt: »Die Arbeiter wollen nicht nur, dass ihre Gleichheit garantiert wird, sie wollen auch, dass ihre Leistung anerkannt und ihre Autonomie gewährleistet wird. Und weil sie ›alles wollen‹, unterliegt ihre soziale Erfahrung einer normativen Dynamik, denn wer auf diesem Gebiet alles auf einmal will, will eigentlich alles und gleichzeitig auch das Gegenteil« (Dubet 2008: 37). Insofern sind nicht nur die internen Bestimmungen des Leistungsbegriffs, sondern auch dessen Abgrenzung zu weiteren Ansprüchen in der Arbeitswelt ein sehr umkämpftes Gebiet. Stellen die unterschiedlichen Leistungsverständnisse also einen »Definitionskampf« dar (Neckel 2001: 249; auch bei Dörre 2019: 175), der vorrangig in der politischen Praxis stattfindet, so bieten Arbeitskämpfe einen privilegierten Ort für die Erforschung ihrer normativen Konturen aus einer immanenten Perspektive. Denn Arbeitskämpfe artikulieren moralische Ansprüche, die in der Arbeitswelt verankert sind, so lautet die Grundidee immanenter Kritik. Als ein umfassendes modernes Prinzip – das für die Bekämpfung von Privilegien in Anspruch genommen werden soll –, das aber in unterschiedliche Praktiken und Arbeitsorganisationen eingeschrieben ist, kann ein solches Prinzip ebenfalls zwischen unterschiedlichen Kontexten abweichen. Zwischen Zentrum und Peripherie der Modernität – die hier jeweils von Deutschland und Brasilien repräsentiert werden können – sind nicht nur verschiedenartige Modernisierungsprozesse, sondern auch historisch heterogene Arbeitsorganisationen und Ungleichheitsstrukturen zu finden, die auf die normativen Leistungsverständnisse einen erheblichen Einfluss nehmen durften. In Anbetracht dessen widmet sich die vorliegende Untersuchung der Problematik des Leistungsprinzips bei Arbeitskämpfen im binationalen Vergleich. Dafür werden im 2. Kapitel der theoretische Ausgangspunkt ausgeführt sowie konzeptionelle Punkte ausformuliert, die dieser Forschungsarbeit zugrunde liegen. Insbesondere die historische Rekonstruktion des Leistungsprinzips bei unterschiedlichen Arbeitsarrangements in beiden Kontexten soll die Grundlage für die Fragestellung bilden. Das 3. Kapitel stellt die angewandte Erhebungs- und Auswertungsmethode vor sowie die praktische Herausforderung dieser binationalen Forschung. Das 4. Kapitel präsentiert die Datenauswertung in drei Schritten: die Auswertung jeweils des deutschen...


Thiago A. Simim, Dr. phil., ist Dozent am Fachbereich Rechtswissenschaften der Bundesuniversität Lavras (UFLA), Brasilien.


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