E-Book, Deutsch, Band 306, 64 Seiten
Reihe: Alpengold
Steiner Alpengold 306
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7325-8666-0
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Blutschuld des Vaters
E-Book, Deutsch, Band 306, 64 Seiten
Reihe: Alpengold
ISBN: 978-3-7325-8666-0
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Blutschuld des Vaters
Ergreifender Roman um ein Mädchenschicksal
Von Gustl Steiner
Vor zwanzig Jahren haben die Wiesners Franz als kleinen Buben aus dem Waisenhaus auf ihren Hof geholt. Dort wuchsen er und die Hoftochter wie Geschwister miteinander auf. Doch seitdem Marei zu einem bildhübschen Madl herangereift ist, begehrt Franz sie wie keine andere. Er ist geradezu verrückt nach ihr und träumt davon, dass sie die Seine wird.
Marei jedoch will nichts von dem Burschen wissen. Franz glaubt sich seinem Ziel dennoch ganz nah, denn er kennt ein dunkles Geheimnis, das Mareis Vater jederzeit das Genick brechen kann.
'Ich will die Marei zur Frau', erklärt er ihm, 'und du wirst ihr gut zureden, damit sie zustimmt. Sonst häng ich dich hin!'
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Die Blutschuld des Vaters
Ergreifender Roman um ein Mädchenschicksal
Von Gustl Steiner
Vor zwanzig Jahren haben die Wiesners Franz als kleinen Buben aus dem Waisenhaus auf ihren Hof geholt. Dort wuchsen er und die Hoftochter wie Geschwister miteinander auf. Doch seitdem Marei zu einem bildhübschen Madl herangereift ist, begehrt Franz sie wie keine andere. Er ist geradezu verrückt nach ihr und träumt davon, dass sie die Seine wird.
Marei jedoch will nichts von dem Burschen wissen. Franz glaubt sich seinem Ziel dennoch ganz nah, denn er kennt ein dunkles Geheimnis, das Mareis Vater jederzeit das Genick brechen kann.
„Ich will die Marei zur Frau“, erklärt er ihm, „und du wirst ihr gut zureden, damit sie zustimmt. Sonst häng ich dich hin!“
Der Mann, der zwischen den blühenden Alpenrosen hoch droben im Sonnenschein auf einem Felsbrocken saß, summte ein Lied vor sich hin und putzte sein Fernglas, durch das er vorhin eine Zeit lang die einsame Gegend betrachtet hatte.
Am Felsen lehnten ein Bergstock und der Stutzen, dessen Mündung mit einer Lederkappe geschützt wurde. Neben dem Stutzen lag der Rucksack, aus dem der Duft von Rauchfleisch und Sauerteig drang.
Lorenz Bäumler hatte die fünfzig auf dem Buckel, einen struppigen grauen Kopf, ein sonnenverbranntes Faltengesicht und daheim eine kränkelnde Frau, die mit dem schmalen Einkommen des Mannes drei unmündige Kinder zu ernähren hatte.
Dem Forstamt Brunnbach war Lorenz unterstellt, und das schon seit mehr als fünfundzwanzig Jahren. Ihm war die Aufsicht über das Hochlandrevier und den fast dreitausend Meter hohen Kofelstein herum befohlen worden, und hier versah Lorenz schon seit Jahr und Tag seinen schweren Dienst.
Haargenau wusste er, wo die Murmeltiere ihre Erdhöhlen, wo das Rotwild seine Standorte und wo die Gamsherden ihre Äsplätze hatten.
Im Augenblick dachte er an den kleinen Peppi, der noch immer so arg hustete, dass es einem angst und bange werden konnte. Hoffentlich steckte er die anderen nicht an.
Lorenz seufzte. Das liebe Geld war so knapp, und wenn man darüber nachdachte, was geschehen würde, wenn man nicht mehr so konnte wie augenblicklich …
Net dran denken, sagte er sich und blinzelte den Hang hinunter – zum Geröllfeld hinüber, das im Verlauf der Jahrhunderte vom Kofelstein abgebröckelt war und vom Fuß der Felswände bis hinunter zu den Latschenkiefern reichte.
Plötzlich hob Lorenz das Fernglas wieder vor die Augen und spähte abwärts.
Dort unten, am rechten Rand des Geröllfeldes, hatte sich doch eben etwas bewegt! Ein einsamer Gamsbock?
Nein! Lorenz pfiff leise durch die Zähne.
„Hundskerl, was hast du dort zu suchen?“, murmelte er.
Er beobachtete noch eine Weile die verdächtige Gestalt. Sie verschwand ein paarmal und tauchte wieder auf. Und jetzt tauchte weiter oben eine zweite Gestalt auf und winkte der andern, die etwas tiefer herumkroch.
Zwei also, die eine Lumperei im Sinn haben!, dachte Lorenz. Er rutschte vorsichtig von seinem Platz, warf den Rucksack über die Schultern, ergriff den Stutzen, lud ihn, prüfte die Sicherung, ergriff den Bergstock und machte sich davon.
Wie ein Fuchs schlich er durch die blühenden Alpenrosen den unsichtbaren Pfad entlang, der nach drüben führte. Möcht nur wissen, was das für Lumpen sind, dachte Lorenz. Ich muss sie noch eine Zeit beobachten. Es können ja auch zwei harmlose Herumtreiber sein! Aber der Verdacht, dass es doch zwei Lumpen waren, war stärker.
Die Sonne stand schon schräg, aber sie brannte noch immer heiß aus dem wolkenlosen, etwas diesigen Himmel. Weit unten lag Brunnbach – hingestreut ins enge Tal wie aus Gotteshand.
Lorenz schlich zwischen Felsblöcken und dunklen Latschengruppen auf die andere Hangseite hinüber. Von oben herunter wollte er versuchen, den beiden Lumpenkerlen beizukommen und ihr trübes Handwerk zu legen. Eine gottlose Gemeinheit, am helllichten Nachmittag zu wildern! Jawohl, zu wildern! Das stand für Lorenz fest wie das Amen in der Kirche.
Jetzt musste er höllisch aufpassen, denn sie waren zu zweit. Ob es gut ausgehen würde? Oder sollte er lieber umdrehen und die Lumpen laufen lassen?
Nein!
Lorenz pirschte sich möglichst leise den Hang hinunter. Dabei war es unvermeidlich, dass ein paar Steine ins Rollen gerieten und in immer größer werdenden Sprüngen abwärtssausten.
Verdammt und zugenäht! Nun hatte er einen schmalen Gürtel Latschenkiefern erreicht, den er durchqueren musste. Auch dies ging nicht ohne Geräusche ab. Schließlich lag die Baumgruppe hinter ihm.
Und da sah er die zwei. Sie standen keine hundert Meter weiter unten in einer Mulde. Sie mussten etwas gehört haben, denn sie schauten jetzt herauf. Zwei Unbekannte. Ein langer Kerl und ein etwas kleinerer, der plötzlich heraufzeigte. Der Lange hatte ein Gewehr.
„Halt!“, schrie Lorenz hinunter und riss den Stutzen hoch. „Schmeiß das Gewehr weg, du Lump!“ Und als er, vor Erregung zitternd, über Kimme und Korn schauen wollte, sah er, dass auf der Stutzenmündung noch die Lederkappe saß. Zum Teufel!
Lorenz ließ den Stutzen sinken, riss den Mündungsschoner herunter und …
Da krachte es auch schon. Es krachte zweimal ganz schnell hintereinander. Gleichzeitig spürte Lorenz einen kurzen wilden Hieb gegen den rechten Schenkel. Dann krachte der Stutzen. Aber Lorenz spürte, dass er ins Leere schoss, dass auf einmal der Körper bleischwer wurde und die Beine ihn nicht mehr tragen wollten.
Funkelnde Sterne sausten Lorenz vor den Augen herum. Ob er wollte oder nicht, er knickte plötzlich zusammen und auf die Knie. Um ein Haar wäre er noch den Hang hinuntergekollert, wenn er sich nicht rechtzeitig auf die Seite gelegt hätte.
Es hat mich erwischt, dachte er völlig benommen. Er spürte, dass ihm etwas Warmes im rechten Hosenbein runterlief.
Wie durch einen Nebel sah Lorenz, dass die beiden Gestalten in der Mulde unten verschwunden waren.
Wie lange lag er so am Hang? Wie lange brauchte er, bis ihm klar wurde, dass er heim musste, ins Tal runter, zum Doktor oder zur Frau?
Er konnte auch keinen Rettungswagen mit dem Handy rufen, denn hier oben gab es keinen Empfang.
Das Blut rann im Hosenbein hinab, drang unten heraus und färbte den Schuh und das dürre Gras dunkelrot. Bleischwer waren die Glieder geworden. Lorenz musste die Zähne zusammenbeißen, um sich bewegen zu können.
Er tastete nach dem Stutzen, hing ihn sich quer über den Rücken, schaute sich nach dem Bergstock um und nahm ihn. Und dann versuchte der Jäger Lorenz Bäumler den Hang hinunterzurutschen. Es gelang ihm auch irgendwie. Ihm wurde übel, es wurde ihm schwarz vor den Augen, und sein Kopf dröhnte.
Unten, auf dem Waldweg angekommen, konnte Lorenz nicht mehr aufstehen. Auf allen vieren – oder vielmehr auf drei Gliedern – kroch er den gerölligen Weg weiter, das zerschossene Bein und eine dunkle Blutspur nach sich ziehend – Meter um Meter, bis zum Waldrand. Dort blieb er ein paar Stunden liegen, um dann weiterzukriechen und kraftlos um Hilfe zu rufen.
Es wurde Nacht, und es wurde wieder Morgen, als Lorenz noch immer auf dem Weg lag, ohne dass ihn jemand fand.
Er spürte die Zeit nicht mehr, er ahnte nur, dass es bald mit ihm zu Ende ging, wenn nicht bald Hilfe kam. Ein paarmal versuchte er zu rufen, aber ihm entschlüpften nur ein paar lallende, gekrächzte Laute, die einen neugierigen Eichelhäher vertrieben.
Kurz vor dem Abend fanden ihn endlich drei Holzknechte, die zum Schnappenkirchlein hinaufwollten. Sie dachten erst, Lorenz sei schon tot, aber dann machten sie aus ein paar Ästen eine Tragbahre, luden ihn darauf und trugen ihn im Laufschritt nach Brunnbach hinunter – zuerst ins Forsthaus, dann zum Doktor hinüber, der auf der andern Dorfseite seine Praxis hatte. Der Forstmeister kam mit und hielt schon für alle Eventualitäten den Dienstwagen bereit.
„Auf dem schnellsten Weg ins Spital“, sagte der Arzt. „Er muss schon viel Glück haben, wenn er durchkommen soll!“
Mali Bäumler, eine blasse, schwindsüchtig aussehende Frau, erfuhr von dem Unglück ihres Mannes erst ein paar Stunden später. Der Forstmeister persönlich begab sich in das windschiefe Bachhäusl, wo die Familie zu Hause war.
Umgeben von ihren drei Kindern, starr und aufrecht, vernahm Mali Bäumler, was geschehen war. Sie brach nicht zusammen, sie schrie auch nicht auf. Sie weinte nur still in die Hand hinein.
„Was machen wir denn jetzt, Mutter?“, fragte die zwölfjährige langzöpfige Leni, das älteste der Kinder, schüchtern.
„Wir werden schon dafür sorgen, dass es euch an nix fehlt“, erwiderte der Forstmeister bewegt. „Euer Vater ist im Dienst verunglückt! Ein braver Mann! Hut ab vor ihm!“
Hut ab! Jawohl!
Aber in der gleichen Nacht nahmen die Chirurgen im Spital Lorenz das rechte Bein bis hinauf zum Schenkel ab und machten aus dem Jäger Bäumler einen Einbeinigen.
***
Niemand wusste, wer Lorenz Bäumler das Bein kaputt geschossen hatte. Zwar versuchte ein Haufen Polizisten, den Fall zu klären und die beiden Wilderer, von denen Lorenz immer wieder...




