Thym | Migration steuern | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 4613, 239 Seiten

Reihe: Beck Paperback

Thym Migration steuern

Eine Anleitung für das Hier und Jetzt
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-406-83013-6
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Eine Anleitung für das Hier und Jetzt

E-Book, Deutsch, Band 4613, 239 Seiten

Reihe: Beck Paperback

ISBN: 978-3-406-83013-6
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Schöne neue Welt der Vielfalt hier, die Fremden als Gefahr dort - beide Bilder waren schon immer viel zu einfach, um dem komplexen Phänomen der Einwanderung gerecht zu werden. Der renommierte Migrationsexperte Daniel Thym zeigt in seinem hochaktuellen Buch, dass Migration sinnvoll gesteuert werden kann - wenn wir ein Selbstbild als Einwanderungsrepublik entwickeln, das die vielfältige Gesellschaft zusammenhält. Kaum jemand dürfte noch daran zweifeln, dass die Gestaltung der Einwanderung ein zentrales Zukunftsthema ist. Für die alternde Gesellschaft wird Zuwanderung angesichts des demografischen Wandels zur wirtschaftlichen Überlebensfrage. Gleichzeitig ist Europa von Ländern umgeben, die politisch instabil und deutlich ärmer sind. Von dort werden sich auch künftig Menschen aufmachen. Es wäre eine Illusion, die Zugbrücke hochziehen und sich vom Rest der Welt abschotten zu wollen - oder umgekehrt zu denken, dass die Einwanderung ein Naturereignis sei, das ohnehin stattfindet, ohne dass man viel ändern könnte. Deutschland braucht eine konstruktive Debatte, wie Einreise und Integration zu gestalten sind. Fluchtbewegungen haben eine andere Dynamik als die Fachkräfteanwerbung; kulturelle Vielfalt bereichert und ist konfliktbehaftet zugleich; neu Eingereiste begegnen anderen Herausforderungen als die (Ur-)Enkel der Gastarbeiter. Zuwanderungssteuerung und kollektives Selbstbild einer Einwanderungsrepublik sind zwei Seiten derselben Medaille - ohne das eine wird das andere nicht funktionieren, so der Migrationsexperte Daniel Thym. Auf der Grundlage seiner langjährigen Erfahrungen in Wissenschaft und Politikberatung zeigt er in seinem brandaktuellen Buch, wie beides zusammen gelingen kann.

Daniel Thym ist Professor für Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht an der Universität Konstanz. Er ist einer der renommiertesten und medial gefragtesten Migrationsexperten Deutschlands. Von 2020 bis 2022 war er Stellvertretender Vorsitzender des Sachverständigenrats für Integration und Migration (Mitglied seit 2016) und wirkte 2019 bis 2021 in der Fachkommission der Bundesregierung zu Rahmenbedingungen der Integrationsfähigkeit mit. Aktuell ist Thym Vorsitzender des Beirats für Forschungsmigration beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie Mitglied im Beirat des dortigen Forschungszentrums.
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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


1.

Deutschland braucht ein neues Selbstverständnis


Wenn ich ein Interview gebe, bin ich neugierig. Welches Bild wählt die Redaktion dieses Mal zur Illustration? Verbreitet sind zwei Optionen. Die positive Variante setzt auf eine Hochglanzfotografie dynamischer junger Menschen mit unterschiedlichen Hautfarben, darunter gerne eine modische Frau mit farbigem Kopftuch, das Selbstbestimmung ausstrahlt. Beim Gegenentwurf dominieren düstere Farben und schlecht rasierte junge Männer, die wie Gangster in einer Gruppe zusammenstehen und nicht direkt in die Kamera schauen. Es ist beinahe wie bei Pippi Langstrumpf: Jeder macht sich die Welt, wie sie ihm oder ihr gefällt.

Das Spannende an den Bildern ist, dass sie zeigen, wie polarisiert in Deutschland über Migration gedacht wird. Schöne neue Welt der Vielfalt hier, die Fremden als Gefahr dort. Beides ist zu einfach: Fluchtbewegungen haben eine andere Dynamik als die Fachkräfteanwerbung; kulturelle Vielfalt bereichert und ist konfliktbehaftet zugleich; neu Eingereiste begegnen anderen Herausforderungen als die (Ur-)Enkel der Gastarbeiter. Es ist falsch, alles über einen Kamm zu scheren, als ob Migration etwas Einheitliches wäre. Passend wäre also eine Collage vieler Bildausschnitte, was sich für die Medien jedoch nicht eignet.

Dieses Buch will die Kategorien aufbrechen. Unsere Gesellschaft hat dies bitter nötig, denn die Debatte ist viel zu oft geprägt von Schwarz-Weiß-Denken. Das Asylrecht soll entweder abgeschafft werden oder faktisch offene Grenzen bedeuten; einige beklagen Rassismus, wo andere vor Terrorismus warnen; eine feststehende Leitkultur wetteifert mit multikultureller Beliebigkeit. Befördert werden solch binäre Denkmuster durch populistische Akteure, die die Uhr zurückzudrehen und den geschlossenen Nationalstaat wiederherzustellen versprechen. Ein solcher Rückzug in das sprichwörtliche Schneckenhaus ist weder realistisch noch wünschenswert.

Es wäre freilich ein Fehler, auf die populistische Vereinfachung mit einem besänftigenden «Alles wird gut» zu reagieren. Stattdessen müssen Gesellschaft und Politik die Herausforderung annehmen, über Einwanderung angstfrei zu sprechen. Migration bedeutet für die deutsche Gesellschaft immer auch ein Rendezvous mit der Globalisierung, von der sie in den vergangenen Jahrzehnten erheblich profitierte. Sie konfrontiert die mit Frieden und Wohlstand gesegnete Bundesrepublik mit geopolitischen Konflikten, krassen Ungleichheiten und kulturellen Spannungen, die viele Deutsche bisher allenfalls aus dem Fernsehen kannten.

Es ist anstrengend, über solche Themen konstruktiv zu streiten und sodann die richtigen Entscheidungen zu treffen. Ebendies ist jedoch zwingend, damit die Bevölkerung die Zukunft Deutschlands als Einwanderungsland als Fortschritt empfindet. Dieses Buch will dabei helfen, die Handlungspotenziale zu identifizieren, wie man Migration sinnvoll steuert und ein Selbstbild entwickelt, das die vielfältige Gesellschaft zusammenhält. Es richtet sich an die gesamte Bevölkerung: Politik, Deutsche und Nichtdeutsche, Medien, Wissenschaft, Verbände und Ehrenamt. «Wir»[1] müssen miteinander in ein Gespräch treten, wie wir das Einwanderungsland zum Erfolg führen.

Eine öffentliche Debatte ohne Illusionen


Damit dies gelingt, müssen alle Seiten vermeintliche Gewissheiten hinterfragen. Bürgerliche und Konservative verschlossen jahrzehntelang die Augen vor der Einwanderungsrealität, sehen Wandel skeptisch und schätzen ein kollektives Selbstbild, das kulturelle Gemeinsamkeiten achtet; früher nannte man das die «Nation». Linke und Progressive fordert die Einwanderungspolitik ebenso heraus. In Zeiten eines Wirtschaftsbooms vergisst man leicht, dass Ressourcen endlich sind und ein großzügiger Sozialstaat nicht grenzenlos geöffnet werden kann. Wer die Gleichheit aller Menschen hochhält, tut sich schwer mit Abschiebungen und einer Auswahl nach der wirtschaftlichen Nützlichkeit.

Erschwert wird eine sachliche Debatte durch die verbreitete Moralisierung und Emotionalisierung der Migration. Die Toten im Mittelmeer und die Opfer rassistischer Anschläge konkurrieren um öffentliche Aufmerksamkeit mit den Kosten des Asylsystems und antisemitischen Demos von Menschen arabischer Herkunft. Das Problem ist längst nicht mehr, ob, sondern wie Deutschland über Einwanderung diskutiert. Wer meint, dass es Denk- oder Sprachverbote gebe, hat noch nie die Kommentarspalten in digitalen Medien gelesen. Schon vor einem Jahrzehnt dominierte Thilo Sarrazins Deutschland schafft sich ab fünf Monate lang die SPIEGEL-Bestsellerliste.

Nun ist nicht jeder ein kleiner Sarrazin, der Probleme anspricht. Umgekehrt plädieren nicht alle, die eine strenge Asylpolitik kritisieren, für offene Grenzen. Dennoch erschwert die Polarisierung es Staat und Gesellschaft, einen Mittelweg zu beschreiten, der in der Praxis auch funktioniert. Ich schreibe dieses Buch im Jahr 2024, als Umfragen die Migration wieder einmal als eines der wichtigsten Themen ausweisen und eine Mehrheit es den etablierten Parteien nicht zutraut, eine vernünftige Lösung für die Einreiseregeln und das gesellschaftliche Miteinander zu entwerfen.

Dabei geht es in keiner Weise darum, der AfD oder Sahra Wagenknecht hinterherzulaufen oder den Diskurs nach rechts zu verschieben. Beides passiert in Politik und Medien nicht nur im Wahlkampf zwar vereinzelt. Dies ändert jedoch nichts daran, dass radikale und populistische Kräfte von einer Unzufriedenheit mit dem Status quo profitieren, die letztlich nur ein Symptom für ein tieferliegendes Defizit darstellt.

Das Bekenntnis zum Einwanderungsland ist keine entpolitisierende Konsensformel, die vorgibt, wie Staat und Gesellschaft sich zu verhalten haben. In einem Einwanderungsland kann man legitimerweise unterschiedlicher Meinung darüber sein, wer einreisen darf und wie ein Selbstbild aussieht, das die vielfältige Gesellschaft eint. In dieser unausweichlichen Debatte muss die demokratische Mitte ein eigenes Angebot unterbreiten. Dieses Buch möchte hierzu eine Anleitung bieten.

Einwanderungsrepublik statt Migrationshintergrund


60 Jahre nach der Unterzeichnung des deutsch-türkischen Gastarbeiterabkommens wandte sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) an die Kinder und Enkel: «Sie sind eben nicht ‹Menschen mit Migrationshintergrund›, sondern Deutschland ist ein Land mit Migrationshintergrund geworden.»[2] Das war in doppelter Hinsicht schlau. Das Staatsoberhaupt reagierte auf den Vorwurf von Verbänden und Wissenschaft, der Begriff «Migrationshintergrund» grenze aus oder sei sogar latent rassistisch. Allerdings verabschiedete Steinmeier den Begriff nicht, sondern verwendete ihn für das Land als Ganzes. Das trifft es auf den Punkt. Es wäre ein Missverständnis, wenn man annähme, dass Einwanderung eine Gesellschaft nicht verändert. Wir müssen konstruktiv darum ringen, was «deutsch» heutzutage heißt.

Es ist kein Zufall, dass der Bundespräsident seine Rede bei einem Festakt zum deutsch-türkischen Abkommen hielt. In der öffentlichen Wahrnehmung war die Gastarbeit aus der Türkei das prägende Ereignis der ersten Einwanderungsdekaden, obwohl «nur» 12 Prozent aller Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland aus der Türkei kommen oder türkische Vorfahren haben.[3] Diese überraschend niedrige Ziffer zeigt exemplarisch, dass der öffentliche Diskurs einzelne Facetten überbetont.

Das gilt für die Herkunftsländer ebenso wie für die Einreisegründe. Häufig herrscht der Eindruck vor, als ob Einwanderung vor allem über den Asylkanal stattfinde, obwohl in den 2010er Jahren insgesamt 2,3 Millionen Menschen aus anderen EU-Ländern sich in Deutschland niederließen – viele zum Arbeiten.[4] Wer verstehen will, wie Deutschland sich für die Zukunft fit macht, muss all diese Facetten in den Blick nehmen, auch wenn für manche Fragen leichter eine Antwort zu finden ist als für andere.

Tatsächlich dürfte eigentlich niemand noch daran zweifeln, dass...


Daniel Thym ist Professor für Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht an der Universität Konstanz. Er ist einer der renommiertesten und medial gefragtesten Migrationsexperten Deutschlands. Von 2020 bis 2022 war er Stellvertretender Vorsitzender des Sachverständigenrats für Integration und Migration (Mitglied seit 2016) und wirkte 2019 bis 2021 in der Fachkommission der Bundesregierung zu Rahmenbedingungen der Integrationsfähigkeit mit. Aktuell ist Thym Vorsitzender des Beirats für Forschungsmigration beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie Mitglied im Beirat des dortigen Forschungszentrums.



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