E-Book, Deutsch, 194 Seiten
Töpffer Rosa und Gertrud
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8496-3777-4
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 194 Seiten
ISBN: 978-3-8496-3777-4
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine Novelle aus dem Leben eines Genfer Geistlichen.
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16.
Da es die Woche vor Pfingsten war, und ich auf eine Predigt für den Festtag sinnen mußte, so ließ ich am andern Tag den Damen sagen, daß sie mich vor dem folgenden Montage nicht erwarten sollten, und daß, im Falle sie zum Abendmahl zu gehen geneigt wären, als wozu ich sie übrigens noch einlade, sie mein Sohn zur Kirche geleiten würde, die der Wohnung, welche sie inne hätten, ganz nahe liege. Zu gleicher Zeit ließ ich ihnen einige Anweisungen zukommen über die Art und Weise, wie sie sich, vornehmlich in Hinsicht auf ihre Lage, vorzubereiten hätten, wenn sie dem Tische des Herrn nahen wollten, und schärfte ihnen nochmals die Ermahnung ein, sich einzuschließen, und während der übrigen Zeit sich keine Unvorsichtigkeit zu schulden kommen zu lassen, namentlich, daß sie durchaus keine Botschaft noch irgend einen Besuch annähmen, von wem es auch sei, außer von meinem Sohn und mir.
Denn in der That hatte mir die Zusammenkunft, auf welcher ich den Tag vorher den jungen Mann mit jener übelberüchtigten Frauensperson ertappt, und hauptsächlich der Kunstgriff, den er anzuwenden versucht hatte, um mich glauben zu machen, daß dieses Stelldichein nur zufällig gewesen wäre, lebhafte Unruhe und die ernstesten Besorgnisse eingeflößt. Bekanntlich gibt es im Schoße aller Pfarrgemeinden, besonders in den großen Städten, eine Hefe von verderbten Wesen, die, zuerst selbst verführt, sich nun ein abscheuliches Vergnügen und gleichsam eine Art von Rache für die Verachtung, zu der sie verdammt sind, daraus machen, ihrerseits wieder zu verderben, und durch ihre Vermittlung demjenigen beistehn, der darauf ausgeht, Andre in den Schmutz, worin sie selbst sich befinden, hineinzuziehen. Jenes Frauenzimmer, herabgesunken aus einer anständigen Lage, aus der ihr noch der Geschmack für eine gute Sprache und der Firniß guter Lebensart übrig geblieben war, außerdem gewandt, umsichtig, und die so gut wie ich das Personal des Viertels kannte, war eins jener unsaubern Wesen, und ich hatte vom ersten Augenblick an nicht daran zweifeln können, daß der junge Mann bei ihr, wenn nicht eine verabscheuungswürdige Stütze für Arglist, schlimme Anschläge und Ränke, so doch wenigstens Auskunft, von der er selbst Gebrauch machen konnte, gesucht hatte. Was überdies meine Vermuthung bestätigte, war das Beharren, womit er mir zweimal versicherte, "daß der Graf nicht kommen würde und daß die beiden jungen Personen unwiderruflich verlassen wären." Mußte er nicht wirklich so sprechen, er, dessen arglistige Unverschämtheit ich bei Gelegenheit des Briefes hinlänglich kennen lernen konnte, wenn er irgend einen Plan hegte, vermittelst einer vorgespiegelten Lockspeise der Heirat die beiden jungen Damen, nach denen es ihn gelüstete, in die Netze seiner ausschweifenden Lebensweise fallen zu lassen? Auch zweifelte ich fast schon nicht mehr, daß seine Aeußerung eine zu seinem Vortheil vorgebrachte Lüge war, und es wich allmälig bei mir jener Schreck, den ich das erstemal darüber empfunden hatte, als ich so weit ging, mir einzubilden, daß vielleicht gar kein solcher Graf in der Welt vorhanden wäre, und gäbe es dennoch einen dergleichen, so möchte er wohl auch so sein wie der Mensch, mit dem ich eben spräche, irgend einer von jenen Wüstlingen hohen Standes, die, nachdem sie ein junges Mädchen verführt und sie vollends in ihr Verderben gezogen haben, sie darauf der Schande, den Gewissensbissen, der Noth und oft dem Tode überlassen.
Unzweifelhaft bürgten mir die angeborne Wohlanständigkeit dieser Damen, jene Schutzwehr von guten Gewohnheiten, von Schüchternheit und Züchtigkeit, welche selbst weniger gut erzogene junge Personen gegen die Versuchungen des Lebens vertheidigen; hinreichend dafür, daß kein Angriff jemals ihre Keuschheit gefährden konnte, und daß jeder unmittelbare Schritt, um sie zu verderben, oder auch nur, um sie zu verführen, im Gegentheil nur dazu dienen würde, in ihnen jenen Abscheu zu erwecken, den sie schon bei Gelegenheit eines doch verstockten und weit mehr zweideutigen, als gradezu verletzenden Verfahrens empfunden hatten. Aber wenn ich einerseits mir sagte, daß ihre Lage selbst sie dem aussetzte, sich nach und nach von den Netzen schlimmer Anschläge umgarnen zu lassen, – denn einmal aus dem Taubenschlage vertrieben, wie sollten arme Tauben hier dem Blei, dort den Netzen des Jägers entgehen? – so hatte ich andererseits die noch gegründetere Furcht irgend einer Versuchung auf Schleichwegen, die, indem sie Herumträgereien, Verdächtigungen, ja irgend ein Aufsehen herbeiführte, bei den Millers für sich selbst Befürchtungen erregen, die beiden Freundinnen aus ihrem Hause vertreiben und sie noch einmal gedemüthigter, erniedrigter und näher dem Unglück, vielleicht die Beute des sie umstreichenden Entführers zu werden, obdachlos auf die Straße ausstoßen würde. – Ach, mein Gott! betete ich inbrünstig, indem ich an so große und viele Gefahren dachte, welche verlassene Mädchen von allen Seiten bedrohen. Hilf deinem schwachen Diener kämpfen, um diese beiden guten Kinder zu retten, und daß sie, einmal gerettet, das väterliche Dach wiederfinden, den Schutz ihrer Mütter, die Arche ihrer Familien, und die Segnungen alle, denen sie sich widerrechtlich entzogen haben.
17.
Am folgenden Sonntage predigte ich in St. Peter und stieg nach der Predigt und der Vorbereitung von der Kanzel, um den Kelch auszutheilen. Es war eine große Schaar von Gläubigen versammelt, und meine beiden jungen Damen verloren sich in ihrer bescheidnen Kleidung unter der Menge. Zuletzt kam auch die Reihe an sie, sich vor den Tisch des Herrn zu stellen, und ich richtete an sie im Allgemeinen jenen Bibelvers, den ich besonders für sie aufgespart hatte: "Ich will hingehen zu meinem Vater und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt vor dem Himmel und vor dir!" – Wie man sich denken kann – und dies war meine Absicht – empfanden sie eine große Gewissensunruhe beim Anhören dieser Stelle; übrigens aber hatte ich sie mit gesenkter Stimme gesprochen und so, daß es schien, als sei sie mir in der Reihe der andern ohne vorbedachte Absicht entschlüpft, dergestalt daß Niemand Ursach hatte, etwas Besonderes in diesem Umstande zu finden. Einen Augenblick darauf erblickte ich an dem andern Tische, dem der Männer, den jungen Wüstling, welcher auch in der Reihe vorüberzog, und zwar so, daß er meinem Blicke nicht entgehen konnte. Hierauf sagte ich bei mir selbst und zu mir selbst: "Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet", denn einen Augenblick später, und mein Stolz würde sich an dem Gedanken gelabt haben: "Dieser ißt und trinkt zu seiner eignen Verdammniß."
Nachdem die Kommunion beendigt war und wir dem Nachmittagsgottesdienst beigewohnt hatten, gingen wir, mein Sohn und ich, um einen Spaziergang durch die Gärten zu machen. Während wir gingen, setzte er mich in Kenntniß von dem, was inzwischen diese letzten Tage über bei den Millers vorgegangen war. Noch immer keine Briefe. Doch hatte es ihm geschienen, als äußere sich die Traurigkeit der Damen hinsichtlich dieser fehlschlagenden Hoffnung minder lebhaft als vordem, wohl aus dem Grunde sogar, daß sie sich mit der Betrübniß verband, in die meine Gespräche sie versetzt hatten. Sie hatten wieder begonnen, während den Zwischenzeiten ihrer langen Unterredungen zu nähen. Da aber Rosa am Donnerstag und Freitag sehr leidend gewesen war, so hatten sie ihn nicht in ihrem Zimmer zugelassen, so daß er sich darauf beschränkt, nachdem er seine Botschaft bei ihnen hatte ausrichten lassen, die Damen wiederholt der Madam Miller zu empfehlen. Aber diese hatte ihm übler Laune geschienen, und ihr Mann, der dazu gekommen war, hatte Unzufriedenheit darüber blicken lassen, daß diese Damen, indem sie sich nicht benähmen wie andere ihres Standes, sondern den ganzen Tag eingeschlossen blieben, während doch alle Welt wüßte, daß sie bei ihnen wohnten, ihnen üble Nachrede zuzögen; daß der Jude an der Ecke behauptet hätte, dies wären dieselben Fräulein, welche ihm Juwelenschmuck verkauft hätten, um ihre Schulden im Gasthause zu bezahlen; daß endlich sich das Gerede in dem Viertel verbreitet hätte, die eine von ihnen gebe sich dafür aus, als sei sie an einen deutschen Grafen verheiratet, was ihm Alles höchst unangenehm sei, selbst wenn nichts an dem Gerede wäre. Auf alles dieses hatte mein Sohn erwiedert, daß man die Leute reden lassen müsse, ohne selbst zu Herumträgereien Anlaß zugeben, und daß es den Millers, um all diesem Geschwätz zu begegnen, genügen solle, zu wissen, daß sein Vater diese Damen kenne, daß ihm ihre ganze Geschichte bekannt sei, und daß er sie grade deshalb unter seinen Schutz genommen und bei vorsichtig erlesenen Leuten untergebracht, denen er sicherlich nur wohl wollte.
Alles dies, obgleich es mich nicht allzu sehr befremdete, verursachte mir doch nichtsdestoweniger viele Sorge; denn außer daß ich voraussah, ich würde große Mühe haben, die Millers bei guter Stimmung zu erhalten und meine jungen Damen vor der böslichen Neugierde der Leute des Viertels zu schützen: so entging es mir auch nicht, daß das eine jener Gerüchte, für welche sich der Mann der Miller zum Werkzeug der Mittheilung hergegeben hatte, nämlich das letzte, augenscheinlich aus einer vergifteten Quelle herrührte, und daß der Verkehr zwischen dem jungen Mann und jener schlechten Frauensperson, von welchem ich gesprochen habe und den ich gefürchtet hatte, nur zu gewiß war. Ich meinerseits setzte nun meinen Sohn von alle dem, was ich wußte, in Kenntniß, und nachdem wir uns mit den ernsten Gedanken beschäftigt hatten, die der traurige Anblick dieser beiden jungen, durch die...




