von Wyl | Hyäne – Eine Erlösungsfantasie | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 200 Seiten, Format (B × H): 110 mm x 180 mm

von Wyl Hyäne – Eine Erlösungsfantasie


1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-906913-24-7
Verlag: Lector Books GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 200 Seiten, Format (B × H): 110 mm x 180 mm

ISBN: 978-3-906913-24-7
Verlag: Lector Books GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein bulimischer Global Player, der nervös wird, wenn er zu wenig fliegt. Eine junge Frau, deren unstetes Leben zwischen sinnlosen Callcenter und Garderoben-Jobs schwebt. Und eine Aktivistin, die nachts Warenhäuser verwu¨stet. Dazu die Angestellten eines multinationalen Konzerns mit einem visionären Plan fu¨r die Menschheit. Benjamin von Wyl fu¨hrt uns in hohem Tempo vom Jetzt in eine Zukunft, die Erlösung verspricht.

Es gibt Menschen, die sind zum Economy-Fliegen geboren. Er selbst wird nervös, wenn er zu wenig fliegt. In die Hinterhof-RegionMitteleuropa reist er nur deshalb, weil ihm Neocitranis alle Freiheiten beim Test seines »CEO For One Month«-Programms gibt.Sie sitzt jede Nacht im Fenster und beobachtet den Wachmann im Warenhaus gegenu¨ber.Ihr Leben ist unstet, ihre Jobs verschaffen ihr eine arhythmische Woche. Aus diesem stotternden Dasein wird sie rausgerissen, als sie beobachtet, wie dem Wachmann einesNachts eine Espressokanne u¨ber den Kopfgezogen wird. Die Erzählerin folgt der Flu¨chtenden, Hanna mit Namen: in einen Park, ins Jura, und in Hannas Theorien. Zusammen bildet das Paar eine Kapsel, ein Lebensmodell.

Doch dann besucht die Erzählerin das Casting fu¨r »CEO For One Month«. Hier will der Global Player sie zum »UBER-Mensch« formen. Hanna sucht die Erzählerin mit zunehmender Sorge. Eines Nachts stampft Hanna während der Suche u¨ber Kleiderberge und Firmenbadges. Am nächsten Morgen ist sie skeptisch. Sind es wirklich die Leute vom Neocitranis-Konzern, die die Menschheit von sich befreien wollen? Wenn es aber stimmt, als welche Art will sie fortan leben?

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3.Du wirst geschlagen
Die Frau am Schalter trägt das graue Hemd und darüber den ärmellosen Pulli der regionalen Schmalspurbahngesellschaft. »Die Kägifret sind gut hier«, sagt sie. Es ist ein Bahnschalter-Ortsladen-Hybrid. Du nickst. »Spearmint-Kaugummis dafür Aktion.« Du nickst nochmals und sagst, du liebst Spearmint, aber willst trotzdem nur zwei 20er-Mocken. Zucker ist deren Essenz, du kannst daran kauen, bis er aufgelöst ist. In deiner Mundhöhle. Isst du zu viele, bilden sich Aften. Und auf denen kannst du dann auch kauen – oder nicht gleich kauen, aber vorsichtig dein Schmerzempfinden ertasten. Es überrascht dich, dass es den Hybrid-Laden gibt. Tickets gab es lange nur am Automaten, und ein halbes Jahr ungefähr stand auch das Lokal leer: Du fährst im Vier-Monatstakt zu deiner Mutter. Jetzt ist es neu eingerichtet, das Sortiment scheint dasselbe wie am Kiosk von früher. Aber neu gibt es Preisschilder. »War meine Idee, ich musste mich durchsetzen«, erzählt die Hybrid-Beschäftigte. »Endlich fühl ich mich vollbeschäftigt.« Die Kioskfrau-only muss dafür wohl stempeln gehen. Obwohl: Niemand muss heute noch stempeln, also konkret mit Stempel. Die Kioskfrau sitzt vor einem der letzten Röhrenbildschirme im öffentlichen Dienst, im Büro der Arbeitsvermittlung. Sie beantwortet die Fragen, die sich ein arbeitsloses Comicmännchen stellt. »Kann ich denn auch mal Urlaub nehmen von der Arbeitslosigkeit?« Antwort A: Arbeitslosigkeit ist Urlaub. Antwort B: Wer in den Urlaub will, soll krampfen. Antwort C: Wenn Sie erfolgreich 60 Tage auf Ihre Würde verzichtet haben, dürfen Sie für 4 Tage verreisen. Alle 30 Tage kommt ein weiterer Tag hinzu. Wenn Sie sonst abwesend sind, müssen Sie einfach wirklich auf die Ultrabillig-Flugdestinationen setzen, damit Sie innerhalb von 24 Stunden in unserem Büro vorstellig werden können. Tipps für Profi-Arbeitslose: Üben Sie sich in unaufgeregten Lügestrategien, damit diese Form der Urlaubserschleichung erfolgreich ist. Das alles weißt du, weil du da auch mal gesessen hast: vor einem der letzten Röhrenbildschirme, bei einem marktresistenten Beamten. Der Beamte hat nicht gewusst, was ein Bachelorabschluss ist. Der Beamte hat nicht gewusst, was eine Kunsthistorikerin ist. Der Beamte hat als Fachkenntnisse »EDV-Kenntnisse« eingetragen. Du kaufst sogar fünf 20er-Mocken, drei mit Cola-, zwei mit Zitronengeschmack. Den ersten kaust du zu Ehren der Kiosk-only-Frau, für ihre Geduld mit dem Comicmännchen und den Männchen, die sich um die Arbeitslosen kümmern sollen. Den zweiten kaust du zu Ehren der Hybrid-Beschäftigten, für ihre Geduld, ihren Glauben an Preisschilder und an die Männchen, die sagen, es gehe für sie vorwärts, solange sie sich kümmere. Die anderen drei schlingst du runter, als Vorbereitung auf den Besuch bei deiner Mutter. 20er-Mocken waren 10er-Mocken, als du ganz klein warst, und 5er-Mocken, als deine Mutter klein war. Das sagt sie jedes Mal, wenn du ihr welche mitbringst. Solange du dich selbst erinnern kannst, wurde der 20er-Mocken-Preis nicht mehr bereinigt. Die, die im Kiosk einkaufen, haben auch noch denselben Lohn wie in der Zeit, als du klein warst. Du kaufst nur noch in deinem Mutterdorf im Kiosk ein, du magst nur noch hier den Geruch des Reformhauses nicht. Du schaffst es nur hier nicht, das Reformhaus überhaupt zu betreten. Weil es in deiner Kindheit Terra incognita war, weil dir Reformhäuser erst beigebracht worden sind, nachdem du weggezogen bist. Gehst du in deiner Lebensstadt ins Reformhaus, triffst du manchmal Kommilitoninnen. Sie kaufen ein; du kaufst dir eine Packung Schokodrops oder Spearmint-Kaugummi. Im Rot-Kreuz-Laden wirst du jedes Mal blöd angeglotzt, weil du nicht Dosenmöhren, Hackfleisch oder Blätterteigpastetchen kaufst, sondern Chiasamen-Öl, Mango-Chutney und die Frischteigwaren aus lokaler Produktion. Einmal fandest du ein Hibiskus-Salz für einen Franken. Weniger als ein Zehntel des früheren Preises, aber du hast das dann nicht gemocht. Der Zehntelpreis hatte einen Grund. Im Mutterhaus gibt es Blätterteigpastetchen mit Pilzen und Brätkügelchen. Deine Mutter fragt, wie es deinem Bruder geht. Du sagst, dass du ihn auch nie siehst. Sie sagt: »Hm.« Danach gibt es Studentenschnitten. Dann sagst du Tschüss. Wieder an der Bahnstation. Jetzt kaufst du dir ein Kägifret und überlegst kurz, ob du dir auch ein Winfor-life-Los leisten willst. Nein, das kostet 25 mal so viel wie ein 20er-Mocken. Besser nur ein Kägifret. Die Hybrid-Angestellte nickt beim Einkassieren. Wissend, dass es gut ist. Dass sie ein Leben besser macht. Ob du noch Spearmint-Kaugummis willst? Du stehst ans Gleis, deine Füße berühren die weiße Linie, die man nicht überschreiten soll. Aber hier fahren die Züge so langsam, dass auch Betrunkene nur dann unter ihnen landen, wenn die Lokführerin, der Lokführer betrunken ist. Es dauert noch, bis ein Zug einfährt. Es ist dein Zug, pro Stunde fahren zwei. Sonst bist du meist knapp, aber wenn du deine Mutter besucht hast, bist du immer zu früh an der Station. Du schaust denen zu, die auf der anderen Seite der Gleise arbeiten. Das gibt dir ein schlechtes Gewissen: Du bist übereilt vom Plastikpolster aufgesprungen. Du bist zu schnell gegangen. Du weißt, dass sich deine Mutter daran gewöhnt hat. Dass sie sich von deinem Bruder anderes gewohnt ist. Sie lässt es dich spüren. Du hast dich noch nie gefragt, was die Firma produziert. Aber eigentlich liegt es auf der Hand: Die Müller Draht AG produziert Draht. Draht, diese Holzrollen, die die Arbeitenden zu zweit über den Vorplatz rollen. Manche auf Europaletten; andere in eine Mulde, so groß wie die bei der Schrottabgabestelle, an der du vorhin vorbei bist. Die Draht AG braucht so viel Platz für Schrott wie das Dorf von 1500 Einwohnerinnen. Draht. Gestern ist der Fernseher gekippt, als deine Mutter einen DVD-Player anschließen wollte. Das hat sie mit knapp zwanzig Jahren Verspätung auch noch ins 21. Jahrhundert gehievt: Fernsehröhre? Keine Chance. Weg mit der Röhre, weg mit dem Draht, wenn so eine Mulde wo steht, heißt das nichts Gutes. Abwickeln, abwickeln, ankommen im Jetzt, das heißt nichts Gutes. Du denkst, in zwei, drei Jahren werden sich junge Architektinnen in die Müller Draht einmieten. Oder Illustratorinnen, die haben weniger Geld. Die gehen auch hierhin für eine tiefe Miete. Dann ist fertig Fertigung! Wenn es hier wenigstens Kohletagebau gegeben hätte, könnte man die Gruben mit Wasser füllen. In zehn Jahren würde ein von der Lonely-Planet-Losung »off the beaten track« geprägtes Musikfestival starten; in zwanzig Jahren könnte die Landschaft mit der Center-Parcs-Fernsehwerbung konkurrieren. Ob die Kanu- und Kayaktouristen dann um die Spitze des Kirchturms kurven, weil man gleich das ganze Tal geflutet hat, oder ob sie nur über den Gruben paddeln, wäre zweitrangig. Aber nix da: Deine Mutter kauft einen neuen Fernseher auf Raten; der Lehrling im Elektronikgeschäft verdient sich so eine handgeschriebene Weihnachtskarte vom Chef, und die Hallen der Müller Draht leeren sich, bis die jungen Architektinnen sie füllen, um die Landschaft anderswo, in Zentrumsnähe, zu verbauen. Obwohl … vielleicht auch nicht: Neben der Müller Draht ist eine Grube, Schutt, Kies, vielleicht mit Lindan verseucht. Du erinnerst dich, dass zwei aus deiner Klasse da jeden zweiten Tag ein Fenster eingeschlagen haben. Als dort noch eine leere Halle stand. Fenster einschlagen von draußen, Schlüsselbundpressen gegen innen – die Jungs haben sich über deine christlichen T-Shirts lustig gemacht. Aber sie hatten wohl ähnlich obsessive Energie, dazu braucht es nicht deinen Exfreund, JC. Du schleichst mit dem Zug in die Zivilisation. Du presst deine Schläfe gegen das Zugfenster, wie du es früher gemacht hast, als das dein Weg zum Gymnasium war, da hast du bereits das Schloss ausgewechselt: Jesus bekam die Schlüssel nicht. Damals, als du abends aus der Zivilisation zurückkehren musstest. Als du es nicht erwarten konntest, sie nie mehr verlassen zu müssen. Was für eine falsche Erwartung! Du hättest dich im Tal einrichten sollen. Abwarten, ob die Flut kommt oder nicht. Du hättest den Ausweg in die Drogen nehmen können. Viele Ex-Junkies sind heute verheiratet; einer leitet das Anzeigenblatt im Tal. Die haben auch die Ruhe, um in Gemeinderäte einzutreten. Du denkst an deinen Bruder. Nein, Drogen verklären konntest du nie. Und wahrscheinlich hätte er auch im Tal den Ausstieg nicht geschafft. Aber eine Lehre hättest du machen können. Du hättest für den Halbmarathon im Nachbarort trainieren können, weil es früher nicht mehr weitergegangen wäre, nach dem Abschluss. Da du diese Abzweigung nicht genommen hast, hättest du später wenigstens eine andere nehmen können: den Weg via Titel gehen, auch ewiges Trainingsprogramm. Du hättest an der Uni bleiben können: die Gemächlichkeit im Kampf um Relevanz – du hättest Arbeitszeiten! Vielleicht. Die Unihierarchie verteilt Grants, bestimmt über Teilnehmerinnen-, Teilnehmerlisten auf Konferenzen, entscheidet, wer zuerst reden und wer wie viel Geld verteilen darf. Das ist...


von Wyl, Benjamin
Benjamin von Wyl, geboren 1990. Studium der Germanistik / Geschichte in Basel. Managing Editor Vice Switzerland 2014 / 15. Dramaturg am Theater Neumarkt 2015 / 16. Seither freischaffender Journalist, u.a. regelmäßig fu¨r WOZ, Swissinfo und die Medienwoche.



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