Voskuil | Das Büro | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 848 Seiten

Voskuil Das Büro

Direktor Beerta

E-Book, Deutsch, 848 Seiten

ISBN: 978-3-406-63734-6
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Als Maarten Koning eine Stelle als wissenschaftlicher Beamter in einem volkskundlichen Büro antritt, ändert sich sein Leben schlagartig. Von nun an beschäftigt er sich mit Wichtelmännchen – und mit den lieben Kollegen. Der graue Büroalltag wird aufgelockert durch ergebnislose Sitzungen, nutzlose Dienstreisen und feucht-fröhliche Kongresse. Und bei alledem versteht es Direktor Beerta meisterhaft, immer neue Projekte und Stellen zu schaffen…
Was Joanne K. Rowling für England war, war J. J. Voskuil für die Niederlande: Sein monumentaler Büro-Roman löste eine wahre 'Büromanie' aus mit Fanklubs und langen Schlangen im Morgengrauen vor den Buchhandlungen. Mit seinen knappen Schreibtischdialogen, lakonischen Schilderungen von Arbeitsabläufen und einem bitterbösen Gespür für die urkomischen Aspekte des Bürolebens hat Voskuil den Nerv unserer arbeitswütigen Zeit getroffen. Während der Leser wie bei einer Soap-Opera atemlos einer Szene nach der anderen folgt, wird er unmerklich in das Leben des Maarten Koning hineingezogen. – Ein Trostbuch für alle, die jeden Morgen ihren Kaffee kochen und ins Hamsterrad der Projekte und Konferenzen steigen.
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1958
Neben dem Büro war eine schmale Gasse, nicht viel mehr als ein Spalt zwischen den Häusern, der an einer hohen Mauer endete. Es lagen dort alte Kisten und Kartons, Unrat, der sich im Laufe der Zeit angesammelt hatte und zwischen dem manchmal Ratten herumliefen. Ungefähr in der Mitte der Gasse gab es eine Doppeltür, die über einen Abstellraum zum Flur des Büros führte. In diesem Raum konnte das Personal die Fahrräder abstellen. Die Tür wurde jeden Abend von de Bruin verriegelt und morgens wieder aufgeschlossen. Sobald Maarten sie entdeckt hatte, betrat er durch sie das Gebäude, um nicht klingeln zu müssen. Meist begann das Glockenspiel am Zuiderturm zu spielen, wenn er sich dem Büro näherte, und etwa jedes dritte Mal gelang es ihm, genau in diesem Augenblick die Gasse zu betreten und Schlag neun seinen Stuhl unter den Schreibtisch zu ziehen. Der Raum von Fräulein Haan, den er durchqueren musste, um sein eigenes Zimmer zu erreichen, war dann noch leer. Beerta war gewöhnlich schon da oder kam direkt nach ihm herein. Am Tag nach Neujahr war Beerta der Erste. Als Maarten durch die Tür des Abstellraums den Flur betrat, sah er dessen Mantel und Baskenmütze an der Garderobe hängen, am ersten Haken, wo sie immer hingen. Der Haken wurde von niemandem sonst benutzt, auch nicht, wenn Beerta einmal ein paar Tage nicht da war. Er zögerte, fasste dann aber doch den Entschluss, dem er den ganzen Weg zum Büro mit Schrecken entgegengesehen hatte, und ging den langen Flur zurück zur Eingangstür. De Bruin war in seinem Verschlag dabei, Kaffee zu machen. „De Bruin“, sagte er. „Ein frohes Neues Jahr!“ Er betrat den Verschlag und streckte seine Hand aus. „Ja, ebenfalls“, sagte de Bruin. Sie gaben sich die Hand. „Und dass du mal ein großer Junge wirst.“ Er lachte spitzbübisch. „Habt ihr noch was gemacht?“, fragte Maarten aus Höflichkeit. „Karten gespielt und Schnaps getrunken“, sagte de Bruin. „Ist auch nicht mehr das, was es früher mal war. Und ihr?“ „Wir haben mit meiner Schwiegermutter Mensch ärgere dich nicht gespielt.“ „Geht auch. Wenn man sich nur nicht ärgert.“ Er lachte über seinen Witz. „Ich habe mich zu Tode geärgert, denn ich habe verloren.“ Er war einen Schritt zurückgetreten und stand bereits wieder auf der Türschwelle. „Und das kannste nicht gut haben.“ „Nein“, sagte Maarten lachend. Noch mit dem Lachen im Gesicht ging er den Flur wieder zurück und bog um die Ecke, als sich in ihm alles zusammenzog. Auf dem Weg zu seinem Zimmer merkte er, dass er durch dieses kurze Scheißgespräch bereits gespannt war wie eine Feder. Ich bin ungeeignet für diese Art Traditionen, dachte er zum soundsovielten Mal. Sobald er das Zimmer betrat, schob Beerta seinen Stuhl nach hinten und stand auf. „Tag, Herr Beerta“, sagte er, wie gewöhnlich. Beerta kam ihm mit ernstem Gesicht entgegen. „Ich wünsche dir und deiner Frau zunächst einmal ein glückliches Neues Jahr“, er gab Maarten die Hand, „und dann gratuliere ich dir auch noch zu deiner Ernennung zum wissenschaftlichen Beamten.“ Er sah ihn feierlich an. „Ihnen auch“, sagte Maarten verwirrt. „Hast du angenehme Tage gehabt?“ „Wir haben meine Schwiegermutter zu Besuch.“ Ihm fiel zu spät ein, dass er auch auf die Beförderung hätte reagieren müssen. „Dieses Vergnügen ist mir unbekannt“, sagte Beerta ironisch. „Ich beneide dich.“ Er wandte sich ab, wollte sich wieder hinsetzen, doch in dem Moment klopfte es bescheiden an der Tür, und unmittelbar darauf trat van Ieperen ein, noch ohne seinen weißen Kittel. „Herr Beerta“, sagte er, während er mit ausgestreckter Hand auf Beerta zuging. „Meinen Herzlichen!“ Er kicherte nervös. „Vielen Dank, Herr van Ieperen“, antwortete Beerta beherrscht. „Ich wünsche Ihnen dasselbe.“ „Und dir natürlich auch“, sagte van Ieperen, wobei er Maarten die Hand gab. Vor Nervosität ging er kurz in die Knie und war auch schon wieder zur Tür hinaus, als diese gleich darauf erneut aufging. Wiegel. „Herr Beerta“, sagte er vergnügt, während er mit ausgestreckter Hand zwischen Maarten und dem Tisch auf ihn zuging. „Darf ich Ihnen nach gutem altem Brauch aufrichtig ein glückliches Neues Jahr wünschen?“ „Das dürfen Sie“, sagte Beerta gnädig. „Ich wünsche Ihnen dasselbe.“ Sie gaben sich die Hand. „Und dir natürlich auch“, sagte Wiegel zu Maarten. Maarten nickte. „Und ich hoffe, dass wir beide in diesem Jahr das Vergnügen haben werden, Ihre Bibliographie im Druck erscheinen zu sehen“, sagte Beerta, der noch nicht zu Ende gesprochen hatte. „Gelegentlich erinnern Sie mich an das Märchen vom Männchen Piggelmee“, sagte Wiegel schmunzelnd, schon wieder auf dem Weg zur Tür. „Das hatte drei Wünsche frei“, antwortete Beerta. „Mir genügt einer.“ „Ihre Bescheidenheit wird Sie vor seinem Los bewahren“, prophezeite Wiegel mit der Hand am Türgriff. „Ich danke Ihnen“, sagte Beerta trocken. Er hob seine Schreibmaschine vom Tisch, während Wiegel die Tür hinter sich schloss, und stellte sie auf seinen Schreibtisch. „Diese Neujahrsgratuliererei ist eine richtige Plage. Ich bin froh, wenn ich das wieder hinter mir habe.“ Er begann zu tippen. Gleich darauf wurde er von Meierink unterbrochen. „Tag, meine Herren!“ Er trat auf Beerta zu, der sich wieder vom Schreibtisch erhob. „Ich wünsche Ihnen ein glückliches Neues Jahr, Herr Beerta“, sagte er schleppend. „Vielen Dank, Herr Meierink“, antwortete Beerta und gab ihm die Hand. „Ich wünsche Ihnen dasselbe und hoffe, dass Sie dieses Jahr nun endlich Ihr Lehrerexamen schaffen.“ Meierink lachte dümmlich. „Das hoffe ich auch.“ „Sie müssen sich nur immer sagen: Ausdauer und Geduld gewinnen des Glückes Huld.“ „Ja, das denke ich auch manchmal“, gestand Meierink. „Wir werden jedenfalls das Beste hoffen.“ Er wandte sich Maarten zu. „Und Ihnen ebenfalls ein glückliches Neues Jahr.“ Er gab ihm die Hand. „Ich danke Ihnen“, sagte Maarten. Er wollte noch „Gleichfalls“ sagen, doch er konnte es nicht über die Lippen bringen. Noch bevor Meierink zur Tür hinaus war, saß Beerta bereits wieder vor seiner Schreibmaschine und tippte. Fünf Minuten später hörte er auf, zog seine Uhr aus der Brusttasche und schaute darauf. „Es sieht so aus, als ob Nijhuis diesmal nicht kommt.“ Er stand auf und verließ das Zimmer. Maarten hörte, wie er Fräulein Haan ein glückliches Neues Jahr wünschte und anschließend die Tür zum ersten Raum öffnete. Es dauerte geraume Zeit, bis er zurückkam. „Hast du dich schon mal mit dem Neuen unterhalten?“, fragte er. „Nein“, sagte Maarten. „Ich habe den Eindruck, dass er nicht glücklich ist.“ Er nahm wieder an seinem Schreibtisch Platz. „Er hat Probleme.“ „Die hat jeder ab und zu“, wehrte Maarten ab. „So ein reines Vergnügen ist das Leben nun auch wieder nicht.“ „Nein, er hat Probleme“, beharrte Beerta. „Ich glaube, ich werde ihn mal zu mir nach Hause einladen.“ * „Das scheint mir eine nette Aufgabe für dich“, sagte Beerta. Es war der Brief einer Sozialarbeiterin an einem Altenheim in Assen. Sie habe von einer betagten Bewohnerin den Fragebogen des Büros bekommen und frage sich nun, ob es nicht eine gute Idee sei, wenn jemand vom Büro die Fragen erläutern und über früher erzählen könne, weil es dafür sicherlich Interesse gebe. Sie wolle dann ihrerseits dafür sorgen, dass eine Reihe von Fragebogen von den Senioren, die aus unterschiedlichen Dörfern stammten, ausgefüllt würden, als nützlicher Zeitvertreib, aber auch im Interesse ihrer schönen Arbeit. „Was soll ich damit?“, fragte Maarten, nachdem er den Brief zweimal gelesen hatte. „Du sollst ihr schreiben, dass du ihre Einladung zu schätzen weißt und sie in den nächsten Tagen anrufen wirst, um einen Termin zu vereinbaren. Drenthe ist immer eine schwierige Provinz gewesen. Und Altenheimbewohner eignen sich hervorragend dafür, weil sie normalerweise aus einfachen Verhältnissen stammen.“ Er blickte kurz nach hinten, um zu sehen, wie Maarten reagierte, doch der blieb stumm. Er saß dort mit dem Brief in der Hand, unglücklich. „Es scheint fast so, als ob du davor zurückschreckst“, frotzelte Beerta. „Ich wäre sicher für so eine kleine Spazierfahrt zu haben. Herrlich. Vielleicht bekommst du sogar ein Stück Kuchen, denn in so einem Hause hat doch ständig jemand Geburtstag. Wenn ich nicht so viel zu tun hätte, würde ich es dir sofort abnehmen.“ „Das weiß ich. Ich hätte es Ihnen gern...


Johannes Jacobus (Han) Voskuil, 1926–2008, war von 1957 bis 1987 als Beamter an einem volkskundlichen Institut in Amsterdam beschäftigt. Er debütierte 1963 mit einem Roman, doch seinen Durchbruch als Schriftsteller erlebte er mit 'Het Bureau', der in den Jahren 1996 bis 2000 in sieben Bänden erschien. Weitere Romane folgten. Am 1. Mai 2008, dem Tag der Arbeit, schied J. J. Voskuil nach schwerer Krankheit freiwillig aus dem Leben.


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