Wadsworth | Mrs. Medina | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 430 Seiten

Wadsworth Mrs. Medina


1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-944576-35-0
Verlag: Verlag Krug & Schadenberg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 430 Seiten

ISBN: 978-3-944576-35-0
Verlag: Verlag Krug & Schadenberg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein poetischer Roman über die Liebe, über Abschied und einen Neubeginn ... 'Am Tag nach unserer Ankunft teilte ich mir mit dieser Frau den Fahrstuhl im Hotel, eine lange, gemächliche Fahrt nach unten. Unsere Augen trafen sich, als ich einstieg, dann drehte ich mich um, und blickte nach vorn, wie man es im Fahrstuhl eben macht. Da war ein schwacher, vielschichtiger Duft, wenn ich mich recht entsinne, nichts Blumiges. Berauschend. Sie trug ein graues Kostüm, das sich eng an ihre hochaufragende Gestalt schmiegte, so wie es damals Mode war, darunter ein weißes hüftlanges Top. Kleine schimmernde Perlen. Ich erinnere mich an eine Art Aura, die sich um uns herabsenkte. Ich spürte, dass etwas im Begriff war zu geschehen, etwas Körperliches, glaube ich. Ich hatte keine Erfahrung mit derlei Gefühlen ...' Fünfundzwanzig Jahre nach dieser Begegnung, die sich während ihrer Hochzeitsreise ereignete, trifft Mrs. Medina, eine kultivierte Dame im Alter von neunundfünfzig Jahren, erneut eine Frau, die ihr nicht aus dem Sinn geht: Lennie, eine junge Blumenverkäuferin. Und diesmal lässt sie geschehen, was sie sich damals versagt hat ...

Ann Wadsworth lebt in Boston, Massachussetts, und ist als Herausgeberin für die Publikationen der Bibliothek Boston Athenaeum verantwortlich. 'Mrs. Medina' ist ihr erster Roman und gilt mittlerweile als der 'Late Bloomer'-Roman schlechthin, in dem von der späten lesbischen Liebe der Mrs. Medina erzählt wird. In der erotischen Anthologie 'Begehren' ist eine Erzählung von Ann Wadsworth enthalten.

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In der Klinik saß ich anfangs immer am Fenster und sah hinaus. Manchmal den ganzen Tag lang, oder fast den ganzen Tag. Da mein Zimmer zur Straße lag, gab es einiges für mich zu sehen, und ich entdeckte, dass sich nach einer Stunde oder so eine gewisse Regelmäßigkeit der Ereignisse einzustellen schien, eine Art Balance. Ein Auto biegt um die Ecke, hält, setzt zurück, parkt. Eine Tür knallt zu. Eine Frau geht davon (sie ist groß, dünn, ihre Haut hat die sahnige Farbe von Cappuccino), und ihre Bahn wird von einem Mann ausgeglichen, der quer über die Straße geht, um sie einzuholen. Er winkt mit einem kleinen Päckchen, das in rotes Papier eingeschlagen ist. Sie treffen sich; sie reden miteinander. Sie küsst ihn auf die Wange. Dann setzen die beiden ihren Weg gemeinsam fort. Während dieses Abenteuers hält ein Bus auf der Hauptverkehrsstraße, einen halben Block entfernt. Zwei Jungen, Mützen in der Hand, steigen in einem Wirbel von Beinen und fernen Rufen aus. Eine Brise weht die Straße hinunter, hebt die Gardinen eines Zimmers in dem Backsteingebäude direkt gegenüber. Ein Stück alte Zeitung flattert und segelt über den Gehsteig. Ein Auto fährt vorbei, sein Auspuff undicht und knatternd. Ich höre ein kurzes Hämmern von Musik. Zwei Frauen kommen die Straße herunter, beladen mit Einkaufstaschen; sie begegnen einer dritten. Sie bleiben stehen und reden miteinander. Setzen die Taschen ab. Sie lachen. Auf der anderen Straßenseite tritt eine weitere Frau aus einem Gebäude, sieht die Straße hinauf und hinunter und stemmt die Hände in die Hüften. Sie sieht in meine Richtung, setzt ihre Brille ab. (Sieht sie mich?) Graue Strähnen entwischen dem pinkfarbenen Schal, den sie sich um den Kopf geschlungen hat. Denkt sie an die Verrückten hier hinter den vergitterten Fenstern? Ich verfolge diese Geschehnisse mit gleichgültiger Neugier und denke an Räder, Uhren, die Ordnung von Zifferblättern und Zahlen. Bin ich verrückt? War ich es? Zu jener Zeit stand mein eigenes Leben in einer düsteren Ecke, still, doch mit einer gewissen Bedrohlichkeit, und wartete darauf, dass ich mich seinem Blick stellte. Ich versuchte, diesen Augenblick so lange wie möglich hinauszuzögern. Ich behielt die Augen auf der Straße und meine Hand auf der Uhr. (Die Straße war die Eule Avenue, in einem der eher bescheidenen Randbezirke von Boston.) Es heißt, dass unser Kosmos sich ins Chaos ausdehnt, aber in jener Straße erblickte ich die Bestätigung von Ordnung, solange ich nicht zu aufmerksam hinsah. Genau wie früher die unüberdachten Tribünen im Baseball-Stadion Fenway Park an einem heißen Juli-Nachmittag auf wundersame Weise farblich ausgewogen schienen – die roten Hemden, die weißen Hemden, das grüne Kleid, der nackte Oberkörper. Solange man nicht zu genau hinsah. Und ich musste mich hüten; wenn ich zu genau auf die Straße hinausblickte, dann sah ich vielleicht die hässlichen Tabakflecken auf den Zähnen der Frau mit dem pinkfarbenen Schal oder wie der Mann mit dem roten Päckchen sich um Mitternacht auf Zehenspitzen in das Zimmer seiner Tochter stahl und in ihr Bett glitt, in dem sie wartete, Schlaf vortäuschend, und sich wünschte, sie wäre tot. Aus dem stillen Zentrum des Chaos beobachtete ich und versuchte geduldig zu lernen, wieder ein Leben zu leben. Oberflächlich betrachtet war ein Großteil meines Lebens – von den letzten vier oder fünf Monaten abgesehen – so ausgewogen gewesen wie diese Straße. Ich vermute, das war die Krankheit, von der ich genesen sollte, aber ich stehe allzu offenkundigen Parallelen misstrauisch gegenüber. Ich war nicht dumm. Meine Erfahrungen gehörten jedenfalls zu der geregelten und überschaubaren Art wie, sagen wir, eine Reise durch die griechische Inselwelt, die nur fünfzehn Minuten je Insel veranschlagt, und alle sind angewiesen, spätestens um halb sechs wieder an Bord zu sein, bereit zum Ablegen. Ich glaube gern, dass einer der Gründe, aus denen ich mich zu Patrick hingezogen fühlte, darin lag, dass er so klare Vorstellungen davon hatte, was er wollte, was er mochte. Er hätte sich für eine der griechischen Inseln entschieden und die Reisegruppe gebeten, ihn dort zurückzulassen. Mit ihm zusammen musste ich nicht länger eigene Entschlüsse fassen. Nach seinem Tod jedoch musste ich natürlich sofort eine ganze Lebzeit an Entscheidungen treffen. Und zu der Zeit waren die meisten meiner Wahlmöglichkeiten bereits verstrichen. Oder die wichtigste, vielleicht. In jener Klinik zu sein war eine verstörende Erfahrung, obwohl die anderen das glücklicherweise nicht zu bemerken schienen. Als Hauptgrund dafür, mich freiwillig in die Klinik begeben zu haben, führte ich an, dass ich jemanden brauchte, der mich eine Weile bekochte. Ich glaubte nicht, ernsthaft gestört zu sein. Doch der Körper kann – ganz auf sich gestellt – verrückt spielen, während der Kopf noch klar denkt. Ich glaube nicht, dass ich gegessen hätte, wenn nicht jemand anders gekocht hätte. Taylor Bond, mein Therapeut, hatte einiges dazu zu sagen. Wir sind nicht immer einer Meinung, aber wir kommen miteinander klar. Es spielt im Grunde keine Rolle, wer von uns recht hat. Anfangs gab es in meinem Klinikzimmer nur das Bett, einen schlichten Holztisch, eine Metallampe mit einem biegsamen Schwanenhals. Einen schweren Polstersessel, in dem ich lesen konnte. Ein gerahmtes Blumenbild an der Wand, ich weiß nicht, was für Blumen – ich konnte Blumen damals nicht lange genug ansehen, um sie zu bestimmen. Rote und gelbe. Auf meinem Tisch lag ein einziges Buch, ein Wörterbuch. Anfangs wunderte ich mich nicht darüber. Später, als ich länger wachblieb, blätterte ich in dem Wörterbuch, um mir die Zeit zu vertreiben. Ich entdeckte, dass eine Seite schrecklich zerknüllt und dann wieder glattgestrichen worden war, nicht übermäßig erfolgreich. Auf dieser Seite war das Wort dumpf mit schwarzem Filzstift dick umkringelt worden: dumpf (Adj.) ( ~er, ~[e]ste) [verkürzt aus ? dumpfig]: 1. hohl od. dunkel u. gedämpft [klingend]. 2. feucht, von Feuchtigkeit verdorben o. ä., im Geruch u./od. Geschmack davon zeugend, so dass es beim Atmen unangenehm ist, den Atem beklemmt; muffig, modrig. 3. untätig, geistig niedergedrückt od. unbeweglich u. ohne Anteilnahme am äußeren Geschehen; stumpf[sinnig; abgespannt; erstarrt]. 4. nicht klar ausgeprägt, undeutlich [hervortretend], unbestimmt, ohne klare Besinnung, unklar, unbewusst. 5. (veraltend) benommen (auch taub, gefühllos). Ich erkannte mich sofort in all diesen Begriffserklärungen, und ich wusste, dass ich diejenige gewesen war, die das Wort eingekringelt und dann die Seite malträtiert hatte. Wann das gewesen war, wusste ich allerdings nicht mehr. Wenn ich nicht die Straße beobachtete, lag ich in meinem Bett und betrachtete den Baum und den Himmel (eine banale Sache für Menschen im Gefängnis oder in einer Klinik, aber ich »betrachtete« gar nicht wirklich; nach einer Weile »sah« ich kaum mehr). Ich bat sie schließlich, das Blumenbild fortzunehmen, und bald darauf brachte Bond mir etwas anderes, eine kleine Reproduktion von einem der Bilder Canalettos von der Piazzetta in Venedig. »Hier«, sagte er. »Die Blumen haben mir auch nicht besonders gefallen. Ich möchte, dass Sie sich das hier jeden Tag einfach bloß anschauen.« »Ich werde versuchen, daran zu denken.« »Betrachten Sie es. Es gibt eine Menge zu sehen. Versuchen Sie, jeden Tag etwas Neues zu entdecken.« »Ich kenne dieses Bild sehr gut. Ich habe es schon oft betrachtet.« Ich lächelte. »Ich glaube nicht, dass ich noch etwas Neues entdecken werde.« »Versuchen Sie es einfach.« »Ist das eine Vorübung für irgendwas?« Ich gewann den – niemals erhärteten – Eindruck, dass dieses Bild von einem anderen Patienten zurückgelassen worden war. Also betrachtete ich es; die Einzelheiten in Canalettos Bildern können wundervoll sein. Doch ich besitze eine Radierung von Whistler, die viel besser ist, viel stimmungsvoller, wie die Stadt selbst. Als ich das Gemälde sah, erinnerte ich mich, wie mich eine Aussicht, ein Sonnenuntergang, ein geselliges Mahl einst hatten bewegen können; einst hatte ich gespielt, sogar gelacht und nicht darüber nachgedacht, ob ich glücklich war. Bond hat vielleicht geglaubt, dass diese frühere Person einfach durch eine kleine Erinnerung daran wiedererschaffen werden könnte, genau so, wie ein Hologramm sein Gesamtbild aus einem kleinen Stück seiner selbst rekonstruieren kann, auch wenn der Rest zerstört worden ist. Aber mit diesem Plan wollte ich nichts zu tun haben. Ich muss den Rest meines Lebens leben, und obwohl ich nicht weiß, wie ich das bewerkstelligen werde, möchte ich doch nicht, dass diese frühere Person daran beteiligt ist. Eines Nachts wachte ich auf, hörte den Märzwind in den Bäumen und meinte den stechenden Duft eines Herbstfeuers zu riechen, wie Patrick und ich es gerochen hatten, als wir Jahre zuvor über die Felder bei Assisi gingen. Ich glaubte deutlich die Stimme eines jungen Mannes zu vernehmen, der bei der Olivenernte war und uns eine Warnung zurief wegen einiger Sicheln, die er am Weg entlang hatte liegenlassen. Wir hatten angehalten, überrascht, mochten keinen Schritt mehr tun – Patrick dachte aus irgendeinem Grund, dass er uns erschießen wollte –, aber der junge Mann hatte gelacht und dorthin gewiesen, wo die Sicheln lagen, und uns weitergewinkt. Es war dumm, ein unvermitteltes kleines Missverständnis, aber Patrick und ich hatten uns voller Erleichterung...


Ann Wadsworth lebt in Boston, Massachussetts, und ist als Herausgeberin für die Publikationen der Bibliothek Boston Athenaeum verantwortlich. "Mrs. Medina" ist ihr erster Roman und gilt mittlerweile als der "Late Bloomer"-Roman schlechthin, in dem von der späten lesbischen Liebe der Mrs. Medina erzählt wird. In der erotischen Anthologie "Begehren" ist eine Erzählung von Ann Wadsworth enthalten.



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