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E-Book

E-Book, Deutsch, 272 Seiten

Wagner Herrgottsacker

Kriminalroman

E-Book, Deutsch, 272 Seiten

ISBN: 978-3-96041-769-9
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Kein



Ein verstörendes Verbrechen in Rheinhessen

Unter einer verlassenen Gartenlaube bei Mainz werden menschliche Knochen gefunden. Zunächst deutet alles darauf hin, dass sie aus einem der Gräber des nahen Friedhofs stammen. Doch dann verdichten sich die Hinweise auf einen Mord, der erst wenige Jahre zurückliegt – und niemand scheint den Toten zu vermissen. Kriminalhauptkommissar Harro Betz und seine Kollegen stehen vor einer harten Probe. Wie sollen sie ein Verbrechen aufklären, dessen Opfer gar nicht zu existieren scheint?
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2
Ravindra Timotheus Bingenheimer trat kräftig in die Pedale seines Damenrades. Die Kette quietschte. Nach vier verregneten Wochen, die sein Gefährt ungenutzt im nicht überdachten Innenhof des Mehrfamilienhauses in der Mainzer Neustadt hatte ausharren müssen, war das wenig überraschend. Auch in voller Fahrt entlang der Boppstraße konnte Ravi deutlich erkennen, dass eine geschlossene Rostschicht alle wichtigen Bauteile dort unten zwischen seinen Füßen überzog. Das betraf die Kette ebenso wie den Zahnkranz und die Pedale. Die daraus resultierenden Geräusche klangen insgesamt wenig vertrauenswürdig, zumal er sich nicht erinnern konnte, dass das Kugellager schon vor seinem Urlaub an zwei Stellen so beängstigend geknackt hätte. Immerhin hatte er, als er gestern Nacht nach Hause gekommen war, feststellen dürfen, dass sein Fahrrad überhaupt noch da war. Das war in dieser Gegend keine Selbstverständlichkeit. Ein gleichmäßiger Rhythmus aus schiefen Tönen begleitete seine morgendliche Fahrt. Selbst sein dunkler Rucksack mit dem Karabinerhaken daran klapperte im Drahtkorb hinter ihm. Die Oktobersonne schien und wärmte sogar noch ein wenig. Ravi empfand eine ehrliche Vorfreude auf die Arbeit und die Kollegen, die er so lange nicht gesehen hatte, obwohl er sich im Moment noch sehr fern von alldem fühlte, was ihm eigentlich alltäglich war. Die vergangenen Wochen hatten alles verändert. Ein paar Stunden daheim in seiner Wohnung hatten nicht einmal ansatzweise ausgereicht, um Ordnung in seinem Inneren zu schaffen. In seinem Kopf herrschte das reinste Durcheinander, und er war froh, den Schmerz, der ihn während des langen Flugs umfangen hatte, ab jetzt mit Ablenkung bekämpfen zu können. Obwohl er sich ziemlich sicher war, dass das kein einfaches Unterfangen darstellte. Die vielen Eindrücke der Reise drängten in jeder freien Minute auf ihn ein und rissen an ihm. Er hatte versucht, Klarheit zu schaffen, und dadurch noch viel mehr neue Fragen aufgeworfen, die ihn ab jetzt begleiteten. Der Fahrtwind wirbelte seine dichten schwarzen Haare durcheinander. Dass er sie wie jeden Morgen mit ein paar Bürstenstrichen zurückgekämmt hatte, war bereits nach kurzer Zeit kaum mehr zu erahnen. Er hatte seine Haare und seinen Bart während der Reise wachsen lassen. Im Unterschied zu dem, was auf seinem Kopf daraus geworden war, sah das Resultat auf seinen dunklen Wangen und am Kinn eher bedauernswert aus. Er bereute es jetzt schon, dass er die dünnen, in alle Richtungen stehenden Flusen vorhin nicht doch noch schnell wegrasiert hatte. Harro und Tobias würden sich prächtig über ihn amüsieren. Um das zu wissen, bedurfte es wenig seherischer Fähigkeiten. Er musste grinsen, weil er ihre Stimmen bereits im Ohr hatte. Harros knappe und fast immer treffende Kommentare, in denen er nicht mit Spott geizte. Als Ältester und ihr Chef nahm er sich heraus, alles sagen zu dürfen, was ihm in den Sinn kam. Tobias hingegen würde sich wortreich winden, um sich auf kein wirkliches Urteil festlegen zu müssen, weil das die Harmonie im Raum stören könnte. Am Ende würde Harro das letzte Wort haben und eine kurze Zusammenfassung von Tobias’ langatmigen Ausführungen präsentieren, die haargenau seinen eigenen Standpunkt wiedergab. Ravi war eigentlich ausreichend früh wach gewesen, um das zu vermeiden, doch statt dem fusseligen Bartansatz ein schnelles Ende zu bereiten, hatte er die Zeit damit verbracht, auf sein Postfach zu starren, das alle möglichen neuen Mails anzeigte, aber nicht die, auf die er seit fast vierzehn Tagen wartete. Die Anspannung krampfte auch jetzt wieder in seiner Magengegend und ließ ihn noch fester in die Pedale treten. Vielleicht war die Nachricht ja mittlerweile angekommen? Begleitet vom Quietschen und Klappern bog er in die Goethestraße ein. Der Radweg war unter den vielen bunten Blättern kaum noch zu erahnen. Er wich einem auf einen Rollator gestützten alten Mann aus, der ihn entgeistert anstarrte und ihm kaum verständliche Unmutsbekundungen hinterherbrüllte. Was er seiner Frau wohl gleich wutschnaubend erzählen würde? »Einer von diesen Ausländern hat mich beinahe über den Haufen gefahren! Viel hat nicht gefehlt, und das mitten auf dem Gehweg! Die werden immer unverschämter, man kann sich ja nirgendwo mehr sicher fühlen!« Vielleicht hätte er ihm im breitesten Mainzer Dialekt eine Erwiderung zurufen sollen, um die Verwirrung komplett zu machen. »Host du koo Aache im Kopp? Des is der Radweg!« Das war noch immer seine bevorzugte Form der Reaktion. Den Dialekt hatte er erst spät für sich entdeckt und spielte seither sehr gern damit, um seine Gegenüber zu verwirren, wenn man ihn mal wieder für einen indischen Gaststudenten, nordafrikanischen Flüchtling oder etwas zu dunkel geratenen albanischen Autoknacker hielt. Der erstaunte Blick war garantiert, der kurze Moment des nachdenklichen Innehaltens ebenso und nicht zuletzt die bald darauf nachgeschobene verständnisvolle Frage zur Herkunft. »Wo liegen denn Ihre Wurzeln?« Je nachdem, in welcher Stimmung er war oder wie sympathisch ihm sein Gesprächspartner erschien, trieb er das Spiel auf die Spitze. In knappen Worten warf er ihnen seine persönlichen Daten vor die Füße: »Geboren im Juni 1988, Mutter Gisela Bingenheimer, geborene Bassermann, Vater Dr. Norbert Bingenheimer, leider verstorben, davor niedergelassener Allgemeinmediziner in Otterbach bei Kaiserslautern. Muttersprache Pfälzisch. Im Rheinhessischen, das hier in Mainz gebabbelt wird, bin ich noch nicht ganz sicher. Aber ich lerne schnell dazu. Und obwohl ich noch immer eine Dauerkarte beim 1. FCK auf dem Betzenberg habe, kann ich von einem Großteil der Mainzer Fassenachtsschlager zumindest die erste Strophe nahezu fehlerfrei mitsingen. Möchten Sie noch mehr wissen?« Zwei Drittel lachten daraufhin und klopften ihm kumpelhaft auf die Schulter, andere schüttelten den Kopf und zogen kommentarlos ab. Ein paar wenige zischten ihm irgendetwas Bösartiges hinterher: »Du kannst dich anstrengen, wie du willst, aus dir wird doch keiner von uns!« Rein optisch war dem wenig entgegenzusetzen, da er nicht vorhatte, seine Haut bleichen und die tiefschwarzen Haare blondieren zu lassen. Innerlich verhielt es sich manchmal ähnlich. Der Blick, der ausdrückte, dass er als andersartig wahrgenommen wurde, war seit jeher sein Begleiter. Er spürte ihn nun, da er ihn vier Wochen lang nicht wahrgenommen hatte, umso deutlicher. In der Masse der Menschen, die alle so aussahen wie er selbst, war er untergegangen. Es war eine Wohltat gewesen. Niemand starrte ihn an oder bemühte sich, scheinbar unbewusst an ihm vorbeizuschauen. Mit rhythmisch knackendem Kugellager erreichte er den Fahrradparkplatz neben dem großen grau-weißen Gebäudekomplex. Er war froh, heil angekommen zu sein. Nur ein guter Kilometer auf dem Rad, aber viel zu viel Zeit für sinnlose Gedankengänge. Ein prüfender Blick auf die Auswahl an abgestellten Drahteseln zeigte, dass es hier sicher genug war, um sogar teures Profimaterial getrost seinem Schicksal zu überlassen, selbst wenn man es nur mit einem billigen Fahrradschloss aus dem Baumarkt festmachte. Ein Großteil der Räder würde in der Neustadt nicht mal in einem abgeschlossenen Innenhof unbeschadet und vollständig den nächsten Morgen erleben. Er musste grinsen und langte nach seinem Rucksack. Mit ein paar schnellen Schritten war er die wenigen breiten Stufen hinaufgeeilt. Die beiden Kollegen warteten bestimmt schon auf ihn. Harro war immer als Erster da und das Büro im Grunde sein eigentliches Zuhause. Daran, dass Tobias schon mal zu spät gekommen war, konnte Ravi sich nicht erinnern. Schwungvoll drückte er die Tür auf und bog nach einem kurzen Gruß in Richtung der mit einem kaffeetrinkenden Kollegen besetzten Glaskiste in den langen Flur ab, an dessen Ende das K11 einen Teil seiner Büros hatte. In irgendeiner Reform der Organisationsstruktur vor seiner Zeit war das Kommissariat 11 ins Leben gerufen worden, das im Mainzer Polizeipräsidium für die Tötungsdelikte zuständig war. Sie waren die, die gerufen wurden, wenn sich der Kriminaldauerdienst sicher war, dass es um Mord ging. Harros trockenes Lachen konnte er schon hören. Es schallte den Gang entlang. Wahrscheinlich tauschten er und Tobias gerade ihre Wochenenderlebnisse aus. Tobias berichtete immer ausgiebig von seiner zweijährigen Tochter Lena und deren fünfjährigem Bruder Ben, die in ihrer Entwicklung an jedem Sonntag bahnbrechende Fortschritte machten. Die Euphorie machte den glücklichen Vater weitgehend blind für Harros kleine spöttische Bemerkungen. Dessen Tochter war längst erwachsen und hatte den Kontakt zum Vater auf ein Mindestmaß eingeschränkt. Das war jedenfalls Ravis letzter Wissensstand. Im Unterschied zu Tobias, der sie bis in Details, die sie nicht wissen wollten, am Gedeihen seiner Kinder teilhaben ließ, vermied Harro es, von seiner Ex-Frau und der gemeinsamen Tochter zu berichten. »Unser Weltreisender! Herzlich willkommen daheim.« Tobias Schmahl sprang auf, als Ravi das Büro betrat, und streckte ihm die warme Hand entgegen. Sein luftiger Mittelscheitel wippte mit jeder Bewegung seines Kopfes. Kurz vor Weihnachten würde er vierzig werden, sah aber immer noch deutlich jünger aus. Er steckte in einem blauen Hemd, über das er einen seiner gefürchteten Pullunder mit weitem V-Ausschnitt gezogen hatte. Bis zur Geburt ihres ersten Kindes hatte seine Frau Sara die wärmende Oberschicht noch selbst gestrickt. Dünne, farbenfrohe Exemplare für den Sommer und dicke, in gedeckten Erdtönen für die kalte Jahreszeit, damit die empfindlichen Nieren auch bei langwierigen Ermittlungen in der freien Natur immer gut geschützt waren. »Willkommen zurück in der Familie. Wir haben das multikulturelle Aushängeschild...


Andreas Wagner ist Winzer, Historiker und Autor. Nach dem Studium der Geschichte, Politikwissenschaft und Bohemistik in Leipzig und an der Karls-Universität in Prag hat er 2003 zusammen mit seinen beiden Brüdern das Familienweingut seiner Vorfahren in der Nähe von Mainz übernommen. Er ist verheiratet und hat vier Kinder.

www.wagner-wein.de/Krimi


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