Datum: Di, 8 Aug 1995 00:14:31 +1000 (EST) Von: McKenzie Wark An: Kathy Acker Betreff: grüße aus hooterville Ich bin voll im Dusel direkt vom Flughafen auf Arbeit gefahren. Auf meinem Schreibtisch habe ich Papiere rumgeschoben wie Puzzleteile, dann bin ich nach Hause gekommen und habe den ganzen Tag geschlafen. Hatte nicht bemerkt, welch intrikaten Kater ich angesammelt hatte. Jetzt ist es spät am Montagabend und ich fühle mich besser. Habe zuletzt abwechselnd Kapitel in _Exterminator!_ und der Warhol-Bio von Bockris gelesen. Du hattest vollkommen recht mit dem Burroughs. Im zweiten Kapitel geht es darum, „Wolf zu werden“. Mir kommt es ein bisschen vor, als hätte es einen Napalm-Angriff gegeben und ich habe nichts mitgekriegt. Was auch immer passiert ist, ich kann nicht viel dazu sagen, war wohl kein Zeuge. Oder vielleicht, wie bei Gregory Peck in _Ich kämpfe um dich_, kommt es später wieder hoch. Aber ganz sicher werde ich nicht vergessen, wie sehr ich genossen habe mit dir zusammen zu sein. Die geteilten Intimitäten von Körper, Verstand und Seele: eine so flüchtige Angelegenheit, so singulär. Ich denke, wir sind wohl beide ziemlich einzelgängerisch auf unsere eigene Weise, aber einen Zeitschnipsel lang waren wir zusammen singulär. Es gibt keine Worte dafür. Ich will nur sagen, es gibt keine Worte dafür. Ich bin froh, dass du gekommen bist; und ich bin froh, dass du gekommen bist. Stelle mir das vor, du schlafend in einem Flugzeug mit deinen pflanzlichen KO-Schlafbomben. Sei nachsichtig mit mir. Ich werde bald auch etwas über mich zu sagen haben. Wenn mir einfällt, wer ich ganz am Anfang zu sein meinte. Selbst wenn ich ein Stück weit vertrieben worden bin, von wo auch immer das war. kxx Datum: Mo, 7 Aug 1995 19:13:00 -0700 Von: Acker@eworld.com An: mwark@laurel.ocs.mq.edu.au Betreff: Re: grüße aus hooterville Es ist so wunderbar nach Hause zu kommen und deine Nachricht vorzufinden, oder genauer, nach Hause zu kommen, herauszufinden, dass bis zum nächsten Flug das Gepäck fehlt, dann dass die Schecks, die ich für die Arbeit in Australien bekommen habe, alle nicht eingelöst werden können, weil sie nicht übertragbar sind und ich zehn Dollar auf dem Konto habe, und dann und dann, oh, Jetlag, also gibt deine Nachricht dem Tag – oder ist es Nacht? – eine komplett neue Wendung. Ob nun im Virtuellen oder Nicht-Virtuellen, der Himmel und Gurdjieff machten das Flugzeug erträglich (ihn zu lesen, eine Abenteuergeschichte, stell dir das vor), also ich bin auch – das war alles eine lange Einleitung – schrecklich beduselt werde gleich in die Wanne plumpsen und dann versuchen zu schreiben, scheiß auf Essen – und auch noch ein bisschen benommen davon, dich zu treffen…aber echt glücklich…du hast eine seltene Zartheit und Anmut, Ken, in jeglicher Hinsicht…die ganze Zeit dort (in Sydney), wo ich nicht wusste, was abging und deswegen allmählich verwirrt wurde und deswegen paranoid, sogar jetzt, was vordergründig wird/wurde, war, wie leicht es ist, mit dir zu sein. Wie zum Beispiel: du als derjenige, mit dem ich reden will/wollte. Danke. Ja, Einsamkeit ist zwar immer eine Option, aber, was mich angeht, ich bin sogar noch dankbarer für Treffen. Ach. Ich werde mich zurückziehen, nicht in Verwirrung, sondern reine Müdigkeit jetzt (die Wanne) und Portishead…nach neuen Büchern zum Lesen suchen…mit meinen Kuscheltieren reden…hab im Flugzeug angefangen deine _Virtual Geography_ zu lesen…schreibe nochmal, wenn kohärenter…Guten Abend, gut’ Nacht! Datum: Mi, 9 Aug 1995 01:46:51 +1000 (EST) Von: McKenzie Wark An: Acker@eworld.com Betreff: portisheadspace Dienstagnacht. Portishead aufgelegt. Werde ich ab jetzt immer mit dir verbinden. Komisch wie Musik zu einem externen Gedächtniscode wird. Hoffe, die Wanne war angenehm. Wie heißen deine Kuscheltiere? Mist, das mit den Schecks (oder Cheques, wie man hier schreiben würde). Asynchrone Konversation. Merkwürdig, ein Verständnis von einer auf deiner Anwesenheit basierenden Kommunikation in eines auf deiner Abwesenheit basierendes zu übersetzen – Schreiben. Aber besser nicht das eigene Tun und Denken zu sehr unter Beobachtung stellen… Ich befinde mich in einem abstrakten Geisteszustand. Hab gerade eine Multimedia-Richtlinie für den Fachbereich geschrieben. Darüber nachdenken, wie die gezielte Zuteilung von Mitteln gewisse erwünschte Ergebnisse produzieren kann. Anders gesagt: Machtrausch. Morgen treffe ich den Premierminister und das Kabinett. Ich beteilige mich an einer Sitzung über Zugänglichkeitsfragen in den neuen Medien. Anders gesagt: Machtvoyeurismus. Ich mache da mit, um die Szene in meinem nächsten Buch zu verwenden. Warum erzähle ich dir das Ganze? Zum Teil, weil sich für mich das gesamte Queerness-/Identitätsding durch alles hindurchzieht, absolut alles. Zwischen hetero/homo zu schwanken ist Kinderkram verglichen mit diesem Schwanken zwischen Schreiben/Lehren/Ideenhausieren oder was auch immer. Ich vergesse, wer ich bin. Du hast mich daran erinnert, wer ich am liebsten sein will. Können die Flecken ihren Leoparden ändern? Müssen wir unsere Begegnung analysieren? Oder können wir sie einfach als gegeben annehmen und schauen, welche Art von Dialog sie an einem Beginn in der Zeit verankert? Ich habe eines deiner Bücher zufällig aufgeschlagen: „Heißes weibliches Fleisch auf heißem weiblichen Fleisch. Und es geht nirgendwohin: Fleisch. Fleisch. Denn die Fotze öffnet und schließt sich, ein Perpetuum Mobile, ein Wunder der Wissenschaft, fortwährendes Kommen, Öffnen und Schließen ihrer selbst bis hin zu Ekstase oder Erbrechen – wird sie, werdet ihr, jemals müde? Rosen sterben schneller. Rosen sterben schneller als ihr, ihr Huren in meinem Herzen.“ Und mir fällt auf, dass ich das beim ersten Lesen, was vor 5 Jahren gewesen sein muss, mit einem Bleistift markiert hatte. Die wirklich schönen, im klassischen Sinne schönen Passagen stechen so deutlich heraus wegen der Gewalt um sie herum. Als wäre man der dekadente Graf aus Dalís Roman, der einen Tropfen extremer Süße auf seine Zunge gibt, um den vorherigen Tropfen extremer Bitterkeit auszubalancieren. Aber jetzt bilde ich mir ein, dich zu fühlen, ein Perpetuum Mobile in meinen Händen, wie du dich zwischen den Zeilen verbirgst. Es gibt Teilbereiche von mir, die ich nur als weiblich in Sprache fassen kann, und diese Teilbereiche haben sich dir entblößt, sich mitunter neben dir wohlgefühlt. Das passiert nicht oft. Aber ich fange an zu analysieren: setze das Digitale des Wortes an die Stelle der abebbenden Erinnerung. Um mit einem losen Gedanken zu schließen: das I Ging unserer Zeit. Nicht die zufällig gewählte Seite desselben Textes, sondern jeden Tag dieselbe Seite eines anderen Textes. Seite 141. Jeden Tag eine andere Seite 141. Das I Ging ist ein geschlossenes Universum/Werk, aber wir brauchen einen Wünschelrutenmechanismus für ein offenes, unendliches. Ein Perpetuum Mobile, das sich jedes Mal anders bewegt. Wird, was du haben möchtest, wiederkehren, immer, anders. kxx Datum: Mi, 9 Aug 1995 01:52:42 -0700 Von: Acker@eworld.com An: mwark@laurel.ocs.mq.edu.au Betreff: Re: portisheadspace Oh, krieg ich alles zusammen, was du eben geschrieben hast? Erinnerung schwankt sogar noch mehr als…was?…Gender (ist das das Selbst? nicht hier)…und ich wollte gerade mailen, ich beherrsche nicht mal mehr die Rechtschreibung, um dir nur schnell von dem Film zu erzählen, den ich eben gesehen habe, Todd Haynes’ _Safe_…und deine Mail!…jetzt krieg ich nicht alles zusammen, was du gesagt hast, weil ich dir erzählen will, Emotion übernimmt das Steuer, weißt du _Safe_, der ist WUNDERVOLL trifft exakt den Punkt (Werbeleute erzeugen Korrektheit) verwandelt die Kunstwelt in das dumme Nichts, das sie ist…tja, es ist so toll, etwas so Gutes zu sehen…ich hab ihn zusammen mit RU geschaut wir sind wieder Freunde was gut ist weil ich es hasse Freunde zu verlieren es gibt zu wenige und es ist meine Familie, meine Freunde…jetzt ist also alles Traum…Australien und dieses Alltagsleben verschmelzen, hier wo ich meinen Mailkram um zwei Uhr morgens mache und aufwache mit Ideen für Verträge Geschäftliches wie ich meinem Verleger seine tägliche Ration Kummer verpasse ach werde ich genug Zeit zum Schreiben finden? Ich giere so sehr danach…nicht wie in Sydney Tage damit zubringen betrunken mit dir im Buchladen zu stöbern…oh bitte „Analyse“? „Analyse“ bedeutet für mich „Kathy ist gerade unsicher und muss ein paar Mal durchatmen“. Ich hasse das und kann mich...