E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Werning / Surmann Ist das jetzt Satire oder was?
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-944035-62-8
Verlag: SATYR Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Beiträge zur humoristischen Lage der Nation
E-Book, Deutsch, 192 Seiten
ISBN: 978-3-944035-62-8
Verlag: SATYR Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Heiko Werning (Hrsg.) wurde 1970 in Münster geboren und lebt seit 1991 in Berlin. Er ist ständiger MItarbeiter des Satiremagazins Titanic, er bloggt und schreibt für taz, Jungle World und andere Medien. Der studierte Umweltwissenschaftler ist zudem Reptilienforscher und Chefredakteur des Magazins Reptilia, betreibt das Berliner Independent-Label 'Reptiphon' und liest bei den Lesebühnen 'Brauseboys' und der 'Reformbühne Heim & Welt'. Bislang erschienen von ihm fünf humoristische Kurzgeschichtensammlungen, zuletzt: 'Im wilden Wedding' (Edition Tiamat: 2014). Volker Surmann (Hrsg.) ist Satyr-Verleger und Autor. Er lebt seit 2002 in Berlin, liest bei den 'Brauseboys', veröffentlicht Romane, Kurzgeschichten und Anthologien und schreibt für das Kabarett 'Die Stachelschweine' sowie Glossen und Kolumnen für diverse Printmedien. Zuletzt erschien sein Roman 'Extremely Cold Water' (Voland & Quist: 2014), im Herbst 2015 wird sein dritter Roman 'Mami, warum sind hier nur Männer?' bei Goldmann veröffentlicht. Mit Heiko Werning stellte er schon die Satyr-Anthologie 'Fruchtfleich ist auch keine Lösung' zusammen.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
I.
UND JETZT ALLE: WAS DARF SATIRE?
WAS DARF DIE SATIRE?
Frau Vockerat: »Aber man muß doch seine Freude haben
können an der Kunst.«
Johannes: »Man kann viel mehr haben an der Kunst als
seine Freude.«
Gerhart Hauptmann
Wenn einer bei uns einen guten politischen Witz macht, dann sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel.
Satire scheint eine durchaus negative Sache. Sie sagt: »Nein!« Eine Satire, die zur Zeichnung einer Kriegsanleihe auffordert, ist keine. Die Satire beißt, lacht, pfeift und trommelt die große, bunte Landsknechtstrommel gegen alles, was stockt und träge ist.
Satire ist eine durchaus positive Sache. Nirgends verrät sich der Charakterlose schneller als hier, nirgends zeigt sich fixer, was ein gewissenloser Hanswurst ist, einer, der heute den angreift und morgen den.
Der Satiriker ist ein gekränkter Idealist: er will die Welt gut haben, sie ist schlecht, und nun rennt er gegen das Schlechte an.
Die Satire eines charaktervollen Künstlers, der um des Guten willen kämpft, verdient also nicht diese bürgerliche Nichtachtung und das empörte Fauchen, mit dem hierzulande diese Kunst abgetan wird.
Vor allem macht der Deutsche einen Fehler: er verwechselt das Dargestellte mit dem Darstellenden. Wenn ich die Folgen der Trunksucht aufzeigen will, also dieses Laster bekämpfe, so kann ich das nicht mit frommen Bibelsprüchen, sondern ich werde es am wirksamsten durch die packende Darstellung eines Mannes tun, der hoffnungslos betrunken ist. Ich hebe den Vorhang auf, der schonend über die Fäulnis gebreitet war, und sage: »Seht!« – In Deutschland nennt man dergleichen ›Kraßheit‹. Aber Trunksucht ist ein böses Ding, sie schädigt das Volk, und nur schonungslose Wahrheit kann da helfen. Und so ist das damals mit dem Weberelend gewesen, und mit der Prostitution ist es noch heute so.
Der Einfluß Krähwinkels hat die deutsche Satire in ihren so dürftigen Grenzen gehalten. Große Themen scheiden nahezu völlig aus. Der einzige ›Simplicissimus‹ hat damals, als er noch die große, rote Bulldogge rechtens im Wappen führte, an all die deutschen Heiligtümer zu rühren gewagt: an den prügelnden Unteroffizier, an den stockfleckigen Bürokraten, an den Rohrstockpauker und an das Straßenmädchen, an den fettherzigen Unternehmer und an den näselnden Offizier. Nun kann man gewiß über all diese Themen denken wie man mag, und es ist jedem unbenommen, einen Angriff für ungerechtfertigt und einen anderen für übertrieben zu halten, aber die Berechtigung eines ehrlichen Mannes, die Zeit zu peitschen, darf nicht mit dicken Worten zunichte gemacht werden.
Übertreibt die Satire? Die Satire muß übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird, und sie kann gar nicht anders arbeiten als nach dem Bibelwort: Es leiden die Gerechten mit den Ungerechten.
Aber nun sitzt zutiefst im Deutschen die leidige Angewohnheit, nicht in Individuen, sondern in Ständen, in Korporationen zu denken und aufzutreten, und wehe, wenn du einer dieser zu nahe trittst. Warum sind unsere Witzblätter, unsere Lustspiele, unsere Komödien und unsere Filme so mager? Weil keiner wagt, dem dicken Kraken an den Leib zu gehen, der das ganze Land bedrückt und dahockt: fett, faul und lebenstötend.
Nicht einmal dem Landesfeind gegenüber hat sich die deutsche Satire herausgetraut. Wir sollten gewiß nicht den scheußlichen unter den französischen Kriegskarikaturen nacheifern, aber welche Kraft lag in denen, welch elementare Wut, welcher Wurf und welche Wirkung! Freilich: sie scheuten vor gar nichts zurück. Daneben hingen unsere bescheidenen Rechentafeln über U-Boot-Zahlen, taten niemandem etwas zuleide und wurden von keinem Menschen gelesen.
Wir sollten nicht so kleinlich sein. Wir alle – Volksschullehrer und Kaufleute und Professoren und Redakteure und Musiker und Ärzte und Beamte und Frauen und Volksbeauftragte – wir alle haben Fehler und komische Seiten und kleine und große Schwächen. Und wir müssen nun nicht immer gleich aufbegehren (›Schlächtermeister, wahret eure heiligsten Güter!‹), wenn einer wirklich einmal einen guten Witz über uns reißt. Boshaft kann er sein, aber ehrlich soll er sein. Das ist kein rechter Mann und kein rechter Stand, der nicht einen ordentlichen Puff vertragen kann. Er mag sich mit denselben Mitteln dagegen wehren, er mag widerschlagen – aber er wende nicht verletzt, empört, gekränkt das Haupt. Es wehte bei uns im öffentlichen Leben ein reinerer Wind, wenn nicht alle übel nähmen.
So aber schwillt ständischer Dünkel zum Größenwahn an. Der deutsche Satiriker tanzt zwischen Berufsständen, Klassen, Konfessionen und Lokaleinrichtungen einen ständigen Eiertanz. Das ist gewiß recht graziös, aber auf die Dauer etwas ermüdend. Die echte Satire ist blutreinigend: und wer gesundes Blut hat, der hat auch einen reinen Teint.
Was darf die Satire?
Alles.
ES LEBE DER WITZ
(DENN DAS LEBEN IST EINER)!
Wenige Stunden nachdem zwölf Mitarbeiter der Charlie Hebdo ermordet worden waren und ich das erste Dutzend Interviews hinter mir hatte, rief ich in die Runde meiner bereits von der unverdienten und unheimlichen Aufmerksamkeit genervten Redakteure: »Wieso muß immer alles mir passieren?« Am Abend, als ich auch noch in einem ARD-Studio die immer gleichen Fragen (»Haben Sie Angst?«, »Haben Sie auch wirklich keine Angst?«, »Haben Sie die Sicherheitsmaßnahmen erhöht?«, »Wieso haben Sie eigentlich keine Angst?«) beantwortet hatte, war endgültig klar: Ich bin eines der Hauptopfer des Anschlags.
Also schrieb ich einen Text für eine zufällig aus den Hunderten von Anfragen herausgepickte Nachrichtenseite, um die Situation wenigstens für eine Basisschulung in Sachen Satire zu nutzen. Der Text wurde erstaunlich erfolgreich, u. a. in Zeitungen dreier Länder nachgedruckt. Aber taugt denn noch, was ich da übermüdet, aufgedreht und hirngefickt spätnachts in meinem Bett in den Laptop gehauen habe? Schauen wir mal:
Es ist anläßlich der fürchterlichen Morde in Paris wohl nötig, mal wieder Grundsätzliches über Komik und Satire zu sagen. Denn nicht nur islamistischen Terroristen, so unsere Erfahrung bei der Titanic, fehlt es da an der Grundausstattung.
Daran hat sich – natürlich – wenig geändert. Durchs stets mitleidsgierige Netz ging über Wochen die erwartbare Welle unreflektierter Solidarität, die für Titanic einen bittersüßen Aborekord zur Folge hatte. Ich vermute, wenn Metzger öffentlichkeitswirksam erschossen werden, kaufen die Leute massenweise Schnitzel, wenn Satiriker, dann eben Satiremagazine. Begleitet wurde diese Welle von einer selbstverliebten Verklärung der Attentate durch jene Medien, die man auch seriöse nennt. Die hatten gleich einen Angriff auf die halt auch irgendwie sie betreffende Meinungsfreiheit ausgemacht, wo es in erster Linie um einen Anschlag auf Vertreter einer speziellen Variante einer konkreten Kunstform ging. Sowohl Publikum als auch die Traditionsmedien nahmen also etwas tödlich ernst, was genau diesem Ernst fundamental zu widerstreben versucht. Denn:
Komik ist zuallererst ein Mittel, dem Ernst des Lebens, der die meisten von uns bedrückt, selbst wenn nicht gerade Raketenwerfer in Redaktionsräumen abgefeuert werden, etwas entgegenzusetzen, im besten Falle seiner Herr zu werden. Und je ernster die Lage, desto wichtiger der Humor. Komik schafft Distanz zu bedrückenden Ereignissen, sie erlaubt, uneigentlich über eigentlich Unerträgliches zu sprechen – und so den Schrecken zu bekämpfen.
Die Raketenwerfer entspringen einer Fehlinformation aus dem frühen Nachrichtenwirrwarr, aber Maschinengewehre sind so viel besser ja auch nicht. Wichtigeres Versäumnis: Humor und Komik besser abzugrenzen. Denn Humor ist ein schwer zu fassender Begriff. Ich würde dazu neigen, ihn zwar nicht als das gleichgewichtige Gegenstück des Ernstes zu definieren – denn dieser entspricht dem vor- und überzivilisatorischen Naturzustand des Lebens –, ihn aber immerhin als die einzige Haltung anzusehen, die dieser unausweichlichen Kraft etwas profund anderes entgegenzusetzen hat: nämlich Komik.
Sehr viele Komikunkundige, ob Islamisten, Rassisten oder deutsche Durchschnittsjournalisten, begehen meist den Fehler, einen Witz auf einen unkomischen, ernsten (und zumeist noch auf einem Mißverständnis beruhenden) Aussagekern herunterbrechen zu wollen.
Mit Witz meinte ich an dieser Stelle nicht einen auf Pointe zielenden Kurztext, sondern die Essenz von Komik, das, was zum Lachen bringt. Und diese zu erkennen, verlangt vom Rezipienten immer ein dem des Produzenten ähnliches Vorwissen und einen Nerv für die Ambivalenz der Ironie. Es ist nicht wichtig, was ein Witz...




