E-Book, Deutsch, 413 Seiten
Abrahams Der ideale Ehemann
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-98952-182-7
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Thriller | Wenn der perfekte Mord außer Kontrolle gerät
E-Book, Deutsch, 413 Seiten
ISBN: 978-3-98952-182-7
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Peter Abrahams ist ein renommierter amerikanischer Autor zu dessen weltweiter Leserschaft auch Stephen King gehört, der ihn als seinen »liebsten amerikanischen Spannungsromanautor« bezeichnet. Einige seiner Werke wurden mit hochkarätigen Stars wie Robert De Niro für die große Leinwand adaptiert. Die Website des Autors: www.peterabrahams.com/peter-abrahams/ Bei dotbooks veröffentlichte der Autor seine Standalone-Thriller »Der Nachhilfelehrer«, »Der ideale Ehemann«, »Der Häftling«, »Das Wunschkind«, »Dear Wife«, »Blacked Out - Gefährliche Erinnerung«, »Missing Code - Verlorene Spur« und »Hard Rain - Schleier aus Angst«.
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Kapitel 1
Donnerstag, der beste Tag der Woche – der Tag aller Tage, geradezu prädestiniert für Francie, um ja zu sagen. Aber jetzt, im Atelier des Künstlers mit Blick auf den Gastank von Dorchester, der jenseits des Hafens aufragte, konnte sie sich nicht dazu durchringen. Ihr Problem war, dass sie die Gemälde hasste. Material: Tusche; Technik: Airbrush; Stil: Fotorealismus; Motiv: Menschen mit leblosen Mienen, die in einer Kunstgalerie Installationen betrachteten. Bei genauerem Hinsehen waren die Installationen mit blutverschmiertem Stacheldraht umsäumte Neonbotschaften, Botschaften, die sie trotz der Winzigkeit lesen konnte, wenn sie noch genauer hinsah. Francie, die Nase dicht vor der Leinwand, las sie pflichtschuldig: Erkenn die Melodie; Schwörst du, die Wahrheit zu sagen?; Uns bleibt immer die Erinnerung.
»Eine Welt innerhalb der Welt«, kommentierte sie, eine neutrale Phrase, die man auch positiv verstehen konnte.
»Wie bitte?«, fragte der Künstler, der ihr nervös durchs Atelier folgte.
Francie lächelte ihn an – abgezehrt, hohläugig, reizbar, ungepflegt –, Raskolnikow auf Amphetamin. Sie hatte Gemälde von leblosen Menschen gesehen, die Gemälde betrachten; Neonbotschaften; Stacheldraht, blutverschmiert, rosa, rotweiß-blau; sie hatte Kunst gesehen, die sich selbst verschlang, mit einem Appetit, der jeden Tag stärker wurde.
»Noch etwas anderes, was Sie mir zeigen wollen?«, erkundigte sie sich.
»Etwas anderes?«, wiederholte der Künstler. »Ich bin nicht ganz sicher, was Sie ... «
Francie hielt ihr Lächeln aufrecht; Künstler hatten kein leichtes Leben. »Andere Arbeiten«, erklärte sie so behutsam wie möglich.
Aber nicht behutsam genug. In einer dramatischen Geste riss er seinen Arm empor. »Das sind meine Arbeiten.«
Francie nickte. Einige ihrer Kollegen würden jetzt sagen »und sie sind wunderbar« und ihm die schlechte Nachricht in einem Brief der Stiftung mitteilen, aber das brachte Francie nicht fertig. Schweigen breitete sich aus, lang und unbehaglich. Die Zeit verlangsamte sich, viel zu früh. An Donnerstagen wollte Francie, dass die Zeit sich verhielt wie in einigen von Einsteins Gedankenspielen, bis zum Einbruch der Dunkelheit voranhastete und dann nahezu zum Stillstand kam. Der Künstler starrte auf seine Schuhe, rote Leinenturnschuhe voller Farbspritzer. Francie starrte sie ebenfalls an. Schwörst du, die Wahrheit zu sagen? Selbst miserable Kunst konnte einen berühren, oder zumindest sie. Aus dem Augenwinkel erspähte sie etwas – eine kleine, ungerahmte Leinwand, die an der Laibung eines türlosen Schranks lehnte – und trat näher heran, um wenigstens das Schuhstarren zu beenden.
»Was ist das?« Ein Ölgemälde eines klassischen Sockels, gesprungen, bröckelnd, auf dem Trauben lagen, weindunkel, überreif, verfaulend. Und im Mittelgrund, weder versteckt noch hervorgehoben, einfach da, die reizende Figur eines Mädchens auf einem Skateboard, ganz Hingabe, Balance, Tempo.
»Das?«, fragte der Künstler. »Das ist schon Jahre her.«
»Erzählen Sie mir etwas darüber.«
»Was gibt es da zu erzählen? Es war eine Sackgasse.«
»Sie haben nichts anderes in dieser Art gemalt?« Francie kniete sich hin, drehte das Bild um und las die Rückseite: O Garten, mein Garten.
»Doch, Dutzende«, sagte der Künstler. »Aber ich habe alle übermalt, wenn ich Leinwand brauchte.«
Francie unterdrückte einen raschen Blick zu den aufdringlichen Stücken an der Wand.
»Das ist das letzte. Warum fragen Sie?«
»Es besitzt eine Art ... « Etwas. Es hatte dieses Etwas, nach dem sie ständig Ausschau hielt und das so schwer in Worte zu fassen war. Um professionell zu klingen, sagte Francie: »Resonanz.«
»Ehrlich?«
»Ich finde schon.«
»Damals gefielen sie niemandem.«
»Vielleicht stehe ich einfach auf überreifes Obst.« Aber sie wusste, dass es nicht daran lag. Es war das Mädchen. »Caravaggio und so«, erklärte sie.
»Caravaggio?«
»Sie wissen schon«, sagte sie. Ihr sank das Herz.
»Eine Traubensorte?«
»Das hat er gesagt? Eine Traubensorte?« Nora, die ihr Mittagessen verputzt hatte – ein sehr spätes Mittagessen im Stehen in einer Kaffeebar im North End –, bediente sich bei Francie. »Die Vergangenheit wird bald völlig vergessen sein.«
»Und das Leben kann beginnen«, sagte Francie.
Nora hielt im Kauen inne. »Alles in Ordnung bei dir?«
»Warum willst du das wissen?«
»Wie geht’s Jolly Roger dieser Tage?«
»Warum willst du das wissen?«
Nora lachte, verschluckte sich beinah und wischte sich den Mund. »Kannst du heute Abend für mich spielen?«
Nora meinte Tennis. Sie gehörten demselben Verein an, hatten seit der achten Klasse zusammen gespielt.
»Nicht donners- – nein«, antwortete Francie.
»Ich würde ihr nur ungern absagen.«
»Wem?«
»Anne? Anita? Ein neues Mitglied. Ein schüchternes, kleines Weibchen, aber sie spielt gut. Du solltest sie kennenlernen.«
»Heute Abend nicht.«
»Das sagtest du schon. Was machst du denn heute Abend?«
»Arbeiten«, erwiderte Francie nicht ohne Gewissensbisse. »Und du?«
»Ich bin verabredet. Er hat mich heute Morgen angerufen.«
»Für heute Abend? Und du hast ja gesagt?«
»Er weiß bereits, dass ich schon zweimal verheiratet war – warum sollte ich mich für den Rest meines Lebens anstellen wie eine zimperliche Jungfrau?«
»Wer ist denn der Glückspilz?«
»Bernie Irgendwas.«
»Und da sind wir wieder. Ich bin Ned Demarco und begrüße Sie bei Intimleben. Unsere Themen sind Ehe, Liebe, Familie in einer zunehmend komplexeren Welt. Heute ist Donnerstag, und wie unsere Stammhörer wissen, ist Donnerstag der Tag, an dem wir kein festes Programm haben, keine Studiogäste, keine vorgegebenen Themen. Wir reden über das, worüber Sie reden wollen. Willkommen in unserer Sendung, Marlene aus Watertown.«
»Dr. Demarco?«
»Nennen Sie mich Ned.«
»Ned. Hi, ich liebe Ihre Sendung.«
»Dankeschön, Marlene. Was haben Sie auf dem Herzen?«
»Darf ich Sie zuerst noch etwas fragen?«
»Schießen Sie los.«
»Ihre Stimme. Wird da irgendwas gemacht, um sie besser klingen zu lassen?«
»Lucy in der Regie, macht ihr irgendwas, um mich besser klingen zu lassen?« Er lachte wieder, unbeschwert und natürlich. Mit jeder Sendung entspannter, dachte Francie. »Lucy sagt, sie tut alles, was die Wissenschaft ermöglicht. Sonst noch etwas, Marlene?«
»Na ja, eigentlich geht es um meinen Mann.« Die Frau zögerte.
»Fahren Sie fort.«
»Er – er ist ein wunderbarer Vater, ein ausgezeichneter Ernährer. Er hilft sogar bei der Hausarbeit.«
»Klingt ideal.«
»Ich weiß. Deshalb habe ich auch so ein schlechtes Gewissen, wenn ich sage, was ich auf dem Herzen habe.«
»Was beschäftigt Sie denn, Marlene?«
Sie holte tief Luft, tief und angespannt, deutlich über ihre Telefonleitung, die Übertragung, durch die Lautsprecher in Francies Auto zu hören. »In letzter Zeit habe ich oft Tagträume von dem Jungen, mit dem ich damals auf der Highschool war. Nachtträume auch. Ich meine wirklich andauernd, Dr. – Ned. Und meine Frage ist nun: Wäre es schlimm, wenn ich ihn suche?«
Ned zögerte. Francie konnte spüren, wie er nachdachte.
Sie fuhr in einen Tunnel und verlor ihn, ehe die Antwort erfolgte.
Die Stadt in ihrem Rückspiegel wurde immer kleiner, bis sich vor dem kalten silbrigen Himmel nichts mehr abzeichnete, außer den beiden Spitzen der großen Türme, die der Innenstadt ihr unverwechselbares Aussehen verliehen. Francie überquerte die Grenze nach New Hampshire, fuhr über immer bedeutungslosere Straßen Richtung Norden in die Wildnis hinter der letzten Frühstückspension und erreichte bei Einbruch der Dämmerung Brendas Tor. Sie stieg aus, entriegelte das Tor, und fuhr hindurch, ohne das Tor wieder zu schließen, wie sie es immer tat. Der Feldweg unter der dicken Laubschicht führte über einen Hügel und wieder hinunter durch steinige Wiesen bis zum Fluss. Das Licht war fast vollständig vom Himmel verschwunden, aber der Fluss klammerte sich an das, was übrig war: rote, goldene und orangefarbene Streifen; wie ein herbstlicher Turner, betrachtet durch eine von Fingerabdrücken verschmierte Linse. Francie hielt vor der kleinen steinernen Mole, an deren Leeseite zwei Dingis – das rote Prosciutto und das grüne Melone – festgemacht hatten. Als sie eins davon bestieg, erkannte sie die Ursache der seltsamen Lichtreflexionen – eine Eisschicht bedeckte den Fluss. So früh? Sie ruderte hinaus zur Insel, die Ruderblätter durchschnitten das feurige Schimmern, Eisschollen kratzten am Bug.
Brendas Insel lag rund fünfzig Meter vom Ufer entfernt in der Mitte des Flusses, ein dickes Oval mit flachen Enden, gerade mal ein Morgen groß. Sie verfügte über einen Steg, fünf riesige Ulmen – durch die Quarantäne vom Ulmensterben verschont –, dichtes Gestrüpp, das seit Jahren nicht gerodet worden war, und einen gepflasterten Pfad, der zum Ferienhaus führte. Francie schloss die Tür auf und ging hinein, schloss sie hinter sich und ließ sie unverriegelt, wie sie es immer tat.
Das Ferienhaus: Kieferndielen, Kieferntäfelung; das ganze alte, auf Hochglanz gebohnerte und polierte Holz wirkte fast lebendig, wie ein Baumhaus im Märchen. Die Küche ging nach Süden, flussabwärts; ein L-förmiges kombiniertes Ess-/Wohnzimmer lag gegenüber dem Ufer; im Obergeschoss zwei Schlafräume mit Messingbetten, eines ohne Bettzeug, das andere mit Tagesdecke und Kissen. Ein...