E-Book, Deutsch, Band 6, 224 Seiten
Reihe: Altmühltal
Auer Altmühlhexen
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-96041-218-2
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, Band 6, 224 Seiten
Reihe: Altmühltal
ISBN: 978-3-96041-218-2
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Der Mord am Abgeordneten Nikolaus von Westerstetten erschüttert das Altmühltal. Warum musste er sterben? Hinweise verdichten sich, dass sein Tod mit seinen verwandtschaftlichen Beziehungen zum einstigen Eichstätter Fürstbischof zusammenhängt, der als einer der grausamsten Hexenjäger Deutschlands galt. Die Oberkommissare Mike Morgenstern und Peter Hecht tauchen ein in eine finstere Vergangenheit und befördern dunkle Geheimnisse ans Licht …
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EINS
Mike Morgenstern stand von Anfang an auf verlorenem Posten – er wusste, dass dieser Kampf nicht zu gewinnen war. Sogar beim bundesweiten Schüler-Malwettbewerb der Volks- und Raiffeisenbanken zum Thema »Deutschland Märchenland« hatten seine Kinder es im Rahmen ihrer künstlerischen Freiheit fertiggebracht, liebevolle Katzenporträts aufs Papier zu bringen und nicht etwa Hänsel und Gretel. Seit Wochen winkten der neunjährige Marius und der siebenjährige Bastian mit jedem verfügbaren Zaunpfahl, um ihren Eltern klarzumachen, dass sie sich nichts sehnlicher wünschten als eine Katze. Vergeblich hatte Mike Morgenstern argumentiert, ein solches Haustier sei eine große Verantwortung, schränke die Urlaubsmobilität der Familie in Form von Camping am Lago Maggiore ein und werde gewiss viel Kummer bereiten. Ebenso fruchtlos waren die Einwände seiner Gattin Fiona, die regelmäßige Reinigung des unvermeidbaren Katzenklos werde am Ende gewiss in ihre Zuständigkeit fallen, wozu sie überhaupt keine Lust habe. »Basta!« Das letzte Wort hatten dann aber doch die Kinder – und das war der Grund, warum Mike Morgenstern, Oberkommissar der Kriminalpolizei Ingolstadt, an diesem Sonntag, dem Vorabend von Bastians Geburtstag, in seinem uralten Land Rover von Eichstätt über Ingolstadt Richtung Osten in die Gemeinde Pförring an der Donau fuhr. Neben ihm saß sein Kollege und Partner, Oberkommissar Peter Hecht, den er auf dem Parkplatz des Polizeipräsidiums aufgelesen hatte, und rutschte nervös auf seinem Sitz hin und her. »Das gibt doch bloß Probleme«, murmelte er zum wiederholten Mal. »Nun freu dich doch, das wird bestimmt prima«, gab Morgenstern zurück und klang dabei alles andere als glaubwürdig. Unwirsch drückte er aufs Gaspedal, was freilich den betagten Geländewagen nicht ernsthaft beflügeln konnte. Die beiden waren auf Empfehlung einer Sekretärin aus dem Polizeipräsidium Oberbayern Nord auf dem Weg zur »Katzenfrau von Ettling«, einer Dame, die auf den Bauernhöfen der Umgebung junge Katzen einsammelte und an vertrauenswürdige Tierfreunde in der Region weitervermittelte. Morgenstern hatte bereits zwei Tage zuvor bei ihr angerufen, sich über den aktuellen Katzenbestand informiert und dann den Kollegen Hecht mit ins Boot geholt. Hecht, unglücklich geschieden, saß nach Morgensterns Einschätzung abends einsam in seinem Haus in Schrobenhausen, blätterte sich zum hundertsten Mal durch den »Hausschatz der deutschen Balladen« – eines seiner Steckenpferde – und konnte deswegen ein bisschen tierische Gesellschaft dringend brauchen. Die »Katzenfrau« Katja Hartinger hatte sich am Telefon glücklich gezeigt, gleich zwei ihrer kleinen Schützlinge in gute, wenn auch derzeit noch unerfahrene Hände abgeben zu können. Das Problem war allerdings: Sie war nicht da, als die beiden Kommissare an der Tür ihres unscheinbaren Hauses am Dorfrand läuteten. Sie schien den Termin vergessen zu haben. »Außer Spesen nichts gewesen«, sagte Hecht – und wirkte erleichtert. »Ohne Katze brauche ich gar nicht heimzukommen«, stellte Morgenstern verärgert klar. »Morgen ist der Geburtstag von Bastian. Fiona bringt mich um, wenn ich mit leeren Händen dastehe.« Eine ältere Frau mit einer kleinen Emaille-Milchkanne in der Hand trödelte den Gehweg entlang und sah die beiden ratlosen Männer vor der Tür stehen. »Wenn Sie die Katja suchen: Die ist draußen an der Kelsbachquelle. Ich habe gesehen, wie sie mit dem Fahrrad hingefahren ist.« Sie deutete Richtung Westen. »Einfach die Straße entlang. Am Dorfrand, gegenüber vom Steinbruch, da steht ein Feldkreuz. Direkt unterhalb ist die Quelle. Da geht sie gern zum Baden.« Die Frau tupfte sich mit einem Taschentuch die Stirn ab. »Heiß genug ist es ja heute. Es kommt bestimmt noch ein Gewitter. Und das im September!« Wie zur Bestätigung war von Westen leichtes Donnergrollen zu hören. »Sie holen sich gewiss eine Katze?«, fragte die Frau neugierig und kam mit ihrer Milchkanne näher heran. »Nein, zwei«, sagte Morgenstern. »Wir haben eigentlich einen Termin vereinbart.« Er schaute auf die Uhr. Es war schon sieben Uhr vorbei. »Da nimmt es die Katja nicht so genau. Wissen Sie, die ist ein wenig eigen. Ich meine, wer badet denn sonst im eiskalten Kelsbach?« Sie senkte die Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern. »Wenn Sie mich fragen, die hat nicht alle Tassen im Schrank.« »Wir fragen Sie aber nicht«, sagte Hecht kurz angebunden. »Wir haben nämlich eine Empfehlung von einer Kollegin bekommen.« »Wie Sie wollen.« Die alte Frau latschte beleidigt von dannen, und die Kommissare setzten sich wieder in den Land Rover, um die Quelle am Dorfrand zu suchen. Morgenstern parkte den Wagen direkt neben dem Ortsschild in einer abgemähten Wiese. An deren Ende ging es bei einem hölzernen Wegkreuz mit vergoldeter Christusfigur steil eine mit Gebüsch und Bäumen bewachsene Böschung hinab. Unten lag, kreisrund, ein grünlich schimmernder Weiher. Morgenstern und Hecht, die neben dem Kreuz standen, hörten zuerst nur Geplätscher, dann summte eine Frauenstimme eine kleine Melodie. Sie stiegen mühsam die Böschung hinab, scheuchten dabei einen Fasan auf, der panisch die Flucht durch die Büsche ergriff, und sahen die »Katzenfrau« splitterfasernackt. Die beiden Kommissare standen wie erstarrt da und beobachteten das Schauspiel: Etwa dreißig Jahre alt, heller Teint, mit langen roten Haaren, stand die Frau in der Mitte des nur knietiefen Weihers und schöpfte Wasser mit einem Becher, um es sich in großem Schwall über den Körper zu gießen – daher das Plätschern. Dann tauchte sie mit dem ganzen Körper unter, legte sich flach in den Weiher, um prustend wieder aufzutauchen und erneut Wasser zu schöpfen. Eine schöne Frau, stellte Morgenstern fest und konnte den Blick nicht abwenden. Hecht, ähnlich fasziniert, fing sich als Erster wieder. »Da hätte der Wasserpfarrer Kneipp seine helle Freude dran«, sagte er. »Aber jetzt ist auch wieder genug.« Er rief etwas zu laut: »Hallo, hallohoh, Frau Hartinger!« Die Frau stoppte das Geplätscher und schaute, gar nicht erschrocken und erst recht nicht verlegen, die beiden Männer an. »Kommen Sie wegen der Katzen?«, rief sie. »Das habe ich glatt vergessen. Kommen Sie ruhig her. Ich beiß schon nicht.« »Also, so was habe ich auch noch nicht erlebt«, murmelte Morgenstern, aber er tat wie ihm geheißen. Die Frau hatte ihre Kleidung und ein großes rotes Badehandtuch am Rand des Gewässers abgelegt und watete aus dem Wasser. »Könnten Sie mir mal das Handtuch geben?«, bat sie Morgenstern und schüttelte ihr Haar, dass die Tropfen bis zu den beiden Besuchern spritzten. »Sicher doch«, sagte Morgenstern ungewohnt schüchtern. Hecht hielt sich vornehm im Hintergrund. Während sich die Frau bedächtig abtrocknete und – endlich – in ihr ebenfalls bereitzuhaltendes geblümtes Sommerkleid schlüpfte, bemühte sich Morgenstern um leichte Konversation. »Schön hier«, sagte er und deutete auf den Weiher. »Allerdings ziemlich flach. Und die Maschinenhalle vom Bauern muss man sich auch wegdenken.« In der Tat hatte ein Landwirt unmittelbar neben dem Tümpel eine moderne, holzverkleidete Vielzweckhalle errichtet. »Eine ganz besondere Quelle«, sagte die Frau. »Sehen Sie, wie das Wasser hier überall aus dem Boden sprudelt?« Sie schlüpfte mit nassen Füßen in Turnschuhe. »Ein Kraftort.« »Wie bitte?« »Ein Kraftort. Ein Platz, an dem der Mensch eine besondere Nähe zu höheren Mächten spürt. Feel the spirit!« »Aha.« Morgenstern machte keinen Hehl daraus, dass er hier nichts spürte außer der atemberaubenden Präsenz der grünäugigen Katja Hartinger. Und dazu noch den aufkommenden böigen Wind, der das erwartete Unwetter immer näher herantrieb. Das Donnergrollen verstärkte sich im Westen, über Ingolstadt zuckten erste Blitze. Morgenstern wollte gehen, aber Hecht nun doch Genaueres wissen. »Was hat es mit dieser Quelle hier auf sich, Frau Hartinger?« »Das Nibelungenlied. Kennen Sie das Nibelungenlied?« Hecht nickte eifrig. Mit leiser Stimme begann sie, eine altmodische Melodie zu singen: »Uns ist in alten maeren wunders vil geseit: von heleden lobebaeren, von grozer arebeit. Von freude und hochgeziten, von weinen unde klagen, von küener recken striten muget ir nu wunder hoeren sagen.« Erwartungsvoll sah sie die beiden Besucher an, als hoffe sie auf Applaus. »Und?«, fragte Morgenstern. »Nun lass sie doch erklären«, schalt ihn Hecht. »Das war der Anfang vom Nibelungenlied, du Banause. Das ist deutsche Hochkultur.« Hartinger schloss für einen Moment versonnen die Augen. »Diese Quelle hier kommt im Nibelungenlied vor. Mittalter pur. Eine andere, ferne Zeit, eine andere Welt.« »Ohne Maschinenhallen«, meinte Morgenstern spöttisch. »Aber dafür war gleich da drüben eine Wasserburg.« Hartinger wies auf einen hinter Bäumen halb verborgenen Bauernhof. »Das Wasser aus der Quelle fließt daran vorbei und von dort immer weiter nach Pförring in die Donau.« »Das Nibelungenlied«, sagte Balladenfreund Hecht. »Das muss ich dringend mal lesen. Ich glaube, das ist ziemlich lang.« »Ja, und genau in der Mitte gibt es eine Szene, in der die Kelsbachquelle eine Rolle spielt. Hagen von Tronje findet genau hier zwei ›Weiße Weiber‹, weise Nixen, die ihm die Zukunft voraussagen. Sie verkünden ihm, dass alle Nibelungen beim Hunnenkönig sterben werden. Aber zuvor hat er ihnen die Kleider gestohlen.« »Der Hunnenkönig?«, fragte Morgenstern. »Nein, Hagen von Tronje hat den beiden Wasserfrauen die Kleider gestohlen und sie damit erpresst.« »Ach so. Dann...