Austermann | Ein Tag im März | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 160 Seiten

Austermann Ein Tag im März

Das Ermächtigungsgesetz und der Untergang der Weimarer Republik

E-Book, Deutsch, 160 Seiten

ISBN: 978-3-451-83003-7
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Das am 23. März 1933 vom Reichstag beschlossene Ermächtigungsgesetz zog einen Schlussstrich unter die Weimarer Verfassung. Von den Nationalsozialisten selbst wurde es als wichtige Legitimationsgrundlage ihrer Herrschaft verstanden. Die Demokratie in Deutschland fand mit dem Gesetzesbeschluss ihr vorläufiges Ende.

Der Staatsrechtler Philipp Austermann, der die Geschichte und die Rechtsgrundlagen des deutschen Parlamentarismus seit Jahren erforscht, erklärt anlässlich des 90. Jahrestages des Gesetzes, warum und wie es zustande kam, ob es überhaupt legal war, welche verfassungsrechtlichen und politischen Folgen es hatte und welche Schlüsse nach 1945 daraus für das Grundgesetz gezogen wurden.
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Ein Tag im März
Wir kehren zum Ausgangspunkt dieses Buches zurück: Am 23. März 1933, 14 Uhr, stand die zweite Sitzung des neu gewählten Reichstages in der Krolloper an. 1. Gespräche innerhalb der Zentrumsfraktion
Am Vormittag vor der Parlamentssitzung kamen die Zentrumsabgeordneten um 11:15 Uhr in ihrem angestammten Fraktionssaal im teilweise noch intakten Reichstagsgebäude zusammen, um sich weiter auf die Sitzung vorzubereiten. Zuvor hatte der Fraktionsvorstand getagt. Der Abgeordnete Hackelsberger hatte von seinem Treffen mit Reichsinnenminister Frick berichtet. Dieser hatte den Willen Hitlers bekräftigt, das Ermächtigungsgesetz in der anstehenden Sitzung verabschieden zu lassen.[1] Der Ältestenrat, der über die Tagesordnung befinden musste, sollte in der Mittagszeit tagen. Er würde, das stand vorher bereits fest, übereinkommen, das Ermächtigungsgesetz abschließend im Plenum zu beraten. Kaas berichtete der Fraktion von seinen Gesprächen mit Hitler vom Vortag und von dessen inhaltlichen Zusagen zur künftigen Politik und zu einem Informationsgremium, an dem das Zentrum beteiligt sein solle. Der Parteivorsitzende hob erneut die Zwangslage der Fraktion hervor. Sie stand vor der Aufgabe, „die eigene Seele“ zu bewahren und zugleich die unangenehmen Folgen einer Ablehnung des Ermächtigungsgesetzes zu bedenken. Kaas stellte klar, dass die Reichsregierung ihre Pläne auf jeden Fall durchsetzen werde und dass der Reichspräsident und die Deutschnationalen ihr nicht in den Arm fallen würden.[2] Der Parteivorsitzende war zwar – nolens, volens – für die Annahme, lehnte es aber ab, einen Vorschlag zu machen, wie die Fraktion sich zu dem Ermächtigungsgesetz im Reichstag stellen solle.[3] Das ist einerseits bemerkenswert, weil Kaas als Parteivorsitzender hätte führen und einen Vorschlag machen müssen, zumal er sich ja eine Meinung gebildet hatte. Andererseits war diese Zögerlichkeit Ausdruck seines Charakters, seines Lebensweges, seiner körperlichen Disposition und seiner Stellung innerhalb der Partei. Der aus Trier stammende hohe Geistliche und Kirchenrechtsprofessor hatte den Parteivorsitz 1928 als Außenseiter übernommen und war kein mitreißender Anführer. Ihm fehlten die politische Erfahrung und die nötige Gesundheit, um das Zentrum kraftvoll durch die schwere Zeit zu steuern.[4] Seine Stellung als Vorsitzender war zusätzlich dadurch geschwächt, dass er sich häufig nicht in Berlin, sondern bei seinem engen Bekannten Eugenio Pacelli (dem früheren apostolischen Nuntius in Deutschland und späteren Papst Pius XII.) in Rom aufhielt. Das hatte immer wieder Kritik hervorgerufen.[5] In den entscheidenden Tagen um den 23. März 1933 war Kaas seiner Partei wie schon zuvor keine Stütze. Er war mehr ein Getriebener der politischen Geschehnisse als der Anführer seiner Partei. Auch der Fraktionsvorsitzende Ludwig Perlitius trat kaum in Erscheinung; die Sitzungsprotokolle der Fraktion vermerkten keinen einzigen Redebeitrag. Dafür meldete sich der ehemalige Reichskanzler Heinrich Brüning zu Wort, der ein schwieriges Verhältnis zu Kaas hatte. Brüning hatte sich wenige Tage zuvor in der Kölner Wohnung eines Zentrumsabgeordneten mit Kaas getroffen. Beide hatten sich lebhaft darüber gestritten, wie sich die Fraktion zum Ermächtigungsgesetz stellen solle. Kaas hatte für die Annahme, Brüning dagegen gesprochen. Kaas soll sogar auf den Tisch geschlagen haben mit den Worten: „Bin denn nun ich der Führer der Partei, oder wer sonst?“[6] Dieser Ausbruch ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass Kaas sich in den entscheidenden Sitzungen eher zurückhielt. Er zeigt, unter welchem Druck Kaas und die Partei standen. In der Fraktionssitzung am Vormittag des 23. März 1933 traten die Gegensätze zwischen Kaas und Brüning erneut hervor. Letzterer teilte in einem Redebeitrag zunächst einige Aussagen des Parteivorsitzenden. So unterstrich auch er die Zwangslage seiner Fraktion und Partei. Er sah zutreffend voraus, dass dem Zentrum in jedem Fall schwere Zeiten bevorstanden, und hob hervor, dass die Regierung für ihre Zusagen keinerlei Sicherheiten gegeben habe. Brüning bezeichnete das Ermächtigungsgesetz zu Recht als „das Ungeheuerlichste, was je von einem Parlament gefordert worden wäre“. Er war von Hindenburg enttäuscht. Als Reichskanzler hatte er sich für dessen Wiederwahl als „Garant und Treuhänder der Verfassung“ eingesetzt. Diese Hoffnung enttäuschte Hindenburg nun in dem Moment, in dem „die größten Gefahren für die gesamte Verfassung“ bestanden. Brüning meinte, er könne sich „kaum für ein Ja entscheiden, selbst wenn man anerkenne, daß man eine moralische Verantwortung für eine Zustimmung nicht trage“.[7] Mit seinen kritischen Worten hatte Brüning für alle Zentrumsabgeordneten sichtbar eine Gegenposition zur Meinung der Gruppe um Kaas formuliert. Die Fraktionssitzung wurde unterbrochen und damit die Entscheidung, wie man abstimmen solle, aufgeschoben. Die Zentrumsabgeordneten begaben sich über den Königsplatz zur Krolloper. Auch 94 der 120 gewählten SPD-Abgeordneten machten sich auf den Weg. Die nicht anwesenden Sozialdemokraten befanden sich in „Schutzhaft“, waren untergetaucht, emigriert oder krankheitsbedingt entschuldigt. Schon einige Tage zuvor hatte die sozialdemokratische Fraktion entschieden, an der Sitzung teilzunehmen und den Gesetzentwurf durch Nein-Stimmen und nicht durch ein Fernbleiben zu dokumentieren.[8] 2. Bedrohliche Sitzungsatmosphäre
Vor der Krolloper hatte sich die zu Beginn beschriebene große Menschenmenge versammelt. Die Stimmung war aufgeheizt. In ihren Erinnerungen schilderten viele ehemalige Reichstagsabgeordnete die Stimmung vor und in der Krolloper. Sie war für diejenigen, die nicht hinter der Regierung standen, bedrohlich. Der ehemalige Reichsinnenminister und preußische Innenminister Carl Severing (SPD) war den Nationalsozialisten durch seinen Widerstand gegen die NSDAP besonders verhasst. Er wurde, obwohl er sich auf seine Abgeordnetenimmunität berief, auf dem Weg zur Sitzung zunächst sogar verhaftet, in das Innenministerium gebracht und wegen angeblicher Straftaten vernommen. Zur Abstimmung wurde er dann aber freigelassen und konnte gerade noch teilnehmen. Er erinnerte sich nach dem Krieg an „die Sprechchöre der SA-Männer, die sich in ihrer Lautstärke gegenseitig überboten. Sie schrien unisono: ,Wir fordern das Ermächtigungsgesetz – sonst gibt’s Zunder!‘ Die Anwesenheit von SA- und SS-Männern in den Gängen und im Sitzungssaal der Krolloper verstärkte den drohenden Ton dieser Ankündigungen noch um einige Grade.“[9] Auch Severings Fraktionskollege Julius Leber wurde vor dem Reichstag verhaftet. Er wurde gefesselt abgeführt und kam bis 1937 nicht mehr frei. Auch von weiteren sozialdemokratischen Abgeordneten sind eindrückliche Schilderungen der einschüchternden Atmosphäre vor und während der Sitzung überliefert. Heinrich Georg Ritzel schrieb: „Den Gang vom Reichstag zur Krolloper, durch das Spalier der Polizei und der mit Armbinden versehenen SA-Hilfspolizei werde ich ebensowenig [sic!] vergessen wie den Aufmarsch von […] SA- und SS-Leuten rund um die Krolloper mit ihrem Sieg-Heil-Gebrüll, die beleidigenden Zurufe und Drohungen, wenn man erkannt oder mindestens als Hitlergegner eingeschätzt wurde. Im Theatersaal der Krolloper war der letzte Platz besetzt. SA- und SS-Leute lümmelten sich mit der Hand am Revolver in nächster Nähe der einzelnen Sozialdemokraten herum.“[10] Josef Felder erinnerte sich: „Kein Wunder, daß die unheimliche Situation in der SPD-Fraktion psychische Belastungen und bei so manchen die Meinung auslöste, in die Krolloper hinüberzugehen, bedeute vielleicht Selbstmord. […] SA- und SS-Leute betraten in völlig unzulässiger Weise den Raum der Abgeordneten und bildeten einen dichten Kordon um die Sitze der SPD. Ihre gezischten Drohungen und billigen Witze verstummten erst, als Hitler mit seiner programmatischen Rede begann.“[11] Auch andere ehemalige Reichstagsabgeordnete der SPD, der liberalen Deutschen Staatspartei und des rechtskonservativen Christlich-Sozialen Volksdiensts erinnerten sich nach dem Ende der NS-Diktatur an die Beleidigungen, mit denen Abgeordnete, die nicht zur NSDAP oder DNVP gehörten, auf dem Weg zur Krolloper bedacht wurden, sowie an die zahlreichen SA- und SS-Leute im Plenarsaal.[12] Reinhold Maier (Deutsche Staatspartei) berichtete, auf jeden oppositionellen Reichstagsabgeordneten seien „je zehn bis an die Zähne bewaffnete SA- und SS-Männer“ gekommen.[13] Fotos vom 23. März 1933 belegen die genannten Beschreibungen. Sie zeigen SA-Männer, die in die Krolloper marschieren, und solche, die an den Außenwänden des Sitzungssaales stehen und die Abgeordneten „einrahmen“. Sogar Franz von Papen, Hitlers Steigbügelhalter und Vizekanzler, sprach in seinen geschönten Erinnerungen von einem Parlament voller Uniformen und von der die Krolloper umgebenden bewaffneten SA, wobei er zugleich die Bedrohlichkeit der Lage herunterspielte und die Anwesenheit von Uniformierten im Plenarsaal nur „kein erfreuliches Bild“ nannte.[14] Diese auch zur Selbstentschuldigung gedachten grob verharmlosenden Einlassungen des Hitler-Unterstützers sind unzutreffend, wie die zahlreichen, voneinander unabhängig getätigten Äußerungen der demokratischen Abgeordneten belegen. Auch nach der Sitzung sollte die Stimmung für diejenigen, die nicht dem Regierungslager angehörten, bedrohlich bleiben, wovon noch zu berichten sein wird. ...


Austermann, Philipp
Philipp Austermann, Prof. Dr., Jahrgang 1978, Professor für Staats- und Europarecht am Zentralen Lehrbereich der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, Brühl. Zuletzt erschien von ihm: „Der Weimarer Reichstag. Die schleichende Ausschaltung, Entmachtung und Zerstörung eines Parlaments“ (2020).

Philipp Austermann, Prof. Dr., Jahrgang 1978, Professor für Staats- und Europarecht am Zentralen Lehrbereich der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, Brühl. Zuletzt erschien von ihm: „Der Weimarer Reichstag. Die schleichende Ausschaltung, Entmachtung und Zerstörung eines Parlaments“ (2020).


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