Baberowski / Kaelble / Schriewer | Selbstbilder und Fremdbilder | Buch | 978-3-593-38016-2 | sack.de

Buch, Deutsch, Band 1, 415 Seiten, Format (B × H): 144 mm x 218 mm, Gewicht: 520 g

Reihe: Eigene und fremde Welten

Baberowski / Kaelble / Schriewer

Selbstbilder und Fremdbilder

Repräsentation sozialer Ordnungen im Wandel

Buch, Deutsch, Band 1, 415 Seiten, Format (B × H): 144 mm x 218 mm, Gewicht: 520 g

Reihe: Eigene und fremde Welten

ISBN: 978-3-593-38016-2
Verlag: Campus Verlag GmbH


Im Mittelpunkt des Bandes stehen die Selbst- und Fremdbilder, Deutungsmuster und kollektiven Identitäten verschiedener Kulturen und Gesellschaften im historischen und innereuropäischen Vergleich, aber auch im Vergleich zwischen Europa und den Gesellschaften Asiens, Afrikas und Lateinamerikas.

Mit Beiträgen von Andreas Eckert, Ulrike Freitag, Vincent Houben, Wolfgang Kaschuba, Herfried Münkler, Bo Stråth und anderen
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Inhalt

Selbstbilder und Fremdbilder: Repräsentation sozialer Ordnungen im Wandel
Jörg Baberowski

Teil I: Selbstbeschreibungen und Fremdbeschreibungen in Prozessen weltgesellschaftlicher Verflechtung
Einleitung
Jürgen Schriewer

Selbstbeschreibung der Weltgesellschaft
Rudolf Stichweh

Kolonialismus, Moderne und koloniale Moderne in Afrika
Andreas Eckert

Eine europäische Geschichte der Repräsentationen des Eigenen und des Anderen
Hartmut Kaelble

Teil II: Konstituierung des Eigenen im Medium von Fremdheitskonstruktionen
Einleitung
Jürgen Schriewer

Arabische Visionen von Modernität im 19. und frühen 20. Jahrhundert:

Die Aneignung von Universalien oder die Übernahme fremder Konzepte?
Ulrike Freitag

Repräsentationen der Ausschließlichkeit:

Kulturrevolution im sowjetischen Orient
Jörg Baberowski

Erzählungen über die Fremden und das Fremde:

Die Taliban in Nordafghanistan
Ingeborg Baldauf

Barbaren und Dämonen:

Die Konstruktion des Fremden in Imperialen Ordnungen
Herfried Münkler

Europe and the Other and Europe as the Other
Bo Stråth

Teil III: Selbstentwürfe und kollektive Identitätsbildungen
Einleitung
Hartmut Kaelble

Historische Repräsentationen des Eigenen und Nationenbildungsprozesse in Südostasien
Vincent J. H. Houben

Das Eigene in der Fremde:

Die chinesische Diaspora und das späte Qing-Reich
Sabine Dabringhaus

Ein jüdisch-europäisches Paar in der Zwischenkriegszeit:

Liebesdialoge quer über den Kontinent
Luisa Passerini

Deutsche Wir-Bilder nach 1945:

Ethnischer Patriotismus als kollektives Gedächtnis?
Wolfgang Kaschuba

Der Populismus des Anderen: Die Politischen Bilder
Renato González Mello

Verwandtschaftsverhältnisse in Transformation:

'Making Kin' in transnationalen Räumen
Stefan Beck, Sabine Hess & Michi Knecht

Personenregister

Autorinnen und Autoren


Selbstbilder und Fremdbilder:

Repräsentation sozialer Ordnungen im Wandel
Jörg Baberowski

Wer die Anderen in ein Bild setzt, macht dabei auch Erfahrungen mit sich
selbst. In der Begegnung mit Fremden werden Gewissheiten erschüttert und
herausgefordert, die Welt verändert sich. Man erfährt, dass die Welt kein Ort
unerschütterlicher Wahrheiten und eindeutiger Ordnungen ist. Nichts ist mehr
wie zuvor, nachdem die eigene Welt in Frage gestellt worden ist. Gewöhnlich
versuchen Menschen, die herausgefordert oder verunsichert werden, die ihnen
vertrauten Ordnungen und Lebensweisen zu bewahren und gegen Zumutungen
zu verteidigen. Aber sie werden gezwungen, über die Welt, in der sie leben,
nachzudenken, sie werden das Selbstverständliche als das Besondere wahrnehmen
und es bewusst verteidigen. Nur im Spiegel des Anderen wird erfahrbar,
was man selbst ist. Kultur wird reflexiv. Darin liegt die eigentliche Bedeutung
der interkulturellen Kommunikation für die Kulturwissenschaften:

dass sie die Orte sichtbar macht, von denen aus Menschen miteinander sprechen.
Nun haben aber Menschen die kulturellen Ordnungen, die ihnen eine
Sprache ermöglichen, nicht zu ihrer Verfügung. Sie sind ins Leben geworfen
und sie haben keine andere Wahl, als sich zu den Ordnungen, in denen sie
existieren, zu verhalten. Es ist der Ort, von dem aus wir sprechen, der es uns
ermöglicht, die Unterschiede zwischen uns und den anderen zu erkennen und
zu bestimmen. Wer handelt, deutet, aber dieses Handeln ereignet sich nicht im
Nirgendwo. Deshalb stehen Deutungen und Wissensordnungen in einem
engen Zusammenhang.
Hier nun kommen die Repräsentationen ins Spiel. Sie sind Organisationsformen
des Wissens, Muster der sinnhaften Verarbeitung von Lebensverhältnissen
und kollektiven Erfahrungen, die Menschen ermächtigen, sich in der
historischen, sozialen oder politischen Realität zurechtzufinden.1 Anders gesagt:

wir könnten die Welt nicht verstehen, wenn wir sie nicht auf Begriffe
brächten oder in Symbolen oder Bildern darstellten und damit für uns und
andere festhielten. Die Repräsentation des Erfahrenen ermöglicht es Menschen
überhaupt erst, etwas zu wissen und es anderen mitzuteilen. Wenn wir
nicht die Gabe besäßen, Erfahrungen aufzubewahren, weiterzuerzählen und
ihnen eine dauerhafte Gestalt zu geben, könnten wir einander nicht mitteilen,
wie wir die Welt sehen und erfahren haben. Um es mit Ernst Cassirer zu sagen:

der Mensch kann der Welt nicht unmittelbar gegenübertreten, er kann
seinen eigenen Erfindungen nicht entkommen. Statt mit den Dingen, hat er es
immer nur mit sich selbst und den Repräsentationen zu tun, die sein Wissen
ordnen. Die Repräsentationen schieben sich zwischen uns und die Wirklichkeit,
aber sie verstellen unseren Blick auf die Welt nicht, sie machen ihn im
Gegenteil erst möglich.2 So gesehen eröffnen Repräsentationen Handlungsmöglichkeiten,
sie beschränken sie aber auch, weil sie keine beliebigen
Optionen eröffnen.
Repräsentationen sind also Darstellungsformen des Wissens, die es Menschen
überhaupt erst ermöglichen, sich eine Welt zu errichten. Wo etwas zum
Ausdruck gebracht wird, äußert es sich in symbolischen Formen, in Repräsentationen.
Mit ihnen erschließen wir die Welt, in der wir leben. Nur wo es einen
übergreifenden Verstehenszusammenhang, eine gemeinsame Ausgelegtheit der
Welt gibt, ist ein Gespräch möglich. Wenn der gemeinsame Orientierungsrahmen
fehlt, kann es zu Missverständnissen oder zum Abbruch der Verständigung
kommen. Darin zeigt sich die Spannung jeder interkulturellen Verständigung.
Gleichwohl ist jede Kultur auf die Existenz fremder Repräsentationen
angewiesen, sie braucht sie, um sich ihrer eigenen Repräsentationen zu vergewissern.
Das aber bringt Menschen in die Möglichkeit, sich selbst zu beobachten,
sich vom anderen herausfordern zu lassen, sich zu verändern und
Fremdheit durch Verstehen aufzulösen, im Wissen, das die anderen an der
Lesart der eigenen Kultur mitarbeiten. Denn andere Kulturen sind nur andere
Sinnverhältnisse, und als solche sind sie menschlichem Verstehen zugänglich.
Darin liegt die Bedeutung der Repräsentationen für das Verstehen jenes Geschehens,
das man Kultur nennt. Kulturwissenschaftler, die wissen wollen, wie
Menschen die Welt gesehen haben, müssen die Repräsentationen untersuchen,
mit deren Hilfe eine Erschließung und Veränderung der Welt überhaupt nur
möglich ist. Denn sie wollen nicht wissen, wie die Welt an sich ist, sondern wie
Menschen glauben, dass sie beschaffen ist und welche Handlungsmöglichkeiten
sich daraus für sie ergeben. Menschen leben nicht in festen,
abgeschlossenen Ordnungen, sondern sie stellen sie her, sie schaffen ihre
eigene Welt, indem sie die vorhandenen Ordnungen, in die sie hineingeworfen
sind, herausfordern.
Wer sich der Erforschung von Repräsentationen zuwendet, hat es nicht
nur mit Texten und Gesprächen zu tun. Auch Bilder und Zeichen, Inszenierungen
und Performanzen sind Repräsentationen. 'Eine Geschichte ohne das
Imaginäre', sagt Jacques Le Goff, 'ist eine verstümmelte, entleibte Geschichte
'.3 Bilder sind aber nicht nur Ausdruck sozialer Ordnungen, sie sind
zugleich Zeugnisse dafür, wie Menschen ihre Sicht auf die Welt festhalten und
mitteilen. Bilder sind also keine Abbilder und Anzeichen, sie sind Bewegungskräfte,
die Meinungen visualisieren, rechtfertigen oder delegitimieren. Bilder,
stehende wie bewegte, mobilisieren Emotionen, sie produzieren und verändern
Vorstellungen.4 Inschriften, Denkmäler, Straßen, Plätze und Gebäude verändern
das Lebensgefühl und die Vorstellungen von Menschen, sie geben den
Wahrnehmungen eine Struktur. Deshalb spiegeln Visualisierungen nicht die
historische Wirklichkeit, sie sind als Repräsentationen Sichtweisen dieser
Wirklichkeit. Ohne die Erforschung visueller Medien und Zeichensysteme
wäre die Frage, was Repräsentationen sind und was sie bewirken, nicht zureichend
zu beantworten.5 Denn auch die Sehgewohnheiten werden in Begegnungen
und Konfrontationen geschärft und zur Sprache gebracht. Bilder
dokumentieren, wie Menschen auf eine kulturelle Konfrontation reagieren, sie
ermöglichen es uns zu erkennen, wie Menschen das Eigene im Anderen entdeckt
haben. Diese Frage wird von den Autoren zwar nicht exklusiv untersucht,
aber stets bedacht, wo von Verhältnissen des Eigenen und Fremden die
Rede ist.
Wie Repräsentationen soziale Ordnungen erzeugen, wenn Menschen einander
begegnen, und wie diese Repräsentationen von den Ordnungen geformt
werden, aus denen sie sich hervorbringen – das ist das Thema des vorliegenden
Buches. Repräsentationen richten aber die Ordnungen nicht nur aus, sie
gehen auch aus ihnen hervor. Damit sichtbar wird, wie Repräsentationen und
Ordnungen sich aufeinander einspielen, untersuchen die Autoren Kontexte
der Begegnung von Konzepten, Ideen und Vorstellungen in ihrer Reflexivität.
Repräsentationen sind also keine Abbildungen, sondern Verdichtungen des
Sinns, die sich in der Begegnung von Menschen erschließen. Diese Verdichtungen
verwandeln sich, sobald sie zu festgefügten Vorstellungen geworden
sind, selbst in Ordnungen. So gesehen sind Repräsentationen und soziale Ordnungen
aufeinander bezogen, die einen sind ohne die anderen nicht vorstellbar.
Denn Ordnungen sind nicht einfach da, man muss sie sich vielmehr als
ein interaktives Geschehen vorstellen, das kein Ende hat. Dieses Geschehen
wird hier episodisch und beispielhaft beschrieben, indem die Autoren
Geschichten über die Verarbeitung von Sinn erzählen. Dabei wird nicht nur
deutlich, wie Repräsentationen entstehen und sich verändern, sondern auch,
wie überkommene Repräsentationen verschwinden oder zur Entleerung
gebracht werden und mit ihnen die Ordnungen vergehen, die sie stabilisiert
haben.
Nur im Vergleich wird wahrnehmbar, was das Eigene und was das Andere
in unterschiedlichen Kontexten ist. Was eine Ordnung auszeichnet, das ergibt
sich erst aus dem Vergleich. Und so ist es auch hier, wenngleich die Autoren
ihre Gegenstände auf verschiedene Weise miteinander verbinden: indem sie
unterschiedliche Ereignisse und Strukturen auf kleinem Raum und in überschaubaren
Zeitabschnitten dicht beschreiben oder Zivilisationen und Gesellschaften
in Europa, Lateinamerika, Asien und Afrika als Einheiten gegenüberstellen.
Im Licht unterschiedlicher Fächerkulturen und Fragehorizonte behalten
beide Vergleichsperspektiven ihr Recht.6 Eine zentrale Rolle spielt überdies
das Konzept der 'Vielfalt der Moderne',7 an dem sich, explizit oder implizit,
alle Autoren abarbeiten. Aber diese Vielfalt ist kein Nebeneinander hermetisch
abgeschlossener Kulturen und Zivilisationen, sondern eine Verschränkung des
Verschiedenen. Was in den außereuropäischen Gesellschaften geschah und
geschieht, ließ und lässt die Gesellschaften jenseits des europäischen Kontinents
nicht unberührt. Und seit die Welt kleiner geworden ist und die Begegnung
kultureller Bedeutungssysteme überall zur erfahrenen Wirklichkeit gehört,
bildet die Rede von der Ausschließlichkeit der Kulturen auch nicht mehr
die Wahrnehmung des Alltags ab. Man könnte auch sagen, dass die Spiegelung
des Eigenen im Fremden zu einem Alltagsphänomen geworden ist, das nicht
mehr nur auf die Vielvölkerimperien und kolonialen Kontexte beschränkt,
sondern zur globalen Erfahrung schlechthin geworden ist. Deshalb müssen die
beschriebenen Kontexte nicht nur miteinander verglichen werden. Nicht weniger
wichtig als der Kulturvergleich ist die Untersuchung des Kulturtransfers.8
Darum geht es in diesem Band, dessen Beiträge aus einer Ringvorlesung des
Sonderforschungsbereiches 'Repräsentationen sozialer Ordnungen im Wandel
' (SFB 640) an der Humboldt-Universität zu Berlin hervorgegangen sind.
Die Autoren des vorliegenden Bandes nähern sich diesen Themen aus unterschiedlichen
Perspektiven. Sie rekonstruieren unterschiedlich weit greifende
Beschreibungen des Eigenen und des Fremden als Repräsentationen – und
zugleich dynamisierende Faktoren – von Prozessen weltgesellschaftlicher Verflechtung
(Teil I); sie gehen den geradezu dialektischen Verschränkungen nach,
aufgrund derer handlungsleitende Selbstdeutungen im Medium von Konstruktionen
des Fremden entstehen und sich verfestigen (Teil II); und sie untersuchen
Selbstbeschreibungen und -entwürfe im Zusammenhang mit Formen
kollektiver Identitätsbildung (Teil III).


Schriewer, Jürgen
Jürgen Schriewer ist emeritierter Professor in der Abteilung Vergleichende Erziehungswissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Kaelble, Hartmut
Hartmut Kaelble ist emeritierter Professor für Sozialgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Baberowski, Jörg
Jörg Baberowski ist Professor für Geschichte Osteuropas an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Jörg Baberowski ist Professor für Geschichte Osteuropas an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Hartmut Kaelble ist emeritierter Professor für Sozialgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Jürgen Schriewer ist emeritierter Professor in der Abteilung Vergleichende Erziehungswissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin.


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