E-Book, Deutsch, Band 3, 416 Seiten
Reihe: Glück
Bach Glück und selig!
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7336-5147-3
Verlag: Fischer Kinder- und Jugendbuch Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Lina und die Sache mit den Wünschen
E-Book, Deutsch, Band 3, 416 Seiten
Reihe: Glück
ISBN: 978-3-7336-5147-3
Verlag: Fischer Kinder- und Jugendbuch Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dagmar Bach liebt Harmonie und Tee und hat schon als Innenarchitektin dafür gesorgt, dass sich die Menschen rundherum wohlfühlen. Ihr eigener Happy Place sind ihre Geschichten, die sie seit einigen Jahren aufs Papier bringt. Ihr Debüt »Zimt & weg« wurde auf Anhieb ein »Dein-SPIEGEL«-Bestsellererfolg. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in München.
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1
Hektisch sah ich über die Schulter. Nein, da war nichts. Ich zog den Reißverschluss weiter nach oben und vergrub die Nase tief in meinem Schal. Der Novemberwind blies mir eiskalt ins Gesicht, und die Luft roch nach dem ersten Schnee. Trotzdem fing ich an, unter meiner Jacke zu schwitzen, denn ich hatte die letzten Blocks im Laufschritt zurückgelegt. Dabei hielt ich mein Handy fest umklammert, für den Fall, dass er noch einmal anrief.
Ich huschte über die Straße und versteckte mich im nächsten Hauseingang, um meine Umgebung abzuchecken.
Sie konnte jeden Moment hier vorbeikommen. Darauf war ich vorbereitet, er hatte mich ja gewarnt. Trotzdem war ich aufgeregt, denn ich wollte auf keinen Fall von ihr gesehen werden.
Als das Gerät schließlich in meiner Hand vibrierte, hopste ich vor Schreck nach oben. Das war doch …
»Mama!«
Ganz klar war das Timing meiner Mutter, mich ausgerechnet aus New York anzurufen, ziemlich mittelprächtig. Trotzdem nahm ich den Anruf entgegen. Ich hatte sie seit über einem Jahr nicht gesehen, und ich vermisste sie so sehr, dass mein Herz sofort anfing zu ziehen, als ich mir den Hörer ans Ohr presste.
»Mein Schatz, wie geht’s dir denn? Habt ihr alle das Winterkonzert bei den fiesen Großeltern im Schloss gut überstanden?«
»Hi, Mama«, sagte ich atemlos und sah mich wieder in alle Richtungen um.
Er hatte gesagt, dass wir uns drüben bei der kleinen Post treffen sollten. Doch das war, bevor …
»Lina? Alles in Ordnung? Bist du unterwegs?«
»Alles okay. Also, das Winterkonzert. Das war ziemlich … hm. Am Anfang war es eigentlich ganz okay, das Schloss war total schön dekoriert, es gab tolles Essen, und irgendwie hatten sie es hinbekommen, dass man gar nicht mehr gerochen hat, dass der alte Kasten eigentlich total verschimmelt ist.«
Mama lachte kurz. »Und was war dann okay?«
Ich lehnte mich mit dem Rücken an die Hauswand und stieß die Luft aus.
Ich musste meiner Mutter erzählen, was sonst noch passiert war. Das Spannende. Das, was mich letzte Nacht um den Schlaf gebracht hatte und heute Morgen um den Appetit. Ich hatte nur keine Ahnung, wo ich anfangen sollte.
»Also, weißt du … da war … stell dir vor: Ich … also, ich meine … Kims Freund hat mit einer anderen geknutscht!«
»Was?!«
Ich Feigling hatte natürlich nicht einfach die Bombe platzen lassen. Obwohl die Sache mit Moritz, Kims Freund – oder jetzt Ex-Freund –, auch ein wirklich harter Schlag war, war es nicht das, was mich seitdem beschäftigte.
Mamas Stimme am anderen Ende der Leitung wurde sanft. »Und wann willst du mir erzählen, was bei gestern los war?«
Ich schluckte. »Bei mir?«
»Christoph hat mich vorhin angerufen«, sagte Mama und seufzte.
Ich schloss die Augen und kämpfte gegen den Drang an, die Fäuste zu ballen. Papa war schneller gewesen. Das hätte ich mir ja denken können.
»Ach, echt?«, fragte ich trotzdem betont locker. »Das ist ja nett! Hat er dir von der Gräfin in Blau erzählt? Die hatte doch echt was mit dem Baron Sowieso, Vicky hat die beiden sogar im Vorraum der Toilette erwischt, kannst du dir das vorstellen? Und überhaupt wurde da ganz schön viel gebaggert, aber noch mehr gemobbt, diese Leute können fies sein, das glaubst du gar nicht. Und Beas Eltern –«
»Lina!«
Ich schluckte. »Hm?«
»Sei mir nicht böse, aber ich wollte eigentlich viel lieber etwas von dir hören, Liebes. Von dir und Arthur.«
Ich legte mir in einem kindischen Reflex die freie Hand über die Augen. Ich sehe dich nicht, dann siehst du mich auch nicht und vergisst ganz schnell, dass wir gerade im Begriff waren, dieses Gespräch zu führen.
Doch das war wirklich albern.
Ich ließ die Hand sinken, atmete tief ein und aus und sagte dann: »Ich hab mich in Arthur verliebt, Mama. Und er sich in mich. Völlig ungeplant. Und gestern Abend, da, da haben wir … da haben alle anderen auch davon erfahren. Also Papa und Bea. Und die Großeltern.«
Ich bekam immer noch weiche Knie, wenn ich nur daran dachte. Denn unser Kuss in aller Öffentlichkeit hatte von einer Sekunde auf die andere alles verändert. Und ich hatte recht damit behalten, Angst davor zu haben, denn sowohl Bea als auch Papa haben genau so reagiert, wie ich es erwartet hatte: geschockt. Entsetzt. Enttäuscht.
Und trotzdem war es der romantischste Augenblick, den ich je in meinem Leben erlebt hatte. Denn nach dem aufreibenden Abend im Schloss hatten wir uns alle oben im Festsaal das Ende des Konzerts angehört. Symphonieorchester, Walzerklänge, Wallekleider, Smokings, das ganze Programm.
Wir – die Zwillinge, Mats, ich und noch ein paar Freunde, die geholfen hatten – saßen ganz hinten, als plötzlich Bea und Papa anfingen, im Gang zwischen den Sitzplätzen zur Musik Walzer zu tanzen. Und immer mehr Paare standen auf und schlossen sich an, und, tja, und dann … stand auf einmal Arthur vor mir. Und als er mich dann aufs Parkett geführt hatte und wir tanzten, da waren die Gefühle mit mir durchgegangen und ich hatte ihn geküsst. Vor allen Leuten, mitten auf der improvisierten Tanzfläche, vor den Augen unserer Eltern und seiner Großeltern.
»Ach, Mama, ich bin völlig durch den Wind«, schloss ich, als ich ihr alles erzählt hatte. »Ich kann nur noch an ihn denken, schaue gefühlt eine Million Mal am Tag auf mein Handy, ob er mir geschrieben hat, und dann, wenn wir zusammen sind, ist es einfach … Sogar wenn wir unter Leuten sind, wenn wir in unserem Familienmodus sind und uns wie Geschwister benehmen. Selbst dann war es immer total schön. Also, bisher.«
»Du bist verliebt!« Im Gegensatz zu Papa oder Bea hörte sie sich nicht beunruhigt an. Im Gegenteil. Hatte sie da gerade gequietscht? »Das ist so toll, mein Schatz!«
»Sag das mal Papa«, murmelte ich und schob mich tiefer in den Hauseingang, weil der Wind stärker wurde und eiskalt um die Ecken pfiff.
»Ach, das hab ich schon!«, sagte sie fröhlich. »Ich hab ihm vorhin gesagt, dass er sich nicht so aufregen soll. Schließlich ist ihm das Gleiche ja mit Bea passiert. Na, und mit mir vor ungefähr hundert Jahren auch. Er soll bloß nicht so tun, als ob er gegen das Verlieben immun wäre.«
»Das hast du zu ihm gesagt? Du bist nicht … sauer?«
»Wieso sollte ich denn sauer auf dich sein? Du machst das doch nicht, um uns zu ärgern.«
»Und was hat Papa gesagt?«
»Das … Ach, gib ihm einfach ein bisschen Zeit, ja? Und Bea auch. Ich kann mir wirklich vorstellen, dass das ein ganz komisches Gefühl für die beiden sein muss, immerhin seid ihr ja so etwas wie Stiefgeschwister. Aber sie werden sich daran gewöhnen. Vielleicht hilft es, wenn ihr zu Hause nicht so viel rumknutscht.«
»Das hatten wir auch überhaupt nicht vor!«
»Dann bist du braver, als ich es je in meinem Leben war«, sagte Mama und kicherte.
Ich verkniff mir, zu sagen, dass ich mit Arthur allein unter vier Augen nicht ganz so brav war. Und dass ich in Zukunft nicht immer brav sein wollte. Aber damit würde ich ein anderes Thema anschneiden, auf das ich gerade noch weniger Lust hatte. Und das mich vermutlich sowieso früher einholen würde, als mir lieb war.
Nachdem ich das Gespräch mit Mama beendet hatte, fühlte ich mich ein bisschen besser. Wenigstens ihre Unterstützung hatten wir, auch wenn uns im Moment ein ganzer Ozean trennte.
Ich hielt das Handy weiterhin in der Hand, als ich aus dem schützenden Hauseingang heraustrat und mich wieder suchend umsah. Offiziell war ich nämlich noch bei Kim, aber Arthur hatte mich angeschrieben und gefragt, ob wir uns gegen vier heimlich hier draußen treffen könnten.
Tja, und da war ich nun, schlich um die Häuser und wartete auf ihn, in der Hoffnung, dass Bea uns nicht auf die Schliche kam. Die nämlich hatte vorhin überraschenderweise zusammen mit Arthur das Haus verlassen, weil sie joggen gehen wollte.
Will heißen: Arthurs Mutter lief hier irgendwo durch die Straßen, während Arthur und ich uns unbemerkt treffen wollten. Und ich kannte unser Viertel gut genug, um zu wissen, dass man trotz Großstadt jemanden traf. Meistens denjenigen, den man am allerwenigsten sehen wollte.
Langsam schlich ich den Gehweg entlang. Ich war nur zehn Meter von unserem Treffpunkt entfernt, aber ich konnte ihn aus der Ferne nirgendwo entdecken. Vielleicht war er noch gar nicht da? Aber es war schon kurz nach vier, hoffentlich war nichts –
Plötzlich tippte mir von hinten jemand auf die Schulter, und ich sprang vor Schreck nach oben.
Arthur lachte leise. »Ich bin’s doch nur.«
Ich wirbelte zu ihm herum. »Wie kannst du mich so erschrecken«, sagte ich und boxte ihn reflexartig gegen die Schulter. »Sei froh, dass der Selbstverteidigungskurs bei Frau Temme noch nicht angefangen hat, sonst würdest du nämlich schon wimmernd am Boden liegen!«
Arthur grinste breit. »Hört sich lustig an! Du darfst dann gerne an mir üben«, sagte er, und seine grauen Augen funkelten vergnügt.
Das war übrigens einer der Gründe, warum ich mich in ihn verliebt hatte: Er war cool, souverän – und witzig. Das erfuhr man allerdings erst, wenn man ihn besser kannte, denn nach außen gab er gerne den ernsten, introvertierten Türsteher.
Er drückte mir einen Kuss auf die Wange und schob mich sanft vorwärts. »Komm, lass uns hier verschwinden, ehe Mama uns noch erwischt. Sie läuft tatsächlich hier kreuz und quer durch die Straßen. Ich hab versucht, sie auszuquetschen, ob sie in den Park will, aber sie meinte, sie braucht...




