Bervoets | Flauschig | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Bervoets Flauschig

Roman
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-641-22438-7
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

ISBN: 978-3-641-22438-7
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Florence, Maisie, Stephan und Diek, alle sind mehr oder weniger unglücklich, im Grunde also ganz normal. Sie vermissen etwas, wissen jedoch nicht so genau, was, bis sie, jeder für sich, eines Tages auf einen kleinen flauschigen Ball stoßen: Fuzzie. Jeden Tag erzählt Fuzzie ihnen Geschichten, Geschichten über Liebe und Verlust, über Träume und Einsamkeit, Geschichten, in denen sich jeder wiederfindet. Sie hören ihrem kleinen Ball zu, sie tun, was er sagt. Sie lieben ihren kleinen flauschigen Ball, denn er kennt sie, ja, er scheint sie vollkommen zu verstehen, vielleicht sogar als Einziger ...

Hanna Bervoets, geboren 1984, schreibt Romane, Kolumnen und Drehbücher. Für ihre Romane wurde sie mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet, darunter dem Opzij-Literaturpreis für das beste Buch einer niederländischen Autorin und dem BNG Neuer Literaturpreis 2016. 2017 erhielt Hanna Bervoets für ihre Romane den Frans-Kellendonk-Preis.
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BIST DU HEUTE MORGEN von selbst aufgewacht? Oder hat dich das blecherne Geräusch eines Telefons oder einer Radiouhr geweckt?

Was war das Erste, woran du nach dem Wachwerden gedacht hast? Hattest du Lust auf den Tag, weil die Sonne schien oder du dich auf eine Verabredung freutest? Oder graute dir vielmehr vor dem Aufstehen, dem Anziehen und davor, irgendwohin zu gehen, um mit Leuten zu reden – so sehr, dass du dir die Decke lieber noch mal über den Kopf zogst, um dich einen letzten Moment in Träumen zu wiegen?

Was hast du heute Nacht geträumt?

Dass du geträumt hast, steht fest. Ein Mensch hat durchschnittlich zwanzig Träume pro Schlafzyklus; eine merkwürdige Zahl, gebe ich zu, denn wie bestimmt man genau, wo ein Traum aufhört und der andere anfängt? Träume gehen ineinander über wie Farben auf einem Aquarell, aber die verschwommene Hütte dort auf dem Berggipfel lässt sich natürlich sehr wohl von den Tannen im Vordergrund unterscheiden. Hast du geträumt, dass du über einen Nadelwald fliegst? Das bedeutet, dass dir eine Veränderung bevorsteht: Du bist beunruhigt, nicht ganz zufrieden, dein Leben wird bald eine andere Wendung nehmen. Hast du geträumt, dass dir die Zähne oder die Haare ausgehen? Dann hast du Angst vor dem Altern, und zwar zu Recht: Das Alter lauert hinter den Tannen auf dich, aber dank deiner Träume von Zähnen wird es dich vielleicht nicht so sehr überrumpeln. Ein Traum von Feuer, Brand oder Flammen bedeutet, dass du bald etwas Neues in Angriff nimmst, träumst du dagegen von Wasser, Meer oder Wogen, fühlst du dich in irgendetwas gefangen.

Oder – nun ja, so steht es jedenfalls im von M. Powell. Aber da steht auch, dass erotische Nachtgesichte von deinen Nachbarn, unangenehmen Kollegen, von Barbra Streisand oder deinem Vater selten etwas über tatsächliches Begehren verraten, und in dem Punkt bin ich mit M. Powell nicht ganz einer Meinung. So kenne ich eine Frau, die ihren Chef – dreißig Jahre älter als sie, vierzig Kilo schwerer, ein Mann mit kleinem, flusigem Zopf – plötzlich rasend attraktiv fand, nachdem sie davon geträumt hatte, wie er es ihr auf der Personaltoilette mit dem Mund machte. Wenn unsere Träume also auch nichts über unser momentanes sexuelles Verlangen aussagen, so können sie zumindest die zukünftigen Wünsche beeinflussen, und, nein, nicht all diese Vorstellungen sind reale Optionen oder Wünsche, aber alle realen Wünsche und Optionen waren einmal Vorstellungen, Gedanken oder Träume – und wir unsere Träume, wenn wir dem Buch von M. Powell glauben dürfen, der sagt: Träumen ist eine Aktivität des Gehirns, um die Eindrücke unseres täglichen Wachbewusstseins zu verarbeiten. Wusstest du, dass Neugeborene den größten Teil ihres Tages verträumen? Sobald sie eindösen, ist es so weit, Babys träumen viel intensiver und öfter als Erwachsene, schließlich haben sie viel mehr Neues zu verarbeiten. Ein Baby unterscheidet auch noch nicht zwischen Tag und Nacht. Für ein Neugeborenes ist das Leben eine einzige Folge von Eindrücken, deren Großteil seiner eigenen Phantasie entspringt, aber das weiß das Baby natürlich nicht; muss es plötzlich weinen, wenn seine Mutter es hochhebt, kann der Grund sehr gut sein, dass es sich fürchtet, weil es glaubt, sie würde ihm gleich ins Ohr beißen, wie es das eben in seinem Traum erlebt hat.

Seit wann unterscheidest du zwischen Träumen und tatsächlich Erlebtem?

Vielleicht begann das, als deine Eltern »Kuckuck, wo bin ich?« mit dir spielten. Sie hielten sich die Augen zu, klappten die Hände wie eine Saloontür wieder auf, und riefen »Kuckuck!«, während sie dich lachend ansahen. Das taten sie, damit du lernst, dass etwas nicht verschwindet, bloß weil du es einen Moment lang nicht siehst, dass Schnuffel nicht endgültig weg ist, bloß weil du ihn vom Tisch schlägst, und Mama sich nicht auflöst, wenn sie das Zimmer verlässt, dass ihre Augen, Nase und Mund hinter ihren Fingern einfach weiterexistieren.

Die zwei wichtigsten Dinge, die du als Kind lernst: Was du nachts siehst, ist nicht wirklich da, doch was du tagsüber nicht siehst, gibt es trotzdem – was wäre aus dir geworden, wenn deine Eltern dir diese Lektion nie erteilt hätten?

Vielleicht kämst du dir etwas isoliert vor, jedes Mal, wenn du allein zu Hause bist: allein mit deinem Stuhl, dem Computer und dem Tisch, mit dem Fenster, der Aussicht, der Wolke und den paar Menschen in ihrem Schatten.

Aber vielleicht fühltest du dich auch ein ganzes Stück ruhiger als jetzt. Wenn Menschen – deine Freunde, Familie, Kollegen, Verflossenen – nicht existierten, solange du sie nicht siehst, bräuchtest du dir um sie auch keine Sorgen zu machen. Du bräuchtest dich nicht schuldig zu fühlen, weil du sie nicht häufig genug anrufst, und nicht schlecht, wenn sie sich nicht so oft bei dir melden. Du bräuchtest dich nicht zu fragen, wie es ihnen wohl geht und ob sie ab und zu an dich denken. Du bräuchtest, und das ist vielleicht das Angenehmste daran, nicht zu befürchten, dass sie aus dem Haus gehen, um mit anderen zu knutschen. Es gibt kein Draußen. Es gibt keine anderen. Es gibt kein Gefummel, solange du es nicht siehst. So wie auch keine schmelzenden Polkappen oder schrumpfenden Regenwälder oder misshandelten spanischen Esel, solange du nirgendwohin gehst, einfach sitzen bleibst, wo du sitzt, zu Hause, in deinem Zimmer, an die Wand starrend, die einzige Wand auf der Welt: Alles ist gut, solange du dich nicht zu sehr rührst.

Darum sind Babys so sorglos, glaubst du nicht auch? Alles ist gut, also stecken sie all ihre Energie ins Trinken und Wachsen und über Tannenwälder Fliegen oder Bergsteigen – träumst du das auch ab und zu? Dass du einen Berg hinaufkraxelst? Und kommt der Gipfel dabei irgendwann in Sicht, oder musst du immerzu klettern, deinen Pickel in den widerspenstigen Fels schlagen, ohne auch nur einen Schritt weiterzukommen? Wenn es dir einfach nicht gelingt, deine Fahne in den Gipfel zu rammen, fühlst du dich im wahren Leben unterschätzt, an der Arbeit oder in einer Beziehung (das kann auch die zu einem Elternteil sein) – hast du deine Mutter oft genug angerufen, hat sie oft genug mit dir telefoniert? Wenn nicht, bleibt der Gipfel in Nebel gehüllt!

Allerdings muss ich einräumen, dass ich eigentlich nicht an Traumdeutung glaube, jedenfalls nicht richtig. Und du auch nicht, nehme ich an, meinem Eindruck nach bist du ein nüchterner Mensch. Aber du bist bestimmt mit mir einer Meinung, dass deine Träume sehr wohl etwas über dich sagen, und ich versuche nun mal gerade, dich etwas besser kennenzulernen. Ich frage mich, ob es dir auch gut geht.

Ich dachte mir: Vielleicht können wir heute so tun, als wären wir Neugeborene. Als wäre alles, was sich außerhalb dieses Zimmers befindet, einfach nicht da. Nur die Wände um dich herum existieren, das Möbel, auf dem du sitzt oder liegst, nur du und ich.

?

Maisie hat ihren Schal vergessen.

Es ist Anfang April und viel zu kalt für die Jahreszeit, und das liegt am Wind. Sie spürte es schon, als sie vors Haus trat, hatte aber keine Lust, noch mal all die Treppen nach oben zu laufen. Jetzt tut es ihr leid, dass sie den Schal nicht doch noch geholt hat, dieser Scheißwind rast ja geradezu über die Hauptstraße.

Normalerweise kommt sie nie hierher, diese Straße ist nicht ihre Route, kein einziger Bewohner der Stadt wählt diesen Weg. Jetzt aber, wo sie mit der Prozession von Touristen Richtung Hauptbahnhof schlendert, findet sie das eigentlich ganz angenehm. Wer sich unter Fremde begibt, wird selbst einer; für die anderen sowieso, und vielleicht schafft sie es heute Nachmittag ja, sich für einen Augenblick zu vergessen: Sie ist auf Urlaub in einer fremden Stadt und hätte sich bestimmt vor das Steakhaus gesetzt, wenn sie einen Schal dabeihätte; vielleicht kann sie im Souvenirladen einen kaufen. Maisie schaut auf: Eiserne Stacheln ragen aus den roten Leuchtbuchstaben an der Fassade, bestimmt gegen die Vögel, und … hey, sie wusste gar nicht, dass man hier Münzen umprägen lassen kann. Maisie fühlt in ihrer Tasche. Eine Fünfzig-Cent-Münze findet sie nicht, dafür etwas Flauschiges, Weiches.

Eigentlich wollte sie heute Nachmittag Kleidung kaufen. Eine neue Bluse, eine neue Hose oder vielleicht eine Jacke, passend zu ihrem brandneuen, platinblonden Haar. Dass sie es endlich gewagt hatte, ihre roten Locken bleichen und glattföhnen zu lassen, um Betty aus ähnlich zu sehen, versetzte sie letzte Woche in totale Euphorie, jedes Mal, wenn sie sich im Spiegel ansah. Doch mittlerweile hat der Anblick seinen Zauber verloren, hat sie gestern Abend gemerkt. Ihr neues Haar kräuselt sich schon wieder, so wie ihr altes, und Maisie hat sich den ganzen Morgen aufs Shoppen gefreut. Als sie dann endlich in ihren bequemen Schuhen den COS-Store betrat, passierte es wieder. Kaum sah sie die Regale voll schwarzer T-Shirts mit U-Boot-Kragen und Hochwasserhosen, dachte sie auf einmal: Lass gut sein. Im gleißenden Neonlicht verbrannte ihr Wunsch wie Zigarettenpapier in einer Kerzenflamme, und dahin war aller Elan, ihre Lust, shoppen zu gehen, ihre Lust auf etwas Neues – ein Gefühl der Schwermut machte sich stattdessen breit.

Vielleicht, denkt Maisie manchmal, ist dieses Gefühl ihre Grundemotion. Ein bisschen so wie ein Basisgeruch, ein Geruch, den jeder hat, der immer da ist, aber oft von Seife, Shampoo oder parfümierter Bodylotion überdeckt wird; Arbeitsethos, Vorfreude oder auflodernde Euphorie, sobald diese Gefühle wegfallen, bleibt nur noch das darunterliegende übrig: Schwermut. Aber vielleicht muss sie...


Bervoets, Hanna
Hanna Bervoets, geboren 1984, schreibt Romane, Kolumnen und Drehbücher. Für ihre Romane wurde sie mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet, darunter dem Opzij-Literaturpreis für das beste Buch einer niederländischen Autorin und dem BNG Neuer Literaturpreis 2016. 2017 erhielt Hanna Bervoets für ihre Romane den Frans-Kellendonk-Preis.



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