Bierbaum | Marie - das Mädchen mit den dunklen Augen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 160 Seiten

Bierbaum Marie - das Mädchen mit den dunklen Augen

Roman
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-7655-7163-3
Verlag: Brunnen Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 160 Seiten

ISBN: 978-3-7655-7163-3
Verlag: Brunnen Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Warum ist Marie so anders als ihre ganze westfälische Familie: herzlich, lebhaft, musikalisch, immer in Bewegung? Alle im Dorf sind blond und blauäugig, nur sie hat schwarze Haare und diese dunklen, warmen Augen. Eines Tages kommt eine Geschichte ans Licht, die nur ihr Großvater kannte. Diese Geschichte hängt mit einem verkratzten Holzkasten zusammen, in dem sich eine alte Fiedel findet.

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2. KAPITEL
„Sie soll Marie heißen!“
ES WAR EINE UNRUHIGE NACHT für die Bauern in dem kleinen Dorf am nördlichen Hang des Berges. Grell zuckten die Blitze, und grollend krachten die Donnerschläge. Dazu ein gewaltiger Wolkenbruch mit laut prasselndem Regen. Der Sturm rüttelte in heftigen Böen an Dächern und Fenstern. Seit Tagen schon hatte sich dies Gewitter mitten im heißesten August angekündigt mit schwülen Nachmittagen und verhangener Sonne gegen Abend. Aber es war nicht über den Höhenzug des nahen Berges gekommen. Nur am dumpfen Grollen in der Ferne hatten die Bauern erleichtert gemerkt, dass das Unwetter sich wieder einmal auf der anderen Seite des Berges austobte. Und das kleine Reihendorf mit seinen zwölf Höfen und zwanzig Heuerlingskotten am Rande der fruchtbaren Tiefebene war wieder einmal verschont geblieben. Doch diesmal war es anders. Schon am frühen Abend war eine merkwürdige Unruhe über das Vieh in den Ställen gekommen. Die Kühe wollten sich nach dem Melken einfach nicht zur Ruhe begeben. Sie zerrten an ihren Ketten und legten sich nicht wie sonst auf das frische Stroh in ihrem Stall. Auch die Schweine liefen unruhig in ihren Ställen hin und her, und die Hühner und Gänse gackerten aufgeregt, was für diese Tageszeit äußerst ungewöhnlich war. So hatte sich das Unwetter angekündigt, und die Menschen im Dorf sahen voller Sorge der Nacht entgegen. Gegen Mitternacht kam dann die ganze Wucht des Unwetters über sie und verbreitete Angst und Schrecken. Man fürchtete die Gefahr eines Gewitters besonders wegen der Blitze. Zu oft war es schon geschehen, dass ein Blitz eine Scheune getroffen hatte. Und dann war es nur eine Frage von Minuten, bis helle Flammen aus dem Dach schlugen und ein ganzes Anwesen mit Wohnhaus, Ställen und Scheune dem lodernden Feuer zum Opfer fiel. Nach einer einzigen Nacht hatte so schon mancher Hof in Schutt und Asche gelegen. So war es auch in dieser Nacht nicht verwunderlich, dass es keinen Hof und keinen Kotten im Dorf gab, wo nicht Licht brannte und die Menschen besorgt und ängstlich das Unwetter beobachteten. Und während die Männer – Bauern, Heuerlinge und Knechte – Haus, Scheunen und Ställe absicherten und bewachten, saßen die Frauen, Kinder und Mägde zusammen in der Wohnstube, angstvoll aneinandergedrängt. Manche lagen auf den Knien und beteten. Je nach Temperament riefen sie Gott laut um Hilfe an oder murmelten leise ihre auswendig gelernten Gesangbuchverse. Gegen drei Uhr ließ die Kraft des Unwetters langsam nach. Der Abstand zwischen Blitz und Donner wurde größer, ein Zeichen, dass das Gewitter sich entfernte und nicht mehr direkt über ihnen stand. Auch der Wind schwächte sich allmählich ab. Nur der Regen strömte wie aus Eimern. Es dauerte noch eine ganze Weile, bis sich die Menschen und auch das Vieh in den Ställen beruhigt hatten. Jetzt lohnte es sich kaum noch, wieder ins Bett zu gehen. In einer knappen Stunde würde der neue Tag beginnen mit seinen Aufgaben in Stall und Haus. Aber die Tage im August mitten in der Getreideernte waren anstrengend und kosteten viel Kraft, und die Leute im Dorf waren müde und dankbar für jede Stunde Schlaf, die sie ergattern konnten. So verkrochen sie sich in ihren Schlafbutzen, erleichtert und dankbar, dass auch diesmal kein Unglück geschehen war, nicht auf ihrem Hof oder in ihren Kotten und auch nicht irgendwo sonst im Dorf. Das Glöckchen auf dem Spritzenhaus der Feuerwehr war gottlob still geblieben in dieser Nacht. Doch Ernst Friedrich, der Bauer auf dem größten der zwölf Höfe des Dorfes, konnte keine Ruhe finden. Aufrecht stand der stattliche Mann vor der Tür, die von der Sommerküche in den Garten führte. Von dort hatte man die beste Sicht nach Osten, dorthin, wo die Sonne am Horizont in der unendlichen Ferne der Ebene bald aufgehen musste. Angespannt sah er dem Tag entgegen, in der Hoffnung, dass das Gewitter keinen Wetterumschwung gebracht hatte, wie das oft geschah. Zwei Tage waren noch nötig, um das Getreide einzubringen. Schlimm genug, dass der heftige Regen der Nacht das bereits zu Stiegen aufgestellte Korn schwer und nass gemacht hatte. Es würde Tage dauern, bis es wieder so weit getrocknet war, dass es sicher eingefahren und auf dem Scheunenboden gelagert werden konnte. Eine Regenperiode wäre jetzt eine Katastrophe. Aufmerksam beobachtete Ernst Friedrich den Himmel, der langsam heller wurde. Der Regen hatte aufgehört, die dunkle, dichte Wolkendecke zerriss, und es zeichneten sich einzelne Wolken ab, die sich, vom Westwind getrieben, schnell wie von Geisterhand auflösten. Schließlich ließen sie einen klaren, wolkenlosen Himmel zurück, der sich über die ganze Ebene spannte. Erleichtert atmete Ernst Friedrich die frische, abgekühlte Luft des beginnenden Morgens ein. Eine Wohltat nach der stickigen, schwülen Hitze der vergangenen Tage und Nächte. Noch war die Sonne nicht aufgegangen, aber ein heller Schein am Horizont kündete von einem klaren Sonnenaufgang und ließ auf einen schönen Tag hoffen. Nach einem Ruhetag, den alle gut gebrauchen konnten und den sie für die Arbeit im Haus nutzen würden, könnte die Ernte am nächsten Tag weitergehen, überlegte Ernst Friedrich und plante in Gedanken die Arbeiten auf dem Hof für den Tag, der nun nach dem nächtlichen Gewitter ganz anders als ursprünglich geplant verlaufen würde. Ganz so schlimm, wie er es in der Nacht befürchtet hatte, war es nun aber doch nicht gekommen. Zufrieden wollte er gerade ins Haus treten, da ging weit im Osten die Sonne auf. Ein schmaler Streif zunächst, aber mit einem Schlag veränderte sich alles. Die goldene, glänzende Pracht der Sonne tauchte die weite, hellblaugraue Unendlichkeit des Landes in warmes Licht. Und Ernst Friedrich, der das morgendliche Schauspiel von dieser Stelle aus nicht zum ersten Mal erlebte, war wieder ergriffen von der Gewalt der Natur, wo Dunkel und Schrecken der Nacht so nah beim Licht und Leben des Tages lagen. Was für eine Nacht war das gewesen! Und was für ein Tag würde es werden? Er war so bewegt von seinen Gedanken und Gefühlen, dass er nicht bemerkte, wie lautlos und ganz vorsichtig hinter ihm die Deelentür zur Sommerküche geöffnet wurde und sich seine älteste Tochter Elisabeth ihm zaghaft näherte. „Vater“, flüsterte sie und noch einmal: „Vater!“ Sie blieb an der Tür stehen und wartete. Das Verhältnis der Kinder zu ihrem strengen, wortkargen Vater war von großem Respekt geprägt. Es war nicht üblich, dass sie ihn von sich aus ansprachen. Ein echtes Gespräch gab es denn auch so gut wie nie. Meist handelte es sich um Arbeitsanweisungen oder kurze Befehle des Vaters, die die Kinder gehorsam und wortlos befolgten. Auch Fragen nach ihrem Befinden oder gar ein Lob waren äußerst selten. Und so blickte Elisabeth jetzt auch ängstlich auf den Vater, der ihr den Rücken zukehrte, und wartete noch einen Augenblick, bis sie – nun lauter und vernehmlich – sagte: „Vater, bitte komm. Mutter geht es nicht gut. Sie liegt im Bett und stöhnt laut. Ich glaube, es geht los.“ Abrupt drehte Ernst Friedrich sich um, stieß die Tochter unwirsch zur Seite und eilte mit langen, schnellen Schritten über die Deele zur Schlafstube, wo seine Frau im großen gemeinsamen Himmelbett diese Nacht allein gelegen hatte. Er fand Anna schwer atmend halb sitzend im Bett. Sie hatte sich mehrere Kissen in den Rücken gestopft und holte immer wieder tief Luft. Stöhnen wollte sie in der Gegenwart ihres Mannes nicht. So unterdrückte sie beherrscht die Welle des Schmerzes, die gerade jetzt wieder über sie kam. Es war nicht das erste Mal, dass sie dies erlebte. Elf Kinder hatte sie schon geboren, aber es war mit den Jahren nicht leichter geworden. Und diesmal würde es schwer werden. Das hatte sie in der Nacht schon deutlich gemerkt, als das Unwetter über das Dorf fegte und sie die ersten Anzeichen der beginnenden Geburt spürte, als beim Zucken der Blitze und Krachen der Donnerschläge die feuchte Wärme des auslaufenden Fruchtwassers ins Strohpolster im Unterbett sickerte und sie trotz der drohenden Gefahr und der Angst vor dem Gewitter das Bett nicht verlassen hatte, um sich mit den anderen in der Wohnstube zu sammeln. Sie war einfach liegen geblieben. Bei der allgemeinen Unruhe war es wohl auch nicht weiter aufgefallen, dass sie fehlte. Sie richtete sich kurz auf und sagte mit bemüht fester Stimme: „Bitte lass Schulten Mutter holen. Es ist so weit.“ Das war die Hebamme des Dorfes. Dann ließ sich Anna ermattet wieder in die hohen Kissen sinken. Augenblicklich erfasste Ernst Friedrich den Ernst der Lage und sah besorgt auf das blasse Gesicht seiner Frau, deren gesunde rote Backen ihn sonst immer so erfreuten. „Soll ich nicht lieber den Arzt holen?“, fragte er und machte sich in Gedanken schon auf den Weg ins nahe gelegene Kirchdorf, wo der Arzt wohnte. „Das...



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