E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Both VerhEXt noch mal!
15001. Auflage 2015
ISBN: 978-3-522-65293-3
Verlag: Planet! in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 192 Seiten
ISBN: 978-3-522-65293-3
Verlag: Planet! in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Sabine Both, Jahrgang 1970, lebt und arbeitet als freie Autorin in Neuss. Eine rabaukige Kindheit, eine rebellische Pubertät und ein paar turbulente Jahre als Sozialarbeiterin haben genügend Stoff für jede Menge frecher Bücher angehäuft. Wenn Sabine Both gerade nicht mit ihren Zwillingen spielt, beackert sie ihren Garten und kocht für ihre Freunde.
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NA KLAR, EIN HIRNTUMOR!
Liebe Ella!
Jetzt sind wir schon ein halbes Jahr zusammen. Du und ich, das ist forever, oder? Ich meine, so was gibt es doch nicht noch einmal im Leben. Was ich für Dich fühle, kann ich gar nicht in Worte fassen. Wenn ich Dich morgens sehe, dann kribbelt es mir wie irre im Bauch und ich freu mich, als wenn die Borussen den Pokal mit nach Hause nehmen.
Wie soll ich sagen, ich schätze, das ist die ganz große Liebe.
Tausend Küsse,
Dein Hanno
Ich klebe den Brief auf. Neben das Foto, auf dem wir Arm in Arm vor dem gigantischen Schneemann, den wir mit Papas altem Wintermantel und Omas Brille zu unserem Standesbeamten gemacht hatten, stehen. Über das Bild, das uns vor diesem irren Sonnenuntergang am Badesee zeigt, kurz bevor wir ins Wasser sprangen und feststellten, dass Unterwasserküsse ziemlich luftraubend sind.
Ich klebe alles auf. Die Fotos von der Klassenfete. Die aus der Jugendherberge. Die von Weihnachten. Fast ein ganzes Jahr matt glänzend und in Farbe. Dazu die Eintrittskarten. Vom Kino, in dem wir mehr geknutscht als geguckt haben. Vom Theater, Romeo und Julia, in das er nur mir zuliebe gegangen ist, damit ich mich auf meine Hauptrolle in der Theater-AG einstellen konnte. Von der Eishalle. Vom Schwimmbad. Ich verbrauche jede Menge Kleister und tapeziere die Schräge über meinem Bett. Mit den getrockneten Rosen zum Dreivierteljahr. Mit der Valentinskarte. Mit den Pralinenpapierchen. Den Preisschildern. Allen Zettelchen, die wir im Unterricht geschrieben haben. Es sind Tausende.
»Ella?« Mama steht vor der Tür.
»Bin beschäftigt!«
»Ella. Mach auf!«
»Hörst du nicht, Mama, ich hab zu tun!«
Ich heule. Schon wieder. Wie ein Schlosshund. Ich kann nicht leise. Es geht nur laut. Und irgendwie gespenstisch. Es kommt aus meinen Eingeweiden. Es kann nicht wahr sein. Es darf nicht wahr sein!
»Ella.« Jetzt ist ihre Stimme sanft. »Mein Hase.«
»Ich bin kein Hase!«
»Meine Große. Mach mal auf. Komm, ich nehm dich in den Arm.«
»Das bringt doch nichts.« Ich schließe trotzdem auf und kippe Mama direkt entgegen.
»Das kann er doch nicht machen!«, jaule ich. »Ist heute der erste April?«
»Nein, es ist Juni.«
»Das muss ein Missverständnis sein. Gestern war doch noch alles in Ordnung.«
Ganz sicher. Wir sind Hand in Hand über den Schulhof gelaufen. Wir haben uns hinter den Mülltonnen geküsst. Wir haben uns in Mathe Zettelchen geschrieben. Er hat mit KKK unterschrieben!
Er würde doch niemals KKK schreiben, wenn er es nicht mehr so meint. Unser KKK. Kuss. Kuss. Kuss. Und wie er mir zugehört hat, als ich ihm von der Theaterprobe erzählt habe. Wie er gesagt hat, dass er jederzeit meinen Text mit mir durchgeht. Mein Romeo ist, damit ich mich in die Rolle finden kann. Und der Abschiedskuss am Bus. Mit Zunge. Mit Hände um den Nacken. Der war doch schön. Der war doch echt. Den hab ich doch nicht geträumt. Es kann nicht sein. Es darf nicht sein. Ich muss herausfinden, was los ist!
»Mein Schatz. Solche Dinge kommen oft überraschend, weil man die Anzeichen nicht sehen will.«
»Es gab aber keine!« Ich schiebe Mama weg und verschränke die Arme vor der Brust.
»Oder er hat sich gut verstellt. Wahrscheinlich hatte er nicht den Mut, es dir persönlich zu sagen.«
»So ist er aber nicht.«
»Na ja, anscheinend …«
»Du hast ja keine Ahnung! Wie immer!« Ich will sie rausschieben, aber sie geht nicht. Sie hat sie entdeckt. Meine neue Tapete. Für einen Moment vergisst sie, dass ich der bedauernswerteste Mensch auf der ganzen Welt bin, und blafft: »Das geht doch nicht mehr ab!«
»Das soll ja auch nicht mehr abgehen. Das soll für immer bleiben!«, schreie ich.
Ich schlage ihre wieder ausgestreckten Arme aus, rausche an ihr vorbei, schnappe mir meine Jacke und suche das Weite, bevor sie auch nur noch ein Wort sagen kann. Sie sagt sowieso nur Sachen, die ich nicht hören will. Weil sie nicht stimmen.
Hanno und ich, das ist nicht aus. Das kann nicht aus sein. Er hat sich einfach nur … vertan?
»Mira ist oben.« Frau Sommer schaut mich an wie eine Flugzeugabsturzüberlebende. Wie meine Mutter. Natürlich weiß sie Bescheid. Ich würde Mama auch sofort erzählen, wenn Miras Freund mit ihr Schluss gemacht hätte. Wenn Mira einen Freund hätte, der mit ihr Schluss machen könnte.
»Dann geh ich mal hoch.« Ich will an Frau Sommer vorbei, aber sie stellt sich mir in den Weg.
»Soll ich euch einen schönen warmen Kakao machen?«, fragt sie. »Mit Sahne? Und dazu ein paar leckere Plätzchen?«
Sie sind doch alle gleich. Mütter! Als ob Milch und Kohlenhydrate irgendwas ausrichten könnten. Kapieren sie nicht, dass Essen jetzt das Letzte ist, an das ich denken kann? Dass mein Magen seit heute Morgen definitiv keinerlei Aufnahmebereitschaft mehr zeigt? Dass das Einzige, was jetzt zählt, ist, irgendwas zu tun? Dagegen zu tun.
»Ja, danke«, sage ich trotzdem, in der Hoffnung, sie lässt mich endlich durch.
Sie lässt mich. Ich nehme zwei Stufen auf einmal und stürze in Miras Zimmer.
»Wie oft muss ich noch sagen, dass du anklopfen sollst, Mama«, knurrt sie, den Rücken zur Tür, über irgendwas gebeugt.
»Ich bin’s!«
»Ella!« Sie springt auf und legt das Smartphone weg, auf dem sie offensichtlich gerade noch irgendetwas sehr Interessantes angestarrt hat. »Komm schnell her!« Sie grapscht mich und drückt feste zu.
Bei ihr ist es viel besser als bei Mama. Ich lasse mich hängen wie ein nasser Sack. Wir plumpsen aufs Bett. Ich kralle mich an ihrer Taille fest, lege meinen Kopf in ihren Schoß und heule los. »Ich komme einfach nicht dahinter. Und wenn ich nicht dahinterkomme, kann ich nichts dagegen tun.« Meine Worte kommen nur unverständlich aus mir raus.
»Ich hab dir ungefähr tausend Nachrichten geschrieben«, ruft sie gegen mein Gestammel an.
Ich gebe mir Mühe, mich vernünftig zu artikulieren. »Ich weiß. Aber ich musste noch etwas erledigen.«
»Bist du zu ihm und hast ihm kräftig eine gescheuert?«
»Nein! Bist du irre?« Ich rapple mich hoch.
»Wieso irre?«
»Ich liebe ihn doch.« Ich heule wieder. Aufrecht sitzend ist es noch lauter. So laut, dass das Gespräch für einen Moment unterbrochen werden muss.
»Aber er liebt dich doch nicht mehr«, sagt Mira vorsichtig, als ich nach Luft schnappen muss.
»Natürlich liebt er mich noch!«
Sie runzelt die Stirn.
»Irgendwas muss passiert sein, das ihn durcheinandergebracht hat. Keine Ahnung, vielleicht haben seine Eltern ihm gesagt, dass er sich nicht so früh festlegen darf. Vielleicht haben sie ihm sogar gedroht. Mit Taschengeldentzug oder sonst was.«
Sie sieht nicht überzeugt aus, traut sich aber nichts zu sagen.
»Das ist doch alles total schräg«, rede ich deshalb weiter. »Da passt doch nichts zusammen. Ich meine, so ist er doch nicht. Er macht das doch nicht am Telefon!«
Nicht so! Nicht mit mir!
»Ella?«
»Hanno, warte kurz, ich muss nur noch den kleinen Zeh lackieren. Ich leg dich kurz ab.«
»In Ordnung.«
»So. Jetzt kannst du loslegen.«
»Ja, also …«
»Was ist denn? Ist irgendwas wegen heute Abend? Wenn deine Eltern uns nicht abholen können, dann frag ich meine.«
»Nein, das ist es nicht.«
»Was dann? Weißt du nicht, was du anziehen sollst? Ich mag dich ja am liebsten in der neuen Jeans und dem Shirt mit V-Ausschnitt. Das grüne.«
»Ella! Halt doch mal … Ich meine, bitte sei mal …«
»Was ist denn bloß los mit dir? Ist was passiert?«
»Nein … also … doch.«
»Oh Gott. Was Schlimmes?«
»Nein … also … doch … na ja.«
»Hanno! Jetzt lass dir doch nicht jeden Wurm einzeln aus der Nase ziehen.«
»Ich …«
»Ja?«
»Ich wollte …«
»Ja?«
»Ich wollte Schluss machen.«
»Womit?«
»Mit …«
»Fußball? Für mich? Damit ich am Wochenende nicht immer auf dem Platz abhängen muss?«
»Nein, nicht mit Fußball. Mit … mit dir.«
»Wie jetzt?«
»Also, Schluss machen. Mit dir.«
»Wieso, was denn?«
»Na, die Beziehung. Schluss machen. So sagt man das doch.«
»Schluss machen?«
»Jetzt stell dich doch nicht … du verstehst schon. Oder?«
»Nein, gar nicht.«
»Ich will nicht mehr mit dir zusammen sein. Es ist aus. Ich liebe dich nicht mehr.«
»Natürlich liebst du mich.«
»Nein, Ella. Nicht mehr so. Nicht mehr als das.«
»Als was?«
»Als Frau. Verstehst du?«
»Nein.«
»Ich leg jetzt auf.«
»Nein!«
»Doch, Ella. Wir sehen uns am Montag in der Schule. Ich hoffe, du bist nicht sauer. Tschüss.«
»Vielleicht hat er sich den Magen verdorben. So richtig giftig. Mit irgendwas, das solche Symptome hervorruft. Geistige Verwirrung. Oder es ist ein Hirntumor. Mein Gott, Mira, bestimmt ist es ein Hirntumor, der auf irgendwas drückt, das …«
»Ella!«
»Was?«
»Das ist kein Hirntumor.«
»Aber was ist es dann?«
Sie guckt komisch. Als müsste sie dringend mal aufs Klo. Irgendwie unentschlossen und total unter Druck.
»Ella. Ich muss dir was zeigen. Aber du darfst nicht ausflippen.«
»Was denn?«
»Versprich mir, dass du nicht durchdrehst.«
»Ich bin schon durchgedreht!«
»Aber nicht noch mehr, ja?...




