Bussi | Das Kind in den Wellen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 480 Seiten

Bussi Das Kind in den Wellen

Thriller
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-8412-3184-0
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Thriller

E-Book, Deutsch, 480 Seiten

ISBN: 978-3-8412-3184-0
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein Junge verschwindet, zehn Jahre später taucht sein Doppelgänger auf.

Zehn Jahre ist es her, dass Maddis Sohn Esteban spurlos am Strand verschwand. Zum Jahrestag des Unglücks kehrt sie zurück, will einen Abschluss finden. Doch dann sieht sie einen Jungen, der Esteban zum Verwechseln ähnelt. Je länger Maddi ihn über die Tage beobachtet, desto mehr Parallelen fallen ihr auf. Verliert sie, die sonst so rational denkende Ärztin, den Verstand? Oder wiederholt sich die Geschichte, und der Junge schwebt in Gefahr? Eine verzweifelte Suche nach der Wahrheit beginnt, und plötzlich befindet sich Maddi in einem Strudel aus Ereignissen, den sie nicht mehr zu beherrschen vermag ...



Michel Bussi, geboren 1965, Politologe und Geograph, lehrt an der Universität in Rouen. Er ist einer der erfolgreichsten Autoren Frankreichs. Seine Bestseller wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und sind internationale Bestseller. Im Aufbau Taschenbuch liegen seine Romane 'Das Mädchen mit den blauen Augen', 'Die Frau mit dem roten Schal', 'Beim Leben meiner Tochter', 'Das verlorene Kind', 'Fremde Tochter', 'Nächte des Schweigens' und 'Tage des Zorns' vor. Mehr zum Autor unter www.michel-bussi.fr Eliane Hagedorn studierte Germanistik an der LMU München und Französisch an der Sorbonne. Sie übersetzt seit 30 Jahren aus dem Französischen und lebt in Deutschland und Frankreich. Sie übertrug u. a. Guillaume Musso und Marc Levy ins Deutsche. Barbara Reitz absolvierte ihr Studium am Institut für Übersetzen und Dolmetschen der Uni Heidelberg. Seit 30 Jahren übersetzt sie hauptsächlich aus dem Französischen, aber auch aus dem Spanischen und Englischen. Sie übertrug u. a. Elena Sender und María Dueñas ins Deutsche.
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Weitere Infos & Material


I

DAS VERSCHWINDEN


Esteban

1


Ich bin sehr rational. Aus tiefster Überzeugung unabhängig. Absolut frei. Relativ wohlhabend.

So, hoffe ich, sieht mich Esteban mit seinen zehn Jahren. Dieses Bild, so glaube ich zumindest, vermittle ich auch meinen Patienten. Doktor Maddi Libéri, Allgemeinmedizinerin, 29 Boulevard Thiers in Saint-Jean-de-Luz. Vertrauenswürdig, stark, ehrlich. Niemand soll meine Schwächen, meine Zweifel, mein tiefstes Inneres kennen. Vor allem nicht mein Sohn.

Meine Wohnung im dritten Stock in der Rue Etchegaray bietet einen der schönsten Blicke auf den großen Strand, die Grande Plage, etwa hundertfünfzig Steinwälzer-Flugmeter – das ist der typische Vogel der baskischen Küste – entfernt oder einen fünfundvierzig Sekunden-Sprint meines kleinen Sohnes.

Das lassen wir uns nicht nehmen. Es ist unser – Esteban und mein – morgendliches Ritual, vor meiner ersten Sprechstunde und seinem Aufbruch zur Schule, sogar vor unserem gemeinsamen Frühstück: Wir ziehen an, was wir vor unserem Bett auf dem Boden finden, und laufen zum Strand hinunter. Und sobald im Frühling das Wasser wärmer als siebzehn Grad ist, gehen wir auch schwimmen. Alle Straßen von Saint-Jean-de-Luz führen zum Meer, als wäre die Stadt von Anfang an so konzipiert worden, dass man von jedem Balkon aus einen Zipfel des Atlantiks sehen kann.

Es ist kurz vor acht Uhr. Der Strand ist noch fast menschenleer. Ich zähle etwa zwanzig Touristen auf dem langgezogenen Abschnitt zwischen dem Damm von Chevaux und dem Hafendamm. Wir haben uns gegenüber der Terrasse des Toki Goxoa, dem Panorama-Restaurant mit den bunten Kacheln, niedergelassen. Nun ja, niedergelassen ist ein großes Wort. Esteban hat sein rotes Strandtuch, das er à la Superman um den Hals trug, in den Sand fallen lassen, seinen Sweater von Biarritz Olympique über den Kopf gezogen und die grünen Leinenschuhe abgestreift.

»Gehen wir schwimmen, Maman?«

»Eine Sekunde, mein Großer.«

Berufsbedingter Reflex. Ich prüfe erst alles mit wachsamem Blick. Zunächst Esteban: sein magerer Körper, seine vorstehenden Knochen, seine Schienbeine, die aus einer übergroßen indigoblauen Badehose ragen – dieselbe Farbe wie der baskische Himmel an diesem Morgen – und geschmückt von einem weißen Wal, der auf das linke Bein gedruckt ist. Esteban liegt, was Größe und Körpergewicht angeht, genau im Durchschnitt für sein Alter. Jeden Samstag nach meiner letzten Sprechstunde wird er gemessen und gewogen. Ein weiteres unserer Rituale. Den wöchentlichen Kebab-Teller gibt es nur, wenn die rote Filzstiftkurve nicht von der Norm abweicht.

»Also gehen wir jetzt endlich, Maman?«

Esteban wartet ungeduldig, dass ich mich ausziehe. Vor Verlassen der Wohnung habe ich eine einfache Häkeltunika übergestreift. Damit man auch die Farbe meines Bikinis sieht. Ich liebe diesen leichten, netzartigen Stoff auf meiner Haut, der meinen Bauch und die Hälfte der Oberschenkel bedeckt. Ich liebe es, mich mit fast vierzig Jahren noch begehrenswert zu fühlen und das nicht nur in den Augen der Rentner, die ihre Pudel auf dem Quai de l’Infante Gassi führen.

Dann suche ich den Horizont ab. In der Ferne, Richtung Hendaye und der Plage de Socoa, kämpfen Surfer in ihren schwarzen Neoprenanzügen, aufgereiht wie Kolonien von Ameisen, mit den hohen Wellen. Hinter uns lässt der Wind des Atlantiks die Ikurriñas, die baskischen Flaggen, am Rand der Mole, geräuschvoll flattern.

»Nein, heute nicht, mein Großer. Die Brandung ist zu stark!«

»Wie bitte?«

Esteban starrt ungläubig aufs Meer. Die Wellen sind mehrere Meter hoch. Er ist nicht blöd. Er weiß, dass Schwimmen unter diesen Umständen unmöglich ist. Trotzdem insistiert er, wohl mehr der Form halber.

»Maman, heut’ ist mein Geburtstag!«

»Ich weiß. Und? Was ändert das? Wir wollen doch nicht ertrinken, weil heute der Tag deiner Geburt ist!«

Esteban lächelt mich an – dieses unwiderstehliche Petit-Prince-Lächeln, das jede Mutter schwach werden lässt. In seinen hellen Augen blitzt ein Hauch von Traurigkeit auf, wie ein Kratzer auf seinem Herzen. Ich fahre mit der Hand durch sein blondes Haar, um ihn zu trösten, aber auch um es ein wenig zu zerzausen. Ich mag ihn so, meinen kleinen Prinzen. Halb Träumer, halb Rebell. Und jeden Abend auf meinem Balkon, wenn Esteban wie ein Baby schläft, danke ich dem Planeten, von dem er gefallen ist.

»Wir schwimmen morgen, mein Großer! Oder noch heute Abend, wenn ich früh genug fertig bin …«

Er tut so, als würde er mir glauben.

»Okay, Maman.«

Er weiß genau, dass es nicht meine Art ist, meine Patienten rasch abzufertigen. Wir beide verstehen uns, ohne uns ausdrücklich erklären zu müssen. Es reicht ein Blick, Vertrauen, Einverständnis. Kein Mann könnte sich jemals zwischen uns stellen! Ich muss einen leeren Platz neben mir im Bett behalten, für Esteban, wenn er im Morgengrauen zu mir kommt. Niemals könnte ein Liebhaber mich morgens mit einem so kristallklaren Ich hab dich lieb wecken.

Ich krame rasch in meiner Tasche und reiche Esteban eine Ein-Euro-Münze.

»Du holst uns trotzdem ein Baguette?«

Noch eines von unseren Ritualen, eingeführt als Esteban in die fünfte Grundschulklasse kam, zu den Großen! Nach unserem morgendlichen Bad trocknet er sich ab, zieht seinen Pulli über und rennt los, zum Bäcker. Allein! Eine Minute und fünfunddreißig Sekunden im vollen Galopp. So hat er sogar noch genügend Zeit, den Frühstückstisch zu decken, während ich dusche: Schwarzkirschmarmelade, Schafsmilchjoghurt, Fruchtsaft tags zuvor gepresst. Wir frühstücken zusammen, er duscht, während ich mich schminke, und wir machen uns beide, Hand in Hand auf den Weg – ich in meine Praxis, er zur Schule.

Esteban schließt die Hand zur Faust um die Geldmünze.

Warum habe ich es an diesem Morgen so eilig, nach Hause zu kommen?

Ohne das Schwimmen haben wir alle Zeit der Welt.

Warum habe ich mich damit begnügt, ein paar Sandkörner von seiner Schulter abzuwischen, meinen Blick bis zum oberen Saum seiner Badehose gleiten zu lassen, reflexartig die Entwicklung seines Angioms an seiner Leiste zu kontrollieren, bevor ich ihn habe loslaufen lassen?

Warum habe ich mich nicht umgedreht? Warum habe ich mich nicht vergewissert, dass er sein Strandtuch aufhebt? Dass er seinen Pulli überzieht? Dass er zum Bäcker über die Rue de la Corderie läuft?

Weil man Rituale dafür erfindet? Um sich sicher zu fühlen? Um alles zu kontrollieren? Um sich einzureden, dass nichts passieren kann? Weil man sich in Sicherheit wähnt, wenn man immer dieselbe Routine hat?

In Wirklichkeit ist man nur weniger wachsam. Aus Faulheit lässt man es an Vorsicht mangeln. Und an Verantwortung.

•••

»Esteban?«

Ich strecke nur den Kopf aus der Dusche und lasse das heiße Wasser dabei weiter über meine Haut laufen. Die Wand des Badezimmers, die sich auf einige türkisfarbene marokkanische Kacheln rund um einen zwei auf drei Meter großen Spiegel beschränkt, wirft mir das Bild meines nach den ersten Frühlingsausflügen gebräunten Körpers zurück – der Aufstieg zu La Rhune, die Wildwassertour auf dem Fluss Nive, die ersten ungeschickten Stand-up-Paddling-Versuche auf dem Lac de Saint-Pée, das Surfen südlich von Guéthary, das baskische Pelota-Spiel in Arcangues. Wir haben noch das ganze Leben vor uns, um Champions zu werden, Esteban.

»Esteban?«

Meine Hand tastet...



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