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E-Book, Deutsch, 360 Seiten

Castan Der Rote Baron

Die ganze Geschichte des Manfred von Richthofen

E-Book, Deutsch, 360 Seiten

ISBN: 978-3-608-10700-5
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Manfred von Richthofen (1892 – 1918) ist der berühmteste Jagdflieger des Ersten Weltkriegs. Das Buch erzählt die bislang weitgehend unbekannte Geschichte jenseits gängiger Mythen und Legenden. 'Die Lebensgeschichte des gefeierten Soldaten weiß der Historiker und Dokumentarfilmer Joachim Castan spannend zu erzählen.' Rainer Blasius, Franfurter Allgemeine Zeitung 'Man muss dieses Buch uneingeschränkt empfehlen, weil es schonungslos aufräumt mit der Vorstellung, dass in einem modernen Krieg irgendeine Art von Schönheit, Gerechtigkeit oder Wahrhaftigkeit Platz haben könnte, und dies mit Quellen und einer überzeugenden Argumentation untermauert.' Andreas Baum, Deutschlandradio Kultur
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1. Kapitel RICHTHOFEN – RITTER DER LÜFTE – VEREWIGT IN HELDENGESÄNGEN
»Er war zum Ruhm geboren, ein preußischer Aristokrat. Kein Schriftsteller könnte eine romantischere oder unglaublichere Figur schaffen. […] Bereits zu seiner Lebenszeit eine Legende, wurde der gutaussehende Aristokrat mit der ernsten Erscheinung eine noch größere Legende nach seinem geheimnisvollen Tod.«1 Pasquale Carisella (1922 – 1991) über Manfred v. Richthofen Westfront. Ein klarer Frühlingstag Anfang April 1917. Strahlend blaues Firmament, nur wenige weiße Wolken an Flanderns Himmel. Dienstgipfelhöhe 3000 Meter. Ein Geschwader der Kaiserlichen Fliegertruppe auf Patrouillenflug. Keines der Jagdflugzeuge ist in Tarnfarben angestrichen: die Bemalungen reichen von Hellblau über Zitronengelb bis zu Hellgrün. Der Anführer der Staffel: Rittmeister Baron Manfred von Richthofen. Er fliegt einen roten Fokker-Dreidecker – ein in jeder Hinsicht überlegenes Jagdflugzeug – eine Legende wie er selbst. Wegen der Farbe seines Flugzeugs wird der preußische Edelmann bei Landsleuten »Roter Baron«, bei seinen Feinden »Roter Teufel« genannt. Unvermittelt gibt Richthofen Handzeichen an seine fliegenden Kameraden – doch niemand außer ihm kann auch nur ein einziges feindliches Flugzeug ausmachen. Nach einigen Sekunden können auch die übrigen das erkennen, was der Geschwaderführer bereits vorher erspäht hat: einige hundert Meter über dem Boden eine englische Fliegerstaffel – lediglich erkennbar als kleine, sich bewegende dunkle Punkte, die über Flanderns Äcker huschen. Der Baron gibt das Zeichen zum Angriff. Schnell wird das Zahlenverhältnis ermittelt: acht Deutsche gegen 16 Engländer. Es gibt kein Zurück. Richthofen und seine Leute sind keine Zauderer – sie wissen, daß sie die Besten sind. Der Begriff der »Angst« ist ihnen gänzlich unbekannt. Im Sturzflug geht es herunter an den Feind. Der abrupte Höhenunterschied bringt nur einen Fluganfänger an die Grenze der physischen Belastbarkeit. Major Hawkins hatte sich auf einen ruhigen Aufklärungsflug über die deutschen Artilleriestellungen eingestellt. Von dem legendären »Petit Rouge«, wie die Franzosen Richthofen nannten, hatte er natürlich schon gehört. Noch glaubt er dabei allerdings an ein Phantom. Ehe sich Sergeant Brinsley, der unmittelbar neben Hawkins fliegt, versieht, hat sich bereits ein Dreidecker aus Richthofens Geschwader an seine Fersen geheftet. Brinsley wendet sich panisch nach hinten, kann aber nichts erkennen, da ihn die Sonne blendet. Nur einen kurzen Blick auf das Mündungsfeuer des Maschinengewehrs kann er erheischen. Schon sind seine Tragflächen von Geschossen getroffen. Brinsley versucht, nach unten wegzutauchen. Der deutsche Jagdflieger läßt nicht locker. In wilder Jagd geht es nur wenige Meter über die Baumkronen. Noch tiefer kann er nicht fliegen. Eben streift eine seiner Tragflächen bereits einen Baum. Brinsley versucht nun, durch einen abrupten Steigflug wieder an Höhe zu gewinnen. Tatsächlich ist er innerhalb von wenigen, für ihn unendlich langen Sekunden wieder auf 400 Meter Höhe. Sein Kopf scheint aufgrund der Steilkurve dem Zerplatzen nahe. Der Deutsche läßt aber dennoch nicht von ihm ab – das Maschinengewehr feuert in regelmäßigen Salven weiter auf sein bereits durchsiebtes Flugzeug. Schließlich ist der Treibstofftank getroffen. Eine weiße Rauchwolke steigt auf, der Motor explodiert. Brinsleys Maschine stürzt brennend zu Boden und zerschellt. Major Hawkins verliert mit Brinsley einen gerade einmal 19jährigen Flieger, in den er große Hoffnungen gesetzt hatte. Doch für Trauer bleibt keine Zeit, denn an seinen eigenen Fersen klebt jetzt ebenfalls der »Rote Baron« – höchstpersönlich. Nun gilt es nur noch, seine Haut zu retten. Hawkins macht schnelle Links- und Rechtskurven – der rote Dreidecker läßt sich nicht abschütteln. Wenigstens gelingt es ihm, daß er nicht Richtung Erdboden gedrückt wird. Hawkins versucht nun, schnell an Höhe zu gewinnen. Das Manöver scheint geglückt – Richthofen ist weit und breit nicht mehr zu sehen. Plötzlich ist Hawkins’ Motor getroffen. Doch er scheint Glück zu haben. Für ihn unfaßbar: Seine Maschine befindet sich nun selbst von hinten im Anflug auf den »Roten Teufel« – direkt im Visier seines Maschinengewehrs. Eine einmalige Chance, sich das Victoriakreuz und 5000 englische Pfund Kopfprämie, die auf den deutschen Teufel ausgesetzt sind, zu verdienen – und nicht nur mit dem Leben, sondern als Nationalheld davonzukommen. Doch was ist das? Sein Maschinengewehr streikt und hat Ladehemmung. Hawkins ist entsetzt. Richthofen und Hawkins fliegen jetzt fast genau parallel. Hawkins schließt mit seinem Leben ab. Völlig unerwartet sieht er plötzlich ein heftiges Winken des Gegners: Er bedeutet ihm, daß er landen soll. Auf ihn wird nun nicht mehr geschossen. Er kann jetzt sogar das Gesicht des Barons erkennen: Er meint, ein Lächeln zu entdecken. Minuten später stehen sein zerschossenes englisches Jagdflugzeug und der rote Dreidecker einträchtig nebeneinander. Der Baron in perfektem Englisch mit leichtem deutschen Akzent: »Ich mag euch Engländer – denn auch ich liebe ›fair play‹. Als ich sah, daß Sie Ladehemmung haben, konnte ich Sie unmöglich weiter verfolgen – geschweige denn einfach vom Himmel holen.« Richthofen bietet Hawkins erst einmal eine Zigarette an. Beide besprechen den soeben erlebten Luftkampf. Die Stimmung ist so entspannt wie nach einem sportlichen Wettkampf. Schnell sind das englische und deutsche Jagdflugzeug von deutschen Bodentruppen umringt. Der Major soll in ein Gefangenenlager für Offiziere gebracht werden. Doch Richthofen schreitet ein und lädt ihn höflich ein, ihn zu begleiten. Gemeinsam fahren sie mit einer Limousine zu einem nahe gelegenen französischen Schloß, in dem Richthofen sich ein gediegenes Offizierskasino eingerichtet hat. Der englische Major ist erstaunt, wie es deutsche Offiziere verstehen, zu leben. Zögerlich betritt er einen mit Stuck aus dem 18. Jahrhundert und kostbaren Gobelins verzierten Salon. Einige Herren in schmucken, eleganten Uniformen spielen Billard, andere haben ein Champagnerglas in der Hand. Die meisten erzählen von ihren noch frischen Fliegererlebnissen – andere debattieren über die aktuelle Kriegslage oder über die »Große Weltpolitik«. Wieder andere disputieren über intellektuelle Fragen der Kunst, Philosophie und Literatur. Der englische Major meint, unversehens in einem College von jungen »Lords« in Oxford gelandet zu sein – offenbar ist hier nicht nur die kriegerische, sondern auch die geistige Elite des Deutschen Reiches versammelt. Die anwesenden Herren – die meisten von ihnen stammen aus uraltem preußischen Adel oder den besten bürgerlichen Familien des Reiches – haben längst entdeckt, daß Richthofen wieder einmal einen englischen »Gast« mitgebracht hat. Schnell wird auch dem englischen Gentleman ein Glas Champagner angeboten. Plötzlich sind alle Augen auf Richthofen und Major Hawkins gerichtet. Einer der Offiziere, der über die geschliffensten Umgangsformen verfügt, läßt beide hochleben, und die Gesellschaft erhebt für sie ihre Champagnerschalen. Major Hawkins meint zu träumen: Wenige Stunden zuvor glaubte er noch von einem »Hunnen« brennend abgeschossen zu werden – nun debattiert er mit gleichaltrigen, kultivierten Fliegeroffizieren über Luftkampfstrategie. Offenbar ist die Staffel des Freiherrn von Richthofen einer der letzten Horte von Ehre und Ritterlichkeit innerhalb eines mörderischen Vernichtungskrieges geworden, der andernorts die Gemüter irreparabel verroht und entmenschlicht hat. Szenenwechsel: Anfang 1918. Es ist bitterkalt, doch die Luft hell und klar. Nach seinem Abschuß hat Manfred von Richthofen eine schwere Kopfverletzung davongetragen. Zur Erholung befindet er sich auf dem altehrwürdigen Schloß seiner Vorfahren im heimischen Schlesien. Eben ist er von der Fasanenjagd zurückgekommen und trifft im weiträumigen Schloßpark seinen Vater. Beide gehen ein Stück nebeneinander auf dem Weg zum Schloß. Der alte Herr meint, daß der Krieg bald zu Ende sei, und glaubt unbeirrbar an einen deutschen Sieg. Lediglich die umtriebigen Sozialisten im eigenen Land machen ihm etwas Sorge. Aber auch diese »Erscheinung« wird bald wieder verschwinden – so meint er zumindest. Sein Sohn ist da skeptischer: Er kennt die zahlenmäßige Übermacht der Engländer an der Westfront – auch das Eingreifen der Amerikaner in den Krieg könnte ein fatales Vorzeichen einer drohenden Niederlage sein. Sein Vater will von solchen Dingen nichts wissen. Das Kaiserreich wird siegen, weil mit ihm die Werte des Abendlandes verteidigt werden. Volksherrschaften sind nur Utopien, die Chaos und Anarchie verursachen. Herrschen kann und darf nur der allwissende Kaiser. Auf seine adeligen Standesgenossen, zu denen seit Jahrhunderten auch die Richthofens gehören und die seit Generationen Teil des preußischen Offizierskorps sind, kann sich »Seine Majestät« jederzeit verlassen. Diese Kaisertreue über Generationen brachte den Richthofens ihr prächtiges Schloß ein, das in seiner Pracht und seinen Ausmaßen einem Fürsten zur Ehre gereichen würde. Manfred gibt zaghaft zu bedenken, ob die Meinung seines Vaters nicht zu elitär und arrogant sei. »Vielleicht« – so meint er – »sind wir die letzten Vertreter unseres Standes. An der Front erlebe ich tagtäglich, daß es bald keine Ritterlichkeit mehr gibt, für die meine Kameraden und ich tagtäglich einstehen. Heutige Kriege sind Kriege der Maschinen, Techniker und Menschenmassen. Mit unseren Begriffen von Ruhm, Ehre und Ritterlichkeit hat zumindest dieser Krieg nicht...


Joachim Castan, Dr. Dr., geboren 1966, Historiker und Dokumentarfilmer. Studium der Geschichte und angewandten Literaturwissenschaften an der Universität Osnabrück, promoviert in den Fächern Geschichte und Medienwissenschaft.
Seit 1998 Autor und historischer Berater bei Fernsehredaktionen, seit 2000 Konzeption und Realisierung historischer Ausstellungen, seit 2003 Autor und Regie eigener Fernsehdokumentationen.


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