Doyle | Alles super! | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

Doyle Alles super!


1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-641-17607-5
Verlag: cbj
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

ISBN: 978-3-641-17607-5
Verlag: cbj
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Klug, feinfühlig, voller Humor: Kinderliteratur vom Feinsten
Als Onkel Ben sein Geschäft aufgeben muss, ist den Kindern Gloria und Raymond klar, dass irgendetwas Schlimmes passiert sein muss. Denn Onkel Ben ist einfach nicht mehr der alte, von seiner Fröhlichkeit ist ihm nichts mehr geblieben. Die Großmutter behauptet, ein 'schwarzer Hund', der die ganze Stadt Dublin heimsucht, sei die Ursache des Übels. Gloria und Raymond beschließen, etwas zu unternehmen! Und so beginnt für die Kinder von Dublin ein wundervolles Abenteuer. Am Ende sind es die Tiere aus dem Zoo, die den Kindern helfen, das Ungeheuer für immer zu vertreiben.

Roddy Doyle, 1958 in Dublin geboren, ist einer der bekanntesten Vertreter der neueren irischen Literatur. Für seinen Roman 'Paddy Clarke Ha Ha Ha' erhielt er den renommierten Booker Prize. Auch als Autor für Kinder hat er sich einen großen Namen gemacht. Roddy Doyle lebt mit seiner Frau und drei Kindern in Dublin.
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1


Gloria Kelly lag im Bett. Sie war hellwach. Sie wusste, dass ihr Bruder Raymond genauso hellwach war. Das erkannte sie an der Art, wie er atmete. Es war ein waches Atmen. Er lag da, dachte nach und lauschte. Schlafatmen war anders. Es war länger und leichter, weniger ein und aus.

»Ray?«, flüsterte sie.

Raymond antwortete nicht. Aber das kümmerte sie nicht.

Sie fand es gut, ein Zimmer mit ihrem Bruder zu teilen. Auch wenn sie wusste, dass es Raymond nicht gefiel. Auch darum kümmerte sie sich nicht. Sie konnte es ja ganz heimlich gut finden. Sie musste es ihm überhaupt nicht erzählen.

Raymond und sie mussten sich ein Zimmer teilen, seit ihr Onkel Ben zu ihnen gezogen war. Für eine Weile. Das hatten jedenfalls Mam und Dad gesagt. Onkel Ben würde »eine Weile« bleiben. Zuerst hatte ihre Mutter es »eine kleine Weile« genannt. Aber das »kleine« war verschwunden, denn Onkel Ben blieb immer länger, und Gloria dachte schon, ihr Zimmer gehöre ihr gar nicht mehr. Und Raymond dachte wahrscheinlich das Gleiche. Sein Zimmer war ihr gemeinsames Zimmer geworden.

Manchmal spähte sie in ihr Zimmer, wenn Onkel Ben nicht drin war. Er hatte nichts verändert. Er hatte ihre Bilder und ihre anderen Sachen nicht angerührt. Das Zimmer war immer noch rosa, jedenfalls fast alles darin. Das einzig wirklich Neue im Zimmer war Onkel Bens Geruch. Es war eine Art Erwachsenengeruch. Eine Mischung aus Seife und Schweiß. Keines seiner Kleidungsstücke lag herum, nur ein Buch, das nicht ihr gehörte. Sie hatte sich den Umschlag angesehen, aber es erschien ihr langweilig, über einen Krieg oder so etwas. Wenn man außer Acht ließ, dass sie nicht mehr darin schlief oder spielte, war es immer noch Glorias Zimmer. Also blieb Onkel Ben vielleicht wirklich nur für eine Weile hier  – bloß war diese Weile ein bisschen länger als erwartet.

Vielleicht.

»Ray?«

Er gab immer noch keine Antwort.

Sie mochte ihr Bett nicht. Es war kein richtiges Bett. Es war nur eine Matratze, die auf dem Boden lag. Am Anfang hatte es ihr gefallen. Es war witzig gewesen, ein bisschen wie Camping. Aber jetzt nicht mehr. Manchmal lag sie mit dem Gesicht direkt an der Wand, ganz unten, an der Fußleiste, beinahe an der Kante, wo diese an den Fußboden stieß. Da war es kalt. Immer, selbst wenn es im Zimmer sonst warm war. Und manchmal konnte sie merkwürdige Dinge hören. Jedenfalls glaubte sie, etwas zu hören. Hinter der Fußleiste.

Gloria wünschte, sie hätte ihr Zimmer wieder. Es war eigentlich das Einzige, was ihr fehlte. Sie hatte ihr Federbett und ihre rosa Decke. Aber es war nicht das Gleiche.

»Ray?«

Sie redete jetzt ein bisschen lauter. Beinahe normale Sprechlautstärke.

Vielleicht schlief er ja doch. Irgendwie gefiel ihr der Gedanke, dass ihr älterer Bruder vor ihr eingeschlafen war.

Sie versuchte es noch einmal.

»Ray?«

»Was?«

»Schläfst du nicht?«

»Das ist eine blöde Frage.«

»Ich wette, du hast schon geschlafen«, sagte Gloria. »Und ich habe dich geweckt.«

»Hab ich nicht«, sagte Raymond.

»Wetten, dass doch«, sagte Gloria. »Beweise es mir.«

»Kein Problem«, sagte Raymond. »Du hast schon vier Mal ›Ray‹ gesagt.«

Sie hörte, wie er sich bewegte, im Bett umdrehte.

»Stimmt doch, oder?«

»Ja«, sagte sie. »Ich glaube schon. Warum hast du nicht geantwortet?«

»Hatte keine Lust.«

»Das war mir klar«, sagte Gloria. »Mir war klar, dass du wach bist.«

»Was wolltest du denn?«

»Kannst du sie hören?«, fragte Gloria.

»Ja.«

Gloria meinte die Erwachsenen. Ihre Mam, ihren Paps, ihre Omi und Onkel Ben. Sie saßen unten in der Küche. Raymonds Zimmer befand sich direkt über ihren Köpfen.

»Sie murmeln schon wieder«, flüsterte Gloria.

»Ja«, sagte Raymond.

Das Haus war in den letzten Tagen voller Gemurmel. Ein Gemurmel, das verstummte, sobald Raymond oder Gloria ins Zimmer kamen. Murmeln, das machten Erwachsene, wenn sie glaubten, dass sie flüsterten. Geflüster blieb nur einen kurzen Moment lang in der Luft stehen, aber Gemurmel rumorte noch eine Ewigkeit in allen Ecken, an den Fensterrahmen, im ganzen Haus. Die gemurmelten Wörter waren schon beinahe lebendig geworden. Gloria stellte sich vor, dass man sie sehen konnte. Sie bestanden aus Staub- und Haarknäueln auf dünnen Beinchen, mit denen sie die Wände und Decken kaum berührten, wenn sie über Farbe, Glas und Holz krabbelten.

Das Gemurmel hatte angefangen, als Onkel Ben bei ihnen eingezogen war. Oder kurz bevor er kam. Gloria mochte das Gemurmel nicht. Es machte ihr Angst. Aber sie gab Onkel Ben nicht die Schuld daran.

Raymond tat das ebenso wenig. Es gefiel ihm nicht, dass er sein Zimmer mit Gloria teilen musste, aber auch daran gab er nicht Onkel Ben die Schuld. Gloria strapazierte seine Nerven … und auch sonst so einiges. Aber Raymond wusste, dass alle kleinen Schwestern so waren. Es war ein Naturgesetz. Und manchmal war es gar nicht so übel, sein Zimmer zu teilen. Jetzt zum Beispiel. Raymond hatte immer Angst vor der Dunkelheit gehabt. Jedenfalls ein kleines bisschen. Er war beinahe zwei Jahre älter als Gloria, deswegen ging er eine halbe Stunde später schlafen als sie. Für jedes Jahr eine Viertelstunde. So lautete die Regel, hatte sein Vater gesagt.

»Wer hat die Regel erfunden?«, hatte Raymond seinen Vater gefragt.

»Die Regierung«, hatte der geantwortet.

Sein Vater fand das lustig.

Jedenfalls hatte Raymond immer, wenn er schlafen ging, seine Zimmertür einen kleinen Spalt offen stehen lassen, sodass das Licht aus der Küche im unteren Stockwerk noch eindringen und die Dunkelheit ein Stück weit zurückdrängen konnte. Er war wütend gewesen, wenn er sah, dass Gloria ihre Tür fest verschloss, diese Tür mit dem dämlichen Schild »Draußen bleiben – Dich meine ich! XX«. Denn Gloria hatte keine Angst vor der Dunkelheit. Das hatte Raymond verstört und beschämt.

Aber jetzt, wo Gloria in seinem Zimmer schlief, hatte Raymond nicht mehr ernsthaft Angst vor der Dunkelheit. Und er musste gar nicht darüber reden, dankbar sein oder so etwas. Es war einfach eine Tatsache.

»Murmel murmel murmel«, sagte Gloria jetzt.

Raymond erwiderte mit einem grollenden Männergemurmel: »Mooormöll.«

Gloria fügte ein Damengemurmel hinzu: »Miiirmmmill, Miiiirmill. Weißt du, was wir tun sollten, Ray?«

»Was denn?«

»Uns unter den Tisch schleichen.«

»Cool.«

Es war der Abend vor dem Patrickstag. Der nächste Tag war also schulfrei und sie hatten schon länger aufbleiben dürfen als üblich.

Gloria hörte, wie Raymond aus dem Bett kletterte.

Sie stellte sich auf ihre Matratze.

Gloria und Raymond hatten ein Geheimnis. Es war ein Spiel. Nachdem man sie zu Bett geschickt hatte, schlichen sie einfach wieder die Treppe hinunter – natürlich nur an Wochenenden, und nur dann, wenn die Erwachsenen in der Küche saßen. In anderen Zimmern funktionierte das Spiel nicht so richtig. Sie schlichen über die Treppe nach unten und durch den Flur. Sie krochen auf allen vieren in die Küche oder robbten sogar auf ihren Bäuchen. Sie krabbelten unter den Tisch und dort blieben sie. So lange, wie es nur ging.

Sie durften die Füße der Erwachsenen nicht berühren, sonst erwischte man sie, das Spiel war zu Ende und sie mussten wieder ins Bett. Als sie es zum ersten Mal probierten, hielten sie nur zwei Minuten und vierzehn Sekunden lang durch, denn ihr Vater bewegte einen Fuß und spürte etwas.

»Unter dem Tisch sitzt ein Hund«, sagte er. »Aber wir haben gar keinen Hund.«

Dann sahen sie sein großes Gesicht, das sie verkehrt herum ansah.

»Ihr Schlawiner«, sagte er. »Los, zurück ins Bett.«

Ihre Mutter packte und kitzelte sie, als sie unter dem Tisch hervorkrochen.

»Ihr Gauner!«

Es wurde ein Spiel, das sich beinahe jeden Freitag- und Samstagabend wiederholte. Es war super, weil ihre Eltern es immer wieder vergaßen. Und ihre Omi – die vergaß es auch. Aber ihre Omi vergaß beinahe alles, also zählte das nicht wirklich.

Eines Abends, als sie siebenunddreißig Minuten und einundfünfzig Sekunden unter dem Tisch verbracht hatten, hatten Raymond und Gloria gleichzeitig dieselbe Erkenntnis: Ihre Eltern wussten, dass sie da waren. Sie spielten einfach mit. Ja, es war zu ihrem eigenen Spiel geworden, so zu tun, als wüssten sie nicht, dass die Kinder unter dem Tisch saßen. Das Spiel gehörte jetzt den Eltern, nicht mehr Gloria und Raymond.

Man erkannte es an der Art, wie Mam und Paps miteinander redeten – dadurch verrieten sie sich. Und durch das, worüber sie redeten.

»Du, Pat«, sagte Mam. Paps hieß Pat, Mam hieß Una. »Du weißt doch, Gloria und Raymond schlafen jetzt fest.«

»Weiß ich«, sagte ihr Vater.

»Na dann«, sagte ihre Mutter, »können wir ja jetzt die Schokolade essen, die wir dort versteckt haben, wo die beiden sie niemals, niemals finden?«

»Gute Idee«, sagte ihr Vater. »Sie werden es nie erfahren.«

Es war nicht lustig, und zwar nicht deswegen, weil Gloria ernsthaft dachte, es gebe ein Versteck für Schokolade, das sie niemals, niemals finden würden. (Das gab es nicht.) Es war deswegen nicht lustig, weil das Spiel vorbei war – man hatte Raymond und sie erwischt. Genau genommen konnte es sein, dass die Eltern sie schon längst erwischt hatten, aber die Geschwister hatten es selbst nicht bemerkt. Ihre Eltern, sogar ihre Großmutter, hatten mit ihnen gespielt wie drei Katzen mit zwei Mäusen.

Raymond und Gloria krochen unter dem Tisch hervor.

...


Obrecht, Bettina
Bettina Obrecht wurde 1964 in Lörrach geboren und studierte Englisch und Spanisch. Sie arbeitet als Autorin, Übersetzerin und Rundfunkautorin und wurde für ihre Kurzprosa und Lyrik mehrfach ausgezeichnet. Schon lange hat sie sich in die »Garde wichtiger Kinderbuchautorinnen hineingeschrieben« (Eselsohr).

Doyle, Roddy
Roddy Doyle, 1958 in Dublin geboren, ist einer der bekanntesten Vertreter der neueren irischen Literatur. Für seinen Roman »Paddy Clarke Ha Ha Ha« erhielt er den renommierten Booker Prize. Auch als Autor für Kinder hat er sich einen großen Namen gemacht. Roddy Doyle lebt mit seiner Frau und drei Kindern in Dublin.



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