Elsäßer | Ab ins Paradies | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 196 Seiten

Elsäßer Ab ins Paradies


1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-347-09601-1
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 196 Seiten

ISBN: 978-3-347-09601-1
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein außergewöhnlicher Jugendroman über den Tod, einen letzten Wunsch und zwei Teenager, die sich im richtigen Moment begegnen, um sich in den falschen Momenten beizustehen.

Tobias Elsäßer, geboren 1973, arbeitet als freier Journalist, Autor und Musiker. Darüber hinaus leitet er Schreibwerkstätten und Songwriter-Workshops und schreibt Drehbücher. Für seine Kinder- und Jugendromane hat er bereits zahlreiche Preise und Stipendien erhalten.

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1. Kapitel Die polierte Granitplatte fühlte sich kalt und glitschig an. Ich schob den Handspaten unter die Kante und stemmte sie nach oben. Klumpen feuchter Erde klebten an der Unterseite. Schwerer Lehmboden. Zwei Versuche, dann konnte ich die Platte lösen und zur Seite wuchten. Sie war nicht teuer gewesen. Um die siebenhundert Euro, hat meine Mutter gesagt. Von China nach Stuttgart. Die Discounter-Variante. Meinem Opa war das egal. Meiner Oma nicht. Sie wollte einen richtigen Sarg mit Grabstein haben. Aber das war nicht drin. Zu teuer. Also Verbrennung. Asche ist platzsparend und billig. Und die Vorstellung, von irgendwelchen aasfressenden Tierchen angeknabbert zu werden, ist ohnehin ziemlich eklig. Ich will auch lieber verbrannt werden. Mit dem Spaten stieß ich auf Widerstand. Die Urne. Meine Stirnlampe wurde schwächer. Zwei Minuten später hatte ich’s geschafft. Zum Putzen blieb keine Zeit. Die Gefahr, entdeckt zu werden, war zu groß. Ich packte meinen Opa in den Rucksack, stellte die mit Sand gefüllte Keksdose in das Loch und schüttete Erde drauf. Dann zog ich wieder den Stein an die richtige Stelle und machte mich aus dem Staub. Mein Herz klopfte wie wahnsinnig. Wenn ich jetzt von der Mauer stürzte und mir das Genick brach, würde morgen eine fette Schlagzeile in der Bild-Zeitung stehen. Ich ruderte einmal mit dem linken Arm und fing mich wieder. Dann war ich auf der anderen Seite. Glücklicherweise lag der Friedhof, wie die meisten Friedhöfe, am Stadtrand. Die Toten sollten ihre Ruhe haben. Ich glaube eher, dass die Lebenden ihre Ruhe wollten. Grabsteine sind kein schöner Anblick, wenn man gerade seine letzte Kohle für ein Paar Schuhe ausgegeben hat. Und läge der Friedhof neben einem Spielplatz, könnten Kinder auf die Idee kommen, Verstecken zwischen den Gräbern zu spielen. Sie würden sich hinter den riesigen Marmorplatten verschanzen und mit klopfendem Herzen darauf warten, entdeckt zu werden. Wenn ich’s mir recht überlege, gibt es eigentlich keinen geeigneteren Platz, um Verstecken zu spielen, als einen Friedhof. Ich glaub sogar, die Toten würden sich darüber freuen, wenn über ihnen das Leben tobte und nicht nur der Friedhofsgärtner beim Rasenmähen ein bisschen Lärm machte. Ruhe in Frieden. Quatsch. Ich bin für die Integration von Friedhöfen. Spielplätze, Grillstellen und Partys soll es dort geben. Die Menschen sollen lachen, auf den Gräbern tanzen und den Tod als Teil unserer Welt akzeptieren und nicht mehr länger ausschließen wie die Pest, wie eine ansteckende Seuche, vor der man sich fernhalten muss. Habt ihr schon mal eine Fernsehwerbung für Särge gesehen? Ich nicht. Für alles gibt es Werbung, nur nicht für Särge. Wobei jeden Tag massenweise Menschen sterben. Was ich damit sagen will: Über den Tod redet man nicht. In der Schule, im Reli-Unterricht vielleicht oder in Deutsch, wenn es um Goethe und Die Leiden des jungen Werthers geht und die ganzen Selbstmorde, die es wegen des Buchs gegeben haben soll, aber sonst – Fehlanzeige. Es gibt kein Unterrichtsfach, in dem man darauf vorbereitet wird, wie es ist, einen geliebten Menschen zu verlieren. Für alles gibt es beschissene Bücher, nur nicht dafür. Der Tod steht nicht auf dem Lehrplan. Und dafür hasste ich das Schulsystem. Gut, ich hasste es auch wegen der sturen Auswendiglernerei und diesen Strebern, die ohne das Geringste über die Welt zu wissen eine Eins nach der anderen kassierten, nur weil sie sich den ganzen Schwachsinn in den Kopf hämmerten. So betrachtet hätte es wahrscheinlich gar nichts gebracht, wenn der Tod auf dem Stundenplan gestanden hätte, denn ich war einfach zu faul, mich auf den Hosenboden zu setzen und als Wiederkäuer irgendwelcher intellektueller Denkansätze zu versuchen. Der Tod meines Opas hätte mich also in jedem Fall mit voller Wucht getroffen. So wie an jenem Freitagmorgen. Ich kam wie immer so gegen halb zwei von der Schule nach Hause. Hatte mich wieder mal mit Carlos Markwart, diesem selbstverliebten Vollidioten, über seine beschissenen Frauenansichten unterhalten und war dann um Viertel nach eins wütend losgefahren. Carlos sah verdammt gut aus. Er war ein braungebrannter Schönling. Eingerahmt von schwarzen glatten Haaren, mit einem Gesicht wie aus dem Katalog einer Modelagentur. Mit längeren Haaren hätte er auch als Mädchen durchgehen können. Doch genau die brachte er reihenweise um den Verstand. Er war der Star unserer Schule, und obwohl er wie ich in die Zehnte ging, standen sogar die Mädchen aus der Oberstufe auf ihn. Carlos betrachtete das Philipp-Matthäus-Hahn-Gymnasium als sein Jagdrevier, in dem kein anderer wildern durfte. Und Carlos ging oft auf die Jagd. An dem besagten Freitag versuchte ich ihn davon abzubringen, Maike weiterhin Liebesbriefe zu schreiben. Nicht, weil ich etwas von der Neuntklässlerin wollte, sondern weil das pummelige, rothaarige Mädchen eigentlich nicht in sein Beuteschema passte. Mr Casanova war sadistisch veranlagt und hatte einfach nur Spaß daran, Maike durchdrehen zu sehen. Um die Beschreibungsarie abzukürzen: Maike war hässlich. Damit will ich nicht sagen, dass nicht auch sie einen Freund verdient hätte. Aber nicht Carlos. Carlos war schön und sie nun mal hässlich, und so, wie es für alles in der Welt Kategorien gibt, gibt es sie eben auch fürs Aussehen. Schöne Menschen verlieben sich in schöne Menschen und hässliche in hässliche. Gut. Bei Erwachsenen spielen auch andere Faktoren eine Rolle. Bei Männern mit genügend Kleingeld oder entsprechendem Status sind Alter und Aussehen egal, aber bei den meisten Jugendlichen ist das noch anders. Zumindest an meiner Schule – einem Betonklotz mit großen Fenstern, der wie ein schlecht getarnter Bunker aus der Landschaft herausragte. Umgeben von Feldern und Wiesen. Nur im Sommer, wenn die Rapsfelder in sattem Gelb leuchteten, konnte man den Anblick des grauen Monsters ertragen, aber auch nur wegen der weißen Jalousien, die das warme Licht reflektierten und wegen des betäubenden Geruchs der Blüten. Markwart war eine absolute Hohlbirne, nur schien das keinen zu interessieren. Nicht einmal Maike – und sie war verdammt intelligent. Leitete nicht umsonst die Schach AG und gewann ständig irgendwelche Preise. Carlos war gerade damit beschäftigt, einen neuen Liebesbrief an ihrem Fahrrad zu befestigen, als ich dazukam. »Lass doch den Scheiß. Du treibst sie in den Wahnsinn«, sagte ich gespielt kumpelhaft. »Hagi, halt dein Maul!«, bläffte er mich an. Ich hasste es, wenn man mich so nannte. Mein Nachname war Hagus. An unserer Schule kursierten etwa zehn Varianten, wie man diesen Namen aussprach. Die schlimmste kam von meiner Franz-Lehrerin Frau Loebe. In ihrem Sprachschatz existierte kein »H« und in meinem Fall musste auch das »S« dran glauben, jedenfalls klangen die verstümmelten Überreste wie Agü. Wisst ihr wie das ist, wenn etwa zwanzig Leute gleichzeitig »agü« schreien? Man fühlt sich wie in einem Zoo. Wie ein Affe in einem Käfig, vor dem eine Schar Besucher steht und einen mit Erdnüssen zu locken versucht. »Agü, Agü, Agü …« Ich riss Markwart den Briefumschlag aus der Hand. Etwa eine Sekunde später flog seine Faust in mein Gesicht. Wow, dachte ich. Tut nicht mal weh. Doch kaum war der erste Schock vorüber, spürte ich, wie meine Nase zu pochen begann. Ich hatte das Gefühl, sie könne jeden Moment platzen, so dick wurde die. Ausgerechnet jetzt bog Maike um die Ecke. Und was machte dieser Arsch von Markwart? Er hob mich vom Boden auf und tat so, als sei er mir zur Hilfe gekommen, als mich gerade so ein Typ verprügelt hatte. Ich war zu benebelt, um die Sache richtigzustellen. Hinzu kam, dass meine Nase plötzlich höllisch wehtat. Jedenfalls gab er Maike seinen Brief. Markwart der Held, hatte es wieder einmal geschafft. Maike gab mir ein Taschentuch und ich verschwand aus dem Fahrradkeller. Die Sonne lachte mich aus. Ich fuhr hintenrum über die Felder. Keiner sollte mich in diesem erbärmlichen Zustand sehen. Aber selbst die kleinen Spatzen schienen sich über meine Monsternase zu amüsieren. An der Weidacher Steige stemmte ich mich in die Pedale und das Blut blubberte nur so aus meinen Nasenlöchern. Ich musste absteigen. Mein T-Shirt war total versaut. Der Schriftzug von Marillion mit Blut getränkt. Zum Glück lag unser Haus am Waldrand. Man konnte über einen kleinen Weg direkt an den Schuppen heranfahren, ohne dass einen jemand bemerkte. Ich stellte mein Rad ab, nahm ein Stück Leintuch, das mein Vater normalerweise zum Putzen seiner Werkzeuge benutzte, aus der Werkbank und wischte das Blut weg. Dann hielt ich mein Gesicht unter den Wasserhahn. Das kalte Wasser betäubte die pulsierende Knolle. Der Spiegel zeigte ein Meer aus dunklen Sommersprossen, aus dem ein blaugrünes Stück Fleisch herausragte. Ich schwor Rache. Markwart würde büßen müssen. Dann bereitete ich mich auf den Moment vor, in dem ich unser Haus betrat und meine Mutter vor lauter Schreck...



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