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E-Book, Deutsch, Band 2919, 130 Seiten

Reihe: Beck'sche Reihe

Ess Chinesische Philosophie

Von Konfuzius bis zur Gegenwart

E-Book, Deutsch, Band 2919, 130 Seiten

Reihe: Beck'sche Reihe

ISBN: 978-3-406-76416-5
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Die Prinzipien von Yin und Yang, Konfuzius’ Tugendlehre oder Laozis Lehre vom Nicht-Handeln sind auch im Westen ein Begriff und doch mit der Aura des Rätselhaften umgeben. Hans van Ess bietet einen Schlüssel zum Verständnis dieser Denktradition. Er erzählt die Geschichte der chinesischen Philosophie von Konfuzius über Laozi und die buddhistischen Spielarten des chinesischen Denkens bis hin zum modernen Neukonfuzianismus und macht verständlich, warum die traditionelle Philosophie in China bis heute einen so hohen Stellenwert hat.
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2. Von «Frühling und Herbst» bis zu den Kämpfenden Staaten (721–?221 v. Chr.)
Konfuzius und Mo Di
Eine Darstellung der chinesischen Philosophie sollte also mit Konfuzius (552 oder 551–?479) beginnen, auch wenn dieser selbst sich auf Vorgänger beruft und seine Lehren ähnlich wie die der Vorsokratiker im alten Griechenland nur in Spruchform beziehungsweise in kürzeren Dialogen zwischen Konfuzius und seinen Schülern oder den Herrschenden seiner Zeit überliefert sind. Eine Reihe dieser Konfuziusworte sind in den Gesprächen des Konfuzius versammelt, deren Zusammenstellung traditionell seinen Schülern zugeschrieben worden ist, obwohl der Titel des Buches erst im zweiten Jahrhundert vor unserer Zeit erstmals genannt ist und eine Han-zeitliche Redaktion den Text in seine heutige Form gebracht hat. Konfuzius ist in fast allen Texten des dritten Jahrhunderts – auch denen konkurrierender Schulen – die wichtigste oder eine der wichtigsten Autoritäten, die zitiert werden. In diesen Texten stehen zahlreiche weitere seiner Aussagen, auch wenn diesen von der Tradition nicht dieselbe Authentizität zugebilligt worden ist. Nicht selten werden Konfuzius auch Worte zugeschrieben, die an anderer Stelle mit anderen Namen in Zusammenhang gebracht werden oder die allgemeine Sentenzen gewesen zu sein scheinen. Dies trifft zum Beispiel auf die goldene Regel zu: «Was Du nicht für Dich selbst wünschst, das füge auch keinem anderen zu.» Der Satz findet sich in den Gesprächen, aber auch an gänzlich anderer Stelle der literarischen Tradition des alten China. Konfuzius war Spross einer alten Familie aus dem Staat Song, in dem in besonderer Weise Traditionen der Dynastie Shang hochgehalten wurden. Diese war der Dynastie Zhou vorangegangen, die zu Lebzeiten des Konfuzius nominell die Herrschaft über China ausübte. Real war die Macht längst auf Staaten übergegangen, die den Zhou nach Darstellung der chinesischen Geschichtsschreibung eigentlich im Rahmen einer Lehnsordnung unterstellt waren. Die Familie des Konfuzius war nach Lu im ostchinesischen Shandong ausgewandert. Lu zählte zu den hierarchisch wichtigen Lehnsstaaten. Hier wurde das zeremonielle System der Zhou besonders gepflegt, was als einer der Gründe dafür gilt, dass Konfuzius in seinen Lehren zeremonielle Regeln, Sitte und Anstand besonders betonte. De facto gehörte Lu zu den schwächeren Staaten der Zeit, und man könnte argumentieren, dass sich dort die Notwendigkeit einer Reform des politischen Systems besonders bemerkbar gemacht habe. Dieser Reform verschrieb sich Konfuzius, der seine Karriere als Lehrer begann und im Laufe seines Lebens eine große Zahl von Schülern um sich scharte. Während eines langen Zeitraums reiste Konfuzius mit seinen Anhängern von Staat zu Staat, um eine Anstellung als Berater zu finden, kehrte aber schließlich enttäuscht nach Lu zurück, um sich dort für den Rest seines Lebens dem Unterricht und literarischen Tätigkeiten zu widmen, in der Hoffnung, dadurch die Welt besser reformieren zu können. Einige seiner Schüler allerdings leisteten gegen Ende seines Lebens entweder in Lu Dienst bei militärischen Auseinandersetzungen mit Nachbarstaaten oder aber im Nachbarstaat Wey. Dort kam es kurz vor dem Tod des Konfuzius zu einem folgenschweren Thronfolgestreit und in dessen Folge zu militärischen Auseinandersetzungen, bei denen einer seiner wichtigsten Schüler ums Leben kam. In diesem politischen Zusammenhang ist die berühmte Lehre von der Richtigstellung der Bezeichnungen zu verorten, die Konfuzius predigte: Ein Fürst müsse sich wie ein Fürst verhalten, ein Vater wie ein Vater, ein Untertan wie ein Untertan und ein Sohn wie ein Sohn. So banal sich dies anhört, für Konfuzius war es ganz entscheidend. Der Thronfolgestreit machte für ihn deutlich, welch großes Unheil durch die Verwirrung von hierarchischen Verhältnissen drohte. In der Hauptsache betätigte sich Konfuzius nicht als Philosoph. Vielmehr wird ihm zugeschrieben, die kanonischen Schriften des chinesischen Altertums redigiert zu haben. Besonders die Frühlings- und Herbstannalen (Chunqiu), eine Chronik seines Heimatstaates, die der Zeit von 721–?481 v. Chr. ihren Namen gegeben hat, soll er in eine solche Form gebracht haben, dass Lob und Tadel für die Regierenden seiner Zeit zum Ausdruck kamen. Mehrfach ist in den Gesprächen des Konfuzius davon die Rede, dass er anhand der Lieder des Buchs der Oden moralische Vorstellungen gelehrt habe. Überhaupt spielt das Wort «Sitte», li, das ursprünglich einmal Riten oder Zeremonien bedeutet hatte, bei Konfuzius eine entscheidende Rolle. Der zentrale Begriff in den Gesprächen des Konfuzius ist «Menschlichkeit» (ren), von der sechzig Stellen handeln, die das Wort eher einkreisen, als dass sie es wirklich definieren würden. Was diese Menschlichkeit genau sein soll, wird nicht ganz klar. An mehreren Stellen wird sie mit der Praxis guter Regierung in Beziehung gesetzt. Sie scheint für Konfuzius den sensiblen, kompetenten Umgang mit anderen Menschen zu beschreiben, der Voraussetzung für eine erfolgreiche Ausübung von Herrschaft ist. Obwohl Konfuzius immer wieder den Himmel als Zeugen anruft, betont er mehrfach, dass für sein Denken das Jenseits, Geister und Götter oder Fragen nach einem Leben nach dem Tod keine Bedeutung haben. Ihm gehe es nur um eine Verbesserung des menschlichen Zusammenlebens. Auch darum braucht er kein philosophisches System. Mo Di wurde mindestens ein Jahrzehnt nach dem Tod des Konfuzius geboren und kam in dessen Heimatstaat Lu mit dessen Schülern und Enkelschülern in Berührung. Davon ausgehend entwickelte er selbst eine Lehre und gründete eine eigenständige Schule, von der es heißt, sie sei überaus straff und hierarchisch organisiert und auf einen Großmeister zugeschnitten gewesen. Sie soll auf die sozial Schwachen ausgerichtet gewesen sein, Zimmerleute sollen zu ihrer Klientel gehört haben. In diesem Zusammenhang ist von Interesse, dass der Nachname Mo ansonsten in China unbekannt war. Er bedeutet eigentlich «tätowieren». Das Tätowieren im Gesicht war eine Form der Bestrafung, die zur Folge hatte, dass die Betroffenen den Dienst an ihren Ahnen nicht mehr durchführen durften, da sie diesen sichtbar Schande gemacht hatten. Einige Wissenschaftler nehmen deshalb an, dass Mo Di eigentlich der «Tätowierte Di» war. Mo Di lehnte Angriffskriege ab, wurde aber von einem Herrscher des Staates Song Mitte des fünften Jahrhunderts in Dienst genommen, um dort mit seinen Schülern die Verteidigung zu organisieren. Auch an seinem Beispiel wird also deutlich, dass das philosophische Schreiben nicht einem Selbstzweck diente, sondern einerseits auf die Praxis ausgerichtet war und dass andererseits Schulen nicht nur dem Unterricht dienten, sondern Meister und Schülerschaft eine wehrhafte Gemeinschaft bildeten. Die Lehren des Mo Di sind mit denen des Konfuzius auf den ersten Blick verwandt: Während dieser von der Menschlichkeit als wichtigster Tugend gesprochen hatte, zu der ein gebildeter Mensch fähig zu sein hatte, um ein Amt übernehmen oder Regierung ausüben zu können, ging es Mo Di um «allgemeine Menschenliebe» oder vielleicht besser den «allseitig schonenden Umgang miteinander» (jian ai), der der Schlüssel zum Wohl der Menschheit sein sollte. Die Anderen zu schonen zielte auf die Fürsten der Zeit, die die Menschen ganz ähnlich wie in anderen Kulturen als Ressource ansahen, die man einsetzen konnte, um den eigenen Staat zu stärken. Mo Di war der Auffassung, dass ein solch utilitaristischer Umgang mit den Menschen am Ende nicht zum Ziel führen werde. Die Herrschenden, aber auch jedes einzelne Mitglied der Gemeinschaft, wollte er daran erinnern, dass Menschen nicht Verfügungsmasse auf dem Weg zum Erfolg seien. Vielmehr führe das Prinzip des schonenden Umgangs miteinander am Ende zwangsläufig dazu, dass die Menschen einander nutzten. Sich gegenseitig schaden zu wollen, um Nutzen für sich selbst zu erlangen, liegt nach Auffassung des Mo Di in der Natur des Menschen. Wie später in der Philosophie des Engländers Thomas Hobbes waren seiner Ansicht nach am Anfang der Welt die Menschen einander feind und versuchten, sich gegenseitig zu Fall zu bringen. Dies war der Grund, warum die Menschen sich einen Herrscher suchten und dieser sich den bürokratischen Staat erdachte. Um den Zustand der ständigen Disharmonie zu beseitigen, musste der Herrscher das Prinzip der allgemeinen Menschenliebe einführen. Man hat zu Recht eingewandt, dass die ständige Betonung dieser Maxime noch lange keine echte Philosophie ersetzt und dass dem Mozi-Konvolut ein Gedanke daran fehlt, wie...


Hans von Ess ist Professor für Sinologie, Vizepräsident der Ludwig-Maximilians-
Universität München sowie Präsident der Max Weber Stiftung.


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