E-Book, Deutsch
Faltermeyer Grüß Gott, Hollywood
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-947022-36-6
Verlag: DGK Fernseh- und Filmproduktion
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Mein Leben zwischen Heimat und Rock 'n' Roll
E-Book, Deutsch
ISBN: 978-3-947022-36-6
Verlag: DGK Fernseh- und Filmproduktion
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ein faszinierendes Leben zwischen zwei gegensätzlichen Welten. AXEL F., die Titelmelodie von Beverly Hills Cop und die TOP GUN ANTHEM machten den Münchner Komponisten Faltermeyer in den Achtzigern weltberühmt und zum Wegbereiter des Synthesizer-Zeitalters. Er produzierte und komponierte für Legenden wie Donna Summer, die Pet Shop Boys und Udo Jürgens. Für Top Gun Maverick holt ihn Tom Cruise nach 34 Jahren nach Hollywood zurück. Dass er zwischen Sex, Drugs and Rock `n‘ Roll nie den Boden unter den Füßen verloren hat, verdankt er seiner tiefen Heimatverbundenheit. Seine Familie, die Natur, die Arbeit mit den eigenen Händen – der Bayer weiß, wie sich ein glückliches Leben anfühlt und dass man alles erreichen kann, wenn man nur erkennt, wo man hingehört.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Kapitel 1
HAROLD MIT »O«
»Nein, Harold, nicht Harald! Ja, mit o, nicht a.« Der Typ am anderen Ende der Leitung macht mich verrückt. »Aber Sie sind doch Deutscher, oder nicht?« »Ja natürlich. Aber ich schreibe mich mit o, nicht mit a!« »Das kann ich kaum glauben, wie kann ein Deutscher Harold heißen?« So geht das, seit ich denken kann; fast jeder, den ich kennenlerne, hat sein Problem mit dem »o« in meinem Vornamen. Und das auf beiden Seiten des Atlantiks. Denn mein Leben ist eine transatlantische Story auf zwei Kontinenten, die bei allen historischen Unterschieden eine Menge großartiger Musik verbindet. Und meine Sterne standen vom ersten Moment an gut für einen ungewöhnlichen Weg. Der Wahnsinn der 1930er- und 40er-Jahre, in den Hitler zuerst Deutschland und bald darauf Europa und die ganze Welt stürzte, ist für mich das Werk eines kranken Hirns, eines Teufels in Menschengestalt. Was damals passiert ist, war so sinnlos wie tragisch, aber vor allem unbeschreiblich traurig angesichts von Millionen unschuldiger Opfer, aus der Bahn geworfener Existenzen und grauenhafter Schicksale. Ganz zu schweigen von der Zerstörung viel zu vieler historischer Gebäude und anderer Kunstwerke. Amerika hatte als Antwort auf die Große Depression nicht seine demokratischen Prinzipien verraten, der Demokrat Roosevelt wurde zu einem der bedeutendsten Präsidenten Amerikas. Europa hingegen entschied sich in der Weltwirtschaftskrise für die fatale Lösung der Diktatoren mit Männern wie Mussolini, Franco, Stalin und, in unserem Fall, Hitler. Meine Familie bekam die totalitäre Macht des Hitler-Regimes unmittelbar zu spüren. Einer der Lieblingskünstler des »Führers«, der Bildhauer Prof. Josef Thorak, neben Arno Breker der herausragende Bildhauer des Dritten Reichs, hatte ein Auge auf unser Anwesen in dem kleinen Ort Baldham vor den Toren Münchens geworfen. Mein Großvater, Hugo Faltermeier, hatte 1913 in Baldham dieses sehr schöne Grundstück erworben. Wie viele seiner Zeitgenossen war er auf der Suche nach einem schönen Wochenendhaus. So verließ er in jenem Winter die Stadtgrenzen und folgte dem Schnee, besser gesagt dessen Farbe. Er ging so weit nach Osten, bis er eine Stelle fand mit reinweißem Schnee, unberührt von den täglichen Spuren der Menschen und den Umwelteinflüssen der Fabriken. In der nördlichen Hemisphäre bläst der Wind meist von Westen nach Osten, das ist der Grund, warum seit dem Beginn der Industrialisierung die bessere Gesellschaft den Westen einer Stadt bevorzugt: die Westends von London und Berlin oder das 16. Arrondissement in Paris; sie alle wurden als Wohnbezirke für die oberen Zehntausend konzipiert. Mein Großvater hatte es nicht mit den Großkopferten; er liebte die Natur, unsere majestätischen Fichten, das Morgenkonzert der Vögel, die sauerstoffreiche Luft. Das Anwesen war der perfekte Ort, um Violine zu spielen, um zu malen, um kreativ zu sein. Prof. Thorak sah das genauso, zumal Baldham nur einen Katzensprung vor den Toren der Stadt lag, wo er seine Modelle fand. Eines Tages traten die Nazis dann an die Familie meines Großvaters heran: Sie sollte auf ihn einwirken, ihnen den Grund zu verkaufen. Unterschwellig klang dabei die Drohung mit, was nicht zu kaufen sei, könne man jederzeit auch beschlagnahmen. Thorak wurde von ganz oben protegiert. Es war Hitler, selbst begeisterter Hobbymaler, der seinem Architekten Albert Speer später den Auftrag gab, das protzige, kubische und aus meiner Sicht hässliche Atelier des Künstlers zu gestalten. Nicht zu verkaufen hätte folglich bedeutet, nicht nur die lokale Nazi-Elite zu verärgern, sondern dem Diktator persönlich auf den Schlips zu treten; keine gute Idee! Mein Großvater machte allerdings sehr deutlich, dass er einem Grundstückstausch nur in der gleichen Gegend und mit großem Waldbestand zustimmen würde. Und so bot man ihm denn ein ähnlich großes, wenn auch beim besten Willen nicht vergleichbares Grundstück an. Letztlich machtlos, tauschte er sein charmantes Anwesen gegen zehn Hektar Brennnesseln. Ich bin mir nicht sicher, ob er diese Art von Natur wirklich liebte, aber was soll’s. Die Familie ließ sich 1936 an dem Platz nieder, an dem ich heute diese Zeilen schreibe. Nachdem die Amerikaner am 30. April 1945 kampflos München eingenommen hatten, marschierte die US Army auf der B304 Richtung Berchtesgaden. Als die GIs bei uns vorbeikamen – unser Grundstück liegt direkt an der Straße –, befand man unser Anwesen als genialen Ort, um dort ein provisorisches Hauptquartier einzurichten. Nah an der Stadt, aber doch weit genug außerhalb, um den nach wie vor zahlreich verstreuten Nazis kein leichtes Ziel für Anschläge zu bieten. Die von meinem Großvater angebrachte Tarnfarbe kam den Besatzern zusätzlich entgegen. So wurde unser Haus nach Jahren der kriegsbedingten Verdunklung auf einmal zu einem hell erleuchteten Militärstützpunkt. Innerhalb von vierundzwanzig Stunden musste die Familie das Haus verlassen mit dem Minimum, was sie zum Leben brauchte. Für meinen Großvater hieß das: seine Geige. Mein Vater erhielt eine Sondergenehmigung, sich einmal am Tag um die Tiere – wir hatten Milchkühe und Schweine – zu kümmern. Die anderen Familienmitglieder durften unser Zuhause nicht mehr betreten. Sie mussten schnell einen Schlafplatz suchen und fanden ihn, welche Ironie des Schicksals, in dem Atelier von Prof. Thorak, das in eine Notunterkunft umgewandelt worden war. Durch die übermächtige Präsenz amerikanischer Soldaten geriet die Einstellung des Bildhauers zum Regime keineswegs ins Wanken: Die Faltermeiers mussten sich zusammen mit zwei anderen Familien, den Friedingers und den Grafs, den Boden seines unveränderten »Hitler-Zimmers« teilen. Das amerikanische Militär brachte nicht nur Freiheit und Demokratie zurück in die alte Welt, es brachte auch Amerikas Kultur, seine Rhythmen und seine GIs, die mein Leben vom ersten Moment an beeinflussten. »Was zum Teufel fällt Ihnen ein?« Eine kräftige Stimme schrie meinen Vater an. Er hatte einen Armeelaster angefahren. »Nur weil Sie uns im Krieg nicht schlagen konnten, heißt das nicht, dass Sie uns jetzt auf der Autobahn umbringen müssen mit Ihrem rücksichtslosen Fahrstil.« Mein Vater versuchte, den aufgebrachten GI zu beruhigen und ihm zu erklären, dass es sich um einen Unfall und keinen Anschlag handelte. Das war 1945, unmittelbar nach Kriegsende. Auch wenn sich am Ende der Geschichte die Wogen geglättet hatten, musste sich mein Vater mit der militärischen Bürokratie herumschlagen, was sicherlich kein Spaziergang war. Das Ergebnis: Das Militärgericht verurteilte ihn wegen verkehrsgefährdenden Verhaltens zu drei Tagen Gefängnis. Zum Glück nicht für länger, da die Person, die seinen Fall bearbeitete, ein gewisser Harold H. Clark, der es bis zu seiner ehrenhaften Entlassung aus dem Dienst zum Colonel bringen sollte, ihn vom ersten Moment an mochte. Clark war deutschstämmig, seine Großmutter kam aus dem Pfälzischen, und er war ganz versessen darauf, seinen deutschen Wurzeln nachzugehen. Unsere Familien befreundeten sich. Meine Eltern waren damals noch nicht verheiratet, trotzdem bot Clark sich an, der Patenonkel ihres ersten Kindes zu werden. Auf diese Weise kam ich zu dem für einen Deutschen zugegebenermaßen etwas ungewöhnlichen Vornamen: Harold H. Clark ist mir ein eng verbundener lieber Namensvetter geworden und ein verdammt guter Patenonkel obendrein. Ich war wirklich gesegnet mit Aunty Hazel und Uncle Harold; sie fehlen mir beide sehr. Mein Großvater war nicht ganz so begeistert von meinem Namen. »Hugolein, Hugolein«, so rief er mich gern. Meine Großmutter und er konnten sich einfach nicht an die Idee gewöhnen, dass ein Sohn der Faltermeiers ein Harold war, und kein Hugo. »Sei nicht albern«, meinte Großvater zu meinem Dad. »Ich heiße Hugo, du heißt Hugo, also ist er auch ein Hugo. Und wenn wir beide mal nicht mehr sind, kann er sogar noch unser Briefpapier benutzen.« Mein Großvater war ein Pragmatiker und ein sparsamer Geschäftsmann. Doch irgendwann gab er auf und gewöhnte sich daran, mich Harold zu nennen. Geboren wurde ich als Hans Hugo Harold am Sonntag, dem 5. Oktober 1952, in München um sechs Uhr früh. Ich bin also buchstäblich ein Sonntagskind. Tatsächlich empfinde ich mich in vieler Hinsicht als Glückskind. Und wie das Sonnensystem um die Sonne, so hat sich mein Leben von Anfang an um die Musik gedreht. Ich war ständig von Musik umgeben, und Musik wurde sehr schnell das Zentrum meines Universums. Die Familienplanung meiner Eltern war mit mir aber noch nicht beendet, am 29. September 1955 wurde mein Bruder Ralf geboren. Und plötzlich hatte ich einen Spielgefährten für meine vielen Abenteuer, wir wurden zu Huckleberry Finn und Tom Sawyer. Ralf und ich liebten es, auf dem Tannenhof zu spielen, der neben Wald und Wiesen aus zwei Häusern bestand. Ich habe heute noch die Gerüche unseres Anwesens in der Nase: im Frühjahr die Krokusse, im Sommer das frische Gras, im Herbst das fermentierende Laub und im Winter die Holzfeuer. Es war – und ist heute noch – ein Duft der Geborgenheit und ein ganz besonderer Ort für mich. Meine Großeltern und meine Eltern haben hier nicht nur gewohnt: Sie atmeten und lebten ihn. Der Tannenhof ist nicht nur ein Zuhause, er ist ein Lebensgefühl, eine Lebensart. Und genau betrachtet gab es nie einen Grund, das Grundstück zu verlassen, ob man Fußball spielen wollte oder Jäger oder Verstecken oder auf Bäume klettern; einfach alle Dinge, die Buben so lieben. Für meine überfürsorglichen Eltern war das immer ein guter Grund, unsere Freunde lieber zu uns einzuladen, als uns Kinder auf irgendeinen »unsicheren« Spielplatz gehen zu...




