E-Book, Deutsch, 480 Seiten
Farmer Drachenmeer
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-7320-1169-8
Verlag: Loewe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 480 Seiten
ISBN: 978-3-7320-1169-8
Verlag: Loewe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
High Fantasy der Extraklasse! In dieser Trilogie erschafft Nancy Farmer meisterhaft aus nordischen Sagen und Erzählungen ein Fantasy-Epos in der Tradition von J. R. R. Tolkiens Der Herr der Ringe. Kaum einer weiß von der uralten Magie, die in machtvollen Strömen tief unten die Erde durchzieht. Doch Jack kann sie spüren. Und er hat gelernt, über sie zu gebieten. Diese Kraft ist es, die ihm das Leben rettet, als er bei einem Wikingerüberfall weit übers Meer verschleppt wird. Aber ob sie ihm auch helfen kann, als er von der ebenso schönen wie grausamen Königin der Nordmänner auf die gefährlichste Reise seines Lebens geschickt wird? Zum Ursprung aller Magie - ins Land der Trolle und Drachen. 'Drachenmeer' ist der erste Band einer Trilogie. Die Folgebände sind 'Elfenfluch' und 'Nebelrache'. 'Absolut sagenhaft!' Rheinische Post
Nancy Farmer wurde 1941 in Arizona geboren. Sie verbrachte eine aufregende und ungewöhnliche Kindheit im Hotel ihrer Eltern an der mexikanischen Grenze. Hier traf sie auf skurrile Gestalten: einsame Autoren, verwegene Fernfahrer und umherziehende Zirkusartisten.
Die Schriftstellerei entdeckte sie jedoch erst spät. Zunächst lebte und arbeitete sie in Indien, Zimbabwe und Mosambik. Sie war in der Friedensbewegung engagiert, hatte eine Anstellung als Chemielehrerin und arbeitete als technische Assistentin. Erst als ihr Sohn Daniel geboren wurde, beschloss Nancy Farmer, sich als Schriftstellerin zu versuchen. Sie war vierzig, als sie ihre erste Kurzgeschichte schrieb.
Mittlerweile wurden zahlreiche ihrer Texte und Bücher mit Preisen ausgezeichnet. Nancy Farmer ist heute eine der erfolgreichsten Autorinnen der USA.
Die Amerikanische Originalausgabe von 'Das Skorpionenhaus' wurde im Oktober 2002 mit dem 'National Book Award', dem wichtigsten amerikanischen Literaturpreis, ausgezeichnet. Die Deutsche Ausgabe gewann den 'Buxtehuder Bullen' als bestes Jugendbuch des Jahres 2003.
Weitere Preise für 'Das Skorpionenhaus':
- Michael L. Printz Award
- Newbery Honor Award
- ALA (American Library Association) Notable Books for 2003
Preise für 'Drachenmeer':
- 1. Platz Kinder- und Jugendbuchpreis der Stadt Hilden 2005
Weitere Infos & Material
Lämmersuche
Jack erwachte kurz vor Tagesanbruch und lauschte dem eisigen Februarwind, der ums Haus pfiff. Das würde wieder ein scheußlicher Tag werden. Träge schaute er zu den Dachsparren hinauf und genoss die letzten Minuten der Wärme. Er hatte in Wolldecken eingemummelt auf einem Lager aus trockenem Heidekraut geschlafen. Der Fußboden des Hauses lag ein Stück unter der Erde und der Wind, der seinen Weg unter der Tür hindurch fand, blies über Jacks Kopf hinweg. Es war ein gutes Haus, mit Eichenpfosten, die mit den Wurzeln nach oben eingerammt worden waren, damit keine Feuchtigkeit aus der Erde in ihnen aufsteigen konnte. Jack hatte seinem Vater beim Bau zugesehen, als er sieben Jahre alt gewesen war. Sein Vater hatte gedacht, ein Kind könne diese Arbeit nicht verstehen, aber Jack hatte sie verstanden. Er hatte genau aufgepasst und glaubte schon jetzt, fünf Jahre später, dass er selbst ein Haus bauen könnte. Jack vergaß wenig von dem, was er sah. Am anderen Ende des Raums sah Jack, wie seine Mutter das Feuer schürte. Das Licht flackerte bis auf den Dachboden. Dort war es wärmer, aber dafür sehr rauchig. Seine Eltern und seine Schwester schliefen oben, Jack bevorzugte die frische Luft in der Nähe der Tür. Seine Mutter streute Hafermehl in kochendes Wasser und rührte den Brei kräftig um. Jack konnte riechen, dass sie Honig hineingab. Im Feuer glühte das Schüreisen. Auf dem Tisch standen aufgereiht vier Becher mit Apfelmost. „Es ist so kalt“, beschwerte sich Lucy auf dem Dachboden. „Kann ich nicht im Bett frühstücken?“ „Eine Prinzessin fürchtet sich nicht vor ein bisschen Kälte“, sagte sein Vater. „Prinzessinnen leben in Burgen“, erklärte Lucy. „Ja, aber das gilt nicht für verloren gegangene Prinzessinnen.“ „Rede ihr nicht auch noch zu“, schalt seine Mutter. „Bin ich wirklich verloren gegangen, Vater?“, fragte Lucy. Jack wusste, dass sie diese Geschichte liebte. „Du warst nicht lange verloren. Wir haben dich gefunden“, sagte sein Vater liebevoll. „Ich habe unter einem Rosenstrauch gelegen, mit einer Goldmünze in der Hand.“ „Du wurdest in diesem Haus geboren, nicht in irgendeiner Traumburg“, fuhr seine Mutter sie an. Sie tauchte das heiße Schüreisen in den ersten Becher mit Most, um ihn zu erwärmen. Jack stieg der würzige Apfelgeruch in die Nase. Er wusste, dass Lucy nicht auf sie hören würde. Es war viel interessanter, eine verloren gegangene Prinzessin zu sein als ein Bauernkind. Aber die Goldmünze gab es wirklich. Sein Vater hatte sie beim Umgraben im Garten gefunden. Auf ihr war der Kopf eines Mannes zu sehen – Vater sagte, es sei ein römischer König. „Eines Tages wird ein Trupp Ritter kommen“, erzählte Lucy weiter. „Sie suchen nach dir, seitdem die Trolle dich entführt haben“, sagte sein Vater. „Die Trolle wollten dich aufessen, Liebling – aber weil es Trolle waren, gerieten sie natürlich sofort in Streit.“ „Sollen wir sie mit einem Apfel im Mund braten?“, sagte Lucy, die die Geschichte längst auswendig kannte. „Oder sollen wir aus ihr eine Pastete machen?“ „‚Pastete! Pastete!‘, rief die eine Hälfte der Trolle“, fuhr er fort. „Die andere Hälfte schrie nach gebratenem Kind. Sie kämpften erbittert und bald hatten sie sich gegenseitig bewusstlos geschlagen. Das war der Moment, in dem ich vorbeigekommen bin und dich gefunden habe.“ „Eines Tages werden die Ritter an unsere Tür klopfen“, sagte Lucy. „Sie werden sich vor mir verbeugen und sagen: ‚Komm mit uns und sei unsere Königin.‘“ „Weshalb redest du ihr diesen Unsinn ein?“, fragte Jacks Mutter streng. „Was kann es denn schaden?“, erwiderte sein Vater. Jack wusste, dass sie zwei Kinder verloren hatte, bevor er geboren wurde, und noch zwei nach ihm. Sie dachte, dass sie nie ein weiteres haben würde, aber dann brachte sie dieses letzte, vollkommene Kind zur Welt. Lucy hatte goldblondes Haar, das einen an Sonnenschein denken ließ. Ihre Augen hatten die Farbe von Veilchen, die tief im Wald wuchsen. Sie war so leicht wie Distelflaum und fröhlich wie eine Lerche. Und weil man ihr die ganzen fünf Jahre ihres Lebens immer nur Freundlichkeit und Liebe entgegengebracht hatte, liebte sie alle Menschen. Jack konnte ihr einfach nie böse sein. Jetzt wurde Lucy vom Vater die Leiter heruntergetragen, obwohl sie eigentlich schon zu groß dafür war. Jack sah, wie sein Vater vor Schmerzen das Gesicht verzog, während er unbeholfen von einer Sprosse auf die nächste trat. Aber er sah auch die Freude in den Augen seines Vaters – eine Freude, die fast nie sichtbar wurde, wenn Giles Krummbein seinen Sohn Jack ansah. Jack warf die Decken zurück, stand auf und reckte sich. Wie alle anderen schlief er in seinen Kleidern und brauchte sich deshalb nicht erst anzuziehen. Er zupfte die Wolle heraus, mit der der Türspalt verstopft war, und trat ins Freie. Ein graues Licht kroch über das Meer im Osten. Es sickerte in die Moore und wurde von den dunklen Wäldern im Westen wieder verschluckt. Der Himmel hatte die Farbe von schwarzem Eis. Es würde ein scheußlicher Tag werden. Jack rannte zum Abort. Er hüpfte auf und ab, damit seine Schuhe nicht an dem gefrorenen Boden festklebten. Der Barde hatte gesagt, dass die Frostriesen ahnungslosen Menschen auflauerten und sie mit ihrem Nebelatem betäubten. Sie flüsterten von der Wärme, die der Schlaf bringen würde. Deshalb durfte man sich in der Dunkelheit des Winters nie draußen hinlegen, ganz gleich, wie verlockend es war. Denn dann erwischten einen die Frostriesen. Jack rannte schnell zum Haus zurück, übersah dabei einen Eisfleck und rutschte aus. Er stolperte durch die Tür und versuchte, stampfend wieder Gefühl in seine Füße zu bekommen. „Kalt, was?“, sagte sein Vater. Er saß mit Lucy auf dem Schoß am Feuer. „Kalt wie ein Trollar…“ „Ich verbitte mir solche Ausdrücke“, fuhr ihn seine Mutter an. Jack grinste und ließ sich am Feuer nieder. Sie hielt ihm einen Becher Apfelmost hin und er wärmte sich die Hände daran. „Jetzt beginnen die Mutterschafe zu lammen“, bemerkte der Vater. „Stimmt“, pflichtete die Mutter ihm bei. „Ich liebe kleine Lämmer“, plapperte Lucy mit ihrem Mostbecher in den Händen. „Du brauchst ja auch nicht loszugehen und die kleinen Biester zu suchen“, knurrte Jack. „Das ist Gottes Wille“, sagte der Vater. „Adam hat gesündigt und deshalb müssen wir unser Brot im Schweiße unseres Angesichts verdienen.“ Jack fragte sich, warum sie für etwas, das zu Anbeginn der Zeiten passiert war, immer noch leiden mussten. Wie lange dauerte es, bis eine Strafe abgebüßt war? Wäre es nicht vernünftiger, wenn Gott nach tausend Jahren oder so sagen würde: Also gut, das reicht, ihr könnt ins Paradies zurückkehren? Aber diesen Gedanken sprach Jack lieber nicht aus. Wenn es um religiöse Dinge ging, war sein Vater sehr aufbrausend. Giles Krummbein hatte Priester werden wollen, aber seine Familie war nicht reich genug gewesen, um die Aufnahmegebühr für das Kloster zu bezahlen. Diese Enttäuschung nagte heute noch an ihm, denn mit seinem verkrüppelten Bein fiel es ihm schwer, die Arbeit eines Bauern zu tun. Seine schönste Erinnerung war ein Besuch auf der Heiligen Insel. Man hatte ihn nach seinem Unfall in der Hoffnung auf Heilung dorthin gebracht und der Anblick der Mönche, die ihrem friedvollen Leben nachgingen, hatte ihn mit Ehrfurcht erfüllt. Leider waren nicht einmal die Mönche in der Lage, Vaters Verletzung zu heilen. Alles, was sie für ihn tun konnten, war, ihn mit weichem Weißbrot und Lammbraten mit Rosmarin zu füttern. Und sie beteten für ihn in einer Kapelle mit einem Fenster aus buntem Glas, das in allen Farben des Regenbogens leuchtete, wenn die Sonne hinter ihm stand. „Ich denke, ich werde heute das Scheunendach reparieren“, sagte sein Vater. Jack runzelte die Stirn. Das bedeutete, dass die ungeliebte Aufgabe, die Lämmer zu suchen, an ihm hängen blieb. Er tunkte das Brot vom Vorabend in seinen Haferbrei. Uneingeweicht war es zu hart zum Essen. Jacks Zähne knirschten auf dem Sand, der immer in den dunklen, festen Laiben steckte, die seine Mutter buk. „Darf ich zuschauen, Vater?“, fragte Lucy. „Natürlich, mein Liebling. Du darfst nur nicht unter der Leiter sitzen, das bringt Unglück.“ Ja, weil Vater den Hammer ihr auf den Kopf fallen lassen könnte, dachte Jack. Aber auch das sprach er nicht laut aus. „In dieser Woche sind wir an der Reihe, den Barden mit Essen zu versorgen“, sagte seine Mutter. „Das mache ich“, rief Jack rasch. „Natürlich machst du das“, erklärte Giles. „Bilde dir nur nicht ein, du könntest dich wegen der Lämmer davor drücken.“ War das nicht wieder typisch?, dachte Jack. Er bot seine Hilfe an und sein Vater war trotzdem unzufrieden. Aber Jack freute sich so auf die neue Aufgabe, dass sein Ärger nicht lange anhielt. Er verschlang das Brot und den Haferbrei, trank den heißen Apfelmost und bereitete sich dann auf den langen Tag vor. Er stopfte Wolle in seine dünnen Schuhe, damit seine Zehen nicht erfroren. Er wickelte sich eine zusätzliche Lage Stoff um die Beine, zog ein weiteres Hemd an und befestigte seinen Umhang darüber. Der Umhang war mit Talg gefettet, damit er den Regen abhielt. Er war schwer, aber die Wärme war es wert. Zuletzt schulterte er einen Packen Nahrungsmittel. „Pass auf, dass du nicht so lange bei dem Barden herumlungerst und ihm lästig wirst“, sagte sein Vater, als Jack zur Tür hinausging. Der Wind fuhr unter den Umhang und wehte ihn über Jacks Kopf. Er zog...