Faulenbach | Willy Brandt | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 2780, 128 Seiten

Reihe: Beck'sche Reihe

Faulenbach Willy Brandt

E-Book, Deutsch, Band 2780, 128 Seiten

Reihe: Beck'sche Reihe

ISBN: 978-3-406-65467-1
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Willy Brandt (1913 bis 1992) ist eine Jahrhundertgestalt. Sein Leben war gekennzeichnet durch die Auseinandersetzung mit Hitler und dem Nationalsozialismus, nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Stalinismus und dem Kommunismus. Bernd Faulenbach zeigt uns den Menschen Willy Brandt, der früh emigrierte und Widerstand leistete, und den großen bundesdeutschen Politiker mit den Stationen Regierender Bürgermeister von Berlin, Außenminister, Bundeskanzler und Parteivorsitzender der SPD, der eigenständige demokratischsozialistische Positionen entwickelte, eine folgenreiche Ostpolitik einführte - wofür er 1971 den Friedensnobelpreis erhielt - und international für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität eintrat.
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3. Erfahrungen und Handeln
in Emigration und Widerstand
Anfang April 1933 – die Nazis waren dabei ihre Macht zu festigen, die politischen Gegner auszuschalten und ihre «Revolution» zu inszenieren – brachte nachts ein Fischkutter den 19-jährigen Herbert Frahm, der sich nun künftig meist Willy Brandt nennen sollte, von Travemünde nach Rödby auf der dänischen Insel Lolland; von da fuhr er nach Kopenhagen weiter, wo er ein Schiff nach Oslo bestieg. Dort kam er bei Vertrauensleuten der norwegischen Arbeiterbewegung unter. Damit begann Willy Brandts Emigrationszeit. Die Umstände des Weggangs aus Lübeck haben Fragen entstehen lassen. Einerseits ist darauf hingewiesen worden, dass Brandt sich auf diese Weise einer Verhaftung entzog – tatsächlich sind dann auch einige seiner Freunde verhaftet worden (und vielfältig nahmen die Nazis an ihren Gegnern Rache). Andererseits reiste er gezielt nach Oslo, um hier für die SAP tätig zu werden, für diese von der norwegischen Arbeiterbewegung Hilfe zu erbitten, ein Auslandsbüro der SAP zu errichten und das Londoner Büro der Internationale linkssozialistischer Parteien zu beeinflussen. Die Motive müssen sich nicht wirklich widersprechen. Willy Brandt hat sich in den folgenden von Einhart Lorenz erforschten sieben Jahren – unterbrochen von häufigen Reisen nach Paris, einem riskanten mehrmonatigen Aufenthalt in Deutschland im Herbst 1936, einem ebenfalls mehrmonatigen Aufenthalt in Spanien im Frühjahr 1937 zur Zeit des Spanischen Bürgerkrieges sowie weiteren Reisen – in Oslo aufgehalten. Vor allem in den ersten Jahren war er von Ausweisung bedroht, die nur durch Interventionen der norwegischen Arbeiterpartei verhindert werden konnte. Formal war Brandt Student der Geschichte an der Universität Oslo, faktisch aber arbeitete er politisch, schrieb zahlreiche Artikel für diverse Zeitungen, hielt Vorträge über die Verhältnisse in Deutschland, arbeitete für die SAP und engagierte sich in der norwegischen Arbeiterpartei, insbesondere in ihrer Jugendorganisation. Insgesamt entwickelte er in diesen Jahren eine ungeheure Aktivität. Abgebrochen wurden Aufenthalt und Tätigkeiten in Norwegen nach der deutschen Besetzung 1940. Nach der kurzzeitigen Gefangennahme mit anderen Norwegern floh er nach Stockholm, wo er als Repräsentant sowohl des norwegischen als auch des deutschen Exils tätig wurde. Zweifellos hat der junge Brandt sich in diesen Jahren politisch weiterentwickelt. Er lernte nicht nur Norwegen, sondern auch Europa mit seinen intellektuellen Strömungen und politischen Konflikten kennen. Man kann von einer zweiten Phase seiner politischen Sozialisation sprechen, die ihn wesentlich mitgeprägt hat. Doch waren es diese Jahre, die in den sechziger und siebziger Jahren – insbesondere in Wahlkampfzeiten – vielfach in diffamierender Absicht gegen ihn herangezogen wurden. Zwischen SAP und norwegischer Arbeiterpartei
Die norwegische Arbeiterpartei galt in besonderer Weise als links, zumal sie zur linkssozialistischen Internationale des Londoner Büros gehörte. Brandts Kontaktaufnahme sollte nicht nur dazu dienen, Unterstützung für die kleine deutsche Partei angesichts der Niederlage der deutschen Arbeiterbewegung zu bekommen (was dann auch in beachtlicher Weise geschah), sondern schloss auch den abenteuerlichen Versuch ein, die norwegische Partei zu einer revolutionären Partei zu machen. Der unter dem Einfluss seines Mentors Jacob Walcher, dem Chef der Auslandsleitung der SAP, stehende Willy Brandt bejahte diese Strategie wohl nicht zuletzt deshalb, weil sie die notwendige Schlussfolgerung aus der Niederlage der deutschen Arbeiterbewegung zu sein schien. Sie war Ausdruck einer gewissen Radikalisierung, die auch im Prager Manifest des Exilvorstandes der SPD eine Parallele hatte. Dass diese Strategie jedoch in Norwegen rasch scheiterte, überrascht nicht. Der für Brandt hochriskante Aufenthalt in Berlin 1936 sollte die Kader der SAP in Deutschland stärken. Ebenfalls im Auftrag der Partei sollte Brandt 1937 im Spanischen Bürgerkrieg die mit der SAP verbundene syndikalistische katalanische POUM unterstützen, doch erlebte Brandt, der dort unter anderem George Orwell begegnete, vor allem den Kampf der republikanischen Kräfte untereinander, insbesondere die Liquidierung von Trotzkisten und Anarchisten durch die stalinistischen Kommunisten. Brandt, der sich in der SAP vor allem um die Jugendarbeit kümmerte (viele der SAP-Leute waren wie Brandt sehr jung), wurde auf SAP-Parteikonferenzen seit 1936 zunehmend Zeuge und Gegenstand dogmatischer und persönlicher Auseinandersetzungen, die Brandt retrospektiv als Ausdruck eines Sektierertums, das in der Sackgasse enden musste, gewertet hat. Dass ihm schließlich bei Kriegsbeginn die Auslandsleitung der SAP übertragen wurde, hing gewiss mit der geographischen Lage Oslos zusammen, die man für ungefährdet hielt, war aber wohl auch Ausdruck der Wertschätzung, die Brandt bereits genoss. Parallel zu seiner Arbeit für die SAP engagierte Brandt sich für die norwegische Arbeiterpartei. Seit Mitte der dreißiger Jahre entwickelte er zunehmend eine Skepsis gegenüber der SAP-Politik. Parallel dazu gewann die norwegische Partei mit ihrem immer eindeutiger reformistischen Kurs Einfluss auf ihn. 1935 bildete die Partei eine Minderheitsregierung, und bei den Wahlen 1936 erzielte sie gar 42,6 Prozent. Verbunden waren diese Erfolge mit dem Wandel der Partei zu einer Volkspartei der linken Mitte, die Arbeiter, Fischer, Kleinbauern, Bürger und Intellektuelle zusammenführte und ein beachtliches politisches Spektrum repräsentierte, in dem neben Sozialisten sowohl Kommunisten als auch Liberale Platz fanden. Stark betont wurde von der norwegischen Partei zudem die Verwurzelung in den norwegischen Traditionen. Zwar hat Brandt die Unterschiede der politisch-sozialen Verhältnisse zwischen Norwegen und Deutschland durchaus gesehen, was ihm die Zustimmung zu den divergierenden revolutionären und reformistischen Politikansätzen erleichterte, doch seit etwa 1937 hat er das norwegische und später auch das schwedische Modell mehr und mehr zu seinem Leitbild gewählt, demgegenüber die linkssozialistischen Positionen immer mehr verblassten. Entsprechend hatte er immer weniger dagegen, dass man ihn als Sozialdemokraten betrachtete. Die Entwicklung in Deutschland
In den Jahren des Exils blieb für Willy Brandt die Auseinandersetzung mit dem NS-Regime in Deutschland von besonderer Bedeutung. Er versuchte die norwegische und die europäische Öffentlichkeit über den Nationalsozialismus aufzuklären, wobei er immer Wert darauf legte, dass Hitler und Deutschland nicht gleichzusetzen waren. 1934 gelang es ihm, norwegische Juristen dazu zu bewegen, den Prozess gegen SAP-Mitglieder vor dem Volksgerichtshof zu kritisieren. 1935 war Brandt der eigentliche Kopf des Komitees, das sich für die Verleihung des Friedensnobelpreises an den in verschiedenen Konzentrationslagern festgehaltenen Carl von Ossietzky einsetzte und schließlich Erfolg hatte: Ossietzky wurde 1936 der Nobelpreis verliehen. Auch wenn Ossietzky den Preis nicht in Empfang nehmen konnte, so war die Verleihung des Preises an einen erklärten Hitler-Gegner doch für das NS-Regime ein Prestigeverlust. Von September bis Dezember 1936 weilte Brandt dann als Gunnar Gaasland in Deutschland, um den SAP-Widerstand zu betreuen und zu stärken. Er flog dabei nicht auf, doch bekam das Regime auf Dauer zumindest einen Teil seiner Aktivitäten im Ausland mit und erkannte ihm 1938 die deutsche Staatsangehörigkeit ab. Dem Staatenlosen gelang es zunächst übrigens nicht, die norwegische Staatsangehörigkeit zu erhalten, weil er nicht regelmäßig Steuern gezahlt hatte; schließlich erhielt er aber eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis. Bei seinem Aufenthalt in Deutschland im Jahre 1936 stellte Brandt zwar fest, dass die konkreten Lebensbedingungen für die Zufriedenheit der Menschen in Deutschland von erheblicher Bedeutung waren – und sie waren so schlecht nicht –, doch überschätzte er gleichwohl die Distanz zwischen dem Regime und den Massen und damit auch die Handlungsmöglichkeiten für oppositionelles Verhalten. Vergeblich hoffte er lange Zeit auf eine revolutionäre Erhebung von Innen gegen das Regime. Während des Krieges lebte Brandt in Stockholm und spielte eine zentrale Rolle im dortigen norwegischen und deutschen Exil. Er kam nicht nur in Kontakt mit Persönlichkeiten wie Bruno Kreisky, dem Ehepaar Myrdal und Gösta Rehn, mit denen er später auf der internationalen Ebene zusammenarbeitete, sondern auch mit der deutschen Widerstandsbewegung, die Planungen für die Zeit nach Hitler vorantrieb und einen Umsturz vorbereitete, der schließlich am 20. Juli 1944 stattfinden sollte. Zunächst suchte ihn Theodor Stelzer 1942 auf, im Juni 1944 dann Adam von Trott zu Solz, der ihm Grüße von Julius Leber überbrachte, der zu einer wesentlichen Figur des Widerstandes geworden war. Trott zu Solz fragte Brandt, ob er sich fortan der Widerstandsbewegung zur Verfügung stellen würde, was dieser prinzipiell bejahte. Brandt war in Stockholm damit Teil des Netzwerkes der Verschwörer geworden. Der Krieg, die Zukunft Deutschlands und Europas
Brandt erörterte in seinen Veröffentlichungen schon vor dem Krieg und verstärkt nach Ausbruch des Krieges, der ihn schon...


Bernd Faulenbach ist Professor an der Universität Bochum und Vorsitzender der Historischen Kommission beim SPD-Parteivorstand.


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