Feehan Geliebte der Dunkelheit
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-641-19003-3
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Bund der Schattengänger 11 - Roman
E-Book, Deutsch, Band 11, 544 Seiten
Reihe: Der Bund der Schattengänger
ISBN: 978-3-641-19003-3
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Christine Feehan wurde in Kalifornien geboren, wo sie heute noch mit ihrem Mann und ihren elf Kindern lebt. Sie begann bereits als Kind zu schreiben und hat seit 1999 mehr als siebzig Romane veröffentlicht, die in den USA mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet wurden und regelmäßig auf den Bestsellerlisten stehen. Auch in Deutschland ist sie mit den 'Drake-Schwestern', der 'Sea Haven-Saga', der 'Highway-Serie', der 'Schattengänger-Serie', der 'Leopardenmenschen-Saga' und der 'Shadows-Serie' äußerst erfolgreich.
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1
WYATT FONTENOT VERTÄUTE sein Propellerboot, blieb dann im Dunkeln stehen und lauschte den vertrauten Geräuschen des Bayou. Er war in diesen Sümpfen aufgewachsen, mit dem Quaken der Ochsenfrösche, dem Knurren der Alligatoren und dem platschenden Geräusch, mit dem die Schlangen sich von den Zypressen ins trübe Wasser fallen ließen, und das unaufhörliche Summen der Insekten war sein Schlaflied gewesen. In dieser Gegend brachte der rieselnde Regen keine Abkühlung, sondern verstärkte die Hitze eher, denn er hüllte alles in Feuchtigkeit und den atemberaubenden Duft des Marschlandes.
Langsam ließ Wyatt den Atem entweichen und weidete sich einfach an dem Anblick, der sich ihm bot. Er hatte sich im Bayou immer zu Hause gefühlt. Eigentlich war er nie besonders gern woanders hingefahren, doch im Moment war er nicht sicher, ob die Entscheidung, so bald zurückzukehren, wahnsinnig klug gewesen war. In Städten konnte er nicht atmen, doch nun, da er nach Hause gekommen war, fühlte sich seine Brust wie zugeschnürt an und sein berüchtigtes aufbrausendes Temperament grummelte in der Magengrube.
»Alles in Ordnung?«, fragte Malichai Fortunes leise. Er stand gleich links neben Wyatt, im tiefen Schatten der ausladenden Zypressen und war nicht zu sehen, solange er sich nicht bewegte.
Wyatt sah zu ihm hinüber. Malichai war ein großer Mann, kaltblütig und muskelbepackt, mit seltsamen, beinahe goldenen Augen, die einen auf den ersten Blick durchschauten. Wyatt hatte gelernt, ihm vorbehaltlos zu vertrauen. Sie waren beide todmüde und erschöpft. Vier Monate mit über vierhundert Rettungseinsätzen, die meisten in »heißen« Kriegsgebieten. Der letzte davon war komplett den Bach runtergegangen und sie beide gleich mit.
»Ja, alles in Ordnung. Ich genieße nur den Duft der Heimat«, erwiderte Wyatt.
Pfeifentabakgeruch stieg ihm in die Nase. Ein leichter Wind rauschte durch die Bäume und ließ die Äste gespenstisch hin- und herschwingen. Es hatte ihm immer Spaß gemacht, seine Freunde aus der Stadt nachts in den Sumpf mitzunehmen und ihnen einen Mordsschrecken einzujagen, ehe er sie in eine der umliegenden Bars führte, wo sie sich betrinken und mit jedem anlegen konnten, der sie falsch ansah.
Er hatte gelernt, mit Schnur und Messer zu fischen. Und zur Not auch einen Alligator mit dem Messer zu töten. Er war einer der besten Jäger in den Sümpfen. Nur wenige der Jungs, die ihn kannten, hatten ihn je zum Kampf herausgefordert. Sein Wort galt viel in der Gegend. Er hatte lange und hart studiert, um Arzt zu werden, Chirurg, damit er nach Hause zurückkehren und den Leuten im Bayou helfen konnte. Nicht, dass er nicht hätte gehen können – er hatte nicht gehen wollen. Das war ein gewaltiger Unterschied.
Wieder atmete Wyatt bewusst aus und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Er wünschte, er könnte die Erinnerung an seine eigene verdammte Dummheit auch so einfach wegwischen.
»Hast du deiner Grand-mère gesagt, dass wir bei dir sind?«, fragte Ezekiel Fortunes, Malichais Bruder, leise. Viel zu leise. Es klang eher wie das leise Grummeln einer Raubkatze auf der nächtlichen Pirsch.
Wyatt betrachtete den dritten Mann im Boot, der rechts von ihm stand. Ezekiel war etwas kleiner als seine Begleiter, hatte jedoch den gleichen kräftigen Körperbau. Und seine seltsamen bernsteinfarbenen Augen glühten so wie die der anderen im Dunkeln. Alle drei Männer sahen bei Nacht ebenso gut wie am Tag, was ihnen bei nächtlichen Kampfeinsätzen einen entscheidenden Vorteil verschaffte.
»Ja, Nonny erwartet uns alle drei«, sagte Wyatt. »Und ihr zwei solltet euch besser gut benehmen. Sonst packt sie euch bei den Ohren, das kann sie richtig gut.« Er rieb sich das Ohr, und ein kleines Grinsen erschien auf seinem Gesicht, als er an einige Gelegenheiten dachte, bei denen sie ihm die Ohren langgezogen hatte. »Auf Kriegswunden nimmt sie dabei keine Rücksicht.«
»Ist sie eine gute Köchin?«, fragte Malichai. »Ich bin am Verhungern.«
Wyatt und Ezekiel lachten. »Das ist bei dir doch immer so.«
»Wir haben ja auch nie Zeit zum Essen. Dauernd versucht irgendjemand, uns zu töten«, klagte Malichai und schaute sich um. »Ich wette, hier kann man gut jagen gehen.«
Wyatt nickte bedächtig. »Aber wir werden uns ausruhen, Jungs. Ausruhen und entspannen. Nicht jagen. Die Leute hier sind meine Nachbarn. Ihr könnt gern mit ihnen trinken oder streiten, aber ihr werdet ihnen nichts tun.«
»Du bist ein echter Spielverderber«, murrte Ezekiel.
Wyatt stieg aus dem Propellerboot und musterte den soliden Holzsteg. Als er das letzte Mal zu Hause gewesen war, hatte er die faulenden Bretter ausgewechselt, und die Anlegestelle sah immer noch gut aus. Er hatte befürchtet, dass seine Großmutter trotz ihres Alters und ihrer nachlassenden Gesundheit versuchen würde, den Steg zu reparieren. Das hätte ihr ähnlich gesehen. Es war das Letzte gewesen, was er für sie getan hatte, bevor er gegangen war – mitten in der Nacht – ohne ein Wort. Er hatte sich davongeschlichen wie ein schmollendes Kind, nur weil man ihm das Herz herausgerissen hatte. Nein, weil er das geglaubt hatte, was noch viel schlimmer war.
Er blieb noch eine Minute stehen. Es fiel ihm nicht leicht, zum Haus hochzugehen, obwohl er wusste, dass seine Großmutter ihn mit offenen Armen empfangen und kein Wort des Vorwurfs äußern würde, aber er fühlte sich schuldig. Immer wieder versuchte er sich auszumalen, was er ihr sagen würde. Aber ihm fiel nichts ein. Gar nichts. Sie würde es auf den ersten Blick wissen, sowie sie ihm in die Augen schaute und sah, was er getan hatte; dass er sich für alle Zeiten verändert hatte – genau wie sein Bruder Raoul.
»Was ist los, Wyatt?«, fragte Malichai noch einmal. Seine leise Stimme klang genauso jagdhungrig wie die seines Bruders.
»Nonny wird es erkennen. Sobald sie mich zu Gesicht bekommt, wird sie wissen, was aus mir geworden ist.«
Ezekiel ließ den Blick über den Bayou schweifen und vermied es, ihn anzusehen.
Malichai schüttelte den Kopf. »Nein, wird sie nicht, Wyatt. Sie wird merken, dass du dich ein wenig verändert hast, aber sie wird nicht wissen, was du bist.«
»Als ich ging, war ich Arzt, einer, der Menschen heilt.« Wyatt blickte auf seine Hände hinunter. »Und nun bin ich ein Mörder. Wie soll sie das nicht merken?«
»Wir müssen ja nicht bleiben«, bemerkte Ezekiel sachlich. »Wir können uns umdrehen und zusehen, dass wir schnell wieder verschwinden, wenn du dich dann besser fühlst.«
»Sie hat mich gebeten, nach Hause zu kommen«, sagte Wyatt. »Und sie bittet nicht oft um etwas. Sie meinte, sie braucht Hilfe, und meine Brüder sind momentan nicht im Land. Mein Urlaub stand kurz bevor, und mir war klar, dass ich ihr früher oder später gegenübertreten muss. Es ist eine Weile her, aber der Bayou fühlt sich immer noch wie meine Heimat an.«
Wieder schaute Malichai langsam in die Runde. »Sieht für mich aus wie ein Jagdrevier.«
Das Haus der Fontenots war alt, selbst nach den Maßstäben im Bayou, aber sehr gut erhalten. Eiserne Tore und ein großer Zaun sorgten dafür, dass das Anwesen mit der eigenen Anlegestelle am Fluss nicht von Fremden betreten wurde. Nonnys Jagdhunde hatten angeschlagen, als das Propellerboot angelegt hatte, doch Wyatt hatte sie mit einem kurzen, stummen Befehl gleich wieder zum Schweigen gebracht.
Es gab zwei große Gebäude, das Wohnhaus und die Garage. Die Garage konnte durch zwei Niederzugtüren und eine kleinere Eingangstür betreten werden, die alle mit Schlössern gesichert waren. Das Haus hatte zwei Etagen, eine umlaufende Veranda und einen Balkon.
»Es ist hübsch hier, Wyatt«, sagte Malichai. »Ein schönes Haus.«
»Am Anfang ist es ein sehr traditionelles Holzhaus gewesen«, erklärte Wyatt. »Anderthalb Stockwerke mit einer Galerie, auf Pfählen gebaut, um es vom matschigen Grund fernzuhalten. Wir haben eine breite Front zum Bayou hin, was uns einen guten Zugang zum Wasser gewährt. Außerdem viele Wälder zum Jagen, in denen wir die Bäume geschlagen haben, um das Haus auszubauen. Dazu Felder, um etwas anzupflanzen, und Grand-mère hat ein gutes Händchen dafür. Uns ging es ganz gut.« Stolz fügte er hinzu. »Wir haben das Haus erweitert, meine Brüder und ich, für Nonny.«
»Das ist wunderbar, Wyatt. Was für ein schöner Platz, um dort aufzuwachsen«, meinte Malichai mit einem Blick auf seinen Bruder. »Wir hätten hier bestimmt einiges angestellt.«
»Aber wir hätten hin und wieder etwas zu essen gehabt«, meinte Ezekiel mit einem weiteren langsamen Blick in die Runde. »Viel mehr, als einem hier geboten wird, braucht man nicht.«
»Bei uns gibt es immer reichlich zu essen«, versicherte Wyatt und trat einen Schritt zurück, um seinen beiden Freunden den Vortritt zu lassen. »Ehrlich, da sie vier große Jungs zu ernähren hatte, war Nonny jeden Tag unterwegs, um Fallen zu stellen und zu jagen und zu fischen. Sie wollte, dass wir alle in die Schule gehen und etwas lernen. Dann hatte sie eine Herzattacke und Raoul – Gator, wie wir ihn hier im Bayou nennen – hat sich aus der Schule geschlichen, um uns was zu essen zu besorgen. Als wir anderen dann auch geschwänzt haben, hat er uns natürlich ordentlich verprügelt.« Bei der Erinnerung daran musste Wyatt lachen.
»Mit dem Verprügeln kennen wir uns aus«, sagte Malichai. »So sind wir gewöhnlich an unser Essen gekommen.«
Ezekiel nickte. »Ja, darin waren wir am Ende richtig gut.«
»Grand-mère ist in ihren Achtzigern und hat ein krankes Herz. Ihr bringt sie also...